ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
1 Petr 5, 5b-11 | Am 6, 1a.4-7 | 1 Tim 6, 11-16 | Lk 16, 19-31 |
Einordnung
Den Predigtimpuls verfasse ich im Kontext des Wahljahres 2024, welches bis dato in der EU, Deutschland, Frankreich und den USA eine Tendenz zum Nationalismus und zum Versuch der Abschottung von weltweiten Krisen erkennen lässt. Wöchentliche Flutereignisse in Deutschland und der Schweiz zeigen direkt, wie weit die Folgen der Klimakrise auch uns betreffen. Krieg und gewaltsame Konflikte bestehen fort. Es gibt viel Grund zur Sorge.
„Sorgt euch nicht“ ist der Kontext, in den dieser Sonntag im evangelischen Kirchenjahr (15. Sonntag nach Trinitatis) gestellt ist. Der dazugehörige Wochenspruch ist dem EKD-Predigttext entnommen: „Alle eure Sorge werft auf den Herrn, denn er sorgt für euch“ (1. Petr. 5,7). Evangelischerseits ist der Kontext mit dem Evangelium aus der Bergpredigt (Mt 6) zugeordnet, so dass mehr die individuelle Sorge im Blick ist (Sorge um Nahrung, Kleidung, den nächsten Tag …). Im Kontext der katholischen Lesungen (Am 6,1a.4-7 und 1 Tim 6,11-16) sowie des Evangelientextes Lukas 16,19-31 (Der reiche Mann und der arme Lazarus, mit Verweis auf die sozialkritischen Ermahnungen der Propheten) scheint mir der sozialethische Aspekt stärker hervorgehoben zu sein. Angesprochen sind Reiche, die im Luxus leben, bzw. Menschen, die für andere verantwortlich sind, wie Timotheus als Leiter der Gemeinden in Ephesus.
Reichtum und Armut
Der Reichtum ist ein Problem: Wenige Prozent der Menschheit verursachen einen Großteil der CO2-Emissionen. Geistlich gesehen ist Reichtum ständige Möglichkeit der Versuchung und in seiner Sogwirkung die Gefahr, sich vom Trachten nach dem Reich Gottes ablenken zu lassen. Gleichzeitig ist Reichtum auch Möglichkeit, zu gestalten und Gutes zu bewirken.[1]
Aber wo ordne ich mich selbst ein – mit einem doch anständigen Gehalt, einer Wohnung voller Dinge und Kleidung und Essen im Überfluss, so dass ich vom Zuviel manchmal wegwerfe? Arm oder reich?
Der Versuch, am Stuttgarter Flughafen bei einer Mahnwache nur die Superreichen mit Privatjets, Inlandsflieger und die Politik anzusprechen, blieb zweischneidig: Auch wer mit weniger Einkommen für einen Urlaub auf günstigere Regionen ausweichen muss und daher den Flieger nimmt, läuft mit gesenktem Blick an uns vorbei. Die Privatjetflieger dagegen sind abgeschottet.
In den biblischen Texten wird deutlich, welche Auswirkungen Reichtum haben kann. Der Reiche übersieht den Armen, an dem er doch regelmäßig vorbei gehen muss. Demütig erscheint Lazarus, da er nur wenig begehrt: Er hofft, dass die Reste vom Tisch des Reichen für ihn abfallen – wird aber in der Beispielerzählung stattdessen weiter gedemütigt. Die Umkehrung der Lebensrealitäten, wie es in Lukas 16 angesprochen wird, könnte zur Vertröstung verführen – dabei ist der Impuls: „Lass mich meine Brüder warnen, damit sie jetzt noch umkehren können“ kein Weiter-So. Erst nach dem Tod wird der Reiche demütig – aber die Erzählung bleibt kritisch, denn das Hören wäre den Brüdern auch jetzt schon möglich. Völlig aus dem Blick geraten sind die Armen bei Amos: Die Reichen haben sich abgeschottet, leben sorglos und selbstsicher und lassen es sich gutgehen, im Missbrauch der Kultgegenstände zeigt sich ihre mangelnde Demut und überbordende Selbstsicherheit.
Demut: Es gibt einen Gott. Ich bin es nicht.
Demut ist das übergeordnete Thema des Abschnitts aus 1. Petrus 5. Demut bedeutet, sich einzuordnen und unterzuordnen, und lässt sich auf zwei einfache Erkenntnisse zurückführen: Es gibt einen Gott. Ich bin es nicht.
Die Anerkennung Gottes beinhaltet ein Moment der Herrschaftskritik, da jede Mächtige sich letztlich verantworten muss vor einem Höheren. Das Bewusstsein dieser Verantwortung in der Ausführung des Dienstes vor Gott ist in der Erzählung vom russischen Pilger beschrieben, wie wenn eine geistige Tätigkeit in Anwesenheit des Herrschers an dem Stufen des Thrones zu machen sei: „Nun könntest du mit deinem Gegenstand noch so beschäftigt sein, allein des Herrschers Gegenwart, in dessen Hand dein Leben liegt, wird so spürbar sein, daß du auch keinen Augenblick lang vergessen wirst, nicht für dich allein zu denken […] sondern an einem Ort zu sein, der ganz besondere Andacht, Achtung, Ehrfurcht von dir verlangt.“ [2]
Ich bin es nicht: Die Wirksamkeit im eigenen Radius anerkennen und ausfüllen, ohne sich täglich die Last der Welt auf die Schultern zu laden, das ist das entlastende Moment der Demut. Eigene Grenzen erkennen und anerkennen, nicht nur aus Notwendigkeit, sondern auch im Vertrauen auf das Wirken Gottes in allen Dingen und Umständen.
Die Predigt könnte Möglichkeiten der Gemeinde vor Ort aufzeigen, als Mitverantwortliche für das Leben im Ort zu wirken, in Anerkennung auch anderer Mitwirkender am Guten, die sich außerhalb kirchlicher Strukturen befinden. Wichtig erscheint mir eine Sensibilität für versteckte Armut auch in der Gemeinde, welche im gutbürgerlichen Umfeld sehr schambehaftet sein kann. Manche laden sich mit der Sorge um die Welt auch zu viel auf, hier mag der Hinweis auf das „ich bin es nicht“ korrigierend und entlastend wirken.
Pfarrerin Miriam Hechler, Stuttgart
[1] Zur geistlichen Ambivalenz von Reichtum und Armut vgl. Chittister, Joan und Rowan Williams: Uncommon Gratitude. Alleluia for All That Is, Collegeville/Minnesota 2010.
[2] Jungclaussen, Emmanuel (Hg.): Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers, 19. Aufl., Freiburg/Basel/Wien 2014, S. 203.