15. Sonntag nach Trinitatis / 26. Sonntag im Jahreskreis (29.09.19)

15. Sonntag nach Trinitatis / 26. Sonntag im Jahreskreis


ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
1 Petr 5, 5b-11 Am 6, 1a.4-7 1 Tim 6, 11-16 Lk 16, 19-31

1 .Petrus 5, 5b-11 (nach Lutherbibel rev. 2017)

Beobachtungen zum Text: Der „MitĂ€lteste“ sieht mehr

Das Schlusskapitel des 1. Petrusbriefes enthĂ€lt Mahnungen an die Ältesten der Gemeinde. Der Autor versteht sich als „MitĂ€ltester“, der dem Leitungsgremium der Gemeinde verbunden ist. In der Bildsprache der Hirtenmetaphorik hĂ€lt er die Seinen dazu an, sich als Hirten zu verstehen und die Gemeinde als ihre anvertraute Herde. Als Hirten sind sie Vorbilder im Glauben, bis der „Erzhirte“ – also Christus – erscheinen wird. Dem dienenden Charakter entspricht die Mahnung zur Demut.

An diese Mahnung an schließen sich die Zeilen der Perikope. Es folgen weitere Mahnungen zur Demut, aber auch alle Sorge auf Christus zu werfen, nĂŒchtern zu bleiben und dem Widersacher zu widerstehen, der „wie ein brĂŒllender Löwe umhergeht“, um die Christen zu verunsichern und zu verschlingen.

Die Perikope schließt mit der Verheißung, dass Gott die Seinen, die er ja „berufen hat zur ewigen Herrlichkeit in Christus“, aufrichten, stĂ€rken, krĂ€ftigen und grĂŒnden wird. Das heißt, die von Gott gestiftete Beziehung in Christus wird dauernden Bestand haben. Gott behĂ€lt also die Regie im endzeitlichen Geschehen. Die Auseinandersetzungen haben ihre Zeit, denn letztlich wird „der Gott aller Gnade“ seinen Sieg bewahren. Der „MitĂ€lteste“ sieht also mehr, er sieht einen weiten Horizont, der viel weiter ist als die EngfĂŒhrung der Auseinandersetzungen. Die Berufenen seien getrost, denn Christus wird sie „aufrichten, stĂ€rken, krĂ€ftigen und grĂŒnden“.

Assoziationen, EinfÀlle, Gedanken zur Predigt: Lohn es sich zu kÀmpfen?

Lohnt es sich zu kĂ€mpfen? Was setzen wir ein? Macht es Sinn, wirtschaftliche, soziale oder politische VerĂ€nderungen einzufordern und dafĂŒr aufzustehen? Der Autor des 1.Petrusbriefes sah seinerzeit ein Leitungsteam, das einen Impuls brauchte, seine Hirtenaufgabe im Kampf gegen den Widersacher wahrzunehmen. Der Widersacher ist – im dualistischen Weltbild des 1.Petrusbriefes - der Teufel. Auf Griechisch der Diabolos, der Durcheinanderwerfer.

„Durcheinanderwerfer“ offenbaren sich in Hassparolen von AFD und Pegida, in machtgierigem ParteiengezĂ€nk, in menschenverachtenden Entscheidungen gegenĂŒber FlĂŒchtlingen, ob an der osteuropĂ€ischen oder der mexikanischen Grenze – und in der GleichgĂŒltigkeit gegenĂŒber der Zerstörung der Schöpfung. Lohnt es sich zu kĂ€mpfen? Ja, die Zeit ist knapp. Sie verkĂŒrzt sich mehr denn je. NatĂŒrlich lassen sich die Erwartung der Parusie des Erzhirten Christus und apokalyptische Szenarien unserer Tage nicht einfach gleichsetzen. Diese gilt es zu unterscheiden. Die Frage bleibt, das ist der springende Punkt: Lohnt es sich zu kĂ€mpfen? Die Predigerin, die am 29.9.2019 predigen wird, sieht mehr. Sie weist auf den Gott der Gnade, der die Christen, die kĂ€mpfen wollen, aufrichten wird, stĂ€rken, krĂ€ftigen und grĂŒnden. Die Zeit mag kurz sein – aber der Aufstand gegen die „Durcheinanderwerfer“ dieser Welt geschieht unter der „gewaltigen Hand Gottes“ und ermutigt zur Haltung des Widerstands.

Amos 6, 1a. 4-7 (nach der EinheitsĂŒbersetzung)

Beobachtungen zum Text: „Ich verabscheue Jakobs Stolz
“

Der Prophet Amos wirkte im Nordreich Israel um das Jahr 750 v.Chr. Gottes Auftrag fĂŒhrt den SchafzĂŒchter aus seinem Dorf Tekoa in Juda in die Hauptstadt Israels nach Samaria. Er kĂŒndet einer „satten und selbstsicheren Gesellschaft samt ihren weltlichen und geistlichen FĂŒhrern 
 im Auftrag Gottes den Einfall ĂŒbermĂ€chtiger Feinde und die Verbannung an.“ (Stuttgarter ErklĂ€rungsbibel, S. 1100).

Amos spricht die Oberschicht Samarias an, die sich als „Vornehmste des ersten unter den Völkern“ verstehen und sich somit im ErwĂ€hlungsbewusstsein Gottes wĂ€hnen. Amos kritisiert sarkastisch die satte luxuriöse LebensfĂŒhrung (Vers 4-6): das Faulenzen auf elfenbeingeschmĂŒckten Lagern, das Schlemmen und Trinken im Übermaß, das Grölen von Liedern, und das dichten wollen wie David (!). Was fehlt ist der Blick fĂŒr das eigene Volk, fĂŒr „Josef“ (V. 6). Josef ist der Stammvater der StĂ€mme Manasse und Ephraim. Aus ihnen setzt sich das Nordreich zusammen. Ihnen, der Spitze der Gesellschaft, droht die Spitze des Zuges derer, die vertrieben und gefangen weggefĂŒhrt werden. Vers 8 bringt die Botschaft Gottes dann auf den Punkt: „Ich verabscheue Jakobs Stolz und hasse seine PalĂ€ste, die Stadt, und alles, was ist, gebe ich preis.“


Assoziationen, EinfÀlle, Gedanken zur Predigt: An der eigenen Kehl gepackt

Die messerscharfe Botschaft von Amos mit ihrer profilierten Spitze gegen die Vornehmen des Volkes Israel könnte dazu verfĂŒhren, den Finger auf die zu zeigen, die auch zu unserer Zeit an der Spitze der Gesellschaft stehen und sich wenig um soziale Gerechtigkeit oder Nachhaltigkeit fĂŒr die Schöpfung kĂŒmmern. Die Botschaft von Amos aber entfaltet ihre volle SchĂ€rfe erst, wenn wir sie als Botschaft an uns selbst gerichtet hören. Liest man das ganze Amosbuch, dann packt uns wohlsituierte MitteleuropĂ€er der Zorn Gottes nahezu an der eigenen Kehle. Wenn wir heute Amos predigen, dann wohl am besten in Demut und Sprachlosigkeit. Eine Predigt ĂŒber unseren Text wird eine karge, eine demĂŒtige und zugleich eine zornige klare Sprache fĂŒhren. Und sie wird Gerechtigkeit fordern und offene Augen – nicht nur von denen, die oben sitzen. Sondern von uns selbst.

Keiner weiß, wie lang‘ die Deiche hahle/ un ab wann mir Zins un Zinseszins bezahle.
Viel zu lange ha‘m wir alle akzeptiert,/ dass man Fakten einfach ignoriert.
Schulterzuckend, su als ob nix wöhr, / wegluhrt un verdrÀngk un resigniert.

Kyrie eleison! Kyrie eleison! / Kyrie eleison! Kyrie eleison!

(Wolfgang Niedecken, Absurdistan von der CD „LebenslĂ€nglich“, 2017)

Amos lenkt den Blick. Wegschauen geht nicht mehr. Kyrieeleison ist der Ruf, der die Predigt tragen muss.

1. Tim 6, 11-16 (nach der EinheitsĂŒbersetzung)

Beobachtungen zum Text: Der gute Kampf des Glaubens

Der Brief gehört wie der 2. Tim und der Titusbrief zu den Pastoralbriefen. „Sie stammen von einem PaulusschĂŒler. Sie sind an Mitarbeiter des Apostels Paulus adressiert
 Die Bezeichnung Pastoralbriefe
 bringt zum Ausdruck, dass diese Schriften den Fragen des christlichen Lebens und der Gemeindeleitung gewidmet sind.“ (Petr Pokorny und Ulrich Heckel, Einleitung in das Neue Testament, S. 655). Ziel ist die „AmtstrĂ€gerparĂ€nese fĂŒr die örtliche Gemeindeleitung.“ (ebd.)

Der Brief richtet sich an Timotheus, einem Mitarbeiter des Paulus, zu jener Zeit Bischof der Gemeinde in Ephesus. Die Perikope in 6, 11-16 schließt an allgemeine Warnungen vor Irrlehre und Habsucht (6, 2b-10).

Die Anrede „Mann Gottes“ ist Bezeichnung fĂŒr den von Gott Beauftragten. Die Zeilen 6,11ff umreißen das SelbstverstĂ€ndnis, zu dem der Verfasser Timotheus ermutigen will: Die Absage an Habsucht, Streben nach Gerechtigkeit, Frömmigkeit Glauben usw., den guten Kampf des Glaubens zu kĂ€mpfen, das ewige Leben zu ergreifen, und den Auftrag rein zu erfĂŒllen bis zum Erscheinen Jesu Christi.

Die Perikope schließt mit einem Hymnus auf Christus, auf seine „Unsterblichkeit“, sein „Wohnen in einem unzugĂ€nglichen Licht“. Der Autor verknĂŒpft liturgische und parĂ€netische Sprache. Die Mahnungen grĂŒnden im christologischen Bekenntnis. Wobei Christus weniger als der Gekreuzigte, als vielmehr der wahre Zeuge und der SouverĂ€n der Herrlichkeit gesehen wird („der selige Herrscher, der König der Könige“, V.15b). Der AmtstrĂ€ger wird somit an beides gebunden – an Christus und an seine Agenda als „Mann Gottes“. Diese Agenda erfĂŒllt sich im „To do“ von „Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Glauben, Liebe, Standhaftigkeit und Sanftmut“ (V. 11b)

Assoziationen, EinfĂ€lle, Gedanken zur Predigt: „Du aber!“

„Du aber
“ – diese beiden Worte werden zum Leitmotiv der Predigt. Du aber, Timotheus. Du aber, Predigerin. Du aber, Hörer. Auf dem Du liegt zunĂ€chst der Blick. Über Timotheus muss nicht lange gepredigt werden. Viel wichtiger ist die Frage – wer bin ich in diesem „Du“? Wo liegt meine VerfĂŒhrbarkeit zu Habsucht, inwiefern lasse ich mich zu „Neid, Streit, Verleumdung
“ (V. 4b) verleiten, was ist die Essenz meiner Frömmigkeit, was ist der Kern meiner Lehre, die ich vertreten will? „Du aber!“ Was der Prediger sich fragt, muss zur Frage der Hörer werden. Wer bin ich denn als Christ oder Christin? Was glaube ich eigentlich, wie schaffe ich die Balance von Glaube und Lebensgestaltung? „Du aber“ – ist ein unterbrechendes Aber, ein Aber, das zur Auszeit nötigt, zum Nachdenken, zur Umkehr, zur VerĂ€nderung fĂŒhren kann. „Du, aber!“ Ein nachhaltiges Aber, das die Augen öffnet, so gerecht und so fair wie möglich zu leben, und sich von der Gier, die der Kapitalismus entfesselt, nicht vereinnahmen zu lassen.

Lk 16, 19-31 (nach der EinheitsĂŒbersetzung)

Beobachtungen zum Text: Der tiefe Graben

Das Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus ist eine BeispielerzĂ€hlung. Eduard Schweizer vermutet dahinter ein Ă€gyptisches MĂ€rchen (Das Evangelium nach Lukas, S. 172), und verweist auf weitere jĂŒdische Beispielgeschichten (ebd.). Zielpunkt der Geschichte ist nicht, vermitteln zu wollen, ob irdische Armut mit dem Lohn des Himmels versĂŒĂŸt wird. Es geht auch nicht darum, Arme als grundsĂ€tzlich gute Menschen oder reiche Menschen als grundsĂ€tzlich böse Menschen zu schildern. Sondern den Fokus darauf zu richten, ob der Reiche sich von der Armut des Lazarus anrĂŒhren lĂ€sst oder nicht. Seinen Status als Kind Abrahams hat er verspielt, weil er sich nicht um den Armen gekĂŒmmert hat. Dem Reichen nĂŒtzt seine Bindung an Abraham nichts mehr. Die bloße Berufung auf den Glauben steht also hinter der Notwendigkeit der Befolgung der Gebote Gottes. „Mose und die Propheten“ fordern die Versorgung der Armen (siehe z.B.: 2. Mose 22,20ff und Jes 10,1ff). Der Reiche wird mit dem Graben, den er zu Lebzeiten gegenĂŒber dem Armen gelebt hat, im Jenseits mit der Kluft zwischen ihm und Abraham konfrontiert. Entscheidend und erschreckend ist, dass er keine Chance mehr hat, sein Verhalten oder gar das seiner noch lebenden BrĂŒder zu Ă€ndern.

Assoziationen, EinfĂ€lle, Gedanken zur Predigt: Poor man’s blues

Lay awake at night,
Oh so low, just so troubled.
Can't get a job,
Laid off and I'm having double trouble.

Hey hey, to make you've got to try.
Baby, that's no lie.
Some of this generation is millionaires,
I can't even keep decent clothes to wear.

Otis Rush

1958 veröffentlichte der US-BluessĂ€nger und –Gitarrist Otis Rush den Song „Double trouble“. Der Titel spielt auf einen Ausdruck beim Kartenspiel an, das Pech „in beiden HĂ€nden“ zu halten. Arbeitslos, am Boden, ausgebootet – das ist die Erfahrung, von der Rush als schwarzer Musiker sang. Hey hey, to make you've got to try, „du kannst es schaffen, wenn du es nur versuchst“, diese Selfmade-Maxime ist „no lie“ so der zynische Refrain. In Wahrheit gibt es die einen, die MillionĂ€re werden – aber er, der SĂ€nger, hat nicht mal einen anstĂ€ndigen Anzug.

Eine Predigt ĂŒber die Geschichte des reichen Mann und armen Lazarus wird nicht darum herumkommen, Armut in unserem Land in den Blick zu nehmen. Und die LĂŒge nicht weiter zu tragen. Armut ist eine bittere RealitĂ€t. Sie wahrzunehmen, nicht kleinzureden, sie aus dem Blick der Betroffenen zu sehen, auf Augenhöhe zu sehen und zu verĂ€ndern – darum geht es. Reichtum ist ein Geschenk. Reichtum zu verantworten, unsere Aufgabe. Spannend wĂ€re es, diese Predigt mit Mitarbeitern der Caritas bzw. des Diakonischen Werkes oder mit Besuchern einer Vesperkirche vorzubereiten. Oder mit Mitglieder des Lions Club - oder beiden! Um eine BrĂŒcke zu bauen – jetzt schon.

Markus Stambke, Limburg

 

Literatur, Texte, Songs:

Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, rev. 2017

Die Bibel, EinheitsĂŒbersetzung, 1996

Eduard Schweizer, Das Evangelium nach Lukas, NTD 3, 1982

Petr Pokorny und Ulrich Heckel, Einleitung in das Neue Testament, 2007

Rush, Otis (1993). The Cobra Records Story: Chicago Rock and Blues 1956–1958 (Album notes)

Stuttgarter ErklĂ€rungsbibel, nach der Übersetzung Martin Luthers, rev. 1984, 1992

Wolfgang Niedeckens BAP, „Absurdistan“ aus der CD „LebenslĂ€nglich“, 2017