29.o9.24 – 18. Sonntag nach nach Trinitatis / 26. Sonntag im Jahreskreis

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
1 Petr 4,7-11 Num 11, 25-29 Jak 5, 1-6 Mk 9, 38-43.45.47-48

Die Texte

Die evangelischer- und katholischerseits vorgesehenen Bibeltexte fĂŒr den 29. September 2024 bieten keineswegs einheitliche Themen an. Bearbeitet werden hier die beiden Texte, die aus meiner Sicht eindeutige AnknĂŒpfungspunkte fĂŒr die Themenpalette von „nachhaltig predigen“ bieten.

Die dem in der evangelischen ZĂ€hlung 18. Sonntag nach Trinitatis zugeordneten Texte zentrieren sich um das Thema „Handeln in Verantwortung unter den Bedingungen christlichen Glaubens“. Bei dem Textabschnitt 1. Petrus 4,7-11 könnte es sich möglicherweise um den letzten Abschnitt eines Taufgottesdienstes handeln. Die Verse vor Beginn des Textabschnitts (vv 3-4) schildern eine radikale Umkehr des Verhaltens der ChristusglĂ€ubigen gegenĂŒber dem in drastischen negativen Bildern geschilderten Verhalten der anderen, derer, die Gott nicht kennen (v 3)[1] – und damit zugleich eine Abkehr von der eigenen Vergangenheit (v 4), die großes Erstaunen bei den Außenstehenden hervorruft.

Die Gegenwart wird als Endzeit gedeutet, fĂŒr die der Autor des pseudepigraphischen Petrusbriefes seine ParĂ€nese bereithĂ€lt: Besonnenheit, Gebet und mit ganz besonderer Betonung der Aufruf zu gegenseitiger Liebe, die sich vor allem auch als Gastfreundschaft zeigt. Wichtig ist, dass dieses Verhalten nicht etwa eine Voraussetzung fĂŒr die Gnade Gottes wĂ€re, sondern umgekehrt sind gegenseitige Liebe, Gastfreundschaft und Dienst Ausfluss der Gnade Gottes. Hier wird regelrecht eine kleine Charismenlehre entfaltet, die die Verbindung zwischen der Gnade Gottes und dem menschlichen Handeln darstellt: „Alle sollen einander mit den Begabungen dienen, die sie empfangen haben. Setzt sie so ein, dass ihr euch als Menschen erweist, die mit der vielfĂ€ltigen Gnade Gottes gut haushalten können“[2]. Alles kommt von Gott und alles lĂ€uft auf Gott zu. In diesen Kreislauf der Gnade und der Gnadengaben sind die Christ:innen eingebunden. Dies alles zur Ehre Gottes, so der doxologische Schluss des Textabschnittes, der auch einmal das Ende des Briefes gewesen sein könnte: „Amen!“


In der katholischen ZĂ€hlung handelt es sich um den „26. Sonntag im Jahreskreis“ mit den Themen: „Der fremde WundertĂ€ter“ und „Warnung vor der VerfĂŒhrung zum Bösen.“

In Jakobus 5,1-6 wird den Reichen das Gericht Gottes verkĂŒndet – das kann man sicher als „Warnung vor der VerfĂŒhrung zum Bösen“ verstehen. Wieder werden die Leser in eine endzeitliche und zugleich apokalyptische Situation gefĂŒhrt, in der die elende Situation den Reichen aufgedeckt wird (v 1). Alle materiellen Werte, auf die sie gesetzt hatten, sind verfallen (v 2+3) und, höchst drastisch: Der Rost wird (im Gericht) gegen euch aussagen und euer Fleisch fressen. Es folgt die BegrĂŒndung: Der angesammelte Reichtum der Reichen stammt von den Armen, denen sie den gerechten Lohn vorenthalten haben (v 4); das Rufen der um ihren Lohn Gebrachten ist vor Gott gekommen – die Leser konnten mithören: wie einst der Schrei des Volkes Israel im Sklavenhaus Ägypten vor JHWH kam. Noch einmal wird der ĂŒbermĂ€ĂŸige Luxus der Reichen angeprangert und ihre HerzenshĂ€rte gegeißelt: “Noch am Schlachttag habt ihr euere Herzen gemĂ€stet“ (v 5). Der Abschnitt endet mit dem Hinweis auf den Tod des Gerechten, der doppeldeutig grundsĂ€tzlich auf den leidenden Gerechten wie auch christologisch auf den Tod Jesu gedeutet werden kann.

Nachhaltigkeitsaspekte

Die TaufparĂ€nese in 1. Petrus 4,7-11 mahnt vor allem zur gegenseitigen Liebe, stellt die Gastfreundschaft in den Mittelpunkt und fĂŒhrt diesen Gedankengang mit der oben erwĂ€hnten Anleihe bei der Charismenlehre fort. Im Entstehungskontext ist damit sicherlich auf das Gemeindeleben im engeren Sinn abgezielt. Man kann getrost davon ausgehen, dass das Liebesgebot Jesu hier Pate gestanden hat, aber eben nicht nur dieses: 1. Petrus 4,8 bezieht sich selbst auf die alte Tradition der SprĂŒche Salomos, hier mit dem Zitat Spr.10,12. Interessant ist, dass die Vorstellung stark gemacht wird, dass die Liebe eine WĂ€hrung sei, mit der man begangene „SĂŒnden“, begangenes Unrecht ausgleichen könne.

Diese Thematik kann mit Sicherheit in der Predigt auf der individuellen Ebene von Familie und Nachbarschaft gewinnbringend eingebracht werden. Wie sieht es aber mit Nachhaltigkeit im Kontext grĂ¶ĂŸerer, gar globaler ZusammenhĂ€nge aus? Hier mĂŒssen wir die Rahmung des VerstĂ€ndnisses auf eine strukturelle Ebene ausweiten. SpĂ€testens dabei verliert das Wort „Liebe“ seine emotionale Farbe, die es in den Beziehungen menschlicher NĂ€he hat. Doch hilft Erich Fromms Beschreibung der NĂ€chstenliebe weiter, weil diese Beschreibung sowohl auf unsere face-to-face-Kontakte wie auf unser WeltverhĂ€ltnis insgesamt zutrifft: „Die Liebe, die allen Arten der Liebe zugrunde liegt, ist die NĂ€chstenliebe. Damit meine ich das GefĂŒhl der Verantwortlichkeit, der FĂŒrsorge, des Respekts und des Wissens gegenĂŒber allen menschlichen Wesen, also dem Wunsch, das Leben zu fördern.“[3] An anderer Stelle macht Fromm zudem deutlich, dass man von „Liebe“ nicht nur in unmittelbaren Objektbeziehungen sprechen kann. Vielmehr ist Liebe in erster Linie eine Haltung, eine Orientierung des Charakters, die das VerhĂ€ltnis einer Person zur Welt als Ganzes ausdrĂŒckt[4]. Liebe ist gewissermaßen die gegenteilige Haltung zu der feisten HerzenshĂ€rtigkeit, die uns bei der Schilderung der Reichen im Jakobusbrief begegnet.

So kann auch ĂŒbersetzt werden, was „Liebe“ in gesellschaftlichen ZusammenhĂ€ngen heißen mag: Eine Haltung, die von Verantwortlichkeit, FĂŒrsorge, Respekt und Wissen geprĂ€gt ist. Letzteres verdient noch eine besondere ErlĂ€uterung: Wenn Menschen einander lieben, dann wissen sie umeinander, dann kennen sie sich in großer Tiefe. Wer von dem anderen „nichts mehr wissen“ mag, dessen Liebe ist erloschen. So gehört zur „(NĂ€chsten)Liebe“ in gesellschaftlichen ZusammenhĂ€ngen auch das Wissenwollen, wie es den anderen geht, Wissen z.B. um Armut und Reichtum, Wissen um Einsamkeit und Leistungsdruck, Wissen um die Lebenslagen von Alter und Jugend usw. SelbstverstĂ€ndlich bleiben wir in diesem Wissen bestenfalls Generalisten, eher noch Dilettanten. Aber wer sich gar nicht um gesellschaftliche VerhĂ€ltnisse kĂŒmmern mag, verhĂ€lt sich im Sinne Fromms lieblos. Heute mĂŒssen wir auch noch hinzufĂŒgen, dass unser Wissen sich auch auf die uns umgebende Natur beziehen muss, von und mit der wir leben.

Achtung und Respekt voreinander spielen im politischen Kontext eine große Rolle:

Kommunalpolitiker:innen in unserem Land beschweren sich bitter darĂŒber, wie von immer grĂ¶ĂŸeren Bevölkerungsgruppen mit Menschen umgegangen wird, die versuchen sich fĂŒr das Gemeinwohl einzusetzen, vielfach ehrenamtlich. Sie sehen sich immer öfter wĂŒsten Beschimpfungen und manchmal Bedrohungen ausgesetzt, wenn sie ihr Amt ausĂŒben und es natĂŒrlich nicht allen recht machen. Auseinandersetzungen um WindrĂ€der oder Stromtrassen sind hĂ€ufige AnlĂ€sse fĂŒr solche Klagen.

Wenn wir die MĂŒnze „gegenseitige Liebe“ in „Respekt“ und „Achtung“ ĂŒbersetzen, könnten wir z.B. eine gegenteilige Meinung oder Überzeugung von der Verurteilung handelnder Personen auf den verschiedenen Seiten trennen: Achtung der und Respekt vor der Person wĂŒrde nichts an unterschiedlichen Überzeugungen Ă€ndern, aber den Auseinandersetzungen ihre verletzende SchĂ€rfe nehmen, sie zumindest mildern. In geeigneten Verfahren wie z.B. Mediation könnte man oftmals auch zu fĂŒr alle tragbaren Entscheidungen kommen.

Das Thema Gastfreundschaft (v 9) spielt im Nahbereich genauso wie im Kontext der Beziehungen zu Fernsten eine Rolle, die uns als Migrant:innen aus anderen Teilen der Welt „auf die Pelle rĂŒcken“ oder in deren LĂ€ndern wir uns als Ausbeuter von BodenschĂ€tzen, Agrarerzeugnissen oder Kinderarbeit betĂ€tigen. Immer wieder geht es darum, die Kategorien der Verantwortlichkeit, der FĂŒrsorge, des Respekts und des Wissens – und auch des Wissenwollens – anzulegen[5].

Ich denke an Kirchengemeinden, die gastfreie RĂ€ume schaffen, in denen die Menschen des Stadtviertels oder Dorfes sich zweckfrei begegnen können - sich aufhalten – diskutieren – feiern. Orte und RĂ€ume, wo sie einfach sein können. Im Beitrag zum Schwerpunktthema „Gastfreundschaft“ in den diesjĂ€hrigen Predigtanregungen zur Nachhaltigkeit heißt es: „Gastfreundliche Seelsorge ist eine Alternative zum ĂŒblichen Umgangsstil unserer Gesellschaft; sie geht davon aus, dass den Menschen in unserer hektischen Welt nichts so gut tut wie ein Platz, an dem sie verschnaufen, Atem holen, das Visier hochklappen, die Waffen ablegen können, weil sie spĂŒren: Hier muss ich nicht schon wieder etwas leisten.“ (Rolf Zerfaß) Und: „Die wachsende MobilitĂ€t der heutigen Welt fordert eine verstĂ€rkte Praxis der Gastfreundschaft heraus“ (ders.). Ein Symbol fĂŒr Gastfreundschaft ist das Abendmahl.

Es fĂ€llt leider nicht schwer, die Reichtumsthematik und Gerichtsansage des Jakobusbriefes 5,1-6 auf unsere heutige Situation zu ĂŒbertragen, die viele in der Tat als „endzeitlich“ empfinden, weil so viele Konflikte in fast allen Teilen der Welt mit hohem Gewaltpotenzial sich zuspitzen und kaum mehr lösbar scheinen – und weil die Zerstörung der Mitwelt allen jahrzehntelangen Warnungen und Mahnungen zum Trotz immer weiter voranschreitet.

In dem im Januar 2024 erschienen Bericht von Oxfam Deutschland unter dem Titel „Hohe Vermögen gerecht besteuern. FĂŒr soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz in Deutschland, Europa und weltweit“ heißt es: „Extreme Ungleichheit ist eines der Kernprobleme unserer Zeit. In den letzten, von Krisen geprĂ€gten Jahren hat sie sich weiter verschĂ€rft: WĂ€hrend der Reichtum der MilliardĂ€r*innen seit 2020 um gut ein Drittel angewachsen ist, sind gleichzeitig 60 Prozent der Menschheit Ă€rmer geworden. Das weltweit reichste Prozent besitzt fast die HĂ€lfte allen Vermögens, die Ă€rmere HĂ€lfte der Weltbevölkerung mit weniger als einem Prozent so gut wie nichts.“[6]

Reichtum als solcher ist weder gut noch schlecht. Hoch problematisch wird es allerdings, wenn die materiellen Ressourcen zur BewĂ€ltigung von vielfĂ€ltigen Problemen eigentlich vorhanden sind, aber entweder gĂ€nzlich ungenutzt bleiben oder fĂŒr ĂŒberflĂŒssigen Luxus ausgegeben werden. Der aktuelle Oxfam-Bericht zeigt, wie schon alle Armuts- und Reichtumsberichte in Deutschland zuvor, dass die GegensĂ€tze in unserem Land besonders scharf ausfallen. Es ist alles andere als lustig, aber vielleicht bringt folgendes aus Russland stammende Sprichwort zum Schmunzeln: „Reichtum ist wie Mist: AngehĂ€uft stinkt er. Über das Land hin verteilt, macht er die Erde fruchtbar.“

Die Oxfam-Initiative möchte den Reichtum im Interesse von Umwelt und Gerechtigkeit ĂŒber eine europĂ€ische Vermögenssteuer fruchtbar machen und schlĂ€gt vor, in Stufen große Vermögen ĂŒber 5 Mill. €, / ĂŒber 50 Mill. €, / ĂŒber 1.000 Mill. € ziemlich moderat zu besteuern. Europaweit kĂ€men so jedes Jahr 285,6 Milliarden Euro zusammen[7]. Immerhin stimmten laut Eurobarometer (2023) fast sieben von zehn EuropĂ€er*innen der Aussage zu, es sei wichtig, dass die Regierungen die Reichen besteuern, um die Armen zu unterstĂŒtzen.

Solche unermesslichen ReichtĂŒmer konnten die Menschen in biblischen Zeiten sich nicht vorstellen. Doch sie wussten wie der Autor des Jakobusbriefes und wie schon Jesus, dass alle materiellen Werte verfallen. Umso schlimmer, wenn sie ohnehin von den Armen stammen, denen der Lohn vorenthalten wurde (1. Petrus 5,4); solche Ungerechtigkeit schreit zum Himmel.

FĂŒr eine Predigt, auch fĂŒr eine Predigtvorbereitung fĂŒhrt es vielleicht zu weit, aber als Anregung möchte ich es doch einmal nennen: Ausgehend von solchen Bibeltexten könnte eine Gemeinde sich einmal der Aufgabe widmen zu recherchieren, woher die Dinge unseres tĂ€glichen Bedarfes kommen, ob und in welcher Höhe faire Löhne fĂŒr die damit zusammenhĂ€ngende Arbeit in den HerkunftslĂ€ndern bezahlt werden, welche positiven Auswirkungen ein gut ausgestaltetes Lieferkettengesetz haben kann – und wĂŒrde vielleicht feststellen, dass scheinbar umweltfreundliche E-Autos unglaubliche Ressourcen verschlingen, die aus den Böden ferner LĂ€nder geholt werden. Da verbinden sich spĂ€testens wieder die Fragestellungen nach sozialer Gerechtigkeit und Erhaltung unserer lebenspendenden Mitwelt.

Dr. Thomas Posern, Mainz


[1] Vgl. zu dieser Übersetzung von tƍn ethnƍn die BigS zur Stelle
[2] Übersetzung BigS
[3] Erich Fromm. Die Kunst des Liebens, 1979 (11956), S. 72
[4] aaO. S. 69
[5] S. zur Thematik u.a. den  Hinweis auf das Schwerpunktthema von nachhaltig predigen 2023/23: www.nachhaltig-predigen.de/gastfreundschaft/
[6] https://www.oxfam.de/system/files/documents/bericht_hohe_vermoegen_in_europa_gerecht_besteuern_deutsch.pdf
[7] S. ebd. S. 3

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