20. Sonntag nach Trinitatis / 31. Sonntag im Jahreskreis
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1 Mose 8, 18-22; 9,12-17 | Weish 11, 22 - 12, 2 | 2 Thess 1, 11 - 2, 2 | Lk 19, 1-10 |
Gott - Liebhaber des Lebens
Nachfolge und Gerechtigkeit
1. Mose 8,18-22; 9,12-17 und Weish 11,22-12,2: Gott, der Liebhaber des Lebens
Das Leben auf der Erde ist bedroht
Leben auf dieser Erde ist vielfältigen Bedrohungen ausgesetzt. Über Jahrhunderte hinweg war das Wohlergehen der Menschen davon abhängig, ob sie von Hagel, Dürre oder Starkregen verschont blieben. Kein Wunder, dass die meisten Religionen Gott oder göttliche Kräfte mit diesen Naturphänomenen in Verbindung bringen (so auch noch die Schöpfungslieder im Evangelischen Gesangbuch, s. z.B. EG 504,3). Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts hat der technologische Fortschritt viele dieser Gefahren für uns Menschen beherrschbar gemacht. Allerdings sind wir in einer Zeit angekommen, in der nun der Mensch selbst zur Bedrohung für das Leben der Erde wird. Wissenschaftler sprechen daher von der gegenwärtigen Erdzeit als dem „Anthropozän“.
Der Fortschritt des industriellen Zeitalters wurde vor allem durch Kohle und Erdöl ermöglicht. Kohlenstoff, der über Jahrtausende von Jahren gebunden war, haben wir dabei innerhalb weniger Jahrzehnte freigesetzt und dadurch wesentlich zur Erderwärmung und dem damit verbundenen Klimawandel beigetragen. Auch unser Hunger nach Siedlungs- und Nutzflächen ist ungebrochen - in Bayern werden Tag für Tag rund 10 Hektar Landfläche versiegelt. Lebensraum, der Tieren und Pflanzen verloren geht.
Inzwischen merken wir, dass der Klimawandel unseren Fortschritt bedroht, auch der bedrohliche Rückgang der Arten ist inzwischen im gesellschaftlichen Bewusstsein angekommen - spätestens, wenn im Fernsehen Bilder gezeigt werden, wie in China Arbeiter von Hand Obstbäume bestäuben.
Auf der Weltklimakonferenz in Paris Ende 2015 haben die Staaten der Weltgemeinschaft sich verpflichtet, die Erderwärmung auf weniger als 2 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Ein ambitioniertes Ziel - doch seitdem sind schon wieder vier Jahre verstrichen, in denen viel zu wenig konkrete Maßnahmen ergriffen wurden. Viele Menschen fragen sich inzwischen, ob wir den Klimawandel noch aufhalten bzw. begrenzen können...
„Es soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“
Diese große Verheißung steht am Ende der Sintfluterzählung. Aber trägt diese Verheißung noch im Zeitalter des Anthropozäns, angesichts der Risiken des Klimawandels? Die meisten Gletscher der Alpen werden in wenigen Jahren verschwunden sein...
Die Sintfluterzählung 1. Mose 6-9 ist eine komplexe Konstruktion, die Perikopenordnung stellt zwei der abschließenden Erzählungen zusammen: Das Opfer des Noah und Gottes Verheißung sowie den Bund, den Gott mit Noah und seinen Nachkommen schließt. In dieser Zusammenschau erscheint der Bund wie die nochmalige Bestätigung der Verheißung.
Was heute durch menschliches Handeln möglich erscheint, die Vernichtung einer Vielzahl von Kreaturen, wird in der Sintfluterzählung als Strafhandeln Gottes erzählt. Gott selbst bringt die vernichtende Katastrophe über die Erde. Am Ende der Erzählung folgt dann aber die nahezu reformatorische Einsicht Gottes: „Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist bös von Jugend auf“ - auch noch so strenge Strafen werden daran nichts ändern.
Bund wie Segensverheißung sind daher Ausdruck des bedingungslosen Ja Gottes zu dem Leben auf dieser Erde: Egal, wie gut oder schlecht wir Menschen handeln, das Lebn auf dieser Erde soll nicht vergehen. Gott, der Liebhaber des Lebens!
In meiner Arbeit als Beauftragter für Umwelt- und Klimaverantwortung meiner Kirche merke ich immer wieder, dass ich aus dieser Verheißung lebe: Tatsächlich wissen wir immer weniger, ob es gelingen wird, den Klimawandel zu begrenzen. Gerade, wenn man sich Tag für Tag mit den ökologischen Herausforderungen und Problemen beschäftigt, dann merkt man, an wie vielen Stellen die „planetaren Grenzen“ überschritten sind und wir auf Kosten unseres Planeten leben.
Noahbund und Noahverheißung geben mir die tröstliche Gewissheit, dass Gott selbst es ist, der das Leben auf dieser Erde erhält. Wir sollen und können das uns Menschen Mögliche dazu tun - nicht mehr und nicht weniger.
Der Liebhaber des Lebens
Diese wunderschöne Formulierung, die ich über meine gesamten Überlegungen gestellt habe, begegnet uns explizit in Weish 11,26. Auch die Weisheit weiß um die Verletzlichkeit allen Lebens und zieht eine Verbindung zwischen den vielfältigen Bedrohungen des Lebens und Gott: „Denn deiner allmächtigen Hand (...) fehlte es nicht an Macht, über sie eine Menge von Bären kommen zu lassen...“ (Weish. 11,17) Doch Gottes Allmacht zeigt sich nicht in solchem vernichtenden Handeln, sondern - darin ganz parallel zu Gen 9 - in seinem Erbarmen: „Aber du erbarmst dich über alle (...) und du siehst über die Sünden der Menschen hinweg, damit sie sich bekehren sollen.“ (Weish 11,23).
Zu der soteriologischen Begründung des Erbarmens in v. 23 tritt in dem Abschnitt dann aber noch eine ganz starke schöpfungstheologische Begründung: „Du liebst alles, was ist, und verabscheust nichts von dem, was du gemacht hast.“ (11,24), ja mehr noch, der Text greift die Traditionen vom schöpferischen Wirken Gottes durch seine Geistkraft auf und betont „dein unvergänglicher Geist ist in allem“ (12,1).
Wer sich in den Büchern des Ersten Testamentes auf die Suche nach Spuren des Wirkens von Gottes Geistkraft begibt, merkt sehr schnell, wie lebendig und allgegenwärtig diese beschrieben wird. Immer wieder begegnen wir der Vorstellung, dass alles Leben dadurch Bestand hat, dass Gottes Geistkraft in den Geschöpfen wirkt (z.B. Ps 104,29f).
Gott ist ein Liebhaber des Lebens, alles Leben ist durchwirkt von seiner Geistkraft, alles Leben steht in Bezug zu Gott. Papst Franziskus zeiht aus dieser Einsicht in seiner Enzyklika Laudato Sí den Schluss, dass alles Leben dazu bestimmt ist, Gott zu loben.
„Jedes Jahr verschwinden Tausende Pflanzen- und Tierarten, die wir nicht mehr kennen können, die unsere Kinder nicht mehr sehen können, verloren für immer. Die weitaus größte Mehrheit stirbt aus Gründen aus, die mit irgendeinem
menschlichen Tun zusammenhängen. Unseretwegen können bereits Tausende Arten nicht mehr mit ihrer Existenz Gott verherrlichen, noch uns ihre Botschaft vermitteln. Dazu haben wir kein Recht.“ (LS, Nr. 33)
Lk 19,1-10 Nachfolge und Gerechtigkeit
Es gibt wohl wenig biblische Geschichten, die so oft gemeindepädagogisch genutzt werden wie die Geschichte von Jesus und Zachäus - vom Kindergottesdienst bis zum Bibliodrama.
Noch bis in die Neuzeit waren Zollstationen im Alltag überall gegenwärtig: an Brücken, Stadttoren, Gemarkungsgrenzen. Im Römischen Reich hatten die Zolleinnehmer dieser Stationen meistens gepachtet, in der Ausgestaltung des konkreten Wegzolls waren sie dann ziemlich frei - und oft genug auch willkürlich. Kein Wunder also, dass Zachäus nicht gerade als Liebling der umstehenden Menschen beschrieben wird.
Sicher ist: Er hat es mit seiner Zollstation zu beachtlichem Wohlstand gebracht und nicht immer hat er sich bei seinen Zollforderungen an „geltendes Recht“ gehalten.
Irgend etwas fasziniert ihn an Jesus - so sehr, dass er, der kleine Mann, auf einen Baum steigt, um ja einen Blick auf Jesus zu erhaschen. Dieser spricht ihn an und kehrt schließlich in das Haus des Zachäus ein. Die Begegnung verändert Zachäus so sehr, dass er sich bewusst wird, wie unsozial er gehandelt hat: Die Hälfte seines Reichtums will er an Arme verschenken - und denen, die er explizit ungerecht behandelt hat, das Vierfache zurück erstatten.
Die soziale Dimension der Nachhaltigkeit verbindet sich in dieser Erzählung also eng mit dem Ruf in die Nachfolge: Nachhaltiges Leben und Handeln ist nur möglich, wenn nicht die einen die anderen übervorteilen, wenn nicht die Reichen immer mehr anhäufen und die anderen leer ausgehen.
Jesu Ruf in die Nachfolge weckt bei Zachäus dieses Gewissen für soziale Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit.
Dr. Wolfgang Schürger, München