3. Adventsonntag
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Röm 15, 4-13 | Jes 61, 1-2a.10-11 | 1 Thess 5, 16-24 | Joh 1, 6-8.19-28 |
Röm 15, 4-13
Baut die Predigt auf den üblichen methodischen Grundlagen der Theologie auf, geht es im Text um das Verhältnis von Starken und Schwachen in der christlichen Gemeinde Roms, in der messia-nische Jüdinnen und Juden mit Christusgläubigen aus der Völkerwelt in einer qualitativ neuen, von Gott gestifteten Gemeinschaft verbunden sind. Der religiös begründete ethische Konflikt entspringt der Überzeugung der jüdischen Minderheit, dass der Genuss von Fleisch und Wein dem Willen Gottes widerspricht. Koscheres Fleisch und koscherer Wein waren nach dem Vertreibungsedikt des Kaisers Claudius 49 n.Chr., von dem wohl besonders jüdische Geschäftsleute betroffen waren, vermutlich kaum zu kaufen. Die so genannten Starken aus der Völkerwelt betrachteten die strenge Observanz der jüdischen Gemeindeglieder als Schwäche, als Angst vor der Freiheit.
Paulus marktet nichts von der jüdischen Tradition und Überzeugung ab, sieht aber als entscheidende Instanz das vom Glauben geprägte Gewissen der einzelnen Gemeindeglieder. Der paränetische Kernsatz der Perikope ist Vers 7: gegenseitige Annahme zur Ehre Gottes. Den Nächsten aufzubauen (V.2) ist die Konsequenz der Hingabe Christi und Maßstab jeglichen Handelns.
Die Predigt über diese Perikope vergewaltigt m.E. den geschichtlichen Kontext und die Intention des Texts nicht, wenn der damalige Konflikt aktualisiert wird im Hinblick auf unsere Speise- und Trinkgewohnheiten.
Der Skandal, dass auch Christinnen und Christen der nördlichen Hemisphäre gedankenlos auf Kosten und zu Lasten ihrer Geschwister im Globalen Süden leben, durch Raubbau an Agrarflächen durch übermäßigen Fleischkonsum (Futtermittelanbau und Rodung von Regenwald), durch Zerstörung ihrer Märkte infolge von subventionierten Agrarexporten und durch gravierende Beeinträchtigung der natürlichen Lebensgrundlagen aufgrund exzessiver Mobilitätsansprüche und Mülldumping, kann durchaus thematisiert werden angesichts der Tatsache, dass der Verantwortungsbereich von Christinnen und Christen heute nicht mehr auf die jeweils einzelne Gemeinde beschränkt ist.
Jes 61, 1-2a.10-11
Dieser programmatische Text des nachexilischen Tritojesaja ist auch ein entscheidender im Evangelium nach Lukas. Der Evangelist aktualisiert die prophetische Botschaft und proklamiert sie als durch Jesus Christus realisierte (Lk 4, 16-21). Inhaltlich: alle Theologie ist Befreiungstheologie, auch heute, und die Gerechtigkeit Gottes, geoffenbart in der Thora, ist der Maßstab des Handelns. Die Gerechtigkeit gilt den Unterdrückten und Verzweifelten, und sie ist Zierde und Schutz („Mantel der Gerechtigkeit“, V 10) derer, die Gott vertrauen. Gott verwandelt durch seine Gerechtigkeit die „gebrochenen Herzen“ (V 1) in „jauchzen- de Seelen“ (V 10). Der Text steht in der durchgängigen Überlieferung Israels, dass Gerechtigkeit zuerst den Geringsten gilt und sich an ihnen bewähren muss. In V 3 wird Gerechtigkeit plastisch im Bild von der sommergrünen, belebenden Terebinthe als Zeichen hoher Lebensqualität beschrieben, und im V 11 als Äquivalent der schöpferischen und fruchtbaren Natur. Dahinter verbirgt sich mehr als eine orientalisch-poetische Ader. Immer wieder wird in der hebräischen Bibel die Schöpfung mit Gerechtigkeit und Frieden ins Verhältnis gesetzt. In Dtrn 28, 36ff wird Israel drastisch verkündet, welche Folgen seine Ungerechtigkeit auch für die Natur haben wird.
Wer entgegnet, dass ein solcher Zusammenhang von Gerechtigkeit und Natur, oder besser Mitwelt, in der biblischen Überlieferung mythischem Denken und Fühlen entspringt, wird gegenwärtig eingestehen müssen, dass ein sehr realer Zusammenhang von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung besteht.
Neben den o.g. Beispielen nenne ich den Fakt, dass von den laut UNO gegenwärtig 65 Mio Flüchtlingen weltweit 2/3 wegen der vor allem durch Industrienationen verursachen Klimakrise ihre angestammte Lebenswelt verlassen mussten. Ein besonders erschreckendes Beispiel ist, dass die weltweit ca 60.000 Containerschiffe, aber auch die Kreuzfahrtschiffe, wegen ihres Schwerölantriebs ebensoviel Schadstoffe emittieren wie sämtliche Kraftfahrzeuge. Im Interesse von Billig-Anbietern und schnäppchen-geiler Kundschaft werden die mit der Massenproduktion verbundenen ökologischen Kosten und die Hungerlöhne in den Globalen Süden verlagert. Das wird dann vornehm „Externalisierung“ genannt. Immer noch gültige tarifäre und nichttarifäre Handelshemmnisse für so genannte Entwicklungsländer und die krakenartige Privatisierung von Gemeingütern durch transnationale Konzerne halten mindestens ein Drittel der Menschheit im Elend.
Wer dagegen kämpft, läuft Gefahr, gefangen genommen oder getötet zu werden.
Gerechtigkeit ist das Grundelement von Nachhaltigkeit, nicht nur für zukünftige Generationen, sondern schon für die jetzt lebende Mehrheit der Weltbevölkerung. Ungerechtigkeit zerstört offensichtlich nicht nur menschliche Beziehungen, sondern die natürlichen Lebensgrundlagen der Welt.
Vom fairen Handel in Deutschland profitieren gerade einmal 1.6 Mio Bäuerinnen und Bauern. Da ist noch eine menge Luft nach oben. Und wer meint, er oder sie tue der Welt einen Gefallen mit einem Elektro-Auto, weiß erstens nicht, aus welcher Quelle der Strom kommt, und zweitens wird ihm, bzw. ihr verschwiegen, dass die Produktion einer Autobatterie etwa so viel Emissionen verursacht wie eine Person in Deutschland im ganzen Jahr, die 100kw-Batterie des schicken Tesla sogar 75% mehr (17,5 T).
Die neo-liberale radikale Marktwirtschaft ist zu einem Götzen geworden. Wenn man ihm keine Opfer bringt und nicht am Markt ist, ist man in der Scheol, in der Schattenwelt, resigniert und zerbrochenen Herzens.
Dieser Jesaja-Text macht uns auch und besonders heute deutlich, dass Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit als zeitliche Dimension der Gerechtigkeit in weltweitem Horizont zu verstehen und zu leben sind. Man kann aus einem Drama kein Kammerspiel machen.
1 Thess 5, 16-24
Zentrales Thema des ersten Briefs des Paulus – und ältesten Dokuments des NT – ist die Erwählung Gottes, die gerecht macht und neues Leben schafft. Die Erwählung, so Paulus, muss sich in der Heiligung bewähren (V 23). Dazu ermahnt und ermutigt er. Heiligung heißt, wie in allen Paulusbriefen, nicht nach den Spielregeln der vergehenden Welt zu leben. In der Perspektive „Nachhaltigkeit“ ist Geduld wichtig. Geduld meint wörtlich aus dem Griechischen übersetzt: mit langem Atem eine Last zu tragen und nicht egoistisch sich der Bürde entledigen. Wichtig ist auch, die Teufelskreise des Bösen dadurch zu durchbre-chen, dass nicht vergolten, sondern immer dem Guten „nachgejagt“ wird (V 14-15), und zwar nicht nur füreinander, sondern „für alle“. Das sind Menschen außerhalb der Gemeinde.
Anthropologisch bzw. soziologisch bedeutsam ist die Betonung der Ganzheitlichkeit von Erwählung und Heiligung ( „Geist, Seele und Leib“, V 23). Leiblichkeit bedeutet Sozialität. Vergeistigung oder ein exklusiver Fokus auf den je persönlichen Seelenhaushalt ist ein kirchengeschichtlicher Sündenfall, den wir langsam überwinden. Nach dem Vorbild Jesu Christi zu leben und den Willen Gottes zu erfüllen, die Verzagten und Schwachen zu stärken, beharrlich nach dem Guten zu jagen und wo nötig auch zurecht zu weisen, ist nach Paulus kein Kampfsport, sondern eine erfreuliche Sache. Ein Christenmensch erweist sich in der Dankbar- keit für das von Gott geschenkte Lebens (V 18). Und Dankbarkeit entspringt der Achtsamkeit und setzt Achtsamkeit frei. Wer nicht achtsam ist, kann nicht staunen und sich auch nicht freuen – und auch keine Empathie entwickeln.
Jeder der Verse 19 – 23 hat auch mit Nachhaltigkeit zu tun. In der Politik, in weiten Bereichen der Medien- welt, in der Unterhaltungsindustrie, in der Wirtschaft und in ideologischen Auseinandersetzungen haben Christinnen und Christen die Pflicht, dem Geist Gottes Raum zu geben und auch Raum zu reklamieren.
Es fehlen trotz G20-Show und Wahlpropaganda langfristige Perspektiven für ein menschenwürdiges Leben der Menschheit. Wir haben eine Aufgabe angesichts des Sedativums „Info-Tainment“, angesichts etlicher Psychopathen in Regierungsverantwortung.
Dazu gehört auch, „alles zu prüfen und das Gute zu wählen“. Dazu gehören Wachheit, intellektuelle und charakterliche Intelligenz und Mut. Wir sehen ja u.A. an den Abgasskandalen, wie gern vertuscht wird oder am Elektroauto-Mythos, wie Umweltrisiken verschwiegen (s.o) oder unter den Teppich gekehrt werden, nicht zuletzt von den so genannten GRÜNEN.
„Prophetische Rede verachtet nicht!“ Oft genug ist in unseren Kirchen prophetische Rede diskreditiert worden, vielerorts bis heute. Wo wir ganz vorn dabei sein sollten, machen wir in Luther-Nostalgie und Kirchentag mit VW und Mercedes. Den anstrengenden Job erledigen dann NDR, WDR und Süddeutsche, Sanders, die Linken, von der Kirche enttäuschte Wissenschaftler und sicher gar nicht wenige treue Christinnen und Christen, die sich aber vorhalten lassen müssen, sie seien zu radikal.
Und: wo immer heute prophetisch geredet und gehandelt wird, geht es um einen radikalen Wandel unseres Lebensstils im Kleinen und Großen angesichts einer drohenden Klimakatastrophe. Papst Franziskus hat mit seiner „Denk-Schrift“ „Laudato si“ diesbezüglich bewundernswert Klartext geschrieben. Er wendet sich gegen Reförmchen hier und Flickschusterei da. Es geht um systemische Veränderung.
„Das Böse meiden“ - eine solche Mahnung liest sich erst einmal banal. Wer will das nicht, wer predigt das nicht – insbesondere nach jeder Randale und jedem Terrorakt, obwohl weit mehr Menschen durch häusliche Gewalt umkommen als durch kranke Radikale? In der Praxis ist es eine anspruchsvolle Herausforderung, das Böse zu meiden, denn ich muss es erstens als Böses erkennen, wenn auch hundert Andere dagegen sprechen, und ich brauche Kraft, es zu meiden. Und das sehen wir an vorderster Stelle, wenn es um die Gestaltung einer nachhaltigen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung geht.
Joh 1, 6-8.19-28
In der Meditation des Texts steht zumeist das Verhältnis von Johannes und Jesus im Vordergrund. Der Text ist dogmatisch ausgeschlachtet und befrachtet worden. Irgendwie erscheint Johannes dann als letzter Repräsentant eines alten, unvollkommenen Äons, der sich nicht einmal „würdig“ sieht, „ihm die Schuhriemen zu lösen.“ Darin spiegeln sich auch urkirchliche Auseinandersetzungen zwischen Johannes- und Jesus-Jünger_innen.
Konzentrieren wir uns auf die zentrale Botschaft des Johannes (V 23), werden wir mit den Eingangsworten des Deuterojesaja (Jes 40,3) aufgerufen,“den Weg des Herrn gerade zu machen“. Das heißt, im Alltag der Welt alles wegzuräumen, was Gottes Gerechtigkeit, Güte und Treue im Weg ist. Für uns heißt es ganz einfach und unendlich schwer, dafür zu sorgen, dass Gottes Weg zu seinen Geschöpfen nicht durch eine globale Müllhalde verbarrikadiert wird. Der Inhalt des Rufes des Johannes ist durch Jesus nicht relativiert worden. Johannes wurde gern in die Vorläufigkeit verbannt, weil er mit seinem härenen Gewand am sanften Fleisch des Bürgertums kratzte. Der liebe Herr Jesus beim letzten Abendmahl mit seinen Jüngern schmückt fromme Wohnzimmer besser. Aber der Ruf gilt uns mehr denn je: seid nachhaltig Wegbereiter_innen, Straßenbauarbeiter_innen in schwierigem Gelände, aber mit großer Vorfreude auf Gottes Ankunft!
Dr. Wilfried Neusel, Bonn