3. Sonntag nach Trinitatis / 12. Sonntag im Jahreskreis
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Jona 4,1-11 | Jer 20, 10-13 | Röm 5, 12-15 | Mt 10, 26-33 |
Auch der Feind ist ein Geschöpf Gottes
Die Autorin schält die Nachhaltigkeitsaspekte im Jonatext ausführlich heraus und bindet die anderen Texte in diesen Kontext ein. Sie sieht im Buch Jona eine weltoffene Schrift, die humorvoll und pädagogisch zugleich Kritik an einer nationalistisch-kulturellen Verengung übt, und die auch einen Keil in moralisierende Eindeutigkeiten setzt. Dabei legt sie bei allen Texten den Schwerpunkt auf die Aufweichung der feindlich zementierten Grenzen zwischen Menschen, Völkern und Kulturen.
Jona 4, 1-11: Herausgefordert durch Naturgewalten und Tiere
Das Buch Jona ist eine verblüffende Schrift. Doch die traditionelle christliche Auslegung, die den Fokus auf Jona im Fischbauch als Auferstehungssymbol setzt, lenkt damit von der tatsächlichen Brisanz der Schrift ab. Jona eignet sich kaum als religiöses Vorbild, sondern gibt in dieser satirisch anmutenden Schrift eher eine armselige Figur ab. Gott beauftragt ihn, Ninive den Untergang anzukünden. Auf Umwegen tut Jona dies schliesslich. Doch die Bussbewegung in der Feindesstadt Ninive lässt Gott erbarmen. Der erzürnte Jona wartet ab, ob Gott die Stadt nicht doch noch untergehen lasse. Gott lässt dem Trotzkopf einen schattenspendenden Rizinusstrauch wachsen, der aber von einem Wurm zerstört wird. In einer eindrücklichen Rede legt Gott dar, wie absurd es sei, dass Jona um den Strauch trauere, ihm zugleich aber sein göttliches Erbarmen um die Menschen und Tiere Ninives nachtrage.
Offene Haltung gegenüber Fremden
Die Schrift, die spätestens aus dem Ende des 2. Jhd. v. Chr. stammt, stellt mit Jona einen Vertreter eines konservativen Kreises dar, der sich gegen nichtisraelitische Völker zunehmend abgrenzt. Im Gegensatz dazu weiten die Autor:innen Gottes Gnade sogar auf die Feinde Israels aus. Denn Ninive verkörpert die assyrische imperiale Macht (701 v. Chr. Belagerung Jerusalems), die zu den schlimmsten Feinden Israels gehört. Ninive steht zur Zeit seiner späten Abfassung wohl aber als Platzhalter für alle Grossmächte, die Israel in seiner Geschichte bedroht haben und bedrohen. Das Buch Jona ist aus einem ähnlichen Geist geschrieben wie das Buch Rut, in dem die Heldin aus dem aus Sicht Israels verabscheuten Moab stammt, aber mit ihrer konsequenten Handlung sogar zu einer der Stammesmütter Israels wird. Diese offene Haltung wird im Buch Jona etwa deutlich bei der Multi-Kulti-Schiffsmannschaft, die allesamt aus gottesfürchtigen Menschen besteht. Sie schreiben auch dem Gott Jonas – dem Gott Israels – Macht zu. Ebenso ist die Bevölkerung Ninives fähig, die eigenen Verfehlungen zu erkennen und umzukehren. Das Büchlein Jona könnte dazu gedient haben, ein offenes missionarisches Judentum zu vertreten.
Aspekte zur Nachhaltigkeit
a) Herr der Tiere
Gott spielt im Buch Jona auf der Klaviatur seiner Schöpfung. Er setzt sowohl die Naturgewalten (Meer, Wind, Sturm, Sonne – Schatten) ein wie auch die Tiere. Der Kontrast zwischen dem Riesenfisch und dem Wurm am Rizinusstrauch ist humorvoll eingesetzt. In ihnen allen wirkt Gott. Nach einem altorientalischen Motiv erscheint er als Herr:in der Tiere. Doch obwohl auch die vernichtende Kraft spürbar wird – Meeressturm, verschlingende Tiere, Schaden wirkende Würmer – läuft das Wirken Gottes in diesem Zusammenspiel nicht auf Zerstörung, sondern auf Erhaltung des Lebens heraus. Die Schrift will pädagogisch vermitteln: Auch wenn Gott verurteilt, kann er dies revidieren. Speziell herausgestrichen sind die Tiere Ninives, die Busse tun und um die es Gott leid täte (Jona 4, 11). Das enge Verhältnis von Gott zu all seinen Lebewesen ist auffallend. Gott kümmert sich aber auch fürsorglich und individuell um den sperrigen Jona. Dieses zärtliche Gottesbild erinnert an den Schurze nähenden Gott im Garten Eden (Gen 3,21).
b) Mensch und Tier als Überlebensgemeinschaft
Das Buch Jona legt Assoziationen zur Sintflutgeschichte nahe, in der Tier und Mensch auf der Arche eine Überlebensgemeinschaft bilden. Nach der Sintflut schliesst Gott einen Bund mit den Menschen und allen Tieren der Erde (Gen 8,9f). Eine solche Katastrophe soll sich nicht wiederholen. In Ninive hingegen bilden Mensch und Tier eine dem Überleben dienende Bussgemeinschaft.
Wir erleben derzeit, wie die aus der Ukraine Flüchtenden mit ihren Haustieren flüchten. Da ist ein Hamster in einem Brotsack dabei oder ein Vogel in einem kleinen Käfig, Menschen halten ihre Katzen in den Armen oder schultern ihre müden Hunde. Auch hier bilden Mensch und Tier eine Überlebensgemeinschaft. Die Tiere leiden mit, und sie leiden immer unschuldig (zu den Haustieren bei den Geflüchtenden aus der Ukraine in: frauenforum, Evangelische Zeitschrift, April/Mai 2022, Thema: Tiere.). Viele Tiere (Haustiere, Wildtiere, Vieh) erleben vor Ort aber den Krieg weiter. Kriege sind zudem auch ökologische Katastrophen.
c) Provokativ: Feinde gehören zur Schöpfung Gottes
Alle Lebewesen Ninives sind in Rekordzeit bussfähig. Damit legt das Buch Jona seine märchenhaften Züge ab und hält uns den Spiegel vor Augen: Auch der Feind ist ein Geschöpf Gottes, über den sich Gott erbarmen kann! Das wirft die Frage auf, wie wir mit Feindbildern und realen Feinden umgehen, was angesichts des Krieges in der Ukraine (Stand Frühjahr 2022) besonders brisant ist. Der Krieg wirkt wie ein »unbarmherziger Vereindeutiger« (Der Ausdruck stammt von dem Physiker und Philosophen Kaeser, E.: Hölle und Hochamt – der Krieg ist ein Verführer, in: Neue Zürcher Zeitung, 9. Mai 2022, S. 19.). Die moralische Klarheit, die aus Russland die Verkörperung des Bösen schlechthin zu machen meint, die selbst das Lesen russischer Literatur untersagt, stimmt mich nachdenklich. Wie blenden die Berichterstattungen die geschichtlichen Zusammenhänge aus (Minsker Abkommen, Versprechen an Gorbatschow, dass es keine Nato-Osterweiterung gibt)? Sind nicht schon längst Bestrebungen auszumachen, die Russland demütigen oder die dessen Untergang seit langem herbeiwünschen, gar daran bewusst feilen? Das Buch Jona setzt einen Keil in unsere moralisierende Eindeutigkeit und rückt damit verblüffend nahe an den Jesus der Bergpredigt heran.
Jeremia 20,10-13: Propheten halten uns den Spiegel vor die Augen
Auch Jeremia ist kein Sunny Boy. Der Text gibt Einblick in seine Zerrissenheit und in die Last seines Prophetenamtes. Mit drastischen Worten verkündet er den Fall des Tempels und Jerusalems (was 597 v. Chr. durch den babylonischen König Nebukadnezar II. geschieht). Wir erleben bei Jeremia sein Hadern mit seinem Auftrag, aber auch seine Gewaltphantasien und sein Selbstmitleid. Jeremia verschont niemanden mit seinen Drohpredigten, fordert auch die Mächtigen heraus. Die Nachhaltigkeitsaspekte orte ich deshalb vor allem im sozial-politischen Bereich. Er ist einerseits Herausforderung, bei sich selber hinzuschauen: Welche Kränkungen, die wir in unserem Leben erlitten haben, treiben uns an, uns „unmöglich* zu benehmen, Leute vor den Kopf zu stossen, über das Ziel hinauszuschiessen? Oder auch: Wen würden wir als unseren Feind deklarieren?
Anderseits nimmt Jeremia für seine Mission viel in Kauf. Er legt den Daumen auf unbequeme Zusammenhänge und rüttelt auf. Wir brauchen auch heute solche Leute, die politische und wirtschaftliche Irrwege anprangern, wenn alle die Augen davor verschliessen. Oder Leute wie jene, die sie sich an Meer verseuchende Öltanker ketten, oder solche, die auf Sardinien gegen skrupellose Singvogelfänger vorgehen, auch wenn sie dafür von der Vogelfängermafia an Leib und Leben bedroht werden.
Röm 5,12-15: Freund wie Feind sündigen
Hier macht Paulus unmissverständlich deutlich, dass jeder Mensch sich verfehlen und sich schuldig machen kann. Durch die Tora („das Gesetz") kann der gläubige jüdische Mensch diesen Hang zur Verfehlung aber erst erkennen. Es braucht für alle Menschen eine Vorgabe, was gutes und gerechtes Handeln ist, um sich nicht moralisch zu verirren, was für ihn in Jesus Christus erkennbar ist. Paulus setzt damit aber einen universalen Rahmen, der die Grenzen Israels übersteigt. Wenn alle sündigen können, sind alle Menschen, ob Freund oder Feind, ob Israel oder Nichtjüdische, miteinander verflochten und von der Gnade abhängig. Wer dies erkennt, kann viel eher kritisch Abstand nehmen zu einer unverrückbaren Einteilung der Menschen in Kategorien wie Freund, Feind, Bösewicht, Gutmensch etc. Wenn dieser paulinische Ansatz nicht einfach moralisch individualistisch ausgelegt wird, sondern universal-politisch, liegt uns damit ein Grundstock zur Friedenserziehung vor.
Mt 10,26-33: Mehrwert Verantwortung
Durch diese Erkenntnis (siehe oben) sind wir mehr wert als die Spatzen. Sperlinge gehören nach dem Ersten Testament zu den reinen Vögeln, die man essen darf. Vogelfänger verkauften daher die Tiere billig auf dem Markt. Und dennoch sind sie Geschöpfe Gottes und in Gottes Hand (V.29b), so wie im Buch Jona selbst der Wurm. Der Mensch hingegen kann die Güte Gottes, die in Jesus sichtbar geworden ist, erkennen und ist deswegen mehr wert als die Sperlinge, die durchaus beeindruckende soziale Qualitäten haben. Sie wissen, was ihnen gut tut: Sie handeln gemeinschaftlich und im Kollektiv. Sie warnen einander vor Gefahren und gehen koordiniert auf Futtersuche. Schliesslich sind sich diese Vögelchen auch treue Brutpaare. Im Vergleich mit diesen unscheinbaren Tierchen muss sich der Mensch warm anziehen. Doch des Menschen Mehrwert beruht auf dessen besonderer Verantwortung. Er vermag durch sein eigenes gütiges Handeln bewusst Antwort geben. Ohne diesen Mehrwert wird die Welt tatsächlich zum Fürchten.
Sara Amanda Kocher, Reformierte Landeskirche Zürich