3. Sonntag nach Trinitatis / 12. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Lk 15,1-10 | Ijob 38, 1.8-11 | 2 Kor 5, 14-17 | Mk 4, 35-41 |
Lukas 15, 1-10
Diese bekannten und oft ausgelegten Gleichnisse vom verlorenen Schaf und dem verlorenen Groschen bedenke ich Mitte März 2020, da die Welt vom sich rasant ausbreitenden Coronavirus in Atem gehalten wird und auch in Deutschland die Zahl der Infizierten und der Toten von Tag zu Tag steigt.
Was mich berührt, ist die Botschaft des Gleichnisses, wie wertvoll der Einzelne ist. Nicht die Mehrheit zählt, nicht das nüchterne Abwägen zwischen dem Allgemeinwohl und dem Wohl des Einzelnen- wozu Menschen in Grenzsituationen leider gezwungen sein können. Es wird auch nicht nach der Schuld gefragt nach dem Motto „selbst schuld, warum begibt sich das Schaf auch auf Abwege“. Nein, der Hirte bringt große Mühen auf, das eine verlorene Schaf zu finden und zu retten.
Auch jetzt in der Coronakrise geht es auch darum, die verletzlichen Mitglieder der Gesellschaft (alte Menschen, Menschen mit Vorerkrankungen) zu schützen und zu „retten“. Dafür müssen sich alle einschränken. Ich bin dankbar, in einem Staat zu leben, dem das Leben dieser Verletzlichsten so viel wert ist, dass er es mit entschlossenen und unpopulären Maßnahmen schützt.
Ein anderes Beispiel für die Achtung der Lebensrechte jedes einzelnen- besonders aber der Schwachen- ist die „Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung“, die über 190 Staaten im Jahr 2015 beschlossen haben. Hier geht es in den 17 „Zielen für eine nachhaltige Entwicklung“ um die Abschaffung von Armut und Hunger, Zugang zu Ernährung, Gesundheitsversorgung, Bildung, um Geschlechtergleichstellung, Klimaschutz, Erhalt der Artenvielfalt u.a. bis zum Jahr 2030. Ein hoher Anspruch! Ein Grundprinzip der Agenda 2030 ist der nahezu biblisch anmutende Leitsatz “leave no one behind“. Niemand soll zurückgelassen werden, ja die Bedürfnisse der Armen und Schwachen sollen sogar bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele Vorrang haben!
Vielleicht kann man es auch so übersetzen: Wie nachhaltig eine Gesellschaft ist, entscheidet sich daran, wie sie mit den Schwächsten umgeht.
Die Botschaft Jesu unterstreicht diesen Leitsatz der Agenda 2030. Und fordert auch auf, sich zu freuen und ein Fest zu feiern, wenn das Verlorene gefunden, das Schwache gerettet werden kann. So hoffe auch ich, dass wir am Ende der akuten Krise nicht nur Tote betrauern müssen, sondern auch feiern können, was wir retten konnten: verletzliche Menschen und die Humanität unserer Gesellschaft.
Hiob 38, 1.8-11
Gott redet zu Hiob durch den Sturm. Die Gegenwart Gottes in seiner Schöpfung vernachlässigen wir in der protestantischen stark christologisch geprägten Theologie leider zu oft. Jürgen Moltmann erinnert uns daran in seiner (hochaktuellen!) ökologischen Schöpfungslehre aus dem Jahr 19 85.
Gott erinnert Hiob daran, dass er die Erde geschaffen hat, dass er auch heute die Naturgewalten lenkt und in Grenzen hält. In einer endlosen Litanei (Kapitel 38-42) fragt Gott Hiob: wo warst du, als ich die Erde gegründet habe? Wo warst du, als ich den Himmel, die Erde, die Sterne, die Meere, die Tiere geschaffen habe? Wie kannst du meinen, es besser zu wissen als der, der dies alles geschaffen hat? Wie kannst du mich zurechtweisen?
Gott zeigt Hiob, dass er keine „Homo Deus“ ist, sondern Geschöpf, endlich, verletzlich, abhängig von anderen Geschöpfen und vor allem von Gott.
Und Hiob gesteht: „Ich habe ohne Einsicht geredet, was mir zu hoch ist und ich nicht verstehe“ (Hiob 42, 3). Und Gott stellt sich sofort an seine Seite und weist die gut gemeinten aber letztlich überheblichen frommen Reden der Freunde Hiobs zurück, denn „sie haben nicht recht geredet von mir wie mein Knecht Hiob“ (Hiob 42,7). Gott wendet das Geschick Hiobs, lässt ihm neuen Segen zukommen bis Hiob „alt und lebenssatt“ stirbt.
Hiobs entscheidende Erkenntnis ist die, dass er ein Geschöpf ist und nicht Gott. Er anerkennt, dass sein Wissen und Erkennen nur begrenzt ist. Die Freunde Hiobs schaffen das nicht. Sie meinen immer noch, Gott erklären zu können. Die Selbstbescheidung Hiobs erweist sich als heilsam und führt ihn zu einem neuen guten und gesegneten Leben.
Diese Selbstbescheidung und Selbstbeschränkung brauchen auch wir heute angesichts der vielfachen Überschreitungen der planetaren Grenzen. Wenn wir wie Hiob erkennen, dass wir nicht wie Gott sind, dass wir verletzliche und zutiefst bedürftige Geschöpfe sind, dann ist der erste Schritt zu unserer Heilung getan.
2. Korinther 5, 14-17
Die neue Kreatur- sie beginnt mit dem Tod und der Auferstehung Jesu. Sie umfasst nicht nur die Neuschöpfung des Menschen, sondern die ganze Schöpfung (Kreatur).
In Zeiten des Klimawandels und mancher Apokalypseszenarien finde ich diese Glaubensaussage tröstlich. Als Christen glauben wir nicht nur, dass Gott alles geschaffen hat (creatio originalis), dass er seine Schöpfung am Leben erhält (creatio continua), sondern dass das Ziel der Schöpfung die Neuschöpfung ist (creatio nova), in der Gott gegenwärtig ist und die Schöpfung in Frieden mit sich und ihrem Schöpfer lebt.
Diese positive Zukunftsvision gilt es zu bezeugen. Wir sind aber nicht nur Zeugen dieser Neuschöpfung Gottes, sondern wir können und sollen dem Letzten „den Weg bereiten“ (Bonhoeffer), in dem wir schon jetzt im Vorletzten für Frieden und Versöhnung eintreten.
Nicht die Angst vor einer düsteren Zukunft motiviert uns zum Handeln, auch nicht der sich selbst überschätzende Hochmut, wir allein könnten die Welt retten. Sondern „die Liebe Christi drängt uns“. (2.Kor. 5, 14)
Dr. Ruth Gütter, Referentin für Nachhaltigkeit in der EKD