7. Sonntag nach Trinitatis / 18. Sonntag im Jahreskreis (4.08.19)

7. Sonntag nach Trinitatis / 18. Sonntag im Jahreskreis


ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Joh 6, 30-35 Koh 1, 2; 2, 21-23 Kol 3, 1-5.9-11 Lk 12, 13-21

Höchst unterschiedliche Lebensstile der Menschen von kurzatmig bis nachhaltig veranschaulichen die Lesungen und Predigttexte dieses Sonntags und malen die individuellen wie auch gemeindlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen der sehr ungleichen Lebensleitlinien in krÀftigen Farben aus:

  • Der evangelische Predigttext aus Johannes 6 spricht vom schier unbĂ€ndigen Hunger der Menschen und von dem, was diesen Hunger stillt, Leib und Seele satt macht: Brot des Lebens - Brot fĂŒr die Welt.
  • Die katholischen Lesungen aus Kohelet und Kolosser kontrastieren das angestrengte Streben und oft ungerechte Leiden der Menschen mit dem Lebensstil der Christen: von Ostern her Neues zu wagen.
  • Die katholische Evangelienlesung aus Lukas 12 zeigt im Gleichnis vom Reichen Kornbauern den Aberwitz des Raffens: Steht wie einst der Landmann nicht heute die ĂŒberhitzte Marktwirtschaft vor dem Aus?

Johannes 6, 30-35: Das Brot des Lebens

Die nur sechs Verse zĂ€hlende Perikope steht im Zentrum einer kunstvoll von Johannes arrangierten Komposition aus berichtender ErzĂ€hlung und deutender Rede, wundersamer Zeichenhandlung und streitbarer Diskussion rund um das Thema Brot. Den Auftakt dieses 71 Verse langen Kapitels bildet die mit vielen Details anschaulich berichtete Speisung der FĂŒnftausend (V. 1-14): ein Brotwunder, auf das auch heute noch Menschen mit knurrendem Magen warten, sei es in den langen Schlangen der SuppenkĂŒchen und Brotausgaben der Tafeln im wohlhabenden Deutschland, sei es in den Armutsregionen des globalen SĂŒdens, in denen der Klimawandel zunehmend Missernten und MangelernĂ€hrung auslöst und das ungerechte Weltwirtschaftssystem zu Not und Hungertod ungezĂ€hlter Kinder fĂŒhrt. Wer wie Jesus damals den Hunger von 5000 MĂ€nnern stillen oder heute Weizen, Reis und Mais fĂŒr 2 Milliarden mangelernĂ€hrte Menschen bereitstellen kann, wird schnell zum Brotkönig ausgerufen und kann sich des Friedensnobelpreises sicher sein.

Doch Jesus flieht den publicitytrĂ€chtigen Rummel und meidet das aufbrandende Gewese um seine Person (V. 15-21). Er zieht sich zurĂŒck in die Einsamkeit und Stille des Berges, bis sich der Trubel beruhigt hat, und kehrt erst am Abend auf wiederum wundersame Weise zurĂŒck, um seinen Freunden nahe zu sein. Doch, o Wunder, auch am nĂ€chsten Tag ist das Speisungswunder noch in aller Munde (V. 22-34). Nach dem Genuss von Brot und Fisch meldet sich indes ein anderer Hunger zu Wort, die Hoffnung auf Brot vom Himmel. Da klingt die Erinnerung auf an das Manna in der WĂŒste und den Weg des Volkes in die Freiheit. Diese uralte und urjunge Sehnsucht, die in dem tĂ€glichen Brot aus tausend und einer Ähre mehr sieht als gebackenen Teig, sondern etwas ahnt von dem Festmahl des Friedens, dem Geschmack der Gerechtigkeit und dem Bissen der Barmherzigkeit. Die Rede ist vom Brot Gottes, das vom Himmel kommt und der Welt das Leben gibt, und vom Sattwerden der Seele durch Gnade und Liebe, Achtung, Vergebung und Zuwendung.

Darauf zielt das zentrale Bildwort „Ich bin das Brot des Lebens“ (V. 35), das wie die ĂŒbrigen Ich-Bin Worte Jesu im Johannesevangelium aufgebaut ist und nach der betonten Ich-Aussage am Anfang die Anwendung durch die Hörenden in der zweiten Satz- und BildhĂ€lfte folgen lĂ€sst. „Ich bin das Brot - ihr seid die Esser!“ Nach wie vor ist das aus gemahlenen Getreidekörnern gemengte und gebackene Brot eines der Ă€ltesten, gesĂŒndesten und haltbarsten Grundnahrungsmittel fĂŒr Millionen von Menschen, unverzichtbare Basis unseres Essens. Sinnlich erfahrbar mit Zunge und Zahn fĂŒllt es den leeren Magen und stillt den real existierenden Hunger. Doch in der Wendung „Brot des Lebens“ steht es sinnbildlich auch fĂŒr alles, was der Mensch zum Leben braucht. Unschlagbar die Definition Martin Luthers in der ErklĂ€rung des Vater unsers: „Was heißt tĂ€gliches Brot? - Alles, was nottut fĂŒr Leib und Leben, wie Essen, Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof 
 gute Regierung, gut Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht, Ehre, gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen.“

Entgegen einer ĂŒberwiegend auf das Himmelsbrot und Seelenheil eingeengten Auslegung ist festzuhalten, dass Jesus jede existenzielle Not der Menschen wahr- und ernstnimmt, den knurrenden Magen wie die nagende Schuld, den tödlichen Durst auf Wasser und den ebenso gefĂ€hrlichen Mangel an Gerechtigkeit, die Sehnsucht nach Erlösung wie nach sĂ€ttigendem Essen und Trinken. In den Evangelien begegnen Menschen Jesus als Leib- und Seelsorger und erfahren seinen Dienst als Ermutigung, seine Hingabe als Rettung. In seiner Gegenwart und an seinem Tisch wird das tĂ€gliche Brot erlebbar als Teilhabe an seinem Heil, als Gabe Gottes und StĂ€rkung des Lebens, das uns befĂ€higt „Brot fĂŒr die Welt“ zu geben, Brot fĂŒr die Welt zu sein.

Kohelet 1, 2; 2, 21-23 und Kolosser 3, 1-5.9-11

Die Aussagen der beiden Abschnitte aus der katholischen Leseordnung stehen in deutlicher Spannung zueinander und weisen außer den Anfangsbuchstaben ihrer BĂŒcher kaum Gemeinsamkeiten auf. Das ist nicht so sehr der unterschiedlichen Entstehungszeit der Texte und ihrer Zugehörigkeit zum Ersten bzw. Zweiten Gottesbund geschuldet, sondern liegt an den völlig anderen Lebensstilen, die in und zwischen den Zeilen deutlich werden. Die Welt- und Menschensicht des Kohelet genannten Weisheitslehrers ist von einer dĂŒsteren Skepsis geprĂ€gt, die in allem irischen Treiben nur Tand und Nichtiges, VergĂ€nglichkeit und Vergeblichkeit zu erkennen vermag. Die Worte „Windhauch, nur Windhauch, es ist alles nur Windhauch!“ rahmen die 12 kleinen Kapitel, die bis auf wenige Ausnahmen das Leben in einem tristen Grau malen und nur wenig Hoffnung auf eine Linderung der ZustĂ€nde oder Besserung der Menschen aufkommen lassen.

Dieser Tenor klingt auch in den ausgewĂ€hlten Versen der Lesung durch. Trotz Weisheit, Verstand und Geschick kann es Menschen widerfahren, dass der verdiente Lohn ihrer MĂŒhe anderen in den Schoß fĂ€llt, die sich wahrlich nicht darum gekĂŒmmert noch dafĂŒr gearbeitet haben. Unter solchen Widrigkeiten, Schikanen und Ungerechtigkeiten leiden auch Christen in den weltweiten Partnerkirchen, in deren Heimat die politische FĂŒhrung korrupt, die Justiz inkompetent und die SicherheitskrĂ€fte unberechenbar agieren. Ob Landgrabbing, die moderne Form des Landraubs durch multinationale Konzerne und korrumpierbare Regierungen in Afrika und Lateinamerika oder die ausbeuterische Textilindustrie ohne existenzsichernde Löhne in SĂŒdostasien oder die rĂŒcksichtslose Erpressung von geflĂŒchteten Menschen durch kriminelle Schleuserbanden im Mittelmeer, die Liste der Vergehen lĂ€sst sich von Kohelet bis zum heutigen Tag fortschreiben: „Alles ist nichtig!“

Wie erfrischend anders der Ton im Kolosserbrief, der die Christengemeinde im damaligen Pamphylien und Gebiet der heutigen TĂŒrkei an das Grunddatum ihrer Existenz erinnert - die Auferweckung des Gekreuzigten. Von Ostern aus buchstabiert sich das Leben anders als zuvor: vergnĂŒgt, erlöst, befreit! Mit Christus aus dem Tod erweckt beginnt nicht nur eine neue Zeitrechnung, sondern greift auch eine neue Werteordnung. Wem der Himmel geschenkt ist, muss nicht dem GlĂŒck der Erde hinterherjagen! So der Tenor des neuen Lebensstils, den im Laufe der langen Christengeschichte wiederum andere missverstanden und alles Irdische zuerst vernachlĂ€ssigten, danach verdĂ€chtigten und schließlich verdammten. Dass dem aber nicht so sein soll, sondern das Leben mit Christus Konsequenzen hat auf dieser Erde in puncto Ehrlich- und Wahrhaftigkeit, NĂ€chstenliebe und SolidaritĂ€t beschreibt diese Lesung so: „Alles und in allen Christus!“

Lukas 12, 13-21

Jesu Feststellung im Lutherdeutsch von Vers 15 „Niemand lebt davon, dass er viele GĂŒter hat“ oder wie die EinheitsĂŒbersetzung formuliert „Das Leben eines Menschen besteht nicht darin, dass einer im Überfluss seines Besitzes lebt“ bewahrheitet sich auch nach 2000 Jahren immer wieder aufs Neue. Nicht nur, wenn einer von den Großkopferten aus Politik und Wirtschaft, Sport und Showbusiness ins Straucheln kommt, mit Spott und HĂ€me bedacht nach unten durchgereicht wird. Nicht nur, wenn die angeblichen GrĂ¶ĂŸen und sonst so vornehmen Eliten unserer Gesellschaft hilflos vor den TrĂŒmmern ihres Lebens stehen. Auch fĂŒr das alltĂ€gliche Leben der NormalbĂŒrger und sogenannten kleinen Leute ist dieser Satz gesagt. Mal taugt er zur Beruhigung, wenn es am Monatsende wieder einmal so eben gereicht hat, mal wirkt er aber auch schmerzhaft wie ein Stachel im Fleisch, weil man doch sehr viel lieber sehr viel mehr GĂŒter zum Leben hĂ€tte.

Es stimmt, Jesu Wort und Gleichnis vom reichen Kornbauern bĂŒrstet unsere Welt des Strebens nach mehr gehörig gegen den Strich und lehrt uns einen sehr anderen Lebensstil als das gelĂ€ufige „schneller, höher, stĂ€rker“. Nach diesem kaum noch hinterfragten Lebensmotto verfĂ€hrt der Landmann des Gleichnisses, der im DAX-GeschĂ€ft von heute als Vorstandschef, Investmentbanker oder Aufsichtsrat vermutlich nach der gleichen Devise agieren wĂŒrde: Gewinne maximieren, Risiken minimieren, Renditen steigern und die eigenen Taschen fĂŒllen. So lĂ€uft schon seit Jahren die Konjunktur und mit ihr eine nahezu entfesselte Marktwirtschaft, die die Reichen immer reicher macht. Denn nicht mehr die eigene Kopf- und Handarbeit, sondern nur noch das angehĂ€ufte Kapital sichert das Ein- und Auskommen: „Liebe Seele, iss, trink und habe guten Mut!“

Der Volksmund weiß, dass Geld nicht glĂŒcklich macht, sondern allenfalls die Nerven beruhigt. Wirklich beunruhigend und bestĂŒrzend sind aber die Auswirkungen eines solchen Turbokapitalismus, der die Schwachen und SchwĂ€cheren im System konsequent an den Rand drĂ€ngen muss, um selber stark zu bleiben, und die Tugenden einer Solidargemeinschaft fĂŒr das eigenen Fortkommen ĂŒber Bord wirft. Jesu Gleichnis, das in der evangelischen Kirche traditionell zu Erntedank gelesen wird, stellt nach dem drastischen Tod des reichen Landmannes den Reichtum an Hab und Gut dem Reichsein vor Gott gegenĂŒber. Reich sein vor Gott, das heißt fĂŒr mich Segen, den ich mir nicht selber zusagen und geben, sondern nur als Geschenk empfangen und teilen kann. Reich sein bei Gott, das kann auch bedeuten, die Dinge des tĂ€glichen Lebens zu haben, als hĂ€tte ich sie nicht, mein Herz und Sinn also nicht an Hab und Gut und Konto heften, sondern loslassen und es mit meinem nahen oder fernen NĂ€chsten teilen. Ein Lebensstil, der sich nicht mehr vom Haben beherrschen lĂ€sst, sondern zum Nehmen wie zum Geben befreit: „Der Verzicht spricht: Ich bin so frei!“

Martin Ahlhaus, Kierspe-Rönsahl