4. Sonntag nach Trinitatis / 13. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
1. Mose 50,15-21 | Weish 1, 13-15; 2, 23-24 | 2 Kor 8, 7.9.13-15 | Mk 5, 21-43 |
Grundtenor: Wer seine Berührungsängste überwindet, der findet Berührungspunkte.
Mit Nachhaltigkeit verbinden wir eine Zeitlichkeit, die über den Augenblick hinausgeht. Nachhaltigkeit steht für eine längere Zeitspanne. Die größte Nachhaltigkeit besteht somit in einer immerwährenden Zeit, in der Ewigkeit. Das Buch der Weisheit spricht davon, dass Gott uns Menschen zur Unvergänglichkeit erschaffen hat. Weil wir Bild seines eigenen Wesens sind, möchte er auch für den Menschen eine Unsterblichkeit. Die irdische Realität sieht anders aus: Wir erfahren Krankheit, Leid und Tod. Doch den Tod habe nicht Gott gemacht, sondern der Neid des Teufels, so der Weisheitslehrer. Gottes Gerechtigkeit ist unsterblich und so gibt es Hoffnung über den Tod hinaus. Die Auferweckung der Tochter des Jairus ist ein Vorausbild dieser Hoffnung.
Die Erzählung von der blutflüssigen Frau weist dagegen eine gewisse Flüchtigkeit auf. Die Begegnung mit Jesus ist eine kurze Momentaufnahme. Die Nachhaltigkeit besteht in ihrer Heilung. Sie legt kein Glaubensbekenntnis ab und sie folgt Jesus nicht nach.
Die Predigtgedanken könnten die Stichworte „Berührungsängste“ und „Berührungspunkte“ aufgreifen. Berührungsängste gibt es in unserer Gesellschaft beispielsweise gegenüber Fremden und Flüchtlingen. In Bezug auf Kirche fühlen sich die Menschen zunehmend „religiös unmusikalisch“, zeigen Distanz und Berührungsängste. Dennoch mag es eine versteckte Sehnsucht geben: „Ich bin zwar kein religiöser Hochleistungssportler – aber sein Gewand berühren, das wollte und könnte ich dann schon noch.“
Die Berührungspunkte verweisen auf den Bereich des Sports, der Musik und der Politik. Ein Star hält eine begeisterte und tosende Menschenmenge in Atem. Dann kommt der große Augenblick, in dem der Star ins Volk herabsteigt und das berühmte „Bad in der Menge“ nimmt. Einmal diesem Berühmten die Hand schütteln, ihn wenigstens einmal berühren; etwas von der Kraft verspüren, die von einer solchen Persönlichkeit ausgeht.
Zum Stichwort „Flüchtigkeit“ bietet sich der Verweis auf unsere „Anklick-Mentalität“ in der virtuellen Welt. Im Zeitalter unserer medialen Beschleunigung zählt langes Verweilen nicht zu den besonders geschätzten Tugenden. Alles muss schnell gehen. Die Webseiten und Online-Dienste zählen stolz, wie oft sie angeklickt worden sind. ‚Anklicken‘ und ‚Weitersurfen‘ sind zu Schlüsselworten auch unseres zwischenmenschlichen Verhaltens geworden. Vielleicht brauchen wir in unserer Spiritualität so etwas wie eine ‚Anklick-Frömmigkeit‘, auch in Bezug auf Gott.
Ein weiterer Aspekt könnte das Geschlechterverhältnis und der Wagemut der Frau sein. Vermutlich hat sie als „Unberührbare“ viel Einsamkeit aushalten müssen. Wenn sie als blutflüssige Frau in die Männerwelt eindringt, macht sie diese unrein. Wer eine solche Frau berührt, muss sich durch rituelle Waschungen erst wieder reinigen. Die Reaktion Jesu ist jedoch positiv. Er würdigt den Glauben der Frau und sagt ihr Heilung zu. Die Geschichte der (katholischen) Kirche im Umgang mit Frauen, insbesondere dem Aspekt der Unreinheit, ist alles andere als positiv. Obwohl die alttestamentlichen Vorschriften für das Christentum nicht mehr galten, schrieb der Erzbischof von Alexandrien im Jahr 241: „Menstruierende Frauen sollten sich nicht dem Tisch des Herrn nähern, das Allerheiligste berühren oder eine Kirche betreten“. Bis 1916 galt per Kirchenrecht (Corpus Iuris Canonici), dass Frauen während ihrer Monatsperiode nicht die Kommunion empfangen dürften.
Blut steht symbolisch für das Leben und die Lebenskraft. Eine eher psychologische Deutung besteht darin, dass die Frau zu viel von sich für andere gegeben hat und dadurch das Gleichgewicht von Geben und Nehmen gestört ist. Sie muss lernen, zu nehmen, was sie braucht, um wieder in eine gute Balance zu kommen.
Hingewiesen werden könnte auf die Corona-Pandemie und die Folgen. Die Abstandsregelungen haben über Monate Berührungen verboten. Außerhalb des familiären Bereichs ist der Körperkontakt als wichtige soziale Dimension unterbunden. Wie sich dies langfristig auf die Beziehungen untereinander auswirkt, lässt sich gegenwärtig nicht vorhersagen.
Die Botschaft insbesondere des Evangeliums an uns könnte daher lauten: Wer seine Berührungsängste überwindet, der findet Berührungspunkte. Dies gilt auf verschiedenen Ebenen: Es gilt in der Berührung mit mir selbst, wenn ich versuche mit dem in Kontakt zu kommen, der ich eigentlich bin; es gilt in der Berührung mit dem anderen, wenn ich versuche Beziehung herzustellen und zu gestalten; es gilt in der Berührung mit Gott, wenn ich versuche, im Gebet, in der Lektüre der hl. Schrift, in der gottesdienstlichen Versammlung, in den Sakramenten oder auch im Dienst am Nächsten sein Gewand zu berühren und etwas zu erspüren von seiner heilenden Kraft. Darin liegt kein Automatismus. Jesus ist in diesem Sinne kein „Held zum Anfassen“, aber einer, der sich berühren ließ von den Nöten der Menschen, der sensibel war für den Glauben der Leute, auch wenn er noch so tastend und zögerlich war.
Für die Lesung aus dem zweiten Korintherbrief lässt sich ebenfalls das Stichwort Berührungspunkte aufgreifen. Die Gemeinde soll sich berühren lassen von der Not ihrer Mitchristen in Jerusalem. Sie soll sich solidarisch zeigen. Der Überfluss der einen soll dem Mangel der anderen abhelfen. Es geht um einen Ausgleich zwischen Arm und Reich. „Im Augenblick soll euer Überfluss ihrem Mangel abhelfen, damit auch ihr Überfluss einmal eurem Mangel abhilft.“ Das Geben und Nehmen soll auf Gegenseitigkeit beruhen. Das Problem ist immer das entstehende Gefälle zwischen Spender und Empfangendem. Die Gabe darf den Beschenkten nicht beschämen. Im Sinne der Nachhaltigkeit ist es letztlich eine Frage der Gerechtigkeit, nicht nur kurzfristig mit Spenden zu helfen, sondern mittel- und langfristig auf gerechte Strukturen für alle hinzuwirken. Darauf verweisen auch die kirchlichen Hilfswerke.
Die für den evangelischen Gottesdienst vorgesehene Perikope ist Teil einer Familiensaga. Die Geschichte von Josef in Ägypten endet mit der Versöhnung mit seinen Brüdern. Nach dem Tod ihres Vaters fürchten sie die Rache ihres Bruders für ihr Verhalten und bitten im Namen ihres Vaters um Vergebung. Diese wird ihnen von Josef gewährt, da er sich nicht an Stelle Gottes zum Richter aufspielen will. Familiengeschichten sind immer Beziehungsgeschichten und das, was sich in ihnen abspielt, wirkt oft lange nach. Insbesondere Traumatisierungen werden jahre- und jahrzehntelang (zumeist unbewusst) weitergetragen und wirken sich auf das Beziehungsgeschehen aus. Dies gilt beispielsweise für die Traumatisierungen der Kriegskindergeneration, die erst jetzt voll zum Ausdruck kommen. Hier gilt es im Sinne der Nachhaltigkeit, die negativen Ströme zu unterbrechen und durch ein Versöhnungsgeschehen wieder Heilung und Heil zu ermöglichen. In der Bibel schwingt dies mit in problematischen Stellen wie Exodus 20,5: „Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir Feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, bis in die dritte und vierte Generation“ (vgl. Ex 34,7, Num 14,8, Dtn 5,9). Eine Exegese hierzu kann an dieser Stelle nicht geleistet werden. Diese ist notwendig, um nicht irreführende Gottesbilder zu verbreiten.
Stefan Federbusch, Hofheim am Taunus
Ihr Frauen,
ich blute immer. Es hört nicht auf. Ich schäme mich. Es ist kein normales Blut. Es ist da unten. Ihr wisst schon. Über sowas spricht man nicht. Nur manchmal, Andeutungen am Ende eines Kaffeeklatschs. Halblaut ausgetauscht, wenn die ersten schon im Aufbruch sind. Kein Thema für die Öffentlichkeit.
Damit musst du klarkommen, Kind. Beim Schwimmunterricht auf der Bank sitzen. Die Jungs feixen. Machen einen Bogen. Verschämt wandern Tampons von Hand zu Frau. Bitte diskret. Männer davon verschonen. Eine Frau hat rein zu sein.
Mit mir ist was verkehrt. Ich blute manchmal wochenlang. Immer die Angst: roter Fleck auf weißem Rock. Ich laufe aus. Im Fernsehen verdruckste Werbung. Binden nehmen blaue Flüssigkeit auf. Bloß kein Blut. Nicht zumutbar, dann schon lieber Mord, Krieg, Action. Das ist anderes Blut. Heldenblut. Sowas geht. Lass die Sahne, sagt Oma. Die wird sauer. Ich verkrieche mich in mir. Immer mehr.
Dann höre ich von einem, der Wunder vollbringt. Der keine Berührung scheut. Dem nichts schirch ist. Ein Mann. Trotzdem denke ich: Der oder keiner. Reden traue ich mich nicht. Also berühre ich ihn. Nur kurz, von hinten. Beiläufig im Gedränge. Er spürt es und dreht sich um. Ich will mich wegducken und kann nicht. Erzähl alles, sagt er. Du brauchst dich nicht zu schämen. Niemals. Und ich erzähle und spüre, wie etwas heilt. Blut ist wirklich nichts, vor dem man Angst haben muss. Er schon gar nicht.
Eine Frau wie alle Frauen
(Susanne Niemeyer, Briefe von Eva & Co, abgedruckt in frau&mutter 9/2020, S. 25 – Im Internet unter: www.kfd-bundesverband.de/frau-und-mutter/briefe-von-eva)