5. Sonntag nach Trinitatis / 14. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Joh 1,35-51 | Sach 9, 9-10 | Röm 8, 9.11-13 | Mt 11, 25-30 |
Joh 1,35-51: Folge mir nach!
Beim ersten Lesen ergibt sich bei der Perikope kein Bezug zu Themen der Nachhaltigkeit, insbesondere nicht zu den 17 SDGs. Nur auf einer Meta-Ebene wird der Text aus dem Johannesevangelium für entsprechende Bezüge bedeutsam: Es geht weniger um die Inhalte der SDGs, als vielmehr um die Motivation zum rechten, umweltgerechten, nachhaltigen Handeln. Was lässt uns trotz mancher Rückschritte und Rückschläge festhalten an der Vision einer gerechten, friedvollen und lebenswerten Gesellschaft? Wie erhalten wir uns die Hoffnung auf einen „offenen Himmel" (V 51)?
Der Text erzählt in vier Begegnungen, wie Menschen in die Nachfolge Jesu eintreten, wie sie in Jesus den „Gesalbten Gottes" erkennen, die Inkarnation Gottes auf Erden. In der ersten Sequenz sind es zwei Jünger von Johannes, dem Täufer. Dieser weist sie auf Jesus hin. Jesus lädt sie ein: „Kommt und seht!" (V 39) – „Und sie kamen und sahen's." (V 39). Die zweite Begegnung „spielt über Bande": Andreas erzählt seinem Bruder Simon von seiner Entscheidung und führt ihn zu Jesus. Bevor Simon etwas zu Jesus sagen kann, charakterisiert dieser ihn als „Felsen" (V 42). Jenseits aller bisherigen Lebensgeschichte wird Simon – mit Blick in die Zukunft – aufgewertet. Die dritte Begegnung ist die des Philippus mit Jesus. Jesus fordert ihn auf, ihm nachzufolgen. Eine Entscheidung wird nicht berichtet, aber doch in V 45 vorausgesetzt. Schließlich erfolgt die etwas längere Episode mit Nathanael. Nathanael ist zunächst der große Skeptiker, der Jesus wegen seiner Herkunft ablehnt. Erst als Jesus ihn einen „rechten Israeliten" nennt, „in dem kein Falsch ist" (V 47), weil er ihn schon vorher (im Geiste) gesehen habe, bekennt Nathanael Jesus als den „König von Israel".
Wenn zur Nachfolge Jesu auch der Einsatz für eine nachhaltige Welt gehört – wovon ich ausgehe -, dann können die unterschiedlichen Begegnungen auch etwas über die Motivation und die Durchhaltekraft solchen Engagements aussagen. Da ist zum einen das Einlassen auf solchen Einsatz: „Kommt und seht", nicht als ein Hineinschnuppern, sondern als ein – wenn auch zeitlich befristetes – Engagement: „Sie blieben diesen Tag bei ihm" (V 39). Zweitens ermutigt es mich, wenn andere mir etwas zutrauen, mir verantwortungsvolle Aufgaben überlassen, mich aufwerten, so wie es Jesus Simon gegenüber gelebt hat. Schließlich hilft es den Skeptiker*innen und Frustrierten, wenn wir ihre gute Seite betonen und das schwache Selbstbewusstsein stärken: Engagiert euch, denn ihr seid „aufrechte" Menschen, „in denen kein Falsch ist" (V 47).
Möge Gott uns in unserer Nachfolge und in unserem Engagement stärken, so dass wir „den Himmel offen sehen".
Sach 9,9-10: Option für die Armen – Friede den Völkern
Der Text aus dem zweiten Teil des Prophetenbuches Sacharja, auch Deuterojesaja genannt, ist eine Heilszusage an Israel bzw. Jerusalem. Zugleich schließt die Vision auch die ganze Weltbevölkerung („Nationen" / „Völker", V 10) und die Natur (Meere, „Strom"=Euphrat) mit ein. Die Prophezeiung ist somit sowohl partikular wie auch universal. So kann „Enden der Erde" zweideutig auch als „Enden des Landes (Israel)" übersetzt werden.
Im Blick auf das Thema Nachhaltigkeit lässt sich an SDG 1 (Beendigung von Armut) und an SDG 16 (Frieden und Gerechtigkeit) anknüpfen. Der verheißene König reitet auf einem Esel oder auf einem Eselsfohlen, er ist demütig und solidarisiert sich mit den Armen und Ausgegrenzten. Auch heute ist Kirche herausgefordert, die „Option für die Armen" zu realisieren, ein konsequentes Eintreten für und ein Mitleben mit den Armen.
Zugleich geht es um mehr als um das Eintreten für ein Ende von Armut. Es geht um Gerechtigkeit und Frieden. Der verheißene König ist sowohl Geretteter (Einheitsübersetzung: „Rettung wurde ihm zuteil", V 9) als auch Retter (Luther: „ein Helfer"). Der Urtext ist an dieser Stelle erfrischend ambivalent. Zugleich wird der verheißene König Streitwagen, Streitrosse und Kriegsbogen ausrotten und den Völkern (gleichbedeutend mit Heiden als nicht-jüdische Völker) Frieden verkündigen. Angesichts der derzeitigen Debatten um einen „gerechten Krieg" sollten die Kirchen an der Vision eines gerechten Friedens festhalten, denn kein Krieg kann Gerechtigkeit herstellen.
Der gerechte Frieden, von dem Sacharja spricht, ist kein Frieden, der allein die Menschen betrifft. Vielmehr ist er im weitesten Sinne global und universalistisch, weil er auch die Natur einbezieht. An dieser Stelle könnte das Stichwort „von Meer zu Meer" eine Möglichkeit sein, SDG 14 anzusprechen, die Bewahrung und nachhaltige Nutzung der Meere.
Kritisch muss angefragt werden: Steckt hinter der Vision eines „Königs" nicht doch der Ruf nach „dem starken Mann", nach dem, der alles regeln soll und zur Not über Leichen geht? Einer solchen totalitären, die Verantwortung auf andere abschiebende Deutung des Textes muss eine kollektive Deutung entgegengestellt werden, die im Sinne von 1. Petr. 2,9 argumentiert: „Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliger Stamm, ein Volk, das sein besonderes Eigentum wurde, damit ihr die großen Taten dessen verkündet, der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat."
Röm 8,9.11-13
Die Perikope setzt Leib und Geist Jesu in Beziehung zu Leib bzw. Fleisch und Geist der Christ*innen. Ein Bezug zu Themen der Nachhaltigkeit ist nur sehr bedingt zu erkennen. Allein V 13 mit seinem Gegensatz von „nach dem Fleisch leben" und dem „Geist" lässt anklingen, dass es im Hinblick auf den Klimawandel kein „Weiter so!" geben kann, sondern dass es einen neuen Geist braucht, um die ökologischen Herausforderungen zu bewältigen. Die menschliche Grundkonstante, das „Fleisch", scheint aber eher zu beschwichtigen: „Es wird schon alles nicht so schlimm kommen." – „Sollen doch die anderen anfangen." – „Man gönnt sich ja sonst nichts."
Mt 11,25-30
Wie den alttestamentlichen Predigttext, Sach 9,9-10, so bestimmt der demütige Blick auf die Ausgegrenzten auch den Evangeliumstext aus dem Matthäusevangelium. „Mühselig und beladen" (V 28), mit diesen beiden Worten wird der Horizont der SDGs 1-5 aufgerissen: Armut, Hunger, Krankheit, Analphabetismus und Genderdiskriminierung – oder positiv ausgedrückt: ausreichendes Einkommen, Ernährungssicherheit, Gesundheit, Bildung und Gleichstellung der Geschlechter. Jesus ruft alle derart Ausgegrenzten, Traumatisierten und Benachteiligten zu sich. In seiner Nachfolge ist es auch die Aufgabe von Christinnen und Christen geworden, für die Ideale der SDGs 1-5 einzutreten. Zwar ist auch das eine Last, ein „Joch", jedoch ein leichtes (V 30).
Der Text steht der Logik des Materialismus und Kapitalismus diametral entgegen. Nicht das Streben nach Macht, sondern Demut ist gefragt (V 29), nicht Gewalt, sondern Sanftmut (V 29), nicht das Anhäufen von materiellen Reichtümern, sondern „Ruhe für eure Seelen" (V 29). Gefragt ist also in einem gewissen Sinne eine „Umwertung aller Werte", doch genau im entgegengesetzten Sinne, als es Nietzsche vorgeschlagen hatte.
Ralf Lange-Sonntag, Dortmund