5. Sonntag nach Trinitatis / 15. Sonntag im Jahreskreis
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Lk 5,1-11 | Jes 55, 10-11 | Röm 8, 18-23 | Mt 13, 1-23 |
Mit Blick auf die Perikopen- bzw. Leseordnung des 5. Sonntags nach Trinitatis/15. Sonntag im Jahreskreis liegt der Schwerpunkt folgend auf dem Römerbrief (8,8-23).
Es ist ein starkes Bild, das der Apostel Paulus vor unseren Augen entstehen lässt: Eine Frau, die in Geburtswehen liegt. Obwohl ich bei den Geburten unserer drei Töchter dabei sein durfte, war es für mich als Mann nur begrenzt nachvollziehbar, was meine Frau in solchen Momenten durchlebt hat. Das lange Warten konnte ich teilen; die Wucht der Schmerzen, als die Wehen in immer kürzeren Abständen einsetzten, nur begrenzt. Unvergesslich für uns beide war hingegen das Glücksgefühl, als wir auf einmal das Wunder eines neugeborenen Kindes in den Armen hielten.
Paulus hat zum Bild der Geburt gegriffen, als er darüber nachdachte, wie Erlösung geht. Sein Bild erinnert an das Warten und die Schmerzen; aber es ruft auch die Erfahrung auf, dass sich durch all diese Anstrengungen hindurch etwas Neues Bahn bricht; ja, dass einem auf wunderbare Weise zukünftiges Leben geschenkt wird. Als Erlöste dürfen wir Menschen also auf eine radikale Veränderung hoffen. Und mit uns die gesamte Schöpfung. Dabei beinhaltet das Bild von der gebärenden Frau, wenn man es auf die Schöpfung bezieht, zwei Aspekte, die oft übersehen werden. Erstens: Die Schöpfung ist ein lebendiger Organismus! Und zweitens: sie ist weiblich!
In seinem Rundschreiben zur Sorge um das gemeinsame Haus hat Papst Franziskus diese beiden Aspekte näher beleuchtet. Er hat seine Enzyklika mit Laudato si´ überschrieben, also mit dem Refrain aus einem Lobgesang auf die Schöpfung, den Franz von Assisi vor 800 Jahren gedichtet hat. Darin ruft der Heilige aus Umbrien unterschiedlichste Elemente aus der Natur auf, durch die Gott gelobt wird: die Sonne, den Mond, das Wasser, die Luft und die Pflanzen. Und schließlich heißt es da: “Gelobt seist du, mein Herr, durch unsere Schwester, Mutter Erde“. Mit diesen Worten, so Papst Franziskus, habe uns der Heilige aus Umbrien daran „erinnert, dass unser gemeinsames Haus wie eine Schwester ist, mit der wir das Leben teilen, und wie eine Mutter, die uns in ihre Arme schließt“ (LS 1). Aber schon im nächsten Absatz aus seinem Brief konfrontiert uns der Papst mit der harten Realität: „Diese Schwester“, so mahnt er uns eindringlich, „schreit auf wegen des Schadens, den wir ihr aufgrund des unverantwortlichen Gebrauchs und des Missbrauchs der Güter zufügen, die Gott in sie hineingelegt hat.“ (LS 2) Und in der Tat: Statt sie mit dem Respekt zu behandeln, der einer Mutter gebührt, plündern wir unsere Schwester Erde aus. Alle zwei Sekunden wird auf der Erde Regenwald in der Größe eines Fußballfeldes gerodet. Da die herkömmlichen Quellen versiegen, bohren wir in der Tiefsee nach Erdöl oder pressen Chemikalien in die Erde, damit diese auch noch die letzten Reste des sogenannten schwarzen Goldes preisgibt. Die Meere sind leergefischt, die Insekten verschwinden und eine Million Tier- und Pflanzenarten sind vom endgültigen Aussterben bedroht.
Das Ergebnis unseres Umgangs mit der Erde hat der Papst in ein einfaches Bild gefasst: unsere Erde ist krank, sie stöhnt vor Schmerzen (vgl. LS 2 u. 53). Dabei wird das Fieber, an dem die Erde leidet, immer höher. Weil wir unvermindert Kohlendioxyd in die Luft blasen, nimmt die Erderwärmung unaufhörlich zu. Die letzten vier Jahre waren die wärmsten, die jemals gemessen wurden. Die Nitratwerte im Grundwasser sind mittlerweile so hoch, dass unser Trinkwasser immer teurer wird, weil es aufwändig gereinigt werden muss. Und das krebserregende Glyphosat, das in vielen Entwicklungsländern, aber auch in so manchem deutschen Kleingarten im Übermaß in die Erde sickert, wird über die Nahrungskette letztlich auf unseren eigenen Tellern landen. Ja, die Erde ist krank, weil wir sie vergiftet haben.
„Niemals“, so beklagt es Papst Franziskus, „haben wir unser gemeinsames Haus so schlecht behandelt und verletzt wie in den letzten beiden Jahrhunderten“ (LS 53). Verwahrlost und verwüstet liegt die von uns misshandelte und unterdrückte Erde da; sie ächzt vor Schmerzen und wälzt sich in Geburtswehen, wie es Paulus im Römerbrief beschreibt. Und so, wie beim Apostel das Schicksal der gesamten Schöpfung in eins gesehen wird mit dem Schicksal von uns Menschen, so weist auch Franziskus auf die sozialen Folgen unserer Umweltzerstörung hin: Der Schrei der Erde vermischt sich mit dem Schrei der Armen und Verlassenen dieser Welt (LS 53). Denn durch die Abholzung der tropischen Wälder verlieren nicht nur viele Tier- und Pflanzenarten ihren Lebensraum; auch die indigenen Völker, die dort leben, werden aus ihrer angestammten Heimat verdrängt. Das Abschmelzen des Eises in Grönland und der Antarktis lässt die Meeresspiegel ansteigen, sodass schon heute im Pazifik die ersten Inseln im Meer versinken. In Afrika verlieren immer mehr Bäuerinnen und Bauern durch die zunehmenden Dürrekatastrophen ihre Ernten. Deshalb wandern sie als Klimaflüchtlinge in die großen Städte - oder gleich nach Europa. Und auch dort geht uns mittlerweile die Luft aus. Rußpartikel und Stickoxide aus dem massenhaften Individualverkehr vergiften die Städte in solchem Maße, dass Fahrverbote unumgänglich geworden sind.
Doch wie konnte es so weit kommen? Wie konnten wir zulassen, dass aus dem Garten des Paradieses eine verseuchte Wüste geworden ist? Aus der Oase für alle Luxus-Ressorts für einige wenige und verbrannte Erde für viele? Die Wissenschaft sagt uns heute, dass unser Handeln nur in geringem Maße von unserem Wissen gesteuert wird; einen viel größeren Einfluss haben dagegen unsere Gefühle; und auch die Bilder, die wir alle im Hinterkopf haben. Franz von Assisi hat die Erde als seine Schwester und Mutter betrachtet; und entsprechend gehandelt. So wird berichtet, dass er einen Wurm über die Straße trug, damit dieser nicht vom nächsten Fuhrwerk überrollt würde. Die Indios in den Anden verehren die Erde als Pachamama [sprich: Patschamama], als Mutter des Raumes und der Zeit. Und bevor sie den Pflug ansetzen, um die Erde aufzureißen, bitten sie um Erlaubnis und Vergebung. Bei uns im westlichen Europa hat sich ein ganz anderes Bild durchgesetzt. So beschrieb der Philosoph Francis Bacon an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert die Erde als Sklavin. Der Mensch habe das Recht, sie zu fesseln und zu foltern, auf dass sie ihre Geheimnisse preisgebe. Bacon gilt aufgrund seiner Experimente als Begründer der modernen Naturwissenschaften. Doch wenn man weiß, dass er zugleich Beauftragter des britischen Königs für die Hexenprozesse war, dann braucht man sich über die Brutalität des Bildes nicht zu wundern, mit dem er die Erde beschreibt. Und auch nicht über seinen Umgang mit den gequälten und verbrannten Frauen. Die Erde gilt ihm als ein bloßes Ding; als Verfügungsmasse, mit der man nach Lust und Laune experimentieren kann; und als reine Materie, die man unbedenklich ausbeuten darf.
Solche Bilder haben die europäische Geistesgeschichte zutiefst geprägt. Allerdings, das darf man der Ehrlichkeit halber hier nicht verschweigen, kam der Freifahrtschein dazu aus der Bibel: „Macht euch die Erde untertan“, heißt es im ersten Kapitel des Buches Genesis. Deshalb hat sich der europäische Mensch jahrhundertelang als Krone der Schöpfung verstanden. Zwar hat Papst Franziskus in seinem Schreiben ausdrücklich darauf hingewiesen, dass wir diese Stelle falsch verstehen, wenn wir daraus einen unbegrenzten Herrschaftsanspruch über die Natur ableiten. Aber die Wirkungsgeschichte von Gen 1,28, dem sogenannten Herrschaftsbefehl, auf die Geistesgeschichte der Moderne ist nicht zu überschätzen. Aus diesem Grund ist es dringend notwendig, dass wir die Bilder von der Erde, die wir im Kopf haben, austauschen. Dabei kann uns die Haltung des Franz von Assisi inspirieren, der in allen Mitgeschöpfen seine Schwestern und Brüder sah. Oder wir können von der Spiritualität der indigenen Völker lernen, die bis heute versuchen, im Einklang mit der Natur zu leben; weil sie wissen, dass wir von den Ressourcen der Erde abhängig sind - und nicht umgekehrt die Erde von uns. Vielleicht mag Ihnen dieser Vorschlag zu romantisch erscheinen? Doch geht mittlerweile auch die moderne Naturwissenschaft davon aus, dass der Planet Erde wie ein lebendiger Organismus funktioniert. So vertritt der britische Chemiker und Biophysiker James Lovelock in seiner Gaia-Hypothese die Meinung, dass alles Leben auf der Erde von höchst komplexen Prozessen gesteuert wird, die permanent für ein fragiles Gleichgewicht der Elemente sorgen. Und auch zeitgenössische Philosophen wie Bruno Latour sind davon überzeugt, dass die Erde wie ein lebendiges Wesen agiert. Der Klimawandel ist ein beredtes Beispiel dafür, dass die Erde beginnt, sich zu wehren.
Für Paulus ist das Bild der Frau, die in Geburts-Wehen liegt, vor allem ein Bild der Hoffnung; beschreibt es doch einen Prozess des Durchgangs. Trotz, oder gerade in den unsäglichen Schmerzen entsteht neues Leben. Wenn wir also unsere aktuelle ökologische Krise mit den Augen des Apostels sehen, dürfen wir sie auch als Chance verstehen; als einen radikalen Umbruch. Noch ist Zeit, etwas zu ändern. Aber nicht mehr lange! Alle ernst zu nehmenden Wissenschaftler sagen uns, dass wir noch zehn, höchstens fünfzehn Jahre Zeit haben, um grundlegend umzusteuern. Wenn wir es bis dahin nicht schaffen, einen nachhaltigen Lebensstil zu entwickeln und unser Handeln, aber auch unsere Wirtschaft auf einen Weg ohne CO2-Emissionen zu bringen, wird es zu spät sein. Dann werden sogenannte Kipp-Punkte überschritten, an denen sich geologische Prozesse auf der Erde verstärken, die nicht mehr rückgängig zu machen sind und an deren Ende die Unbewohnbarkeit unseres Planeten für die Spezies Mensch steht.
Die jungen Leute, die freitags demonstrieren, statt zur Schule zu gehen, haben genau dies verstanden. Wozu lernen und sich bilden, wenn es das Leben auf der Erde in seiner heutigen Form in fünfzig Jahren nicht mehr geben wird? Warum sich abmühen, wenn die Politik weiterhin schläft, anstatt zu handeln, auch wenn es schmerzhaft wäre? Die jungen Menschen merken, dass ihre Zukunft auf dem Spiel steht. Und dass wir Älteren noch immer auf Kosten der folgenden Generationen leben. Dabei „sind wir berufen, die Werkzeuge Gottes des Vaters zu sein, damit unser Planet das sei, was Er sich erträumte, als Er ihn erschuf“ (LS 53). Das legt uns zumindest Papst Franziskus ans Herz. Er beschwört uns, eine neue Beziehung zu unserem Planeten zu entwickeln; und unsere Mitgeschöpfe mit Liebe und Respekt zu behandeln. Wenn wir uns auf diese Weise mit dem Heiligen Franz von Assisi auf den Weg machen, kann es uns gelingen, die Erde neu sehen zu lernen: Als Schwester, die leben will wie wir. Und als Mutter, die uns trägt und erhält. Amen.
Dr. Dietmar Müßig, Hildesheim