5. Sonntag nach Trinitatis / 16. Sonntag im Jahreskreis (20.07.14)

5. Sonntag nach Trinitatis / 16. Sonntag im Jahreskreis

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
2 Thess 3, 1-5 Weish 12, 13.16-19 Röm 8, 26-27 Mt 13, 24-43

Der Verfasser betrachtet alle Perikopen. In den Texten der katholischen Leseordnung vermag er deutlich Bezüge zu Nachhaltigkeitsaspekten zu erkennen. Der evangelische Predigttext scheint zum Thema wenig aussagekräftig. Im Kontext von 2 Thess 2 und 3 kann der Autor einige Assoziationen zum Anliegen der Nachhaltigkeit wahrnehmen.

 

2 Thess 3, 1-5: … dass das Wort des Herrn laufe …

Exegetische Hinweise

Der Brief gehört zu den Deuteropaulinen und ist erst nach dem Tod des Paulus verfasst worden. Abfassungszeit ca. 90 n. Chr. Der Verfasser hat offensichtlich 1 Thess gekannt und verwendet. Thema ist die Parusieverzögerung: Die Wiederkunft Christi verzögert sich. Was bedeutet das für die Gemeinden? Der Verfasser ermutigt die Gemeinden, im Glauben festzustehen und an den Überlieferungen festzuhalten. Denn „der Herr ist treu; der wird euch stärken und bewahren vor dem Bösen“ (2 Thess 3, 3).


Theologische Impulse

Der Briefschreiber warnt vor Unheilspropheten und Weltuntergangsverschwörern. Ängste öffnen für Lügen und Irrlehren, sie zerstören Lebensfreude, Lebensmut, das Leben selbst. Der Autor ruft auf zu Geduld und Ausdauer. Er will den Menschen Zuversicht geben: Gott ist ein Liebhaber des Lebens. Er ist da, er gibt Kraft und Trost zu jedem guten Werk. Der Ort des Glaubens ist diese Welt, die wir gestaltet sollen aus dem Geist des göttlichen Wortes: „betet für uns, dass das Wort laufe und gepriesen werde …“ (2 Thess 3, 1).

Er ermutigt zum Dienst in und an der Welt. Und Kraftquelle ist das Wort des Evangeliums. Auf sicherem Wege ist der, der am Wort und den Überlieferungen festhält. 2 Thess ermutigt zum Tun, zum konsequenten Gestalten und Mitverantworten des eigenen und gesellschaftlichen Lebens, und das ganz aus dem Geist der Frohbotschaft Jesu Christi, die das Leben mehrt und nicht mindert, deren Erweis die Freude am Leben ist. Wer in der Gottesliebe lebt und sich ganz auf Christus hin ausrichtet, gewinnt Freiheit und Zukunft. Wer aus diesem grundsätzlichen Geborgensein in Gott lebt, wird „vor dem Bösen bewahrt“ und befreit von allen existenziellen Ängsten.


Nachhaltigkeitsaspekte

Auch heute gibt es Weltuntergangspropheten, angesichts des Klimawandels womöglich besonders erfolgreiche. Hollywood reitet auf dieser Welle mit seinen Katastrophenfilmen. Aber der Klimawandel muss nicht das Ende der Welt bedeuten. Angstpropheten gilt es entgegen zu treten. Angst lähmt, Vertrauen in das Leben setzt Kräfte zum Handeln frei. Ideen und Instrumente zum Wandel für eine gute Zukunft sind da. Resignation, Mutlosigkeit und Schicksalsergebenheit sind keine christlichen Haltungen. Christus, die Güte Gottes, kommt uns aus der Zukunft entgegen.

Das Wort des Herrn ist eine Kraftquelle, die uns immer wieder neu zum Handeln auch angesichts scheinbarer Ausweglosigkeit antreibt. Es heilt und setzt Kräfte frei gegen die „falschen und bösen Menschen“, gegen „Strukturen der Sünde“ und politisch-ökonomische Machtkartelle (die Anonymität der weltweiten Megakonzerne). Es ist auch ein Heilmittel gegen Verschwörungsdenken, dem auch zur Selbstreflexion fähige, kritische Menschen ausgesetzt sind. Das Wort infiziert immer wieder mit der Güte und dem Lebenswillen Gottes. Die Verkündigung dieses Wortes durch unser Tun ist das Beste und Wirkmächtigste, was wir für die Zukunft des Lebens, für die Zukunft unseres Planeten tun können. Nichts ist lebensdienlicher und lebensförderlicher als das Evangelium vitae!

 

Weisheit 12, 13. 16-19: Der Gerechte ist menschenfreundlich

Exegetische Hinweise

Das Weisheitsbuch gilt als das jüngste im Schriftenkanon des AT. Es ist wohl in Alexandrien entstanden, im geistigen Umfeld des Hellenismus. Der Verfasser verwendet Gedanken und Begriffe der griechischen Philosophie. Das Grundthema des Buches ist die unerschütterliche Treue Gottes zu den Gerechten. Den Tun-Ergehens-Zusammenhang löst es mit dem Hinweis auf die Unsterblichkeit: Die Gerechten werden im Jenseits belohnt mit unvergänglichem Leben, die Frevler mit ewiger Bestrafung nach dem Tod. In der Bundestheologie gründet die Hoffnung auf ein ewiges Leben: Die Liebe Gottes ist stärker als der Tod. Bereits mit dem Akt der Schöpfung ist die Unsterblichkeit verbunden: Mit der Gottebenbildlichkeit des Menschen ist ihm auch die Qualität Gottes, seine Unvergänglichkeit, verliehen (Weish 2,23 u. Gen 1, 27).


Theologische Impulse

„Allmacht ist eine Männerphantasie und sonst nichts“, hat Dorothee Sölle einmal provokant gesagt. Unser Text bietet Gelegenheit, über die Allmacht Gottes nachzudenken und damit verbunden über menschliche Macht, die Begründung und Herleitung von „Voll-Macht“ in Kirche und Gesellschaft. Vers 17 spricht von „unbeschränkter Macht Gottes“. Kann man angesichts des Kreuzes Jesu davon noch überzeugend, „glaub-würdig“ sprechen? Ist nach Auschwitz die Rede vom allmächtigen Gott nicht endlich und endgültig „tot“ und damit womöglich Gott selbst? Oder kann man „Allmacht Gottes“ neu denken und aussagen?

Vielleicht kann man Allmacht Gottes verstehen als Potentialität, als Fülle von Möglichkeiten des Lebens, als Kreativität, Schöpferkraft zur Entfaltung des Guten (Hans Kirsch). In der Schöpfung, in uns und durch uns. Ist diese Allmacht Gottes nicht auch Teil von uns, den Gottebenbildlichen, angelegt in unserer Potentialität, Kreativität, die sich im Dienst des Lebens, der Schöpfung, in der Liebe und Güte entfalten will?

Wenn das Buch Weisheit von der Stärke als der Grundlage der Gerechtigkeit Gottes spricht (Vers 16), kann ich darin die unendliche Liebeskraft Gottes sehen, die allen gerecht werden will und ihnen gibt, was sie zum Leben brauchen. Und wer sich dieser Liebeskraft Gottes öffnet, in dem vermag Gott alles. Dann ist Allmacht nicht Machtfülle und willkürliche Verfügung über Gewalt, sondern Liebe, die alles vermag und sogar stärker ist als der Tod.

Diese „unbeschränkte Macht“ definiert sich mit Begriffen, wie sie unser Text kennt, wie Sorge, Gerechtigkeit, Menschenfreundlichkeit, Nachsicht, Milde, Chance zur Umkehr. Diese Stärke ist eine Stärke der Liebe. Auf den einzelnen Menschen bezogen meint diese Stärke Identität, ein ausgeprägtes Selbst (Ich-Stärke, Selbstvertrauen, Persönlichkeit, Originalität). Wer sich selbst hat, wer bei sich ist, der kann von sich absehen, sich los lassen auf den anderen hin und – selbstvergessen lieben.


Nachhaltigkeitsaspekte

Ansatzpunkte für eine Predigt zum Thema Nachhaltigkeit sind Gerechtigkeit und Menschenfreundlichkeit. Der Gerechte ist menschenfreundlich. Gott ist ein menschenfreundlicher Gott, der Gerechtigkeit schafft, Hoffnung schenkt und Umkehr gewährt, d.h. neue Lebensräume eröffnet. Wir müssen über unseren Umgang mit Macht reden. Macht als Herrschaft oder Macht als Dienst, als Instrument, Leben zu schützen und zu mehren durch Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung? (vgl. Gen 1, 28)

Thema Gerechtigkeit: Gerechtigkeit ist menschenfreundlich. Ganz praktisch heißt das: Wir brauchen ein Recht, das sich der Gerechtigkeit verpflichtet weiß. Ein solches Recht schafft Frieden, und das ist mehr als Rechtsfrieden. Wir brauchen weiter gerechte Rechtsordnungen, gerechte Rechtsprechung, Rechtsstaatlichkeit, eine gerechte Weltwirtschaftsordnung, internationale Rechtsinstitute zum Schutz und zur Durchsetzung der Menschenrechte. Wir brauchen internationale ökologische Standards, die durch rechtsverbindliche Verträge Wirksamkeit erlangen.

Im Blick auf uns selbst: Wir leben davon, dass wir Vergebung empfangen und uns Umkehr ermöglicht wird. Vergebung und Umkehr schaffen Raum zum Leben, neue Zukunft. Umkehr ermöglicht neues Denken, öffnet für einen neuen Geist, der uns aus alten Strukturen, „Strukturen der Sünde“, herausführen will. Wir können dann die Erfahrung machen, dass Jesus in uns schon am Werk ist: „Seht, ich mache alles neu“ (Offb 21, 5).

 

Röm 8, 26-27: Der Geist nimmt sich unserer Schwachheit an

Exegetische Hinweise

Der Römerbrief ist ein „echter“ Paulusbrief. Der Apostel schreibt ihn gegen Ende seine dritten Missionsreise um 55/56 n. Chr. der römischen Gemeinde, die er nicht selbst gegründet hat und auch noch nicht kennt. Er will sie aufsuchen und stellt sich mit seinem Brief vor, d.h. er legt die Inhalte seine Christuspredigt und seine Theologie dar. Im Zentrum des längsten Paulusbriefes steht die Rechtfertigungslehre: Nicht durch eigene fromme Leistung, allein aus dem Glauben an Jesus Christus bin ich gerechtfertigt; und dieser Glaube wird mir geschenkt.

Theologische Impulse

Das Thema Schwachheit ist Paulus wichtig. Er greift es auch an anderer Stelle auf, so in 2 Kor, wo er sagt: „Deswegen bejahe ich meine Ohnmacht, alle Misshandlungen und Nöte, Verfolgungen und Ängste, die ich für Christus ertrage; denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“ (2 Kor 12,10). Ein starkes Wort. Wie kann man seine Schwäche, seine Ohnmacht rühmen? Doch nur, weil sich der Geist unserer Schwachheit annimmt (Röm 8, 26). Unsere Schwachheit, unsere Ohnmacht, nicht unsere Stärke, Selbstüberzeugtheit ist das Tor für den Geist, der uns erfüllt, in uns betet für uns (Vers 26). Er treibt uns an, öffnet uns Wege ins Leben, erfüllt uns mit Ideen und ermutigt uns zum Handeln. Wo wir nicht können, tritt er für uns ein. Unsere Schwachheit ist geradezu Voraussetzung und Ort der Geisterfahrung, der Gottesbegegnung. Den Geist lassen, in uns lassen, in uns zu lassen – und alles verändert sich – in uns, um uns!

Nachhaltigkeitsaspekte

Die Erfahrung der Schwachheit führt uns in die Grundhaltung der Achtsamkeit. Dem Schwachen muss man achtsam begegnen, damit es nicht verletzt und zerstört wird. Vom Gottesknecht heißt es so: „Das geknickte Rohr zerbricht er nicht und den glimmenden Docht löscht er nicht aus; ja, er bringt wirklich das Recht“ (Jes 42,3). Matthäus zitiert diesen Vers: „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen, bis er dem Recht zum Sieg verholfen hat“ (Mt 12, 20). Gerade in der Förderung und im Schutz des schwachen Lebens, in der Grundhaltung der Achtsamkeit jeglichen Lebens gegenüber kommt das Leben voran. Es ist die radikale Gegenposition zum sozialdarwinistischen Recht des Stärkeren, das letztlich immer das Leben und die Menschlichkeit – gerade auch des Starken – bedroht und vernichtet. Im Schwachen das Göttliche sehen, das ist die Größe des Christentums.

Unsere Schwachheit, unser Versagen, unsere Grenzen öffnen uns für Gottes Geist und Absicht, das Leben zu fördern. Gott ist Schöpfergott in und mit unserer Schwachheit. Gerade die Erfahrung unserer Schwäche und unserer Ohnmacht öffnen unsere Augen für Not, Elend, Ausbeutung, für Ungerechtigkeiten jeder Art, für die Bedrohung des Lebens auf unserem Planeten. Und unsere Schwachheit ruft uns auf, Grenzen zu weiten, Grenzen zu überwinden, „Strukturen der Sünde“ aufzubrechen, Ungerechtigkeit und Machtmissbrauch aufzudecken, Wege des Lebens zu beschreiten und Strukturen lebensfördernd zu verändern. Und Gottes Geist in unserer Schwachheit ermutigt uns, im Kampf durchzuhalten. Ohne ihn könnten wir das nicht. Dabei überfordert er uns nicht. Er zeigt uns, dass es nicht von uns abhängt, aber dennoch auf uns ankommt (Pierre Stutz).

Wie Gott in unserer Schwachheit für uns – „für die Heiligen“ – eintritt, sollen auch wir Anwalt sein für die Schwachen – „für die Heiligen“, d.h. für die Schwächsten unserer Gesellschaft, die unsere Menschlichkeit herausfordern. Kirche bedeute, sagte Papst Franziskus in seiner Amtseinführung, „Solidarität mit Armen, Schwachen und Ausgestoßenen. Es gehe besonders `um die Kinder, die alten Menschen, um die, die schwächer sind und oft in unserem Herzen an den Rand gedrängt werden.´ … Er selbst habe nun als Papst eine besonderer Pflicht für `die Ärmsten, die Schwächsten, die Geringsten, diejenigen die Matthäus im Letzten Gericht über die Liebe beschreibt: die Hungernden, die Durstigen, die Fremden, die Nackten, die Kranken, die Gefangenen.´" 1)

 

Matthäus 13, 24-43: Von Weizen und Unkraut – Lasst beides wachsen!

Exegetische Hinweise

Der Evangelist Matthäus hat als Quelle das Markus-Evangelium genutzt und dessen geographischen und zeitlichen Ablauf im Wesentlichen übernommen: Jesu Wirken in Galiläa, sein Weg nach Jerusalem, die Ereignisse in Jerusalem: Prozess, Kreuzigung und Auferstehungserfahrung. In diesen Abriss fügt er Kindheitsgeschichten und Erscheinungsgeschichten ein. Der Wortverkündigung Jesu gibt er breiten Raum, insbesondere in großen Redekompositionen. Zentrales theologisches Thema ist das „Himmelreich“. Die Neue Jerusalemer Bibel bezeichnet das Matthäus-Evangelium als „Drama vom Kommen des Himmelreiches in mehreren Akten.“ 2) Unsere Perikope ist Teil der sog. Gleichnisrede (Kp 13): „Mit dem Himmelreich ist es wie …“ (Mt 13, 24. 31. 33). In Gleichnissen verkündet Jesus, „was seit der Schöpfung verborgen war“ (Vers 35). Den Jüngern, seinen Zeugen, schließt er die Gleichnisbilder auf (Mt 13, 36ff).

Theologische Impulse

Mit drei Gleichnissen beschreibt Jesus Aspekte des Himmelreiches / Gottesreiches. In ihm „werden die Gerechten … wie die Sonne leuchten“ (Vers 43). Das ist der Zielpunkt der Gleichnisse: Den Gerechten, den Gottgläubigen, den Jüngern Jesu Christi gehört das Himmelreich (vgl. die Bergpredigt Mt 5, 1ff).

Zu den Gleichnissen 2 und 3: Das Himmelreich ist nicht jenseits. Es ist hier und jetzt da, mitten unter uns, auch wenn es noch nicht oder nur in Spuren erkennbar ist. Es ist schon da und wird wachsen, so wie ein Senfkorn, das kleinste unter den Samenkörnern, zu einem großen, gewaltigen Baum wird. Und wie ein Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert, wird es die ganze Welt durchdringen und prägen. Es wird in mir sein und mich selbst zum Ort des „Himmels auf Erden“ machen. Und ich kann selbst beitragen, dass die Welt mit dem Himmel durchsäuert wird. 

Gleichnis 1 „behandelt“ das Unkraut unter dem Weizen. Ein „Feind“ hat es gesät. Der Gutsherr lässt es mit dem guten Samen wachsen. Ernten werden die Arbeiter, d.s. die Engel, also Gott selbst, nicht die Knechte. Sie scheiden beim Weltende das Unkraut vom Weizen und werfen es ins Feuer. „Lasst beides wachsen“ (Vers 30). Ähnliches sagt Jesus in der Bergpredigt und stellt dieses Wort in den Kontext der Feindesliebe: „Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner? Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr damit Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden? Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist“ (Mt 5, 45-48). Und das meint ein Vollkommensein in der Liebe.

„Lasst beides wachsen“ kann dann heißen: Sorgt euch um das „Unkraut“, steckt es an mit Eurer Liebe, dann geschieht das Wunder, dass der gute Apfel den faulen ansteckt und zum guten Apfel werden lässt. Liebt eure Feinde, und das Wunder geschieht, dass aus Unkraut Weizen wird. Hinter dem Wachsenlassen des Guten und Bösen steht die Feindesliebe, es geht hier um die Entfeindung des Feindes, eine Voraussetzung jeglichen Friedens auf der Welt. Diese Feindesliebe verändert vor allem mich selbst! Martin Luther King hat in seiner Predigt und in seinem Bürgerrechtskampf, in einer seltenen Einheit von Wort und Tat, gezeigt, was Feindesliebe bedeutet. 3)

„Lasst beides wachsen“ heißt, Zeithaben zur eigenen Umkehr und Versöhnung mit mir selbst. Denn das Bild vom Weizen und vom Unkraut meint eine Wirklichkeit in mir: Weizen und Unkraut bin ich selbst. Wie will ich da ausreißen? Die Liebe, die sein lässt, leben lässt, die Achtung vor jeglichem Leben hat, selbst des Feindes, überwindet das Böse, das Unkraut in mir, meinen Kleinmut, meine inneren Grenzen, meine Ängste, zu kurz zu kommen, meinen Hass, auch meinen Selbsthass! Der Frieden beginnt in mir selbst. Mit der Liebe, dem Wachsenlassen, dem Lebenlassen des anderen, selbst wenn er mein Feind ist, kann dies gelingen.

Nachhaltigkeitsaspekte

Wir schließen Menschen wie Unkraut aus unserer Gemeinschaft aus. Menschen, die anders als wir sind, begegnen wir mit Misstrauen, Fremden mit Ängsten. Wo wir uns bedroht fühlen, reagieren wir mit Hass und Gewalt. So gegen die Migranten, die in überfüllten Booten über das Mittelmeer zu uns kommen wollen, um leben zu können. Brutal werden ihnen die Menschenrechte verweigert. Auch in unserer Gesellschaft gibt es Rassismus, Antisemitismus, Vorurteile gegen die, die anders sind, die anders aussehen, anders reden, anders glauben. Wir schaffen Identität durch Ausgrenzung. Auch in der Kirche: Wiederverheiratete Geschiedene sind immer noch von den Sakramenten ausgeschlossen. Die „Reinen“ schließen die „Unreinen“ aus. Die Wahrheitsbesitzer gehen mit Härte gegen die „Ungläubigen“, die „Wahrheitsverweigerer“ vor. Fundamentalismus und Gewalt sind oft zwei Seiten einer Medaille. Und Gewalt schadet nicht nur den Opfern, sondern auch den Tätern. Sie zerstört die Seelen in den Menschen.

Es steht uns nicht zu, Menschen zu bewerten und Menschen aus unserer Gemeinschaft auszuschließen (das Unkraut auszureißen). Es ist gut, das Richteramt Gott zu überlassen (aber s.u.) Der Predigttext lädt ein, darüber nachzudenken: Wer ist drinnen, wer ist draußen? In der Kirche, in unserer Gesellschaft. Wer wird ausgeschlossen und warum? Und: Wer schließt sich selbst aus? Von Teilhabe, von Partizipation, von (politischer) Mitgestaltung. Wer gibt uns das Recht, andere Menschen „nach unserer Fasson“ selig zu machen? Menschlichkeit braucht die Achtung von dem Anderssein des Anderen. Die Vielfalt der Schöpfung, v.a. die Vielfalt der Menschen, ist ein Geschenk Gottes, des Schöpfers. Leben ist Vielfalt, nicht niedertrampelnde Uniform(ität).

Jesus ist mit den „Andersartigen“, den Verachteten, den Sündern anders umgegangen: „Auch ich verurteile dich nicht“ (Joh 8,11), spricht er zur Ehebrecherin. Über die Prostituierte, die ihm die Füße salbt, sagt er sogar, dass sie viel geliebt hat. „Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie (mir) so viel Liebe gezeigt hat“ (Lk 7, 26-50). Gott ist Vater / Mutter aller Menschen. Oder wie Papst Franziskus in Rio de Janeiro zu den Armen in den Favelas und den Gefangenen gesagt hat: „Wir sind alle Brüder!“

 

Quellen:

1)  http://www.katholisch.de/de/katholisch/themen/kirche_2/130319_papst_amtseinfuehrung_reportage.php

2) Neue Jerusalemer Bibel – Einheitsübersetzung mit dem Kommentar der Jerusalemer Bibel. Neu bearbeitete und erläuterte Ausgabe. Deutsch herausgegeben von Alfons Deissler und Antion Vögtle in Verbindung mit Johannes M. Nützel, 13. Auflage Freiburg 1985

3) http://www.glaube.de/artikel/thema///martin_luther_king_jr_feindesliebe.html

Jörg Sieger: Die Bibel – Die Bücher des Alten und Neuen Bundes mit Einführung in die Geschichte, Gedankenwelt, Entstehung und theologische Intention der biblischen Bücher mit „Linzer Bibelfernkurs“, CD-ROM © by Jörg Sieger 2007, Version 5.06 – Januar 2008, Internet: www.joerg-sieger.de

Thomas Bettinger, Speyer