Judika / 5. Fastensonntag (7.04.19)

Judika / 5. Fastensonntag

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Joh 18, 28 - 19, 5 Jes 43, 16-21 Phil 3, 8-14 Joh 8, 1-11

Jes 43, 16-21. Phil 3, 8-14

Thema: Neuanfang, Überwindung alter Strukturen, durch Gott entsteht Neues (Schon sprießt es, merkt ihr es nicht?)

Die beiden Lesungstexte sprechen davon, das Alte hinter uns zu lassen und nach vorne zu streben. Die Vollendung ist noch nicht erreicht, aber ich strebe danach, es zu ergreifen, weil auch ich von Christus Jesus ergriffen bin. Es geht nicht um die Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz hervorgeht, sondern um die Gerechtigkeit, die aus dem Glauben hervorgeht. Das alte Gesetz muss überwunden werden. Jede Veränderung ist Prozess, wichtig ist der Wille zur Veränderung.

Für uns heute könnte das „alte Gesetz“ ein ausbeuterischer Umgang mit der Schöpfung sein, die Gewinnmaximierung um jeden Preis, der Weg der Optimierung in jedem Lebensbereich, der unter Druck setzt und zerstört. Das „neue Gesetz“ schafft einen Weg durch das Ödland und bringt Frucht. Das Vergangene darf zurückgelassen werden, neuer Aufbruch ist nötig und Veränderung möglich.

Johannes 8, 1-11: Die Perikope der Ehebrecherin

Die Perikope der Ehebrecherin mahnt uns zur Barmherzigkeit mit anderen und mit uns selbst – niemand ist „ohne Sünde“, jede echte oder gefühlte Verurteilung einer Entscheidung steht im Kontext einer Geschichte im Sand, die nicht immer leicht lesbar ist. Seid achtsam aufeinander, auf die Welt um euch, aber mit einem gnädigen Blick auf die Fehlbarkeit des Gegenübers und uns selbst und werft nicht den ersten Stein – mit den Worten des Augustinus zu der Bibelstelle der Ehebrecherin: „Nur zwei bleiben zurück, die Erbarmenswerte und die Barmherzigkeit.“ (relictisuntduo: misera et misericordia. In: Augustinus, Kommentar zum Johannesevangelium, In Io. Ev. tract. 33,5).

Was malt Jesus in den Sand?

Die Frage, was Jesus da in den Sand malt, die lässt uns nicht los. Das Bild ist ungewöhnlich, fast wie ein Kind, das sich ganz seinen eigenen Gedanken hingibt und seine Umwelt ignoriert, lässt Jesus die aufgebrachte Menge um sich herum stehen. In der Antike war Papyrus kostbar, deswegen schrieb man in den Sand. Dazu gibt es die Geschichte des Mathematikers Archimedes, der geometrische Figuren in den Sand malte, als er von den anrückenden römischen Soldaten ermordet wurde (ungefähr 212 v.Chr.) Zur Entstehungszeit der Evangelien war es möglicherweise ein sprichwörtliches Beispiel für einen weisen Mann, der die Krisen des alltäglichen Lebens ignoriert und sich auf seine intellektuelle und spirituelle Arbeit konzentriert. In einigen griechischen und aramäischen Textvarianten sind es die Sünden der Umstehenden, die Jesus in den Sand schreibt, sodass alle sie lesen mögen. Beschämt wenden sich dann alle ab, als sie ihre eigenen Sünden dort aufgeschrieben stehen.Oder das Bild wird als Anklang an Jeremia 17:13 verstanden: „Alle die dich verlassen, werden zuschanden, die sich von dir abwenden,/ werden in den Staub geschrieben.“ Seit dem 9. Jahrhundert ist es ein rätselhafter Satz, den Jesus dort in den Sand schreibt: Terra terramaccusat- Irdisches klagt Irdisches an. Er erinnert uns an Adam, den aus dem Staub Geschaffenen. Eine Mahnung, dass hier Menschen über einen Menschen urteilen, Sterbliche über eine Sterbliche, Sünder über eine Sünderin.

Die Frage nach Vergebung

Die Perikope von der Ehebrecherin ist eine Einfügung, die den zusammenhängenden Bericht des Johannesevangeliums unterbricht; sie gilt allgemein als Gut der synoptischen Überlieferung und dürfte vom Redakteur des Johannesevangeliums aus dem „Urmatthäus“ übernommen worden sein.Exegetiker sind sich einig, dass die Passage nicht ursprünglich Teil des Johannesevangeliums war, aber doch schon sehr lange an dieser Stelle eingeschoben wurde, etwa seit dem 4. Jahrhundert gehört die Passage fest zum Kanon der neutestamentlichen Bibel. Die Perikope passt an diese Stelle – kurz davor mahnt Jesus in Johannes 7:24: Urteilt nicht nach dem Augenschein, sondern urteilt gerecht, kurz danach in Johannes 8:15: Ihr urteilt, wie Menschen urteilen, ich urteile über keinen. Im 2. und 3. Jahrhundert nach Christus war die Debatte um Vergebung sehr wichtig, im 5. Jahrhundert war die Zeit der großen Bußstreite: Wenn uns Jesus durch Tod und Auferstehung von den Sünden erlöst hat, wie kommt es dann dennoch zu schweren Sünden wie Abfall vom Glauben, Ehebruch und Mord? Eigentlich sollte es für diesen Rückfall auf den „alten Adam“ keine Vergebung geben dürfen, aber dieses hohe Ideal ließ sich nicht durchhalten, in der Realität der Gemeinden erlebte man, dass die Sünden trotzdem geschahen. Während Theologen wie Tertullian und Novatian eine rigoristische Auffassung vertraten die vorsah, dass jeder, der nach der Taufe eine schwere Sünde begangen hatte, von der Kirche ausgeschlossen sei und es keinen Weg zurück in die Gemeinde gäbe, hielt sich großkirchlich die Praxis, dass es ein Bußverfahren gäbe, sozusagen als zweite Chance. In diesem Kontext steht nun die Perikope der Ehebrecherin: Jesu Verhalten legitimiert sozusagen die Position der Barmherzigkeit gegen die Rigoristen in der jungen Kirche.

Konsequenz oder Barmherzigkeit?

Über die Jahrhunderte wurde diese Perikope immer wieder eingesetzt als heilsame Mahnung gegen Selbstgerechtigkeit und Verurteilung. Im Umgang mit unseren Mitmenschen, mit der Schöpfung und mit uns selbst stehe die Barmherzigkeit im Vordergrund. Gegen eine Kultur des Steine-Schmeißens, oft auch virtuell in der gegenwärtigen Welt, stellt Jesus in dieser Erzählung das Innehalten.Ein Einwand, den schon unsere Glaubensgeschwister der jungen Kirche hatten, soll auch heute nicht verschwiegen werden: Wenn wir nicht zu unseren Prinzipien stehen, werden sie dann nicht verwässert? Wie können wir dann sicherstellen, dass sich die Welt zum Besseren ändert, wenn wir nicht mit allen Konsequenzen dafür einstehen? Sicher ist: Es braucht Gesetze, Normen und Handlungsanweisungen, damit Gesellschaften funktionieren, damit Schützenswertes geschützt und Erhaltenswertes erhalten wird. Das gilt für Normen und Gesetze, die das soziale Gefüge einer Gemeinschaft betreffen, wie zum Beispiel das Verbot des Ehebruchs, aber auch für die Regelung des globalen Zusammenlebens: Seit 2016 gibt es 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (englisch Sustainable Development Goals, SDGs) - politische Zielsetzungen der Vereinten Nationen (UN), die der Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung auf ökonomischer, sozialer sowie ökologischer Ebene dienen sollen. Daneben stehen zahlreiche Selbstverpflichtungen von Staaten, Konzernen und Organisationen, die sich für einen nachhaltigen Umgang mit unserer Schöpfung aussprechen oder nationale und internationale Klimakonferenzen. Auch die vielbeachtete Enzyklika „Laudato Si“ von Papst Franziskus (2015) ermahnt uns zur Sorge um das gemeinsame Haus. Die gesetzlichen Vorgaben zu einem nachhaltigen Umgang mit unserer Schöpfung sind eine große Errungenschaft und sie sollen unser Handeln bestimmen, zum Wohle aller. Sie ersetzen aber nicht einen barmherzigen Umgang mit allen, die an großen Erwartungen scheitern oder noch ihren Weg suchen. Die Unvollkommenheit der eigenen Lebensweise muss uns leiten, wenn wir in einer globalen Welt die Schuld für Ausbeutung schnell den Großkonzernen zu schieben oder die mangelnde Umsetzung von Nachhaltigkeitsabkommen in Schwellenländern kritisieren. Sie sollte uns auch leiten in der Bewertung des Lebensentwurfes meines Gegenübers: Tue ich wirklich alles für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Schöpfung? Kann ich mich selbstgerecht zurücklehnen, weil ich das Fleisch und die Eier vom Bio-Bauern kaufen kann, aber meiner Nachbarin das Geld dafür fehlt?

Joh 18, 28 - 19, 5

Jesus vor Pilatus: Zentraler Begriff: Ecce homo – siehe, der Mensch.

Ein Satz, der viele Künstler beeinflusst hat, sowohl in der darstellenden Kunst und in der Musik als auch in der Literatur. Zentrales Thema der abendländischen Frömmigkeit. Der philosophische Disput mit Pilatus über Wahrheit sticht aus der Leidensgeschichte hervor, er bricht sie auf. Michail Bulgakov hat der Begegnung zwischen Pilatus und Jesus einen großen Raum in seinem Roman „Der Meister und Margarita“ (Moskau 1940) eingeräumt: Als er ihn nach seiner Botschaft befragt, sagt die Romanfigur Jeschua, dass ein Reich der Wahrheit kommen werde, in dem keine Gewalt mehr notwendig sei. (Michail Bulgakov: Der Meister und Margarita). Auch hier geht es um die Überwindung der alten Gesetze und Machtstrukturen und um das Kommen einer Gerechtigkeit, die jeden Mensch ernstnimmt.

Gedicht von Hilde Domin:

Ecce homo
Weniger als die Hoffnung auf ihn
das ist der Mensch
einarmig
immer

Nur der gekreuzigte
beide Arme
weit offen
der Hier-Bin-Ich

Eva Baillie, Mainz