7. Sonntag nach Trinitatis / 17. Sonntag im Jahreskreis
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Hebr 13,1-3 | 1 Kön 3, 5.7-12 | Röm 8, 28-30 | Mt 13, 44-52 |
Schwerpunktthema der nachhaltigen Predigten in diesem Jahr ist „Vulnerabilität“. Dieser aus der Medizin entnommene Begriff bezieht sich zunächst auf Lebewesen, Tier und Mensch, die verletzlich sind. In weiterem Sinne ist im Hinblick auf das Thema Nachhaltigkeit natürlich auch die gesamte Natur, die Erde vulnerabel. Vulnerabel kann sich jedoch auch auf jede Art von System beziehen, das verletzbar im Sinne von „störanfällig“ ist.
Wer von Verletzlichkeit redet, sagt, dass Verletzungen möglich sind. Damit wird zu Unrecht suggeriert, dass es noch gar nicht zum Schlimmsten gekommen sei, dass noch keine Wunden zugefügt sind. Dies ist jedoch im Hinblick auf Nachhaltigkeitsthemen ein Trugschluss. Leben ist nicht nur verletzlich, es wird immer und immer wieder verletzt. Demensprechend soll in dieser Predigtmeditation nicht nur von Verletzlichkeit, sondern ebenso, zweitens, von Verletzungen und von den Verletzten die Rede sein. Daraus folgt drittens der Blick auf den, der verletzt. Biblisch gesehen bewegen wir uns damit auch in der Sündenlehre, denn Sünde ist in erster Linie Verletzung des Willens Gottes.
Hebr 13, 1-3
„Letzte Ermahnungen“ ist der Abschnitt in der Luther-Bibel überschrieben. Es handelt sich in der Tat um einen paränetischen Text, der die Adressaten zu einem gottgefälligen Leben auffordert. Allein die paränetische Struktur verbindet den Text mit den Nachhaltigkeitszielen: In der Nachhaltigkeitsdiskussion wird nicht der Indikativ, das bestehende Heil, betont, sondern der Imperativ: die dringende Aufforderung, sich für das Erreichen der Ziele einzusetzen. Die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele haben insofern einen Überschuss, als sie die Grundlage jeglicher staatlicher und überstaatlicher Planung ausmachen.
Die Abgrenzung zu den folgenden Versen ist willkürlich. Evtl. ist es die Thematik des Verses 4, in dem es um Ehebruch und Unzüchtigkeit geht und der gerade von fundamentalistischen evangelischen Gruppen gerne zitiert wird, der dazu geführt hat, die Perikope auf die ersten drei Verse des Kapitels zu beschränken. Dabei wäre zumindest Vers 5 wieder eine Steilvorlage, um für Nachhaltigkeit und gegen Neoliberalismus zu votieren: „Seid nicht geldgierig!“
„Bewahrt die geschwisterliche Liebe (philadelphia)“ ermahnt Vers 1 und erinnert daran, dass im Sinne von SDG 17 (Partnerships for the goals) der Einsatz für Nachhaltigkeit kein einsames Heldentum ist, sondern vom Miteinander verschiedener Akteure lebt. Dieses Miteinander beruht nicht nur im Christentum auf einem respektvollen und konstruktiven Miteinander. Wie sollte man auch nach außen für Frieden, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung eintreten, wenn solche Werte im Umgang mit seines- und ihresgleichen keinen Platz hätte? Auch innerhalb der eigenen Gemeinschaft gibt es Verletzlichkeiten und Sensibilitäten, die es zu achten gilt. Der philadelphia als Bedingung der Möglichkeit eines gelingenden Miteinanders in der christlichen Gemeinde (und in der Schar der auf Nachhaltigkeit bedachten Organisationen) korreliert nach außen die philoxenia, die tätige Liebe gegenüber den Fremden (Vers 2). In der christlichen Gemeinde hat Xenophobie daher keinen Platz. Gleichwohl muss der Autor daran erinnern, dass die philoxenia nicht vergessen werde. Anscheinend gab es auch in den angesprochenen Gemeinden die Tendenz, die Werte von Gleichberechtigung (SDG 10), gegenseitiger Unterstützung (SDG 17) und Gerechtigkeit (SDG16) nur nach innen zu vertreten. Gegenüber einem solchen „church first“ ist daran festzuhalten: die Liebe Gottes, sein Eintreten für die Welt und in dessen Nachfolge das Eintreten der christlichen Gemeinschaft für die Welt gilt ohne Einschränkung allen Menschen. Philoxenia, für die Gastfreundlichkeit nur eine sehr schwache und harmlose Übersetzung ist, bedeutet der liebende Einsatz für die Fremden, die Migrant*innen, für ihre Rechte, nicht zuletzt weil Migration in den meisten Fällen mit tiefen Verletzungen einhergeht. Im Gegensatz zu Mt 25,31ff. (Vom Weltgericht), wo im Fremden Jesus Christus begegnet, spielt Hebr. 13,2 mit dem Gedanken, dass sich hinter dem Fremden ein Engel verbergen könnte.
In Vers 3 wird schließlich die Solidarität mit zwei besonderen Gruppen gefordert: mit den Gefangenen und den Misshandelten. Hier geht es nicht mehr um Vulnerabilität, sondern um wirklich Verletzte: Traumatisierte. Gefangenschaft beruhte zur Zeit des Neuen Testaments selten mit Delinquenz im strafrechtlichen Sinne. Gefangenschaft war in vielen Fällen willkürlich und beruhte auf Macht- und Ohnmachtsverhältnissen. Auch für die junge Christenheit war Gefangenschaft im Rahmen des Möglichen, so dass Leiden ohne Falschverhalten durchaus diskutierbar war. Umso wichtiger ist der Einsatz für Gerechtigkeit und starke Institutionen (SDG 16). Gegenüber einem falschen Verständnis, das von einer Dichotomie von Seele und Leib ausgeht, beharrt der Hebräerbrief darauf, dass der Körper seinen eigenen Wert hat und zum menschlichen Leben, auch zum menschlichen Leben eines Christenmenschen dazugehört. Solidarität mit den Misshandelten, den physisch und psychisch Verletzten, führt zum Einsatz für Heilung und Gesundung (SDG 3). Wer aus der Verantwortung für die Misshandelten flieht, wird selbst zum Täter / zur Täterin und verletzt die Würde und das Leben anderer. Passivität ist letztlich Sünde.
1. Kön 3, 5.7-12
Die Perikope von Salomos Bitte um Weisheit ist hinlänglich bekannt. Interessant ist auch hier wieder, dass der Text so beschnitten wird, dass solche Textpassagen, die einen Widerruf provozieren könnten, die kritische Lesarten auf den Plan rufen könnten oder die Ambivalenzen betonen könnten, lieber weggelassen werde und möglichst nicht die Gemeinde irritieren sollen. In diesem Fall sind es die Verse 13 und 14: Mit der Weisheit verspricht Gott Salomo gleichzeitig Reichtum. Wenn sich Salomo an Gottes Gebote und Satzungen halte, winke ihm zugleich ein langes Leben. Tun-Ergehens-Zusammenhang und neuzeitlicher Wohlstandsevangelismus lassen grüßen.
Dennoch ist der Text in der Auswahl des 17. Sonntags im Jahreskreis ein Text, der für politische Amtsinhaber Vorbildcharakter haben könnte. Auf die Frage Gottes, was der neuernannte König Salomo sich von ihm wünsche (Vers 5), reagiert dieser mit der allergrößten Bescheidenheit: Er sei nur ein Knecht, der zum König gemacht wurde, und wegen seiner Jugend wisse er weder ein noch aus. Diese Demut wünscht man sich so manchem Machthaber, sei er durch Revolution, Putsch oder Wahlen an die Macht gekommen. Gerade gegenüber dem besserwisserischen Populismus muss betont werden: Nicht narzisstische Klugscheißerei, sondern bescheidenes Nichtwissen und Nachfragen sind Tugenden, die in einer immer unübersichtbarer werdenden Welt nötig sind, um das Schlimmste noch abwenden zu können. Vorbildlich ist Salomo aber auch deshalb, weil er klar unterscheiden kann zwischen eigener Machtfülle und dem Ziel allen Regierens: Nicht er ist von Gott erwählt, sondern das Volk Israel ist es (Vers 8). Seine Macht soll dem Wohl des Volkes dienen, nicht andersherum. Dieser Punkt ist in den SDGs nur in Andeutungen enthalten, am ehesten noch in den „strong institutions“ (SDG 16). Aus heutiger Sicht müsste jenseits der Verantwortung für das Volk (für Menschen einer Nation) die Menschheit als Ganze, ja sogar die ganze Welt in summo als Nutznießer eines gerechten Regierungsstils eingesetzt werden. Partikuläre Einheiten können nicht mehr für sich allein betrachtet werden, sondern müssen in einer ganzheitlichen Perspektive aufgehen.
Vers 9 betont dann wieder den juristischen Aspekt: Es geht um das gerechte Richten. Dafür wünscht sich Salomo ein „gehorsames Herz“. Gehorsam ist natürlich eine ambivalente Tugend, auf die sich auch schon die übelsten Missetäter nach dem Tausendjährigen Reich berufen haben. Gehorsam impliziert den autoritären Charakter, der nur nach den Machtverhältnissen fragt, nicht aber nach Sachgründen. Nicht umsonst hat Dorothee Sölle die Phantasie und die Kreativität dem Gehorsam gegenübergestellt (Dorothee Sölle: Phantasie und Gehorsam, 1968). Unklar bleibt ohnehin in Vers 9, wem das Herz gehorsam sein soll.
Gott gefällt die Antwort Salomos. Der Wunsch nach einem gehorsamen Herzen mag ambivalent klingen, aber das Motiv wird von Gott anerkannt: Salomo bittet nicht um Reichtum, langes Leben oder der Feinde Tod (Vers 11), sondern um die Möglichkeit gerechten Richtens. Im Blick auf das Thema Nachhaltigkeit ist hier festzuhalten: Gerechtigkeit (SDG 16) ist der Kern gottgerechten Handelns, sie steht auch im Mittelpunkt aller Bemühungen um Nachhaltigkeit, während der menschliche, allzu menschliche Wunsch nach Reichtum, nach langem Leben und Macht über das Leben der anderen nur Armut, Hunger, Tod und Zerstörung hervorgebracht haben (vgl. SDG 1+2): Verletzte allerorten.
Salomo bat um ein gehorsames Herz (Vers 9), aber er hat es nicht bekommen! Gott schenkt ihm vielmehr ein „weises und verständiges Herz“ (Vers 12). Herz und Verstand, Gefühl und Rationalität, beides ist nötig, um gerecht zu richten.
Röm 8, 28-30
Paulus vertritt eine weltlose Theologie, die sehr stark die jenseitige Erlösung in den Vordergrund stellt. Auch in dem ausgewählten Text geht es schwerpunktmäßig um Kategorien der Erlösung: „berufen“ (Vers 28 und Vers 30), „ausersehen“ (Vers 29), „vorherbestimmt“ (Vers 29 und Vers 30), „gerecht gemacht“ (Vers 30), „verherrlicht“ (Vers 30). Diesem Indikativ des Heiles, der in der Verherrlichung der Glaubenden gipfelt, die zudem schon als gegenwärtiger Zustand (es ist ja schon geschehen!) vorgestellt wird, steht die unerlöste Welt, d.h. die Not der heutigen Welt mit unzähligen Kriegen, mit Hunger und Armut, mit Ungerechtigkeit und selbstverschuldetem Klimawandel gegenüber. Kritisch kann gefragt werden: Wenn Vers 28 wahr ist, „dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen“, dann kann es nicht wirklich viele Menschen geben, die Gott lieben. Denn ist nicht auch das unsere Realität: Kirchliches Engagement ist oft nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Christinnen und Christen erleben sich – wie andere Menschen – als ohnmächtig angesichts der Herausforderungen der Zeit. Eine Frage, auf die Paulus keine Antwort gibt.
Mt 13, 44-52
Das Ende ist nahe! Dann werden die Gerechten von den Bösen unterschieden und die Bösen werden die Verletzten sein. So ist sie die Apokalypse: Fortsetzung der Ungleichheit unter Umkehrung der Verhältnisse. Aus Verletzten werden Verletzer. Werden dadurch Gerechte auch zu Sündern?
Wie gut, dass das Ende noch nicht da ist, kann man da nur sagen. Aber: Apokalyptische Zustände gehören dennoch zum Alltag vieler Menschen heute: Folter und Verfolgung für die einen, Naturkatastrophen für andere. Die Hölle auf Erden – sie ist für viele Menschen Realität.
Das Gleichnis vom Fischnetz (Verse47-51) verwirrt, denn das Himmelreich wird mit dem Fischfang verglichen, bei dem der Beifang einfach weggeschmissen wird. Irritierend ist für heutiges Empfinden schon das Bild: Gerade der Beifang, der von den Schleppnetzen eingefangen und in der Tat oft weggeworfen wird, ist ein Grund für die radikale Dezimierung mancher Fischarten und anderer Meerestiere. Demgegenüber steht das Nachhaltigkeitsziel, das Leben unter der Wasseroberfläche zu schützen und zu fördern (SDG 14).
Irritierend ist jedoch auch die Vorstellung vom Himmelreich als einem Ort und einer Zeit, in der Übeltäter in den Feuerofen geschmissen werden. Das ist eher schwarze Pädagogik als Verheißung eines liebenden Gottes. „Habt ihr das alles verstanden?“ (Vers 51) Nein, ich zumindest nicht.
Die beiden ersten Gleichnisse der Perikope, das vom Schatz im Acker und das von der kostbaren Perle, liegen mir näher. Das Himmelreich erlangt nur der, der mit aller Energie, mit vollem Einsatz und unter Einsatz aller Kräfte daran arbeitet. Auch dem Klimawandel können wir nur trotzen (SDG 13), wenn wir endlich ernst machen und konsequent die Verletzung der Um- und Mitwelt beenden. Billigflüge und Billigfleisch sind einfach zu billige Alternativen, das Himmelreich ist – wenn Gnade –, dann teure Gnade. Was im Schma Israel gesagt: „Du sollst Gott von ganzem Herzen lieben, von ganzer Seele und mit aller deiner Kraft“ (Dtn 6,5), das gilt in Perspektive auf Gottes Schöpfung in gleicher Weise: Du sollst Gottes Schöpfung bewahren von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller deiner Kraft.
Ralf Lange-Sonntag, Bielefeld