Jubilate / 4. Sonntag der Osterzeit
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Joh 15,1-8 | Apg 2, 14a.36-41 | 1 Petr 2, 20b-25 | Joh 10, 1-10 |
„Iubilate Deo, omnis terra.“
Dieser Sonntag steht im Zeichen der Schöpfung – alt und neu. Schon die „alte Schöpfung“ ist gut, weil Gott sie so geschaffen hat. Weil der Mensch aber seiner Rolle als Sachwalter Gottes in der Schöpfung nicht gerecht wird, sich von Gott abwendet und damit in Sünde lebt, kann sich die gute Schöpfung nicht entfalten, ist vielmehr korrumpiert, so dass uns die Welt als Ort der Gottesferne vor Augen tritt. Darum braucht es die „neue Schöpfung“. Sie ändert nicht das, was Gott ja bereits gut geschaffen hatte, sondern sie beseitigt das, was der Mensch an Zerstörung in sie einträgt.
Die „alte“ und die „neue“ Schöpfung haben nur eine einzige Quelle: Gottes Wort. Einst rief es die Welt gut ins Leben, aber der Mensch hörte auf, auf das Wort zu hören. Darum ruft es nun neu, in sichtbarer Gestalt, geht dem abgewandten Menschen nach, erinnert ihn an das immer schon Gesagte. In Christus tritt das Schöpferwort in die Schöpfung ein, um den Zustand wiederherzustellen, den die Abwendung und resultierende Gottesferne gestört hat. Es ist kein neues Wort, aber neu, anders gesprochen. Während der Fokus der Erzählung von der „alten Schöpfung“ auf der sichtbaren Welt lag, liegt nun der Fokus der Erzählung von der „neuen Schöpfung“ auf dem Beziehungsgeschehen zwischen Schöpfer und Schöpfung. Sie beschreibt das Wechselspiel aus göttlicher Zuwendung, menschlicher Abwendung und göttlichem Nachgehen.
In der „alten Schöpfung“ wirkte der Mensch manchmal seltsam fremd – suchend, aber nicht findend, verloren, nicht beheimatet. Schon im Paradies war die Gottesbeziehung gebrochen, verstand der Mensch nicht, was Gott wollte. So ging ihm das Paradies oder vielmehr er dem Paradies verloren und war nun noch fremder in einer Welt, in der er Gott nur noch ahnen konnte, das Suchen noch verzweifelter wurde. Die Gottesbeziehung musste geheilt werden. In der „neuen Schöpfung“ geschieht dies, indem der Mensch einerseits befreit wird (von den fatalen Verstrickungen der Welt), andererseits gebunden (an Gott). Die vermeintliche „Autonomie“ des Menschen wird als die Lüge enttarnt, die aller Gottesferne, aller Sünde zu Grunde liegt. Die Rebe trägt nicht aus sich heraus Frucht, sondern nur dann, wenn sie am Weinstock hängt.
Schöpfer und Geschöpfe können nur um den Preis des Todes voneinander getrennt sein. Das Geschenk des Lebens ist kein einmaliger Akt Gottes, sondern ein fortdauerndes Geschehen. Wo der Mensch in Gott ist, sein Schöpferwort in ihm weiterklingt, ist er im Leben. Wo er sich abwendet, taub wird für das göttliche Wort, ist er im Tod.
Weil der Mensch eine besondere Stellung in der Schöpfung hat, hängt deren Wohl oder Wehe an der Gottesbeziehung des Menschen. Wendet er sich ab, bringt er der Schöpfung Tod und Zerstörung. Lässt er sich an Gott binden, handelt er in Seinem Sinn und bringt Leben und Wachstum. So hängt am Ende alles daran, ob der Mensch sich zurückrufen lässt in die Gottesbeziehung, und so die Schöpfung „neu“ werden kann. Die neue Schöpfung versöhnt das dingliche „Gut-sein“ der Welt mit dem Menschen, indem sie sein geistig-geistliches „Gut-sein“ wiederherstellt.
Joh 15,1-8
Der Schöpfergott ist wie ein Weingärtner, der den Ertrag durch die intensive Pflege seiner Pflanzen steigert. Der Mensch denkt gern, er selbst sei so ein Weinstock Gottes. Aber der Mensch kann allein aus sich selbst heraus gar nicht leben. Er hängt an Gott wie die Rebe am Weinstock. In der Bildsprache des Gleichnisses ist die Rebe das treffendere Symbol für den Menschen: Ihre Kraft fließt aus Gott und sie fließt in die Früchte. Der Mensch steht in der Mitte, ohne ihn trägt der Weinstock nicht, aber ohne die Verbindung zur Lebenskraft trägt auch er nichts. Eine größere Abhängigkeit ist nicht denkbar, aber auch keine größere Gnade, als die Mittler der Lebenskraft Gottes zu sein. Die Bindung an Gott engt keine Spielräume ein, sondern schafft sie erst.
Apg 2, 14a.36-41
Umkehren kann nur jeder für sich. Der Weg zurück zu Gott ist oft ein Weg gegen den Strom der Welt. Aber uns ist zugesagt, dass wir ihn nicht allein gehen müssen. Geleitet vom Heiligen Geist werden es mehr und mehr Menschen sein. Das ist tröstlich: Im Alltag erscheint es oft hart und aussichtslos, das Richtige zu tun. „Was nützt es, wenn Deutschland klimafreundlich wird, wenn wirtschaftliche Riesen wie die USA, China und die vielen, vielen Schwellenländer, in denen die Güter unseres Wohlstands produziert werden, nicht mitziehen?“ Diese Frage wird mir in Gesprächen oft gestellt. Mathematisch stimmt das, aber nicht spirituell. Denn die Prämisse ist falsch. Gehe ich davon aus, dass das Gute, Richtige und Wahre, an dem ich mich orientiere, keine Kraft hat? Dann ist es vergebens. Gehe ich aber davon aus, dass ich es nur erkenne und tue, weil der Geist in mir wirkt, dann muss ich ihm auch zutrauen, auch in anderen zu wirken. Christus ruft jede/jeden Einzelnen zu sich, aber nur, damit sie/er nicht allein bleibt. Christus ist Gemeinschaft – mit Gott und mit anderen. Ein Leib, viele Glieder. Die Sünde isoliert, der Glaube führt zusammen.
1 Petr 2, 20b-25
Auch hier das gleich wie im Vortext: Das Gute, Richtige, Wahre und Wahrhaftige muss um seiner selbst willen getan werden. Wer es erkennt und trotzdem nicht tut, wendet sich von Gott ab. Erkennen können wir es, denn Christus hat es vorgelebt. Indem wir ihm folgen, entdecken wir unsere wahre Bestimmung. Glaube ist insofern christozentrisch, als dass er unser Kompass in einer unübersichtlichen Welt voller Entscheidungsmöglichkeiten ist. Nachfolge ist kein Weg, der uns notwendigerweise in der Welt zu Ansehen verhilft, oft im Gegenteil. Aber es ist der einzige Weg, der ein Ziel hat, wenn alle Wege dieser Welt an ihr Ende gekommen sind. Die Welt endet, das Reich Gottes steht ewig. Welchem gebe ich Priorität?
Joh 10, 1-10
In typisch johanneischem Dualismus wird hier die schon in den vorgehenden Texten beschriebene Wahl zugespitzt: Christus steht für das Leben in Fülle, alle anderen Optionen bringen nur Tod und Vernichtung. Die Menschen („Schafe“) könnten das wissen, denn sie kennen seine Stimme. Er spricht das alte Schöpfungswort neu, dem sie überhaupt ihr Sein verdanken. Wer lebt, kennt tief in sich die Stimme des Lebens. Sie spricht uns täglich an, klingt und schwingt in unserem Körper, der ohne sie nur tote Materie wäre. Der Mensch hat es in sich, Gottes Schöpfungswort von den todbringenden Worten der Verführer zu unterscheiden. In Christus ist es in die Welt gekommen, um jede Verwechselbarkeit auszuschließen. Und es stimmt: Tief in uns wissen wir immer längst, was zerstört und was Leben bringt. Wir treffen die falschen Entscheidungen nicht aus Unwissenheit, sondern aus Bequemlichkeit und einer Verkrümmung in uns selbst, die verhindert, dass wir uns aufrichten und das Leben in seiner Fülle genießen können. Der kleine Genuss eines Moments scheint uns wichtiger als der große Gewinn für die Dauer. Indem wir auf die hören, die uns solche zweifelhaften Genüsse schmackhaft machen, verstellen wir uns die Zukunft. Hingegen: Christus zu folgen mag im Moment schwieriger sein, ist aber auf Dauer das, was trägt.
Dr. Patrick Roger Schnabel, Berlin