Kantate / 5. Sonntag der Osterzeit (10.05.20)

Kantate / 5. Sonntag der Osterzeit


ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
2 Chr 5,2-5(6-11)12-14 Apg 6, 1-7 1 Petr 2, 4-9 Joh 14, 1-12

Vorbemerkung

Im evangelischen Kirchenjahr hat der Sonntag „Kantate“ einen Namen, der zugleich auf das Thema hinweist: die Bedeutung des Singens, des Erhebens der Stimme für das jüdisch-christliche Leben. Damit werden der Gesang und aller Klang wertgeschätzt, den mancher vielleicht für religiös beiläufig oder bloßen Schall und Rauch halten könnte. Die katholische Tradition sieht an ihrem 5. Sonntag der Osterzeit eine andere Akzentsetzung vor. Gemeinsam ist aber beiden Ordnungen, dass sie diesen Sonntag noch deutlicher als ohnehin jeden Sonntag unter den unmittelbaren Eindruck des Osterfestes stellen.


2 Chr 5,2-14

In mancher Hinsicht ist der Abschnitt aus 2. Chr. 5 typisch für das Chronistische Geschichtswerk: das Interesse am Tempel, an den Priestern und Leviten, an liturgischen und kultischen Abläufen und Feinsinnigkeiten, dazu die Neufassung alter, schon bekannter „Geschichtsschreibung“ aus den Königsbüchern und anderen Quellen.

Es könnte sein, dass heutige LeserInnen dazu verleitet werden könnten, diesen Text für irrelevant zu halten, in der katholischen, ganz besonders aber in der protestantischen, angeblich leibfeindlicheren Kirche. Und wen interessieren schon die Lade, Cherubim-Figuren, dass unermessliche Abschlachten von Tieren? Wer möchte wissen, wie die hießen, die da sangen und aufspielten? Dass Gott gütig und barmherzig ist (5,13) ist immerhin etwas für die Predigt, so könnte man meinen. Auf jeden Fall scheint dieser Satz das Ziel der geschilderten artifiziellen Gestaltungen zu sein. Den kultischen Wahnsinn könnte man demgegenüber als PredigerIn herunterzudimmen oder wegzufiltern verleitet sein.

Aber genau das sollte man m.E. nicht tun, sondern die Güte und Barmherzigkeit Gottes eben so beschreiben, dass sie durch diese kultischen Abläufe zu Erfahrung und Anschauung kommen, vielleicht sogar damit genau identisch sind. Wie kann man das verstehen?

Man kann diesen Text auch als ein Fest der Sinne lesen, nein, eher riechen, hören und schmecken. Die vielen Menschen, der Lärm der Leute, die geopferten Schafe und Rinder (wirklich keine schöne Vorstellung), der Kasten Gottes (die „Lade“), Stangen, die Architektur des neuen Tempels, dann das Singen und das Blasen der Trompeten in großer Menge und unerhörter Qualität … Das muss einem nicht alles gefallen. Man muss auch nicht musikalisch sein, um religiös sein zu können, aber es geht um die Gestaltung des Glaubens und seinen Ausdruck in den fünf Sinnen. Das ist unsere Welt.

Die Szene dieses Textes schätzt eben diese Welt wert. Sie adelt damit das Materielle, das wir wegen seiner Vergänglichkeit, weil es sich rauschhaft anfühlt, weil es verblasst und verhallt, für weniger wichtig und wertvoll halten. Aber das Gegenteil ist hier der Fall: das Leibliche bekommt einen zentralen Platz, es darf herausposaunt werden, dass die Schöpfung in all ihren Facetten Gott loben kann. Eben weil es das ist, was wir können und was wir sind. Und das zu hegen und zu pflegen, zu entwickeln und kostbar zu achten unsere Aufgabe ist.

Dieser scheinbar trockene Text aus einem scheinbar trockenen Doppelwerk wie der Chronik entpuppt sich daher bei näherer Betrachtung als Sinn(en)schule, die uns ermutigt, unsere Sinne ernst zu nehmen und überhaupt das Sinnliche ernst zu nehmen. Dies ist angesichts der durch Menschen herbeigeführten Krise des Geschaffen, ja den Krieg gegen das Geschaffene ein gutes Bild, das der Text malt: es geht auch anders. Alle Welt ist zum Lob Gottes fähig. Was will man Besseres von ihr sagen?

Apg 6, 1-7

Lukas, der sich anschickte, einem Historiker ähnlich DIE Geschichte in zwei Teilen zu schreiben, hat eine ausgeprägte soziale Ader: er will „das Evangelium den Armen“ (Lk 4,18) verkündigen, denn selig sind die, die jetzt hungern (Lk 6,21). Den Reichen dagegen gilt sein Wehe! (Lk 6,24). Selbst die Apostel sollen keinen Stab, kein Brot, kein Geld und keine zwei Hemden haben (Lk 9,3). Wie man es richtig macht, erfährt man ganz unmittelbar, während man gerade dabei ist, sich durch ein Nadelöhr zu zwängen: „Verkaufe alles, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach!“ (Lk 18,22). Alternativ oder zusätzlich hatten die ersten ChristInnen „alle Dinge gemeinsam, verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte“ (Apg 2,44f.). Liebeskommunismus, Verteilungsgerechtigkeit und Elemente des Wohlfahrtsstaates kamen mit solchen und anderen Texten des Lukas prominent in die literarische Welt und die soziale Wirklichkeit, wenn auch immer umstritten und auslegungsbedürftig, wie das alles nun zu verstehen sei.

Wir befinden uns hier also im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit, die freilich immer auch etwas mit Ressourcenschutz auf der einen Seite, der unersättlichen Gier der Menschen auf der anderen Seite zu tun hat. Sich dem zu nähern und es anhand des gut beobachtenden Textes auszulegen, dürfte sich lohnen: zwar heißt es in Apg 4,35, man habe jedem gegeben, was er nötig hatte, trotzdem aber lesen wir Apg 6,1, dass es hier doch nicht immer mit rechten Dingen zuging. Der Spalt zwischen Juden und Griechen besteht auch sozial, ja, er wird gemacht. Mitnichten also lag man sich in der Urgemeinde nur in den Armen und hat mit tiefem, sozialem Ernst die Dinge im Lichte des Glaubens entwickelt. Darüber wird hier aber weiter gar nicht lamentiert, sondern die Dinge werden strukturell so geordnet, dass es zukünftig besser wird.

Die Jünger, die ihre eigene Aufgabe auf anderem Felde sehen, sorgen für eine Ausdifferenzierung des einen Amtes: sie widmen sich dem Wort Gottes, die Sorge für die Mahlzeiten sollen bitte andere als Aufgabe haben. Aber auch sie sind nicht irgendwer: sie haben einen guten Ruf, sie sind voll des Heiligen Geistes und voller Weisheit. Der Pragmatismus der Aufgabe mindert in keiner Weise die Geistlichkeit ihres Dienstes: ohne Gebet und Auflagen der Hände kann man sie auf die Menschheit nicht loslassen. So ist es bis heute. Weil die Aufgabe der sozialen Nachhaltigkeit auch im globalen Maßstab leider geblieben ist.

1 Petr 2, 4-9

Hat man erst einmal den komplexen Metaphern-Strudel durchschaut, wer also ein verworfener Eckstein ist, wer ein lebendiger Stein, wodurch und weshalb … kann man anhand des Textes einige Bemerkungen zur „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ verlieren. Denn es wird am Ende ja auf eine Entwicklung angespielt: „einst … jetzt aber … “. Es geht um Veränderung, die man erfahren hat, man ist aus der „Finsternis in sein wunderbares Licht“ gerufen worden, man ist „sein besonderes Eigentum“ geworden.

Das ist das Zum-Glauben-kommen, das man erfährt. Wir sind versetzt in ein neues Sein. Manches Mal wird gesagt, dass wir angesichts der gegenwärtigen Herausforderung der Welt, angesichts dessen, was wir anrichteten und immer noch anrichten, eigentlich andere Menschen bräuchten als wir haben. Solche, denen man das einst und jetzt abspürt, an deren Taten man es erkennen kann.

Aber so leicht mag es nicht sein. Immerhin kann man der Gemeinde sagen: auch wenn Ihr es nicht geübt habt, Ihr es nicht herbeigeführt habt, Ihr es euch nicht verdient: Ihr habt davon auszugehen, dass Ihr diejenigen seid, die lebendige Steine sind, die ein lebendiges Haus aufbauen! Seid die Verworfenen, mit denen man früher nichts anfangen wollte. Seid die Konsumfeinde, die Behutsamen, die gegen den Strich bürstenden, die Liebhaber der Schöpfung! Glaubt den Schemata dieser Welt weniger als vielmehr Gottes Meinung über Euch!

Joh 14, 1-12

Im ersten Teil der Abschiedsrede Jesu im Joh steht dieses Ich-bin-Wort im Mittelpunkt: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“. Man könnte diesen Text so verstehen, dass er die Gemeindeglieder als himmlische Wesen bezeichnet; denn Jesus wird gehen, der Gemeinde die Stätte zu bereiten, damit er sie dereinst zu sich nehmen kann.

Unter den Freunden einer ernsthaft nachhaltigen Weltgestaltung mögen solche Worte eher kritisch gehört werden: geht es denn etwa um Weltflucht und ein religiöses Kopf-in-den-Sand-Stecken, statt einer dringend gebotenen Übernahme von Verantwortung?

Natürlich geht es darum nicht, denn es geht auch um das Tun von „Werken“, größer sogar als Jesus sie tut (V.12). Es geht auch um die Weltverändernde Macht des Gebets (V.13f.). Zu solchem Tun der Werke gehört es aber nicht, mit beiden Beinen auf der Erde zu stehen, sondern mit beiden Beinen im Himmel zu stehen. Denn das bedeutet eine Arbeit, die aus solcher Hoffnung lebt. Sie lebt davon, dass Gott und Mensch wohl nicht in eins fallen, wohl aber miteinander verwoben sind – im günstigen Fall „hat“ die Gemeinde Jesus, kennt dann auch den Vater. „Von nun kennt ihr ihn und habt ihn gesehen“ (V.7). Dies ist vollbracht, das solide Stehen auf der Basis des Himmels ist präsent – und doch auch ausstehend. Das macht diese Welt zu einer Möglichkeit, die beherzt und voller Gewissheit als Aufgabe angegangen werden kann. 

OKR Dr. Thomas Schaack, Kiel