Exaudi / 7. Sonntag der Osterzeit
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Jer 31,31-34 | Apg 1, 12-14 | 1 Petr 4, 13-16 | Joh 17, 1-11a |
Jeremia 31, 31 â 34
âAbermalens hatte das halsstarrige und wetterwendische Volk zu Jerusalem des geschworenen Bundes vergessen, abermalens hatten sie den erzenen Götzen von Tyr und Ammon blutige Gabe gebracht. Und nicht genug des Frevels, dass sie jenen rĂ€ucherten auf Höhen und auf steinernen AltĂ€ren â auch in Gottes leibeigenes Haus, das Salomo, sein Knecht, ihm erbaut, stellten sie Bildnis des Baal und schwemmten die Fliesen mit Schlachtwerk, bis die heilige StĂ€tte stank von RĂ€ucher und Blut.â (Stefan Zweig, Rahel rechtet mit Gott)
Die Perspektiven aus der Dichtung der deutschen Exilliteratur â hier zitiert aus einer Legende des Schriftstellers Stefan Zweig â und aus der Predigtperikope der Zweiten Reihe im Jeremia- Buch fĂŒr den Sonntag Exaudi gleichen sich: Menschen sind in ihrem Alltag gefangen, gehen tĂ€glich und stĂ€ndig Kompromisse ein, verhalten sich opportun zur Mehrheitsmeinung. Um von dem Neuen zu reden, den VerĂ€nderungen, deren es bedarf, scheint es notwendig auf das hinzuweisen, was zur Katastrophe fĂŒhrt-, was in der Vergangenheit zur Katastrophe gefĂŒhrt hatte, nĂ€mlich menschliches Fehlverhalten; Vergehen in sozialen- und religiösen Belangen. Dabei werden in der Predigtperikope, die auf dem Hintergrund des babylonischen Exils zu verstehen ist, in feiner, deuteronomistischer Sprache Möglichkeiten des Lebens aufgezeigt, ein Blick in die Zukunft gewagt, auf einen neuen Bund hin, der umfassendes Heil-, umfassende Harmonie verspricht. Die Perikope steht im Spannungsfeld zwischen dem Hergebrachten, das sich ĂŒberlebt hat und unweigerlich keine Zukunft mehr haben konnte und dem Neuen, das grundlegende VerĂ€nderungen mit sich bringt und dessen Gestaltung möglich scheint. Dabei bleibt die KontinuitĂ€t zwischen dem Alten und dem Neuen gewahrt; der Alte Bund wird â anders als die politischen BĂŒndnisse unserer Zeit (etwa das Atomabkommen mit dem Iran) â nicht einfach einseitig aufgekĂŒndigt, sondern grundlegend erneuert. Die Differenz in der angesagten Zeit zeigt, âdass die Verwirklichung des Heils eine Geschichte hatâ (H. J. Hermisson). Stand im Alten Bund Befreiung aus der Gefangenschaft im Vorder-grund, konzentriert sich der in Aussicht stehende Neue Bund auf die Weisung Gottes, wie sie in den Herzen der Menschen zum Leben erwacht. Dabei bedurfte es des tiefen Einschnittes des babylonischen Exils um letztlich zu erfahren, ob eine Assimilation erfolgen wĂŒrde und damit das Ende des Volkes Israel und seiner religiösen IdentitĂ€t, die sich doch so sehr vom Glauben der anderen Völkern unterschied, oder eben eine Neuorientierung. Die Stimmung, die in der Gefangenschaft vorherrschend gewesen sein mochte, wird im Pop- Song der Gruppe Boney M. in den 1970er Jahren beschrieben: âBy the rivers of Babylon, there we sat down, yeeah we wept, when we remembered Zionâ und mĂŒndet in einem Gebet: âLet the words of our mouth and the meditation of our hearts be acceptable in thy sight here tonight.â
WĂ€hrend die Pop- Gruppe in ihrem Song noch die Verhaftung im Bund der VĂ€ter beschreibt (ânow how shall we sing the lordâs song in a strange land?â), jenem Bund, der gebunden war an Raum und Zeit, an die Stadt Jerusalem, herrscht in der spĂ€texilischen-, frĂŒh nachexilischen Zeit Hoffnung und Aufbruchsstimmung: Der Glaube des Volkes hat sich durch die schrecklichen Erfahrungen verĂ€ndert, ist reifer geworden. Anstelle von lethargischer UntĂ€tigkeit herrscht Hoffnung darauf, dass VerĂ€nderungen möglich sind; dass ein â vielleicht banger â Ausblick gewagt werden darf, dass die Katastrophe nicht als unabĂ€nderlicher Schlussstrich hingenommen werden muss. Diese Stimmung mag vergleichbar sein mit der vielleicht wagen Hoffnung auf eine bessere Zukunft, dem TrĂ€umen von einer guten und erfĂŒllten Zeit, wie sie in den FlĂŒchtlingslagern oder Ghettos unserer Zeit auf dieser Erde bestehen mag. Verbesserungen und nachhaltige VerĂ€nderungen sind aber nicht möglich ohne die Bereitschaft zur Erneuerung und des Abwerfens von unnötigem Ballast. Ein Generationenkonflikt mag mitgedacht werden! Von nun an gilt fĂŒr die Enkelgeneration des vormals aus Israel deportierten âVĂ€terâ die neue Devise: âUnd du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraftâ (5. Mose 6,5), eine Aussage, die in ihrer Entstehung und Ausrichtung in direkter NĂ€he steht zum vorliegenden Predigttext. Dabei steht â damals wie heute â in der Analyse die Halbherzigkeit der etablierten Elterngeneration dem ErfĂŒllt- sein des ganzen Herzens der nachfolgenden Generation gegenĂŒber.
Generationenkonflikte dieser Art liegen uns nĂ€mlich auch am Ende des Zweiten Jahrzehnts im Dritten Jahrtausend nicht fern. Denken wir an Greta Thunberg, einer SchĂŒlerin mit Asperger-Syndrom, die bereits als eine der einflussreichsten Persönlichkeiten des Jahres 2019 weltweit genannt wurde und auf deren Wirken die Friday for Future- Demonstrationen zurĂŒckzufĂŒhren sind. Jene Mahnwachen, die zunĂ€chst â Ă€hnlich vielleicht wie im Alten Israel â von den VĂ€tern (sprich Politikern) als âSchule schwĂ€nzen wollenâ abgetan wurden, denen man anfangs mit HĂ€me begegnet war und die dann doch so kraftvoll wurden, dass sie innerhalb atemberaubend kurzer Zeit die politische Landschaft verĂ€ndert haben und dazu beigetragen haben, dass sich die Gesellschaft hierzulande samt ihren Politikern, ihrer Wirtschaft und ihren Konzernen neu orientiert dahingehend, dem Anliegen der Jugend zu entsprechen und zukunftsorientiert zu handeln. Ăhnlich hatte sich ja das Judentum nach der zunĂ€chst aussichtslos erscheinenden Lage der knapp siebzigjĂ€hrigen Gefangenschaft neu orientieren und neu ausrichten mĂŒssen.
Das Neue, was in der Predigtperikope angekĂŒndigt wird, der Neue Bund, spielt in der Rezeption des spĂ€teren rabbinischen Judentums und in der Christenheit eine entscheidende Rolle fĂŒr das religiöse SelbstverstĂ€ndnis; auf die StichwortanknĂŒpfung in der Abendmahlsliturgie sei hingewiesen sowie auf die Betonung der diametralen Verschiedenheit beider BĂŒnde seitens des Apostels Paulus und des Verfassers des HebrĂ€erbriefes. Die prophetische VerheiĂung der geheilten Zeit ist bisher aber an noch keinem erfĂŒllt, weder am Judentum noch an der Christenheit. Im Glauben beider bleibt dennoch alles gebunden an Gottes VerheiĂung âich vergebeâ; âauch die Sehnsucht nach der Erneuerung des Menschen und damit die nach einer besseren Welt- und Lebensordnungâ. (Burk-hard Berg)
Die Predigtperikope spricht in die Situation der wartenden Gemeinde des Sonntags Exaudi, dessen Name abgeleitet ist vom Beginn der lateinischen Antiphon aus dem Wochenpsalm (Psalm 27): Exaudi, Domine, vocem meam, qua clamavi ad teâ: Herr, erhöre meine Stimme, wenn ich zu dir rufe! Dabei befinden wir uns auf dem Weg von der Thronbesteigung Christi (Himmelfahrt) mit dem Tageslied âJesus Christus herrscht als Königâ hin zum Pfingstfest, an dem die Gemeinde ihres Urdatums als Christenheit, nĂ€mlich der AusschĂŒttung des Heiliges Geistes âauf alles Fleischâ gedenkt und dabei das Wochenlied âKomm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist, besuch das Herz der Menschen deinâ des Hrabanus Maurus anstimmt. Noch ist die Erwartung nicht erfĂŒllt-, noch steht die AusschĂŒttung des Heiligen Geistes bevor, so dass der Charakter des Sonntags bestimmt ist von einer vielleicht etwas bangen-, aber gleichzeitig auch einer ganz und gar hoffnungsfrohen Erwartung dessen, was kommt; die Stimmung gleicht ganz und gar der, die wir in der Predigtperikope wieder finden und mag manche Predigerin/ manchen Prediger vielleicht auch an die selbe euphorische Stimmung erinnern, wie sie in dem 2019 von Wincent Weiss in seinem Lied âIch kann es kaum erwartenâ vermittelt wird, das von sprudelnder Hoffnung geprĂ€gt ist. Im Refrain heiĂt es: âIch kann es kaum erwarten, mit dir die Schritte zu gehen, ich kann es kaum erwarten, kann unsre Zukunft schon sehnenâ.
Entwurf zu Johannes 17, 1 â 11a
Nur auf einen ersten Blick lĂ€sst sich in der vorliegenden Perikope, dem Hohepriesterlichen Gebet Jesu, das die Abschiedsreden an die JĂŒnger abschlieĂt, wenig erkennen, was mit Nachhaltigkeit oder nachhaltigen Entwicklungen im Zusammenhang gesehen werden könnte. Im Gegenteil: Darin vorkommende Aussagen wie: âIch bitte fĂŒr sie und bitte nicht fĂŒr die Welt, sondern fĂŒr die, die du mir gegeben hastâ oder ⊠âund die Welt hat sie gehasst: denn sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin.â (Johannes 17,9.14) scheinen die Perikope in eine gefĂ€hrliche NĂ€he zur Gnosis zu rĂŒcken, jener Konkurrenzreligion zum christlichen Glauben, damals wie in ihren heutigen Ausformungen, der es um die Erkenntnis dessen geht, dass diese Welt schlecht sei und die AuserwĂ€hlten als Kinder des Lichts dieses lediglich erkennen mĂŒssen, um erlöst zu sein. Ein Einsatz fĂŒr das Fortbestehen dieser Welt, ihrer Vielfalt, dem Wohlergehen aller Menschen wĂ€re aus Sicht der Gnosis sinnlos und geradezu absurd. PrĂ€gend fĂŒr diese Weltanschauung ist das Streben nach der Erkenntnis, dass diese Welt grundsĂ€tzlich schlecht sei und ein Einsatz fĂŒr sie sich keineswegs lohne. Die Christenheit hat â auch in der Festlegung des Kanons der neutestamentlichen Schriften â schroffe Gegenposition zu diesen Aussagen bezogen; christlich betrachtet ist diese Welt die gute Schöpfung Gottes und es liegt an uns Christen, Generation fĂŒr Generation, den jeweiligen Anfor-derungen auf der Grundlage des Glaubens zu begegnen. Und so war gerade das Evangelium nach Johannes in den Verdacht geraten, der Gnostik nahe zu stehen, allein schon wegen seines Sprachgebrauchs (Kinder des Lichts, Johannes 12,36). Allein aber die Aussage des Prologs âUnd das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, die Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheitâ (Johannes 1, 14) oder die Auferweckung des Lazarus von den Toten (Johannes 11) zeigen deutlich, dass dieses Evangelium trotz einzelnen Aussagen und seiner Formulierungen nicht in die NĂ€he der Gnostik zu stellen ist und von daher stellt sich die Frage nach Nachhaltigkeit im hohepriesterlichen Gebet Jesu erneut.
Jesus tut das, was ein weiser Mensch tut, wenn er fĂŒr immer Abschied nehmen muss: er bestellt sein Haus und hĂ€lt FĂŒrbitte. Er macht seine JĂŒnger, seine Kirche, zukunftsfĂ€hig in einer als lebensfeindlich wahrgenommenen Umgebung. Er gibt sich nicht dem Selbstmitleid hin, sondern denkt â voller Verantwortung â an die, die bleiben werden. Im beruflichen Alltag von Seelsorgern mögen GesprĂ€che mit Sterbenden an das Abschiednehmen Jesu von seinen JĂŒngern erinnern. Der Verfasser erinnert sich an das GesprĂ€ch mit einer 85jĂ€hrigen an deren Sterbebett. Sie stand dem Sterben offen gegenĂŒber und wartete darauf. Ihre letzten Worte waren: âEs geht ja alles weiterâ. Damit meinte sie das Leben ihrer Kinder und Enkelkinder, das sie beim Abschiednehmen im Rahmen einer gemeinsamen Abendmahlsfeier am Sterbebett segnete. Das gab ihr Trost: Sie wĂŒrde gehen dĂŒrfen und konnte â voller Vertrauen und Zuversicht â die Menschen, die ihr nahe standen, Gott und dem Leben selbst anvertrauen. Denken wir auch an manchen Unternehmer in Landwirtschaft oder Handwerk, der mit viel Engagement und Liebe einen Betrieb aufgebaut hatte und am Ende seines Lebens hofft, dass sein Werk weitergefĂŒhrt wird; dass sein Einsatz in all den Jahren und Jahrzehnten nicht vergebens war. Dem Verfasser dieser Betrachtung stellte sich seinerseits wĂ€hrend eines lĂ€ngeren Krankenhausaufenthaltes und nach einer schweren Operation die Frage, was denn ĂŒberhaupt uns Menschen an dieses Leben bindet. Eine Antwort auf diese Frage findet sich im indischen Nationalepos âMahabharataâ, in dem der sterbende Held Bischma anhand einer Metapher eine Antwort auf diese Frage gibt: Es seien unsere WĂŒnsche, die uns an dieses Leben binden. (Ăbrigens sehr schön ins Deutsche ĂŒbertragen im Gedicht des Orientalisten Friedrich RĂŒckert âEs ging ein Mann im Syrerlandâ). Diese Antwort mag fĂŒr junge Menschen stimmig sein und deren Wahrnehmung-, deren Empfinden gĂ€nzlich entsprechen. FĂŒr Ă€ltere Menschen, wie fĂŒr den Verfasser selbst, mag diese Aussage aber unbefriedigend klingen und eine andere Antwort an deren Stelle treten: Es ist die Verantwortung, die wir tragen, die uns Menschen an dieses Leben bindet. Liebende FĂŒrsorge-, liebende FĂŒrbitte fĂŒr die Menschen â oder auch fĂŒr Projekte, fĂŒr die Natur, fĂŒr die Zukunft dieser Welt â die uns das Abschiednehmen möglich und ertrĂ€glich machen. Die Notwendigkeit, Verantwortung abgeben zu mĂŒssen, und sei es durch den eigenen Tod und das, was unser Leben erfĂŒllt hat, einerseits voller Sorge, andererseits aber auch voller Vertrauen in die HĂ€nde Gottes legen zu können. Das ist es, was Jesus Christus in seinem hohepriesterlichen Gebet tut. Damit es ihm möglich wird, voller Gottvertrauen die Verantwortung in andere-, in Gottes HĂ€nde legen zu können, um innerlich gefasst â wie die oben erwĂ€hnte Sterbende â abschlieĂend sagen zu können: Es geht ja alles weiter. FĂŒr ihn, Jesus Christus selbst, werden es im Johannesevangelium schlieĂlich die erlösenden Worte sein: âEs ist vollbracht!â
Diese Betrachtung mag schlieĂen mit den letzten Worten, dem letzten Gebet, des Bischofs Martin von Tours, der in seiner Jugend Soldat war und sein Bischofsamt so verstanden hatte, wie ein Soldat seinen gehorsamen Dienst im Auftrag seines Dienstherrn versteht. Er war am 8. November 397 verstorben. Sein letztes Gebet â hier hinsichtlich des von herzlichem Vertrauen geprĂ€gten Abschieds in Relation zu Jesu hohepriesterlichem Gebet zu betrachten â ist ĂŒberliefert:
âMein Herr, es ist ein harter Kampf, den wir in deinem Dienste in diesem Dasein fĂŒhren. Nun aber habe ich genug gestritten. Wenn du aber gebietest, weiterhin fĂŒr deine Sache im Felde zu stehen, so soll die nachlassende Kraft des Alters kein Hindernis sein. Ich werde die Mission, die du mir anvertraust, getreu erfĂŒllen. Solange du befielst, werde ich streiten. Und so willkommen dem Veteranen nach erfĂŒllter Dienstzeit die Entlassung ist, so bleibt mein Geist doch Sieger ĂŒber die Jahre, unnachgiebig gegenĂŒber dem Alter.â
Uwe Hesse, Löhlbach