18. Sonntag nach Trinitatis / 28. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
5 Mose 30,11-14 | Jes 25, 6-10a | Phil 4, 12-14.19-20 | Mt 22, 1-14 |
Woran richten wir Christinnen und Christen unser Leben aus? Das ist die Frage des 18. Sonntags nach Trinitatis. Der Dekalog, das Herzstück der Tora, beantwortet die Frage in der alttestamentlichen Lesung. Psalm 1 als Wochenpsalm schlägt die tägliche Meditation als alltägliche Praxis der Tora vor (‚sinnt über seinem Gesetz Tag und Nacht’). Wie schwer es sein kann, Gottes Willen zu befolgen, zeigt das Evangelium (Markus 10). Woran hängst du dein Herz? – fragt Jesus. 5. Mose 30 kontrastiert: Das Gottes Gebot ist das Naheliegende und dem Herzen des Menschen ganz nah.
5. Mose 30,11-14
Das Deuteronomium ist von einem später hinzugefügten Rahmen als Testament des Mose verfasst. Das 30. Kapitel bildete einmal dessen Abschluss, bevor es um die Kapitel 31-33 erweitert wurde. Die Geschichte wird erzählt als Rückblick der Taten Gottes und als Erinnerung an die am Berg Horeb empfangene Tora. Nun, im Land Moab, schließt Gott erneut einen Bund mit seinem Volk bzw. erneuert ihn (Dtn 29,9-14). Gleichzeitig wird hier schon dessen Bruch mit der Folge des Exils vorgesehen. Als Ursache der Katastrophe wird Israels Abkehr von Gott beklagt: „… und sie sind hingegangen und haben andern Göttern gedient und sie angebetet … darum ist des HERRN Zorn entbrannt gegen dies Land …“(Kap 29,21–27). Der Kontext weist also in nachexilische Zeit.
Text Die Eingangsfrage (V.11) der Perikope ist heute nicht weniger dringlich als damals: Was ist „das Gebot“, das Gott uns heute gebietet? Die Antwort des Textes: 1. Es ist nicht entrückt (V.11), keine komplizierte Sache. 2. Es ist nicht fern. (V.11). 3. Es ist nicht im Himmel (V.12). Man braucht keine priesterliche Instanz, keine Trance, kein Hokuspokus. Man braucht auch keine religiöse Begabung. 4. Nicht in Übersee (V.12). Es ist keine Ausrede möglich - denn: Das Wort Gottes ist ganz nahe bei dir (V.14). Es ist das Naheliegende! Der protestantischen Reihenfolge Gnade vor Recht liegt impliziert die Vorstellung der Unerfüllbarkeit der Gebote Gottes zugrunde. (Forderungen der Bergpredigt nur für die ‚evangelischen Räte’, missverstandene Zweireichelehre, etc.). Ganz anders in diesen Versen. Hier bezieht sich das Gebot Gottes auf das, was dort, wo du lebst, nötig ist und getan werden kann. Eben das Naheliegende: Hungrigen zu essen zu geben, Durstigen zu trinken, Nackte zu bekleiden und Kranke zu pflegen, Obdachlosen ein Dach über dem Kopf zu besorgen und Gefangene zu besuchen – Ertrinkende zu retten! So einfach. So wie Jesus. Er tat das Naheliegende. Der ferne Gott ist nahe in seinem Wort ‚in deinem Munde und in deinem Herzen, dass du es tust.’(V.14). Das Herz ist im alten Israel das Innerste des Menschen, das Organ der Einsicht und des Verstandes. Wer herzlos ist, ist nicht nur gefühllos, sondern auch ein Dummkopf!
Matthäus 22,1-14
Bei diesem Text geht es zunächst darum, die traditionelle Deutung in Frage zu stellen. Nur wenn das gelingt, erschließt sich die dem Gleichnis angemessene Bedeutung.
Die allegorische Deutung, die wir alle im Hinterkopf haben, geht folgendermaßen: Der König ist Bild für Gott: Das Himmelreich gleicht einem König. Die Erstgeladenen stehen für Israel, die zerstörte Stadt Jerusalem, die Zweitgeladenen schließlich sind die Kirche aus Heiden, die Sklaven stehen für die Propheten. Zusammengefasst: Jerusalems Zerstörung durch die Römer ist das Strafgericht Gottes über das ungehorsame jüdische Volk. Der Verwerfung Israels korrespondiert die Erwählung der Christinnen und Christen.
Dieser ‚ekklesiologischen’ Deutung setzt Luise Schottroff [1] eine eschatologische entgegen, die die sozialgeschichtlichen Verhältnisse zur Zeit Jesu ernst nimmt.
Hilfreich könnte die Einladung sein, vor dem Verlesen der Geschichte (ich schlage die Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache vor) die Hörer*innen einzuladen, die Frage nach Gott außen vor zu lassen und statt dessen zu hören, wie es in der Gesellschaft zur Zeit Jesu zuging.
Der Rahmen ist die Brücke zum Verständnis des Gleichnisses: Es geht in dem Gleichnis um Berufung und Erwählung (V.14). Mitten in den Gewalterfahrungen unter dem König gilt es, den Ruf Gottes an alle Völker zu hören. Israel kann sich seiner Erwählung sicher sein. Die Hörer (damals wie heute) sind eingeladen, sich die Augen und Herzen öffnen zu lassen für das Leiden und die Opfer der Gewalt. Der Anfang des Gleichnisses (V. 2) lädt ein, das Königtum Gottes mit dem Königtum des mörderischen großen Imperiums zu vergleichen. „So ist Gott nicht!“ lautet die provozierte Antwort der Hörenden. So gelesen ist das Gleichnis eine Kritik an Gewaltherrschaft und die Parteinahme für die Kleinen, die Schwachen und Armen, die unter ihr zu leiden haben.
Jesaja 25,6-10a
Wie kommen wir vom Wissen zum Handeln? Wie passiert Veränderung? Woher kommt die Kraft zu den notwendigen Schritten? Oftmals scheint es, dass Untergangsszenarien eher lähmen als zum Handeln motivieren. Bilder der Hoffnung und Visionen sind geeigneter Kräfte freizusetzen.
In Jes 25,6-10a begegnet vermutlich die größte Vision, die wir in der Schrift finden. Der Tod ist überwunden, die letzte Träne abgewischt – in der griechischen Bibel wird das Bild von Paulus (1. Kor 15, 54) und der Johannesapokalypse (21,3-4) aufgenommen.
Die Perikope gehört zur sogenannten Jesaja-Apokalypse (Kap24-27) und ist wohl in (spät-) nachexilischer Zeit (ca. 200 v. Chr.) entstanden. Es ist die alte Vorstellung von der Wallfahrt der Völker zum Berg Zion, hier verbunden mit dem Bild eines großen Fest- und Freudenmahles. Welch starke Bilder: „Mahl von reinem Wein, von Fett, von Mark, von Wein, darin keine Hefe ist“. Nicht unbedingt gesund aus manch ernährungsmedizinischer Sicht. Aber darum geht es nicht. Wer solche Bilder träumt von fettem Essen und gutem Wein weiß, was Hunger ist. Apokalyptische Texte entstehen in absoluten Krisenzeiten. Die ‚Schmach des Volkes Gottes in allen Landen’ weist darauf hin, dass Juden in der ganzen damals bekannten Welt Geringschätzung und Erniedrigung zu ertragen hatten (s.a. Joel 2,19; Zeph.3,18f.; Jes 61,7) und dass es Anlass zu Tränen aller Art gab. Der Tod hat viele Gesichter. Die eschatologischen Bilder wollen eine andere Wirklichkeit in der Zukunft malen.
Eine österliche Predigt legt sich nahe. Dass der Tod besiegt ist, lässt sich nur proklamieren, nicht argumentativ begründen. Warum nicht die apokalyptische Hermeneutik in der Predigt aufnehmen und auf die heutige Situation durchbuchstabieren? Der aktuellen düsteren Lage (Klimakatastrophe, Massensterben der Arten, neue Nationalismen, etc.) werden dann, durchaus vollmundig, hoffnungsvolle Bilder entgegengestellt: Keiner hungert, alle haben ihr Auskommen. Die Produzenten bekommen für ihre Produkte angemessene Preise. Fluchtursachen lösen sich auf. Und wer sich dennoch aufmachen muss, muss keinen Tod im Mittelmeer befürchten. Palästinenser und Israelis laden sich gegenseitig zum Essen ein. Auch die Tiere bekommen Raum zum Leben. Zu vollmundig? So müssen österliche Predigten sein...
Philipper 4,12-14
Im Textabschnitt geht es um die wirtschaftlichen Existenzbedingungen des Paulus und der Gemeinden des frühen Christentums. Die ökonomischen Bedingungen christlichen Lebens werden vom Glauben und theologischer Reflexion nicht getrennt. So lädt der Text ein, die ökonomischen Bedingungen christlichen Lebens heute zu reflektieren und den Umgang mit Geld in der Kirche. Nur einige Fragen, die mir dazu einfallen:
Auch in der Kirche ist Geld nötig. Was bedeutet Geld in der Kirche? Wie wird damit umgegangen? Verletzt die Kirchensteuer das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche, wie manchmal zu hören ist? Führt sie gar in Abhängigkeiten?
Für Paulus hatte das Kollektesammeln eine hohe Bedeutung. Es war für ihn ein Akt der Solidarität mit denen, die weniger haben, als Ausdruck des Glaubens (2. Kor. 9,12-14). Rückläufige Kirchensteuereinnahmen veranlassen Kirchengemeinden heute dazu, die gottesdienstliche Kollekte als zusätzliche Einnahmequelle für Gemeindeaufgaben zu gebrauchen. Ist dies ein Missbrauch der Kollekte?
Wo legen wir als Kirche unser Geld an? Der ÖRK gründete 1975 die Ökumenische Entwicklungsgenossenschaft, heute Oikocredit. In dieser Genossenschaft sollte das Geld den Ärmsten der Armen zugutekommen. Etwa 80 Prozent des verliehenen Kapitals gehen an Mikrofinanzinstitutionen, die das Geld in Form von Mikrokrediten an wirtschaftlich benachteiligte Menschen weiter geben. Diese Menschen können so eine eigene wirtschaftliche Existenz aufbauen und sichern. Warum ist der Anteil der kirchlichen Rücklagen bei Oikocredit bis heute so gering?
Immer mehr Christen möchten ihr Geld nachhaltig anlegen - enkeltauglich und planetenschonend. Bei Oikokredit gibt es in Deutschland dazu schon lange die Förderkreise.
Die beiden großen Kirchen haben Maßstäbe für ihr eigenes wirtschaftliches Handeln entwickelt und veröffentlicht: dem „Leitfaden für ethisch-nachhaltige Geldanlage in der evangelischen Kirche“ und der „Orientierungshilfe für Finanzverantwortliche katholischer Einrichtungen in Deutschland – Ethisch-nachhaltig investieren“. Der EKD Text ist gerade in der vierten Auflage erschienen und beeinhaltet ein Kapitel über Klimastrategie. https://www.akiekd.de/fileadmin/Publikationen/ekd_texte_113_vierte_Auflage_2019.pdf
Sind die Texte bekannt? Wird damit gearbeitet?
Helmut Törner-Roos, Frankfurt
Literatur
[1] L. Schottroff, Gleichnisse, S. 295