6. Sonntag nach Trinitatis / 15. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Mt 28,16-20 | Am 7, 12-15 | Eph 1, 3-14 | Mk 6, 7-13 |
Mt 28, 16-20
Exegetische Bemerkungen
Am Schluss der Jesusgeschichte des Matthäus steht ein eigentliches «Manifest» (Harnack) des Auferstandenen. Im Zentrum steht die Anweisung Jesu, alle Völker zu Jüngerinnen und Jüngern zu machen, sie zu taufen und die Gebote Jesu zu lehren. In diesem Schlussabschnitt klingt in der Leserin vieles noch einmal an, was im Matthäusevangelium bereits vorher thematisch bedeutsam war. Exemplarisch seien genannt: das Motiv des «Bergs», der Zweifel («Kleinglaube») der Jünger, Jesus als «Immanuel» (Gott mit uns). Matthäus macht mit diesem Abschnitt klar, dass der Auftrag Jesu an die Jüngerinnen und Jünger darin besteht, seine Lehre weiterzugeben. Treffend schreibt Ulrich Luz: «Für Matthäus ist Kirche – gut jüdisch! – ‘Schule’ Jesu. Er versteht sie als Gemeinschaft der Jüngerinnen und Jünger Jesu, die auch nach ihrer Taufe dauernd zu Jesus in die ‘Schule’ gehen und in seiner Nachfolge seine Gebote halten.» (Das Evangelium nach Matthäus, Band I/4, 454f.).
Nachhaltigkeitsbezüge
Inhaltlich zentral ist das Lehren der Gebote Jesu. Dem matthäischen Verständnis christlicher Existenz wohnt ein ethischer Anspruch inne. Bei der Kommunikation dieses Anspruchs Jesu (seiner Lehre) ist darauf zu achten, dass nicht einseitig andere damit konfrontiert werden, sondern dass auch die verkündigende Person diesen Anspruch auch und zuerst auf sich selbst bezieht. Der Abschnitt wirft deshalb fundamentale ethische Fragen auf: Was heisst es für uns heute, in der Nachfolge Jesu zu leben? Wie leben wir als Kirche, als Gemeinde, in dieser Nachfolge? Wie lebe ich als Einzelne und Einzelner mit diesem Anspruch, den Matthäus hier in aller Deutlichkeit formuliert?
Auch bei Matthäus kommt dem Liebesgebot eine herausgehobene Stellung unter den Geboten zu. Angesichts der umwelt- und tierethischen Herausforderungen unserer Zeit stellen sich deshalb unabweislich Fragen wie die folgende: Wie können wir in der Nachfolge so leben, dass unsere Existenz die Liebe zu unseren Mitmenschen, Mitgeschöpfen und zur ganzen Schöpfung ausdrückt?
Am 7, 12-15
Exegetische Bemerkungen
Der Text dreht sich darum, was es heisst, ein Prophet zu sein. In der Konfrontation mit dem Oberpriester Amazja wird deutlich, dass Amos kein Berufsprophet, sondern ein von Gott Berufener ist. Durch die Berufung wird Amos zu einem Rufer, der durch seine Verkündigung Gott unter den Menschen präsent hält. Ihn mundtot zu machen, hiesse, Gott selbst das Wort zu verbieten.
Nachhaltigkeitsbezüge
Was heisst es für uns, «Sprachrohr Gottes» zu sein, seinem Willen zum Durchbruch zu verhelfen? Wo lassen wir uns das Wort verbieten, aus Feigheit zum Beispiel? Wo verzichten wir darauf, Klartext zu sprechen, aus falscher Rücksichtnahme? Oder von der anderen Seite betrachtet: Wo verwechseln wir das, was «man» im Moment für richtig hält, mit dem lebendigen Wort Gottes? Wo meinen wir vorschnell, unsere Sichtweise sei die Perspektive Gottes?
Ein unmittelbarer Bezug zur Nachhaltigkeitsthematik scheint bei diesem Textabschnitt nicht gegeben. Aber die Figur des Propheten, der aus einem Widerfahrnis heraus spricht, der nicht schweigen kann von dem, was sich ihm da erschlossen hat, wirft doch die Frage auf: Wie kommen wir der prophetischen Berufung nach, Unrecht – etwa die Ausbeutung der Natur oder die Ausnutzung von Tieren – anzuprangern? Wem sind wir näher: Amazja, dem königlichen Angestellten, der die institutionalisierte Religion repräsentiert (Oberpriester am Reichsheiligtum), oder eher Amos, dem unmittelbar Berufenen, der keine Institution auf seiner Seite hat, aber aus der Begegnung mit dem unsichtbaren Gott heraus spricht? Wo spricht Gott heute? Ist die Zeit der Propheten vorbei, oder sind wir vielleicht blind und taub geworden für Gottes Botschafterinnen und Botschafter? Ist Greta Thunberg eine Prophetin wie Amos, oder stellt eine solche Charakterisierung eine problematische Überhöhung dar?
Eph 1, 3-14
Exegetische Bemerkungen
Der Epheserbrief beginnt mit einer grossen «Eulogie», einer Danksagung an Gott, deren hymnische Sprache an einen liturgischen Kontext denken lässt. Der Text ist ein einziger Lobpreis des überreichen Segens Gottes für uns. Er «umfasst alles, was Gott in Jesus Christus zu unserem Heil geplant, durchgeführt und an uns verwirklicht hat» (Rudolf Schnackenburg, Der Brief an die Epheser, 66). Dieses Heils- und Erlösungsgeschehen hat zugleich eine kosmische, über den Menschen hinausgehende Dimension. Die grosse Eulogie am Anfang hat pragmatisch die Funktion, eine «Grundstimmung der Dankbarkeit und Demut, der Freude und des Vertrauens» in der Leserin zu wecken.
Nachhaltigkeitsbezüge
In der genannten existenziellen Haltung der Demut und Dankbarkeit gibt es auch einen Bezug zur Nachhaltigkeitsthematik: Der Mensch, der sich nicht über die Schöpfung überhebt, sondern in den grossen Lobgesang Gottes einstimmt, der fügt sich zugleich in das Gesamt der Schöpfung ein, das auf je unterschiedliche und eigene Weise Gott die Ehre gibt. Darin liegt die Bestimmung des Menschen und zugleich die grosse Herausforderung im Zeitalter des Anthropozäns: sich nicht von der übrigen Schöpfung zu entfremden, sondern gemeinsam mit allen Geschöpfen demütig und dankbar in den Lobpreis des Schöpfers und seiner Schöpfung einzustimmen. Dieses gemeinsame Loblied erklingt zum Beispiel in Paul Gerhardts Dichtung «Geh aus, mein Herz, und suche Freud», besonders Strophe 8: «Ich selber kann und mag nicht ruhn: Des grossen Gottes grosses Tun erweckt mir alle Sinnen; ich singe mit, wenn alles singt, und lasse, was dem Höchsten klingt, aus meinem Herzen rinnen.»
Mk 6, 7-13
Exegetische Bemerkungen
In der Markus-Perikope geht es um die Aussendung der Zwölf. Wert wird auf die Armut der Jesus-Boten gelegt. Ihre Aufgabe ist es, die Botschaft der Umkehr zu verkünden und auch mit ihrer Lebensweise für sie einzustehen. Man könnte sagen: Die Botschaft und das vom Verkündiger gelebte Leben müssen kongruent sein.
Nachhaltigkeitsbezüge
Im Insistieren auf der Kongruenz von Verkündigung und Lebensführung liegt auch ein Bezug zum Nachhaltigkeitsthema: Mehr denn je zeigt sich angesichts unseres Lebensstils, der unbegrenzt Ressourcen verbraucht, die Notwendigkeit einer «Umkehr». Aber wie kann diese Umkehr gelingen? Wie können wir, als Einzelne und als Kirchgemeinde, andere Menschen dafür sensibilisieren? Wie können wir in unserer Gemeinde glaubwürdig für die «Bewahrung der Schöpfung» und gegen den Klimawandel eintreten, wenn wir gleichzeitig an unseren Grillfesten und Mittagstischen gedankenlos Billigfleisch konsumieren?
Auch hier – wie bereits bei Mt 28 und Am 7 angeklungen – erweist sich der Gedanke als zentral, den ethischen Anspruch der Liebe nicht allein an andere zu adressieren, sondern ihn selbst zu hören und ihm im eigenen Leben zu entsprechen zu versuchen. Die Verkündigung des Evangeliums ist nie rein theoretische Unterweisung. Sie zielt immer darauf, das Leben des Gegenübers zu verändern. Ob es freilich zu dieser Lebensveränderung beim Gegenüber kommt und das Thema wirklich beim Gegenüber ankommt, liegt nicht in der Macht der Verkündigerin.
Dr. Christoph Ammann, Zürich