2. Adventsonntag (05.12.21)

2. Adventsonntag

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Jes 63, 15 - 64, 3 Bar 5, 1-9 Phil 1, 4-6.8-11 Lk 3, 1-6

 

Bar 5, 1-9

Setzen uns die Schreckensnachrichten um den Zustand unserer Welt nicht oft zu? Dramatische Überschwemmungen aufgrund von Starkregenfällen, die immer häufiger werden, jahrelange Dürreperioden, die zu weltweiten Hungerkatastrophen führen. Taifune und Hurrikans, die zerstören. Der Klimawandel, der weiter voranschreitet und all diese massiven Phänomene verstärken wird. Ist es da nicht verständlich, dass dieses Elend und die schlechten Aussichten uns deprimiert abwenden und häufig auch in Trauer verfallen lassen?

Im vorliegenden Text werden die nach Babylon Deportierten, die Israel verlassen mussten, angesprochen. Deren Trauer ist verständlich: sie mussten ihre Heimat aufgeben, erlebten in ihrem Exil oft Elend. In diesem Moment folgt eine Verheißungsrede, dass die Heilswende unmittelbar bevorstehe. Sie werden aufgefordert, ihre Trauer zu beenden und die Stimmung des Elends zu verlassen.

Wie kann uns das heute gelingen – trotz aller schwierigen Nachrichten? Indem wir die negativen Nachrichten ausblenden oder sie zumindest kleiner reden als sie sind? Indem wir einen Zweckoptimismus betreiben im Sinne von „es ist ja noch immer gut gegangen“?

Die Bibel schlägt uns hier einen anderen Weg vor: „Leg den Mantel der göttlichen Gerechtigkeit an“. Damit ist eine Lebensführung nach dem göttlichen Gesetz gemeint. Eine solche Art zu leben, führt zu einem guten Miteinander, was gerechte und damit auch heilvolle Beziehungen zwischen den Menschen zur Folge hat. Das war der Königsweg zur Zeit der Israeliten im Exil – und das könnte auch ein Königsweg sein für die Erdenbevölkerung unserer Zeit, in der der Mensch in viele Abläufe unseres so wunderbar von Gott geschaffenen Planeten unheilvoll eingegriffen hat und in Gefahr steht, möglicherweise schon sehr zeitnah Vieles irreversibel zu schädigen und sich somit seiner eigenen Lebensgrundlagen zu berauben.

Dieser Vorschlag für eine heilvolle Lebensführung der Menschen wird kombiniert mit dem Begriff „Herrlichkeit der Gottesfurcht“. Bei all unserem Tun möge uns voller Ehrfurcht bewusst sein, dass nur Gott Heil schaffen kann. Dies kann uns auch bei den großen anstehenden Aufgaben zur „Rettung der Menschheit“ entlasten. Dieses große Mammutprojekt lastet nicht allein auf meinen Schultern. Das ist Gottes Werk. Wobei die Frage ist, wer Gott ist – und welche Rolle uns dabei noch bleibt? Ist es nicht so, dass Gott in und durch uns alle wirkt? Ist es von daher nicht entscheidend, dass wir Gottes guten Willen in uns zulassen? Durch unsere eigene Lebensführung nach dem göttlichen Gesetz – des gemeinsamen Lebens und Teilens.

Die Frage des Klimawandels und Artensterbens deutet somit nicht nur auf eine Krise der Menschheit, sondern sie stellt die Frage nach Gott und seinem Wirken und unserem Handeln neu. So können wir in diesen „Zeichen der Zeit“ Gott neu entdecken. Gleichzeitig rufen uns diese Zeichen der Zeit zur Umkehr, dass wir selbst wieder bescheidener werden und uns demütig an Gott, der Heil schaffen will, wenden. Auf Gott hoffend in göttlicher Gerechtigkeit leben. Wie kann das gehen? Einerseits sensibel mit unserer Erde und mit allen Mitmenschen umgehen, indem ich achtsamer lebe, das gebrauche, was ich wirklich zum Leben brauche wie gute Nahrungsmittel (möglichst regional und bio und vegetarisch) sowie Kleidung (möglichst fair produziert oder second hand). Indem ich mich möglichst naturgemäß fortbewege. Wenn es mir möglich ist, kann ich meine Überzeugungen auch noch einbringen in Gespräche mit meinen Mitmenschen, indem wir gemeinsam überlegen, wie wir gut leben können, ohne Andere auszubeuten. Darüber hinaus kann ich mich in NGO´s und anderen Gruppierungen wie z.B. auch Parteien für politische Strukturveränderungen in Richtung mehr Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit einsetzen. Vieles passiert da bereits. Anderseits kann ich all meine Gedanken, Hoffnungen und Befürchtungen ins Gebet mit Gott einbringen. Vielleicht kann ich auch eine Gebetsgruppe ins Leben rufen, die ab und an gemeinsam in diesem Anliegen zu Gott beten möchte. Die darum weiß, dass Heil von Gott kommt.

Möge uns diese Verheißungsrede Gottes nicht nur Hoffnung schenken, sondern darüber hinaus inspirieren, gute Wege für unser Leben mitten in den großen Herausforderungen der Menschheit heute zu finden.


Jes 63, 15 – 64, 3

Wenn wir uns die Realitäten auf der Erde anschauen, von den großen globalen Ungerechtigkeiten - dass viele unter massiver Armut und Ungerechtigkeit leiden, Millionen vom Hungertod bedroht sind, während andere im Überfluss und auf Kosten der arm Gemachten leben - bis hin zu den riesigen ökologischen Problemen, die Teile der Menschheit im globalen Norden mit ihrer unersättlichen Art zu leben, geschaffen haben und damit die Zukunft der menschlichen Zivilisation ernsthaft in Frage stellen, dann können wir feststellen: wir Menschen haben gesündigt. Das gehört zur Natur des Menschen. Allerdings ist es dem Menschen möglich, seine Schuld zu erkennen, einzugestehen, zu bereuen und sich in Zukunft bewusst anders zu verhalten.

Einem Teil des Volkes Israel gelingt dies auch. Diese Menschen haben erkannt, dass sie gesündigt haben. So bekennen sie ihre Sünden. Sie wissen, dass nur von Gott Rettung kommen kann. Und so bitten sie mit aller Inbrunst um Gottes baldige Rettung.

Sind wir dazu auch in der Lage?

Ist es vorstellbar, dass Gott in unsere Welt eingreift, um den von uns scheinbar aussichtslos festgefahrenen Karren wieder flott zu machen?

Können wir bekennen, dass wir uns als Menschheit – und gerade wir im globalen Norden – versündigt haben?

Vielleicht ist es ein guter Weg, zuerst unsere Schuld einzugestehen - die zu Klimawandel, Artensterben, Versauerung der Meere und Böden, Vermüllung und Vielem mehr geführt hat - und in einem zweiten Schritt, Gott anzuflehen, ihm unsere Verzweiflung hinzuhalten, ihm zu sagen, dass wir nicht mehr weiterwissen, unsere Hoffnung aber ganz auf ihn setzen, dem die Menschen doch so viel bedeuten.

Reicht das angesichts der dramatischen Situation auf unserer von Gott geschaffenen Erde? Ja und nein. Es ist schon unglaublich hilfreich, unsere Fehler einzugestehen und zu bereuen und künftig anders leben zu wollen. Wir glauben, dass Gott den Menschen vergibt, und dass es immer wieder die Chance auf einen Neubeginn gibt. Gleichzeitig haben wir eine Verantwortung, am Schöpfungshandeln Gottes teilzuhaben, vorsichtig mit Gottes Schöpfung umzugehen. Das heißt, dass wir die begrenzten Ressourcen auf unserer Erde ganz behutsam nutzen sollten, nur so viel wie wir wirklich brauchen. Und gleichzeitig unser Glück im Immateriellen suchen wie in guten Beziehungen zu unseren Mitmenschen in der Nähe und in der Ferne. Dass wir uns bemühen, ganz achtsam zu leben, und unsere Welt in all ihrer Vielfältigkeit und Schönheit wahrzunehmen versuchen. Und in all dem Gott suchen und finden und loben. Dankbar sein. Das alles ist das Gegenteil von Gier, Macht, Erfolg, Reichtum und Ansehen. Und dennoch viel erfüllender.

Eine Hinwendung zu Gott und den Menschen würde so nicht nur einen Beitrag zur Lösung der vielfältigen, auch ökologischen, Krisen leisten, sondern uns Menschen helfen, wieder mehr bei uns selbst zu sein, unserer Bestimmung nachzukommen. Am Beginn dieser Umkehr steht ein Schuldbekenntnis.


Lk 3,1-6

Können wir Menschen noch „die Welt retten“? Ich vermag das nicht einzuschätzen.

Aber ich spüre oft, dass mich die großen globalen Herausforderungen wie Klimawandel, Artensterben, Millionen (Ver-)Hungernde und meine Verstrickungen in diese und andere Themen stark beschäftigen, oft überfordern. Ich weiß, dass ich allein eben nicht die Welt retten kann.

Als glaubender Mensch brauche ich das (allein) auch nicht. Da gibt es noch viele andere Millionen Menschen auf dieser Erde, die mittun. Und Gott.

Auch in der biblischen Zeitenwende, kurz vor Beginn des öffentlichen Auftretens Jesu in Israel, gab es Elend und Ungerechtigkeit. Ebenso haben sich die Menschen in dieser Zeit nicht mehrheitlich an die Gebote Gottes gehalten. Gleichzeitig hatten Viele die Sehnsucht nach einem besseren und gerechteren Leben. In dieser Zeit, so heißt es, „erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes“. In der Folge verschrieb sich Johannes ganz der Aufgabe, in der Gegend am Jordan Umkehr zu verkündigen und zu taufen. Dies zeigte Wirkung. Dafür war aber notwendig, dass Johannes sich für Gott öffnete. Deshalb ging er in die Wüste, wo ihn Nichts mehr ablenken konnte. Das Wort Gottes, das an ihn erging, konnte dort seine ganze Kraft entfalten. Johannes nahm das Wort Gottes offenbar sehr ernst – und versuchte entsprechend zu handeln.

Das Zusammenspiel vom Wort Gottes mit denen, die es aufnehmen und „umsetzen“, entfaltet Wirkung, kann Vieles in Bewegung setzen.

Wie kann ich das Wort Gottes, das an mich ergeht, erkennen? Vielleicht, wenn ich ab und an „in die Wüste“ gehe, in die Stille, Abgeschiedenheit. Das können ein paar Tage im Kloster sein, aber auch eine Wanderung allein im Wald, ein Gebet in der Kirche, eine Meditation im „stillen Kämmerlein“. Ein Schweigen. Im Versuch zu hören, was Gott mir sagen möchte. Vielleicht auch im intensiven Gespräch mit einem anderen Menschen. Auf meine innere Stimme hören.

Dabei ist zu prüfen, ob es wirklich Gottes Stimme ist, die zu mir spricht. Eine Grundregel dies zu unterschieden (nach Ignatius von Loyola) ist, dass Gottes Worte den Menschen helfen, zu mehr Freiheit, mehr Gerechtigkeit und mehr Liebe zu finden.

Die großen Herausforderungen unserer Zeit können uns anspornen, dass wir uns nicht selbst überschätzen und meinen, wir könnten schon alles selbst managen (vgl. z.B. das Lied „Nur mal schnell die Welt retten“). Im Zusammenspiel mit Gott können wir Menschen aber Manches bewirken. Vielleicht auch noch „die Welt retten“, die aktuell am Abgrund zu stehen scheint. Ignatius von Loyola hat dafür eine wunderbare Formel geprägt: "Handle so, als ob alles von dir, nichts von Gott abhinge. Vertraue so auf Gott, als ob alles von Gott, nichts von dir abhinge".

Das scheint mir eine eindringliche und bedenkenswerte Maxime. Johannes scheint das schon gelebt zu haben. Und kann uns darin ein Vorbild sein: Schweigen, auf Gott hören und dann handeln.


Phil 1,4-6.8-11

Füreinander beten und einstehen verändert!

Der Beginn des Philipperbriefes ist ein schönes Beispiel dafür: Philippi war die erste Gemeinde Europas, die Paulus gründete. Auch wenn er die Stadt unter dramatischen Umständen verlassen musste, blieb eine starke gegenseitige Verbindung zwischen der Gemeinde und Paulus. Diese tiefe innere Verbindung ist auch zu Beginn dieses Briefes deutlich spürbar. Er schreibt sehr liebevoll. Zugleich drückt er seinen großen Dank für die Gemeinde aus. Die tiefe Verbindung ist greifbar. Er wünscht ihnen nur das Beste – auch, dass sie sich noch weiter entwickeln. So bittet er Gott, dass ihre Liebe noch weiter wachsen möge. Seine besondere und tiefgehende Verbindung zu den Menschen in Philippi verknüpft er mit seinem tiefen Vertrauen in Gott, dass dieser das „gute Werk vollenden“ wird.

Was kann dies für uns heute bedeuten?

Die Lebenseinstellung von Paulus, die hier zum Ausdruck kommt, scheint sehr hilfreich:

Paulus ist dankbar. Wer dankbar durchs Leben geht, strahlt viel positive Lebensenergie aus, die sich überträgt und ansteckt. Herausforderungen können auf dieser Grundlage ganz anders angegangen werden. Und können wir heutzutage nicht auch für Vieles dankbar sein? Individuell, aber auch gesellschaftlich?

Darüber hinaus vertraut Paulus. Auf Gott. Vertrauen ist nahezu das Gegenteil von Misstrauen, Furcht und Angst, die unsere Gesellschaft manchmal zu zerfressen scheinen. Menschen, die ein tiefes Gottvertrauen haben, dass letztlich alles gut werden wird, haben es nicht nur selbst viel leichter durch das Leben zu gehen, sondern sie sind so oft auch ein Halt für Menschen in deren Umgebung. In den Turbulenzen der heutigen Zeit auf Gott zu vertrauen, ist eine wunderbare Grundlage für ein gelingendes Leben und zugleich für den Mut, all die anstehenden großen Aufgaben anzupacken – und nicht gleich aufzugeben.

Nicht zuletzt bittet Paulus für seine Schwestern und Brüder in Philippi, dass sie noch liebendere Menschen werden. Weise und den Menschen zugewandt, gleichzeitig gerecht. Wir Menschen sind nie am Ende unserer Entwicklung, wir können uns immer noch weiter entwickeln. Immer stärker an Jesus orientieren. Wachsen an Liebe, Freiheit und Gerechtigkeit. Empathisch den Menschen – und allem Lebendigen auf unserer wunderbaren Erde – zugewandt.

Solche Menschen, dankbar, vertrauend, sich immer weiter entwickeln wollend, stoßen viel Gutes an. Schaffen Gemeinschaft, verbinden, stecken Andere mit dieser positiven Lebensenergie an. Diesen Weg kann verstärken, wer all das sehr bewusst tut, sich Zeit dafür nimmt, es in das Gespräch mit Gott („Gebet“) einbringt – und versucht entsprechend zu handeln.

Paulus hat dies getan. Die Gemeinde in Philippi ist durch diesen Zuspruch gewachsen und konnte Paulus viel zurückgeben.

Wenn wir Dankbarkeit (anstatt Rastlosigkeit und Unzufriedenheit), Vertrauen (anstatt Misstrauen und Angst), den Willen zur guten Weiterentwicklung in unsere Beziehungen mit einbringen, dann wird sich das Angesicht der Welt verändern. Solidarität und Gemeinschaft, Empathie und Rücksichtnahme auf Andere und auf unsere Mutter Erde könnten wachsen.

Christoph Fuhrbach, Speyer