6. Sonntag nach Trinitatis / 14. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Jes 43, 1-7 | Jes 66, 10-14c | Gal 6, 14-18 | Lk 10, 1-12.17-20 |
1.) Jesaja 43, 1 – 7
Der 6. Sonntag nach Trinitatis ist in der Evangelischen Tradition der Sonntag des Jahreskreises, an dem sich die Gemeinde ihres Getauftseins erinnert. Die Taufthematik wird im Evangelium (Taufbefehl, Mt 28, 16 – 20) in der Epistel (Paulinische Taufparänese Röm 6, 3 – 11) und im Wochenlied (Lied 200, Ich bin getauft auf deinen Namen) aufgegriffen. Auf diese Taufthematik hin wird gleichzeitig der Wochenspruch, der dem Predigttext entnommen ist und dessen 1. Vers bildet, ausgelegt: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein" (Jesaja 43,1). Bei der Suche nach Aspekten von Nachhaltigkeit im Predigttext ist dieser liturgische Hintergrund zu berücksichtigen.
Der Predigttext Jesaja 43, 1 – 7, ist aus dem Kontext des Deterojesaja- Buchs heraus zu verstehen als Bestandteil einer Trostschrift, die mit Jesaja 40, 1 „Tröstet, tröstet mein Volk" eingeleitet wird, womit die Grundthematik gleichsam überschrieben ist. Der in diese Trostschrift integrierte Predigttext lässt sich aus dem Kontext der babylonischen Gefangenschaft des Volkes Israel heraus erklären und ist seinerseits ein Heilsorakel. Darin wird ein Neubeginn angekündigt, mitten in der tiefsten Depression. Die babylonische Gefangenschaft oder das Exil wird von Deuterojesaja als Strafe für bisheriges Fehlverhalten verstanden; jetzt ist aber die Zeit gekommen, dass neues geschieht, und das Verharren in der Depression gleichzeitig ein Ende findet.
Deuterojesaja verkündet, dass Jahwe Israel „ausgelöst" habe. Der Bergriff (gaal) entstammt dem Familienrecht; der „goel" handelt aus einer inneren Verbindung zu dem Erlösten heraus. Der gleich anfangs benannte Gegensatz von Feuer und Wasser (Jes 43,2) steht hier für die Totalität der Gefahr, in der Israel sich befunden hat. Gott, der Heilige Israels, wird daraus erretten; der Heilige Israels ist für Deuterojesaja der allein wirksame Gott.
Erlösung wird gleichzeitig als neue Schöpfung verstanden. Dabei steht Schöpfung nicht für den einmaligen Akt, durch den Welt- und Weltordnung entstanden sind, sondern gleichzeitig für Befreiung (hier: aus fremder Gewalt). Das entspricht dem Urbekenntnis Israels: Gott hat das Volk befreit und: Gott begleitet das Volk. Dass er auch die Welt geschaffen hat, ist in der Prioritätenliste sekundär. Der Prophet, Deuterojesaja genannt (der Verfasser nennt ihn in seinen Predigten „den Jesaja der babylonischen Gefangenschaft"), spricht die Verheißung Gottes über ein in sich verkrümmtes Volk, als tiefe Depression vorherrscht und das Volk an keine lebenswerte und glückliche Zukunft mehr glaubt.
Angesichts des thematischen Bezugs des 6. Sonntags nach Trinitatis auf die Taufe spielt der Begriff des Namens-, des Namengebens-, auch des hier genannten Gottesnamens eine wesentliche Rolle, die inhaltlich impliziert ist; die einleitende Formulierung des Heilsorakels: „ich habe dich bei deinem Namen gerufen" (an Israel gerichtet!) gilt es in diesem Zusammenhang zu bedenken. Thematisch damit verbunden-, besonders deutlich wird das bei Kindertaufen-, ist das Bekenntnis der Eltern und Paten und das Versprechen, den Täufling zu begleiten auf seinem Weg durch Raum und Zeit, sowie die Zusage Gottes, mitzugehen. Im Rahmen einer Orientierung des Predigtentwurfs auf Fragestellungen und Themen von Nachhaltigkeit ließen sich aufgrund der exegetischen Befunde zunächst die Kontexte herausarbeiten, unter welchen Lebensbedingungen und Fraggestellungen die Adressaten des Predigttextes früher, in der Mitte des 1. vorchristlichen Jahrtausends, in der Gefangenschaft und drohenden Assimilation leben mussten, und welche Fragestellungen und Themen unser heutiges Leben und der Blick in eine gefährdete Zukunft bestimmen. Die Kontexte sind durchaus unterschiedlich: In der babylonischen Gefangenschaft begehrte man Freiheit und staatliche Eigenständigkeit sowie die Möglichkeit, die eigene Identität als Gemeinschaft aufrechterhalten- und leben zu können; zumindest diejenigen Israeliten, die unter der Situation gelitten haben und die den Verlust eines selbst bestimmten Lebens in Freiheit in seiner ganzen Schwere wahrgenommen haben und sich nicht assimilieren-, d. h. selbst aufgeben wollten. Im Kontext der Gottesdienstbesucher unserer Zeit ist das Umfeld dagegen geprägt von zunehmenden sozialen Gegensätzen, Fragen der Aufrechterhaltung der Euro-Währung und der persönlichen Lebensqualität mit allen Aspekten, die dazu in Verbindung stehen (Preisentwicklung/ Zinsentwicklung/ Aufrechterhaltung des Arbeitsplatzes usw.). Eine Depression angesichts der Zukunftsperspektiven in Angelegenheiten von Klimawandel, Zerstörung von Lebensräumen, Artenschwund nie gekannten Ausmaßes, der Bedrohung durch die Produktionsstätten von Kernenergie, moderne Waffensysteme, Terrorismus und Krieg und eine damit verbundene Einsicht, die zur Änderung des individuellen Lebensstils und aktivem Handeln führen würde, ist auf einer breiten Bevölkerungsbasis nicht festzustellen.
Für eine Predigt könnten zwei Vergleichspunkte eine Rolle spielen, die einerseits der Jesaja- Perikope-, andererseits der Tauferinnerung des 6. Sonntags nach Trinitatis entsprechen. An erster Stelle mag die befreiende Heilszusage stehen, die am Anfang einer Entwicklung-, eines Weges steht, der vor den Menschen liegt; damals heraus aus der Depression, der Gefangenschaft und der Gefahr der Preisgabe der eigenen Identität. Heute gilt sie den Menschen, die sich dem Blick auf offensichtliche Gefährdungen der Gesellschaft, der Welt und der Umwelt- und letztlich dem Einsatz für die Aufrechterhaltung einer umfassenden Lebensqualität in allen Aspekten nicht verschließen, sondern ihre Augen dafür öffnen und aktiv werden. Eine Anregung dazu mögen die letzten Worte in Martin Luthers vierten Hauptstück des Glaubens, „Das Sakrament der Heiligen Taufe" geben: „Wir sind mit Christus begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln." Auf dieses neue Leben kommt es an, im Deuterojesajatext wie in den verschiedenen Taufparänesen des Neuen Testaments. Eine Glaubensverankerung in der Heilszusage und der Verheißung des Mitgehens, wie sie in der Tauferinnerung ausgesagt wird, dient dabei der inneren Befreiung im Glauben und damit gleichzeitig einer Entlastung für ein Handeln für diese Welt. Die Symbole der ganzheitlichen Bedrohung im Jesajatext, Feuer und Wasser, werden im Kontext der Tauferinnerung gleichzeitig zu Symbolen umfassenden Heils und entsprechen damit Thematik des Sonntags (Taufkerze und Taufwasser). Die Heilszusage des Predigttextes befreit zum Handeln nach den Maßstäben christlicher Verantwortung.
Jesaja 66, 10 – 14c
Der Tritojesajatext stellt in (früh-?) nachexilischer Zeit eine Verheißung dar, nämlich zukünftiges Heil der Stadt Jerusalem. Dem Verfasser dieser Exegese ist es nicht möglich, in dem Schreiben, das wesentlich die Erfüllung einer konkreten historischen (d. h. nicht eschatologischen) Erwartungshaltung verspricht, Themen zu erkennen, die mit den Aspekten nachhaltigen Vorgehens und Handelns in Einklang gebracht werden könnten.
Galater 6, 14 – 18
Die Perikope des Galaterbriefs bildet den eigenhändig geschriebenen Briefschluss des Apostels (Gal 6,11). Um diesen Briefschluss zu verstehen und inhaltlich zu füllen, sind die Einleitungsfragen und das Briefganze des Galaterbriefs mit zu bedenken. Dementsprechend hatten sich die heidenchristlichen Adressaten der Gemeinde, die Paulus im Verlauf seiner zweiten Missionsreise gegründet- und auf seiner dritten Missionsreise besucht hatte, vom Evangelium, wie es Paulus verkündet hatte, abgewendet, und waren anderen Stimmen gefolgt, die eine Beschneidung als Bedingung für eine Zugehörigkeit zum christlichen Glauben gefordert hatten. Gerade dieser Aspekt frühchristlichen Selbstverständnisses, dass Christen mit heidnischer Vergangenheit nicht zunächst Juden werden müssten, um dann Christen werden zu können, war aber im Apostelkonzil in Jerusalem geklärt worden (Gal 2, 1 – 10, vgl. Apg 15, 1 – 29). Paulus schreibt den Brief an die Galater in einem scharfen Ton; dieser Brief ist das einzige überlieferte Schreiben, in dem er nicht anfangs für die Gemeinde und deren Frömmigkeit dankt. Er vermittelt als Inhalt seines Evangeliums die Freiheit des befreiten Menschen; der neuen Kreatur. In einer Predigt wäre die Lebensform der neuen Kreatur, des innerlich befreiten Menschen, der den Richtlinien entsprechend handelt, die der Glaube und das eigene Gewissen vorgeben, zu verkündigen. Dabei wäre anhand jeweils aktueller gesellschaftlicher, sozialer und ökologischer Themen darüber nachzudenken, wie das Handeln der befreiten Kreatur, für die die bisherigen Maßstäbe und Konventionen ihre Bedeutung verloren haben (Beschneidung oder Unbeschnittensein stehen umfassend für das Leben vor der Befreiung zu eigenständigen Entscheidungen und Handeln nach den Maßstäben des Glaubens) im Leben Gestalt annehmen kann.
Lukas 10, 1 – 12, 17 – 20
Diese Perikope kommt in der Evangelischen Perikopenordnung (wie auch die beiden vorangehenden Perikopen des 14. Sonntags im Jahreskreis) als Predigttext nicht vor; die Abschnitte Lk 10, 1 – 9 bilden aber das Evangelium für den 25. April, den Tag des Evangelisten Markus, und die Verse Lk 10, 17 – 20 sind als Evangelientext für den 29. September, dem Tag des Erzengels Michael und aller Engel vorgegeben. Der „Aussendung der 72 Jünger" des Lukasevangeliums steht im synoptischen Vergleich die „Aussendung der Zwölf" gegenüber; diese Perikope wird dem 2. Sonntag nach Trinitatis zugeordnet, findet sich aber ebenfalls nicht in der Perikopenordnung.
Der vorliegende Text beschreibt die Aussendung der Jünger, 72 an der Zahl (nach anderen alten Textzeugen sind es 70), und stellt Verhaltensmaßstäbe auf, die auf den Missionsreisen zu befolgen sind. Dazu gehören Schlichtheit und Zurückhaltung im Umgang und in den gestellten Ansprüchen, aber auch die Notwendigkeit zur gebotenen Eile (die Aufforderung „Grüßt niemanden unterwegs" in V. 4, vgl. 2. Kön 4,29, lässt sich nur so verstehen). Die Jünger erhalten den Auftrag, die Kranken zu heilen und die Nähe des Gottesreiches zu verkünden. Im synoptischen Vergleich mag die Gewichtung des damit verbundenen Bußrufes im Matthäusevangelium mitgedacht werden, wie er die Grundlage der Verkündigung Johannes des Täufers (Mt 3,2) und Jesu Christi selbst (Mt 4,17) an zentralen Stellen ausmacht und bestimmt; in Mt 10 und Lk 10,17 ist gleichzeitig von der Austreibung böser Geister seitens der Jünger die Rede.
Die Perikope, die gleichsam Urgestein christlicher Verkündigung und christlicher Beauftragung ist spricht hinsichtlich der verbundenen Frage nach Aspekten von Nachhaltigkeit für sich. Zunächst wird eine Botschaft verkündet, die trotz erheblicher Widerstände (siehe die gesamte Apostelgeschichte) nicht aufgehalten werden kann, sondern ihren Weg findet bis ins Herz des damaligen römischen Reiches, der Stadt Rom selbst. Grund für diesen Siegeszug des Evangeliums ist trotz der starken Verluste die innere Überzeugung der Gläubigen. Zudem ist die Botschaft mit der Friedensbotschaft verbunden, sowie mit Heil und Heilung. Gleichzeitig ist der Text voller Dynamik und Dichte. Es fällt im Vergleich nicht schwer, die Prinzipien nachhaltigen Wirtschaftens, den Einsatz für die Bewahrung der Schöpfung, soziale Gerechtigkeit und Wahrung- bzw. Durchsetzung von Menschenrechten analog-, bzw. als parallelen- und im ursächlichen Zusammenhang stehenden Auftrag unserer Zeit zu betrachten und zu verkünden. Ein Text gleichzeitig gegen jegliche Verdrießlichkeit und Depression, wenn mal wieder ein Einsatz nicht gelungen ist, oder wenn auf nationaler- und internationaler Ebene Rückschläge zu verzeichnen sind, wie zur Zeit der Abfassung dieser Vorbereitung die Konferenz der Vereinten Nationen zur nachhaltigen Entwicklung Rio + 20. In der Perikope werden Jünger geschildert, die – je zu zweit – unterwegs waren und glücklich darüber berichten konnten, was erreicht worden ist. Das waren kleine Erfolge, die ihnen aber gezeigt hatten, dass sich der Einsatz lohnt. In einer Predigt könnte darauf hingewiesen werden, dass jeder in seinem Bereich tätig wird; sich Aufgaben gibt, die bewältigt werden können und mit Einsatzfreude daran arbeitet. Ob eine Polarisierung, die im Predigttext latent vorhanden ist und vorgegeben wird, Eingang in den Predigtentwurf findet, mag anhand der unterschiedlichen Predigthörerkreise individuell abgestimmt entschieden werden.
Uwe G. W. Hesse