Quasimodogeniti / 2. Sonntag der Osterzeit (24.04.22)

Quasimodogeniti / 2. Sonntag der Osterzeit

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Kol 2,12-15 Apg 5, 12-16 Offb 1, 9-11a.12-13.17-19 Joh 20, 19-31

 

Apg 5, 12-16 Zeichen und Wunder

Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Regierungen unterzeichnen Dekrete und beginnen damit, diese ernsthaft umzusetzen. Autohersteller auf der ganzen Welt stellen konsequent auf Elektrizität um. China baute in den letzten Jahren 35 Tausend Kilometer Schnellbahnen, und will das auch in den nächsten Jahren verdoppeln. Die USA und Europa geben Milliarden von Reicht das? - Vielleicht hilft uns da der Zeithorizont der Apostelgeschichte. Die Zeichen und Wunder, von denen diese erzählt, traten in sehr kurzer Zeit sehr gehäuft auf. Viele kamen. «Sie wurden alle geheilt». Es macht fast den Anschein, als ob (quasi modo) Petrus ein ganz grosses Quantum der himmlischen Heilungen schon aufgebraucht hätte.

Dem ist aber nicht so. Zeichen und Wunder geschahen vor Jesus und Petrus. Und sie geschehen seitdem. Wir dürfen vertrauen, dass wir, quasi als Geistbegabte, sowohl Empfänger*innen als Mit-täter*innen von Zeichen und Wunder sind. Vor allem Zeichenhandlungen können wir als Christinnen, als Person und als Gemeinschaft, immer wieder erfinden, von ihnen Kraft empfangen und sie im öffentlichen Raum inszenieren. Viele Menschen, gerade auch junge, die durch das oft «nur» zeichenhafte Engagement von Kirchen und kirchlichen Kreisen für Nachhaltigkeit und Bewahrung der Schöpfung, etwa durch das Unterstützen der Klimajugend durch Glockengeläut, sind «voll des Lobes» und finden neu einen Bezug zur Kirche. Natürlich gibt es auch solche, die es nicht wagen, sich zu uns zu gesellen und das kirchliche Engagement für Nachhaltigkeit als Ersatzreligion lächerlich machen. Wichtig ist: Es gibt heute neue Formen von Kranken, die nicht auf Bahren und Liegebetten auf die Strasse getragen werden, sondern durch Waldbrände und Rodungen vertrieben, durch Überschwemmungen entwurzelt und durch Dürre heimatlos werden. Ihnen allen gilt: Auch sie werden geheilt werden. Mit Gottes Hilfe. Und unserem stetigen, bescheidenen, kraftvollen, nachhaltigen, oft zeichenhaften Engagement.

Offb 1, 9-11a.12-13.17-19

«Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige; ich war tot und siehe, ich lebe in alle Ewigkeit» Also gut, fürchten wir uns nicht. Nicht vor der Zukunft. Nicht vor dem Untergang der Welt. Nicht vor der Erderwärmung. Denn die Furcht ist ein schlechter Ratgeber. Und eine schlechte Wissenschaftlerin. Klar, wer das Buch des Wiener Historikers Philipp Blom «Was auf dem Spiel steht» gelesen hat, weiss: Alles steht auf dem Spiel. Das Gespräch zwischen ihm und der Philosophin Barbara Bleisch ist mehr als sehenswert – und wühlt hoffentlich auf, und beunruhigt![1] Gut so! Und doch: Lassen wir uns nicht ins Bockshorn jagen. Denn das bringt nichts. Lassen wir uns durchaus bewegen von Argumenten, von Fakten, und ja, auch von einem schlechten Gewissen. Dabei können wir aber stets eine gewisse, ganz starke Gelassenheit ins Spiel bringen. Nicht wir sind die Ersten, wir werden nicht die Letzten sein. Dieser ist allein Gott in Jesus Christus. Das macht uns nicht untätig, feige oder uneinsichtig. Sondern einfach menschlicher, unverkrampfter, entspannter. Es macht uns zu «quasi modo geniti» - zu jungen, frisch geborenen Kindern. So neu geboren denken wir mit weniger Angst und Furcht. Und wir sind voller Verständnis für der Mitmenschen Begrenztheit, Schwachheit und kleinem, ja, kleinbürgerlichen Horizont. Auch sie werden einst quasi neu geboren werden – und leben.

Johannes 20, 19 – 31

«Und nachdem er dies gesagt hatte, hauchte er sie an, und er sagt zu ihnen: Heiligen Geist sollt ihr empfangen!» Wir sind quasi angehauchte. Angehaucht – von Heiligen Geist. Pfingsten, vorweggenommen am zweiten Sonntag nach Ostern. Das richtet uns neu aus – auf das, was der Heilige Geist wirken möchte. Diese Kraft möchte, dass wir unser Leben so führen, dass alle Lebewesen, die heutigen und die kommenden, ein gelingendes, friedliches und gutes Leben führen können. Der Heilige Geist, der durch den Auferstandenen vor fast zweitausend Jahren die ersten Jüngerinnen und Jünger angehaucht hat, möchte auch noch in viertausend, in achttausend, in acht Millionen Jahren Menschen anhauchen können, damit sie aufstehen, sich verändern und Mut fassen können.

Das Anhauchen des Auferstanden mit dem Heiligen Geist ist der Grund, die Triebkraft und die Motivation dafür, dass wir uns als Christenmenschen und als christliche Gemeinschaft überhaupt nachhaltig verhalten sollen, können und dürfen. Denn Gesandte sind wir. Die Sendung, am Schluss jedes Gottesdienstes, liegt - auch - hier begründet: «Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.». Hört das Wort der Gnade, des Friedens und der Veränderung nicht nur. Lasst euch verändern! Und dann: Do it! Tut es, dieses Wort der Sendung! Das ist unsere Sendung.

Unterschätzen wir nicht, was wir, die so Heiligen und Gesendeten, in der öffentlichen Debatte bewirken: Wir setzen uns ein, für Umwelt, Menschen und Tiere, weil wir von der Ewigkeit her, von Christus Jesus her, dem anhauchenden Auferstanden her, denken, leben und fühlen. Wir machen das in der Gewissheit, dass wir nicht die ganze Welt und ihre Nachhaltigkeit auf unseren Schultern tragen müssen. Nein, wir machen es deshalb, weil wir gewiss sind, dass Gott, der uns Vater und Mutter ist, die ganze Welt liebt und nachhaltig in seinen Händen hält, auch auf unsere Mithilfe, Fantasie, Ausdauer, Hartnäckigkeit und stetes, eben nachhaltiges Wohlwollen zählt. Selig sind die, die Wissenschaft, Fortschritt und Humanismus (Steven Pinker) verbinden mit dem, was das alles übersteigt: dem Heiligen Geist und seiner Kraft.

Kolosser 2, 12 – 15

«Zerrissen hat er den Schuldschein» Wie wäre die Nachhaltigkeitsdebatte zu führen, wenn wir einander nicht mehr die Schuld in die Schuhe schieben würden? Wenn wir einander nicht mehr Flug-Shaming, Autofahr-Shaming, Ferien-Shaming anhängen würden? Denn: «Zerrissen hat er den Schuldschein.» Geht das überhaupt? Wahrscheinlich nicht. Denn benennen, woher der CO2-Ausstoss kommt, wer dafür verantwortlich ist und wer damit «Schuld» trägt, ist unabdingbar und nötig, wenn etwas nachhaltig geändert werden soll. Inmitten dieser wissenschaftlich fundierten Debatten dürfen wir Kirchen, wir Christenmenschen, mitmachen und mitdenken, und ja – durchaus ein schlechtes Gewissen bewirken. Denn ohne ein solches - das ich auch psychologische und motivationstechnisch erforscht, - ohne ein schlechtes Gewissen passiert ganz wenig. Es reicht aber nicht! Und es ist bestimmt auch nicht DER christliche Beitrag zur Nachhaltigkeitsdebatte.

Den eigentlichen Beitrag sehe ich in Ostern, der Leichtigkeit des Seins, trotz allen Widerständen. «Mit ihm seid ihr begraben worden in der Taufe, und mit ihm seid ihr auch mitauferweckt worden durch den Glauben an die Kraft Gottes, der ihn von den Toten auferweckt hat.»

Hinschauen, erschaudern über die weltweiten Folgen unseres Handelns, das ist gut und richtig so. Wir dürfen auch erschrecken. Es kann dann sein, dass es dazu kommt, dass wir nicht mehr weiterwissen. Es kann Schmerz und Wut auslösen. Die «Felsen» der Uneinsichtigen «möchte ich dann manchmal schütteln und «packen, vor Zorn und Wehe und Lust», wie es Eichendorff in seinem Abend-Gedicht schreibt. Aber sogar bei ihm kommt ein Spielmann quasi als Frühling und Neuanfang daher: «Da kommt der Frühling gegangen, wie ein Spielmann aus alter Zeit, und singt von uraltem Verlangen, so treu durch die Einsamkeit». Das ist vielleicht DER Beitrag, den wir Christinnen und Christen beisteuern können: Die Gewissheit, dass stets ein «Spielmann» auftreten wird, und uns neu macht und Hoffnung schenkt. Dieser singt von uraltem Verlangen. Jeder Gottesdienst, jedes Abendmahl und jede Kommunion hält dieses «uralte Verlangen» nach gelungenem, gerechtem und nachhaltigem Leben am Brennen. Und das gerade dann, wenn wir vor schlechtem Gewissen und einsamer Macht- und Hilflosigkeit verzweifeln wollen und versucht sind, den Nachhaltigkeits-Bettel hinzuwerfen.

Das schlechte Gewissen ist kein Selbstzweck, sondern hat ein Ziel: Das Begraben von falscher Sicherheit, dass ja alles nicht so dringend ist, hin zum unerschrockenen und doch leichtfüssigen Aufstehen und Aufbrechen. Das darf durchaus manchmal unbequem sein. Unser kirchliches und persönliches Handeln ist aber bestimmt von Ostern und der Auferstehung: es ist überraschend, leichtfüssig, weil befreit von Schuld, vielleicht sogar humorvoll, sicher auch nachsichtig und demütig, bestimmt immer kraftvoll. Wer uns, als Nachfolgerinnen und Nachfolger der Gemeinde in Koloss, beim nachhaltigen Engagement beobachtet, sollte Menschen sehen, die wissenschaftlich, ruhig, vernünftig, begeistert und kraftvoll sich einsetzen für eine Welt, in der viele, ja vielleicht sogar alle, sich glücken können.

Andreas Peter, Baden


[1] „Die Natur schlägt zurück“ https://www.srf.ch/play/tv/sternstunde-philosophie/video/philipp-blom-die-natur-schlaegt-zurueck?urn=urn:srf:video:184120fe-d9d5-463e-94fa-ba3f8ea51c4b