Christi Himmelfahrt (26.05.22)

Christi Himmelfahrt

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Dan 7,1-3(4-8)9-14 Apg 1, 1-11 Eph 1, 17-23 Lk 24, 46-53


Dan 7,1

Das Buch Daniel gehört zur jĂŒdischen Apokalyptik. Sie ist in der SpĂ€tzeit des Ersten Testaments entstanden zur Zeit des Hellenismus, der die jĂŒdische Religion unterdrĂŒckte. Die Handlung ist jedoch in eine frĂŒhere Zeit verlegt, in diesem Fall in die Zeit des Babylonischen Exils. Die jĂŒdische Apokalyptik ist eine Zeit in der viele religiöse BĂŒcher entstehen, welche die Volksfrömmigkeit prĂ€gen. Davon wurde nur das Buch Daniel in den biblischen Kanon aufgenommen. Die anderen gehören zu jĂŒdischen Apogryphen.

Daniel hat eine große Vision – zuerst die vier furchterregenden Tiere. Sie symbolisieren die vier Großreiche, die Israel ab dem 8. Jh. vChr bedroht und beherrscht haben: die Assyrer, die Babylonier, die Perser und die Griechen bzw. der Hellenismus. Die Assyrer zerstörten das Nordreich, zu dem Samaria und GalilĂ€a gehörten, die Babylonier, das SĂŒdreich Juda mit der Hauptstadt Jersusalem und verschleppten die Oberschicht in das sogenannte Babylonische Exil. Die Perser sind fĂŒr den biblischen Autor die „Guten“, denn sie ließen die Exilierten bzw. ihre Nachkommen zurĂŒckkehren und Jerusalem wieder aufbauen. Der Gipfel der Bedrohung ist mit dem Hellenismus erreicht – und fĂŒr diesen Moment wird das Gericht Gottes erwartet. Die bedrohenden MĂ€chte in Form der Tiere werden verurteilt und es erscheint die Gestalt vom Himmel, der Menschensohn, der die Herrschaft antritt.

Der Autor blickt aus der Zeit des Hellenismus zurĂŒck und sieht: die bedrohlichen MĂ€chte sind untergegangen. Israel bzw. der jĂŒdische Glaube hat ĂŒberlebt. Er wird auch den Hellenismus ĂŒberleben, aber dieser ist so bedrohlich, dass Gott einen Retter – den „Menschensohn“ schicken muss.

Zur Zeit des Hellenismus ist das so nicht eingetreten, aber auch der Hellenismus verging. Er wurde abgelöst durch eine neue Großmacht, die Römer. Und da kam tatsĂ€chlich derjenige, der sich selbst „Menschensohn“ nannte: Jesus. Von ihm erwartet zumindest ein Teil seiner AnhĂ€nger, dass er die Römer vertreibt und ein neues jĂŒdisches Reich errichtet.

Auch das ist nicht geschehen. Jesus sagt: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“. Trotzdem hat dieses Reich immer wieder dazu gefĂŒhrt, die Reiche dieser Welt in Frage zu stellen. Auch das Zweite Testament hat sein apokalyptisches Buch, die Offenbarung des Johannes. Sie stellt mit den gleichen Bildern das Römische Reich in Frage. Und eine Religion, die der Machterhaltung dient – die römische Religion mit seinem Kaiserkult.

Hier werden Strukturen analysiert, die heute noch gelten: auch die HĂ€ndler beten das Tier an. Wer nicht sein Zeichen trĂ€gt, darf nicht mehr „kaufen und verkaufen“. Hier wird die enge Verflechtung zwischen Staatsmacht und Wirtschaft deutlich – und die römische Religion stĂŒtzt dies ideologisch ab.

Diese enge Verflechtung zwischen politischer Macht, ökonomischer Macht und der Staatsreligion macht deutlich, dass die Kritik dieser Religion durch das Christentum immer auch die Machtstrukturen in Frage stellt.

Das Endgericht ist bis heute ausgeblieben – oder findet immer wieder statt: Unrechtsregime können nur gegen den Widerstand ihrer Bevölkerung bestehen und brechen irgendwann zusammen; Finanzblasen fĂŒhren frĂŒher oder spĂ€ter zum Börsencrash; Menschenrechtsverletzungen bei der Herstellung unserer KonsumgĂŒter werden aufgedeckt; Firmen werden sogar wegen illegaler WaffenverkĂ€ufe in Krisengebieten verurteilt.

Das alles verhindert noch nicht das Leid vieler Menschen – aber es sind kleine Schritte auf dem Weg, den Jesus, der „Menschensohn“ uns gezeigt hat.

Apg 1

Die Frage der JĂŒnger wird seit 2000 Jahren immer wieder neu gestellt: Wann kommt endlich das Reich Gottes? Die Frage nach dem „Reich fĂŒr Israel“ zeigt, dass sie auch nach Tod und Auferstehung Jesu immer noch auf ein politisches Reich hofften – ein Königreich wie zur Zeit Davids. Dabei geht es vielleicht weniger um die politische Macht als um die Sicherheit, in denen das jĂŒdische Volk zur Zeit Davids und Salamos lebte. Ein angesehener König, sichere Grenzen und ein starkes Heer.

Woran es mangelte, war jedoch der innere Zusammenhalt. In dieser Zeit bilden sich die ersten sozialen Unterschiede aus. Mit dem Königshof entsteht eine Oberschicht, die vom Volk ernĂ€hrt werden will. Die Propheten werden zu den Mahnern der Königszeit. Trotzdem bleibt ein neues „Reich Davids“ die Utopie des Judentums bis zur Zeit Jesu.

Doch das Reich Jesu ist anders. Es beginnt im Kleinen, bei jedem Menschen. Jed(R) ist aufgerufen, ein Samenkorn des Reiches Gottes zu sein, Hungernden zu essen zu geben, Obdachlosen eine Wohnung, Fremde aufzunehmen, Kranke und Gefangene zu besuchen und zu unterstĂŒtzen.

Die JĂŒnger Jesu haben diese Predigt gehört. Aber trotzdem schauen sie zum Himmel. Sie erwarten die Lösung „von oben“. Dabei ist die Botschaft immer wieder: Das Reich Gottes fĂ€llt nicht vom Himmel. Es wĂ€chst von unten. Ein Senfkorn, Weizen, der sogar vom Unkraut umgeben ist.

Wenn wir auf die drĂ€ngenden Probleme der Menschheit schauen, mĂŒssen wir feststellen, dass wir schon zu lange auf eine Lösung „von oben“ gewartet haben. SpĂ€testens seit den 1970er Jahren sind der Klimawandel, die Ausbeutung des Globalen SĂŒdens und das Überschreiten der planetarischen Grenzen wissenschaftlich nachgewiesen und werden diskutiert. Wertvolle Zeit des Gegensteuerns wurde verpasst, Warnungen ĂŒberhört.

Kleine Gruppen entwickeln eine Alternative: es entstehen die ersten BiolĂ€den und Eine-Welt-Gruppen. Die Gepa wird gegrĂŒndet, Kirchengemeinden beginnen mit dem fairen Handel, Umweltgruppen treffen sich. Die Friedensbewegung fordert AbrĂŒstung. Das sind Senfkörner, oft im kirchlichen Raum.

Es dauert Jahrzehnte bis sich auch die Politik bewegt. In den 1990er Jahren gibt es erste AbrĂŒstungsvertrĂ€ge und zögerliche Verhandlungen ĂŒber den Klimaschutz. Es gibt auch Meilensteine: Das Klimaschutzabkommen von Paris 2015, der Atomwaffenverbotsvertrag 2021. Und kleine Schritte wie das Lieferkettengesetz.

Die Umsetzung muss aber immer wieder von unten eingefordert werden: Menschenrechtsorganisationen, Fridays for future, Brot fĂŒr die Welt, MISEREOR, pax christi, der Internationale Versöhnungsbund und andere Akteure der Zivilgesellschaft spielen dabei eine wichtige Rolle.

Lk 24

Diese beiden Texte haben Ă€hnliche Themen: zum einen sind die christologisch. Es geht um die Hoffnung, die wir aus Tod und Auferstehung Jesu schöpfen. Der Epheser-Text beschreibt Jesus als das Zentrum der Welt, der jetzigen und der zukĂŒnftigen. Auch nach Lukas soll durch Christus – ausgehend von Jerusalem – der ganzen Welt Umkehr und Heil verkĂŒndet werden.

In einem spannenden Kontrast dazu steht, der Ort der „Himmelfahrt“ zumindest hier nach Lukas: Es ist nicht Jerusalem, ja noch nicht einmal ein besonderer Berg, sondern „in der NĂ€he von Betanien“. Betanien, ein kleiner Ort in der NĂ€he von Jersualem. Hier hatte Jesus Freunde, versteckte sich eventuell sogar dort vor Feinden und Gefahren, die ihn Jerusalem auf in lauerten. In Betanien wurde er gesalbt: Symbol fĂŒr seine Aufgabe als Priester, König und/oder Prophet – gesalbt von einer Frau. Zugleich ist die Salbung auch ein Hinweis auf seinen Tod. Ein schillernder, mehrdeutiger Ort. Ein Ort der Peripherie – im Gegensatz zum Zentrum Jerusalem.

Jesus war ein Mann der Peripherie: ausgewachsen in Nazareth, ĂŒber das zwar zur Zeit Jesu König Herodes herrschte, es aber um jĂŒdischen Stammland im SĂŒden abgetrennt war. Nazareth, dessen Bevölkerung „Mischehen“ mit Nicht-Juden eingegangen war.

Jesus predigte vor allem in GalilĂ€a, einer aufmĂŒpfigen Provinz, in der auch die Römer keine Ruhe schaffen konnten. GalilĂ€a, das mit seinem relativen Wasserreichtum landwirtschaftliches Zentrum war und wo es trotzdem so viele Arme gab.

Als nun dieser Wanderprediger mit seinen AnhĂ€nger(innen) in das Zentrum Jerusalem kommt, eilt ihm schon ein Ruf voraus, der ihn fĂŒr den König und die Priesterschaft verdĂ€chtig macht. Seine AnhĂ€nger(innen) sind Fischer, (geheilte) Kranke, Zöllner, Frauen, sogar Prostituierte. FĂŒr so jemanden ist es gefĂ€hrlich, in Jerusalem zu ĂŒbernachten. Er zieht sich besser nach Bethanien zurĂŒck.

Auch fĂŒr seine „Himmelfahrt“ wĂ€hlt er diesen Ort. Die VerĂ€nderung geht von der Peripherie aus. Es sind die Theolog(innen) der Peripherie, die ab den 1980er Jahren die akademische europĂ€ische Theologie in Frage stellen. Es sind die Kleinbauernfamilien in Paraguay, die unsere Agrarindustrie anklagen, ihre Lebensgrundlage zu gefĂ€hrden und die Artenvielfalt zu zerstören. Es sind die NĂ€her(innen) in Bangladesh, welche die Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie in Frage stellen. Es ist der Papst „vom anderen Ende der Welt“, der unser technokratisches Wirtschaftssystem anklagt und einen anderen Umgang mit der Natur und unseren Mitmenschen fordert.

Beide Texte sprechen davon, dass wir Zeugen unserer Hoffnung auf Jesus Christus sein sollen. Unsere Hoffnung ist: „Eine andere Welt ist möglich.“ Das hat uns Jesus vorgelebt.

Dr. Monika Bossung-Winkler, Böhl-Iggelheim