7. Sonntag nach Trinitatis / 18. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Joh 6,1-15 | Koh 1, 2; 2, 21-23 | Kol 3, 1-5.9-11 | Lk 12, 13-21 |
Johannes 6, 1-15, Die Speisung der Fünftausend
Die Geschichte ist vertraut und scheint geradezu paradigmatisch auf ein „Fair-teilen“ zu verweisen. Es wird von einer großen Menge hungriger Menschen berichtet. Menschen, die Jesus folgten, weil sie in ihn ihre Hoffnung setzten. Sie sahen in ihm jemanden, der Zeichen tat, indem er Menschen heilte. Wie kann es gehen, dass alle satt werden? Die Erzählung von der wunderbaren Speisung weist eine große Nähe zu den synoptischen Evangelien auf, jedoch auch einige Besonderheiten. Neben dem Wunder im engeren Sinne steckt sie voller innerbiblischer Verweise und eröffnet damit interessante Perspektiven.
Luzia-Sutter Rehmann zeigt in ihrem Buch über Hunger im Neuen Testament eine Perspektive auf, die den Hunger als durchgängiges Thema des NT herausarbeitet. Die vielen, die Jesus folgen, tun dies in Verzweiflung über ihren lebensbedrohlichen Hunger und das Versagen der Obrigkeit, ihre Lebenssituation zu verbessern. Sie leiden konkret Hunger und Jesus lehrt sie die Tora als Weg zum Leben, zu einem neuen Exodus, zu einer Mobilisierung ihrer Kraft eine neue Gemeinschaft zu werden, in der alle genug zu essen haben.
So großartig dieses Wunder ist, und Johannes steigert es noch, in dem die damals ungeheure Summe von 200 Dinar nicht reicht, die große Menge an Menschen zu verköstigen, so bleibt doch die Frage: Wie werden Menschen satt, und zwar nicht nur für den Moment? Wie entkommen sie nachhaltig dem Hunger?
Ich möchte zwei Hinweisen nachgehen, die einzigartig im Text des Johannesevangeliums sind: In V. 9 wird ein Bursche (die Basisbibel übersetzt kleines Kind, doch bei paidárion handelt es sich wohl eher um einen jugendlichen Sklaven, Wengst, 220) genannt, der fünf Gerstenbrote und zwei Fisch dabeihat. In diesem eher nebenläufigen Satz wird der Bezug zu einem anderen Speisungswunder hergestellt: In 2 Kön 4, 42-44 wird vom Propheten Elischa berichtet, der in einer Hungersnot mit zwanzig Gerstenbroten das Volk speist: „Gibt’s dem Volk, dass sie essen! Fürwahr, so hat Adonaj gesprochen: Man isst und hat übrig!“ Die Parallele zum Speisungswunder in den Evangelien ist offensichtlich. Jesus wird hier in die prophetische Tradition gestellt. Gerstenbrote, auch das ist zu beachten, sind ein minderwertiges Brot, die Speise der Armen, von manchen antiken Autoren als Vieh- oder Hühnerfutter bezeichnet (Wengst, 220). Doch es verweist auch auf die klare Perspektive: Hier geht es darum, dass Arme sattwerden. Die Menschenmenge um Jesus hat nicht einfach vergessen, genügend Proviant mitzunehmen. Sie sind arm und hungrig und erfüllt von der Sehnsucht, genug zu essen zu haben.
Eine zweite Besonderheit bei Johannes findet sich in V. 15: Jesus entzieht sich, als die Menschen ihn zum König machen wollen. Jesus will sich unterscheiden von Herrschern, die sich durch die Spende von Nahrungsmitteln legitimieren wollen (Wengst 223). Es geht nicht um Brot und Spiele, es geht darum, dass die Armen die Tora hören, sich in die Befreiungsgeschichte Gottes mit seinen Menschen stellen, dass sie selbst aktiv und Teil des anbrechenden Reich Gottes werden.
Das Speisungswunder wird häufig auch als Verweis auf das Abendmahl gelesen. Jesus segnet das Brot und teilt es aus, er ist der Gastgeber am Tisch der Gemeinde. Dies sollte jedoch nicht in einem rein spirituellen Sinn verstanden werden: Die christliche Gemeinde ist der Ort, wo die Hoffnung darauf lebendig erhalten wird, dass alle satt werden, alle Brot in den Händen halten sollen. Diese Hoffnung kann nicht innerlich bleiben, sie ist eine tätige Hoffnung, die immer wieder neu auf unsere aktuelle Situation durchzubuchstabieren ist. Dabei geht es nicht um ein paternalistisches Versorgen, wie wir aus der Abweisung der Königswürde durch Jesus lernen. Sondern darum, dass alle Teil dieser Bewegung werden, die Armen selbst in Würde und auf Augenhöhe die neue Wirklichkeit in dieser Welt gestalten.
Prediger 1,2., 2, 21-23
Das Buch Kohelet gehört zu einen der jüngsten Bücher des AT, es ist von jeher diskutiert worden, ob es zum biblischen Kanon gehören soll. Seine pessimistische und illusionslose, fast schon fatalistische Sicht auf die Welt befremdet. Die Exegese sieht im Autor den Angehörigen einer aristokratischen Oberschicht, der mit räsonierendem Blick auf Menschen und Verhältnisse schaut (Ebach, 107). Ein eher komfortabler Ort und mir fällt der Satz eines armen Brasilianers ein, der uns reichen Europäern entgegenhielt: „Eure Hoffnungslosigkeit können wir uns nicht leisten!“. Trotz aller Distanz finde ich aber auch scharfsinnige und tiefgehende Einsichten in das menschliche Leben und vor allem in seine Unverfügbarkeit.
Hier geht es um ein Thema, das auch unseren Tagen aktuell ist: Das Erben. Jemand hat sich abgerackert, sein Leben lang und nach seinem Tod fällt dies jemandem zu, einfach so. Ich werde unwillkürlich erinnert an die Nachkriegsgeneration, von denen viele ihr Leben lang für das eigene Haus auf alles verzichtet haben, und nach ihrem Tod wollen es die Kinder nicht einmal haben. Doch die Frage des Erbens steht heute auch in einem engen Zusammenhang mit der Gerechtigkeitsfrage. Kann es sein, dass ein Teil unsere Gesellschaft zu reichen Erben wird, während andere, die ihr Leben lang hart gearbeitet haben, im Alter nicht das Notwendigste haben? Diese Entwicklung führt auch den Glaubenssatz unserer kapitalistischen Weltendgültig ad absurdum, dass „Leistung sich lohnt“. Das Bedürfnis von Menschen, etwas über ihren Tod hinaus zu hinterlassen, was Bestand hat, ist der letztlich vergebliche Versuch, der Endgültigkeit des Todes auszuweichen. Wie kann ein gutes Vermächtnis aussehen, was hat wirklich Bestand? Was lohnt die Mühe und das Sorgen? Der Autor des Predigerbuches würde wahrscheinlich sagen: Nichts, alles vergeblich. Doch mit Gütern etwas Sinnvolles und Gutes in die Welt zu bringen, was diese etwas besser macht, ist der Mühe wert.
Lukas 12, 13-21
Auch im Evangelium geht es um das Erben und den Besitz. Die brüske Zurückweisung des Fragenden durch Jesus irritiert mich erst einmal. Denn in der damaligen Zeit sicherte das Erbteil oftmals die Existenzgrundlage der Nachkommen. Doch zugleich fallen mit zahlreiche Geschichten ein, von Geschwistern, die sich durch den Streit über das Erbe ihr Leben lang entzweit haben. Ist es das wert? Zählen Beziehungen, zählt Zusammenhalt nicht mehr? Und was lässt Menschen so erbittert um Besitz kämpfen? Die Geschichte, die Jesus erzählt, ist unmittelbar einleuchtende und plausibel und hält uns allen doch den Spiegel vor. Wie können wir nur meinen, Sicherheit zu gewinnen durch das Horten von Hab und Gut? Die Sorge um uns selbst, der Versuch, dadurch die Angst vor dem Leben und dem Tod zu überwinden, lässt uns das Leben verfehlen. Auch hier geht es um die Unverfügbarkeit und Unplanbarkeit menschlichen Lebens. Bei Gott reich sein, was heißt das? Schätze im Himmel sammeln, steht an anderer Stelle im Evangelium. Hiermit ist sicher keine Pfadfinderethik gemeint, kein Punktesammeln bei Gott. Was ist die Alternative dazu „nur für sich selbst Schätze zu sammeln“? Das Glück des Teilens gründet in dem tiefen Vertrauen auf Gott, seine Güte und Barmherzigkeit. Und selbst in profanen Zusammenhängen wird vielen Menschen heute immer deutlicher, dass weniger haben ein mehr an Leben, ein mehr an Beziehung und Freiheit bedeuten kann. Doch es kann nicht nur um eine Lebensstilfrage gehen, denn wir wissen, dass es mit unserer Welt so nicht weitergeht. Für alle Veränderungsprozesse brauchen wir dieses Zutrauen, dass wir gewinnen, wenn wir auf bisherige Konsumgewohnheiten verzichten. Als Christinnen und Christen stellt sich uns diese Frage auch auf die Zukunft unserer Kirche bezogen.
Kolosser 3, 1-5, 9-11
In diesem Text geht es noch einmal um die Haltung, die wir als Christinnen und Christen als neue Menschen haben sollen - und können. Doch leichter gesagt als getan. Wenn wir diesen Predigttext mit dem Evangelium zusammenlesen, hören wir die Interpretation einer frühen christlichen, nachpaulinischen Gemeinde. Die Gegenüberstellung von dem Irdischen und dem was oben ist, scheint auf den ersten Blick eine Weltablehnung zu fordern, die mir fern ist. Doch im Kern geht es um ein Miteinander, bei dem unterschiedliche Menschen durch den Glauben ein neues Zusammenleben in Gleichwürdigkeit und Augenhöhe gewinnen. Der neue Mensch erkennt den Schöpfer und damit auch die Gleichwertigkeit seiner Geschöpfe.
Dabei zielt das implizite Bild eines neuen Kleides auf mehr als eine kognitive Erkenntnis ab: Es mag ja alles gut und richtig sein, was hier als irdische Untaten aufgezählt wird, doch wie kann ich mich so verändern, dass diese Haltung mir zu einer zweiten Haut wird? Für alle Veränderungsprozesse, die nötig sind und die wir gestalten müssen, ist dies eine zentrale Frage. Hier ist eine leibliche Erfahrung angesprochen. Und diese Erfahrung kann nur durch eine veränderte Praxis gewonnen werden und Teil von uns werden. So handeln, als wären wir durch und durch schon diese neuen Menschen, übt ein, verändert uns und bringt uns dem nahe, was wir sein können.
Dr. Beate Sträter, Bonn
Literatur:
Jürgen Ebach, ...und Prediger 3 auslegen hat seine Zeit, in: Die Bibel gehört nicht uns, Einwürfe 6, München 1990
Luzia Sutter Rehmann, Wut im Bauch. Hunger im Neuen Testament, 2, Auflage, Gütersloh 2016
Klaus Wengst, Das Johannesevangelium, 1. Teilband, Kapitel 1-10, Theologischer Kommentar zum Neuen Testament, Stuttgart 2000