8. Sonntag nach Trinitatis / 19. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Mk 12,41-44 | Weish 18, 6-9 | Hebr 11, 1-2.8-19 | Lk 12, 32-48 |
Weish 18,6-9, Lk 12,32-48
Das Buch der Weisheit wird wohl selten zum Gegenstand einer Predigt. An den Sonntagen erscheint es zwei- bis dreimal in der Leseordnung. Es könnte zu Lebzeiten Jesu entstanden sein, aber wohl in Alexandria, der Hauptstadt der römischen Provinz Ägypten und grössten jüdischen Gemeinde ausserhalb Israels. Für das Leben an diesem so pulsierenden wie kulturell und religiös heterogenen Platz war es naheliegend, den Anker auszuwerfen zur Exodustradition. Mit Emphase wird erinnert an die Zusage Gottes, an die angespannte und vertrauensvolle Erwartung der Errettung, an die verborgenen Vorbereitungen der auf den Bund mit ihrem Retter Eingeschworenen. All dies gesprochen in die unsichere, mehr oder weniger diskriminierende und mitunter auch gefährliche Diasporasituation (Fremdenhass wird in Weish 19,13 erwähnt).
Auch heute leben wir mit Unsicherheiten, Corona hat uns dies deutlich gezeigt: Wer sich im Leben sonst auf der sicheren Seite fühlte, sieht diese Sicherheit jäh in Gefahr. Auch wer sich keine materiellen Sorgen zu machen braucht, lebt nun doch nicht mehr sorgenfrei. Umso mehr trifft die Unsicherheit all die Menschen mit knappen Mitteln und prekärem Status. Die Intensivstation, die Sauerstoffflasche, die Impfung, der gesicherte Lohn ist nicht für alle in Reichweite, bei weitem nicht! Ungerechtigkeit, in unseren reichen Ländern subtil und kaum sichtbar, spaltet plötzlich die Gesellschaft sehr augenfällig in Privilegierte und Menschen, denen es an allem fehlt und die jeder Bedrohung schutzlos ausgeliefert sind. Fairness, bzw. Verteilungsgerechtigkeit wird so in dem Moment zum Gebot der Stunde, wo die Globalisierung zwar wirtschaftlich auf dem Höhepunkt, politisch aber an einem Tiefpunkt angelangt ist, wo das Recht des Stärkeren gilt, und langfristiges gemeinsames Handeln vor kurzfristigen und kurzsichtigen Egoismen kapituliert.
Dabei wäre Wachsamkeit angesichts der Klimakrise, welche die Schwächsten dieser Welt am stärksten trifft, wohl angezeigt. „Wo dein Schatz ist, ist auch dein Herz.“ Ist dein Schatz in deiner Brieftasche? Liegt er als Autoschlüssel in deiner Hand? Oder ist unser gemeinsamer Planet dein Schatz? Hast du deine Lampe angezündet? Oder sollen zuerst die anderen? Bist du bereit, dich jetzt sofort für eine gesunde Erde einzusetzen oder wird jetzt noch gegessen und getrunken und Party gefeiert?
Das Gleichnis Jesu vom Herrn und den Knechten ist grobschlächtig. „Der Knecht, der den Willen seines Herrn kennt, sich aber nicht darum kümmert und nicht danach handelt, der wird viele Schläge bekommen“ (Lk 12,47). Nun, wir wissen es besser: Nicht wir werden geschlagen werden, sondern unsere Nachkommen, oder unsere ärmeren Nachbarn in strukturschwachen Ländern.
Mk 12,41-44
Das Bild von der armen Witwe, die alles gibt, was sie hat, trifft sich in gewissem Sinn mit den oben genannten Herausforderung an globale und lokale Gerechtigkeit. Die erste Interpretation dieser Szene weist auf die Proportionalität des Gebens hin. Der Vermögende kann leicht einen Fünfziger- oder eine Hunderterschein in den Opferstock schieben, er wird sich deswegen nicht einschränken müssen. Wenn ein armer Mensch so viel gibt, kann er tagelang nichts mehr essen und es fehlt ihm Ende Monat. Eine zweite Interpretation muss aber folgendes feststellen: Proportionalität gilt zwar sowohl bei der Spende als auch bei den Schäden am Gemeingut, an unserem Planeten, aber nicht bei den Folgen: Vermögende erzeugen einen vielfach grösseren ökologischen Fussabdruck als minder Bemittelte. Letztere tragen aber einen ungleich grösseren Teil des Schadens, weil sie an ungünstigen Orten wohnen und nicht die Freiheit haben, auszuweichen und weil sie bei der durch die Klimakrise zu befürchtenden Verknappung von lebenswichtigen Gütern mit den steigenden Preisen nicht mithalten können.
Immerhin steht der Opferkasten grundsätzlich für Solidarität. Alle geben ihm etwas von ihrem Besitz ab, und die Bedürftigen werden daraus unterstützt. Er könnte so zu einem Symbol für den systemischen Zusammenhang aller Menschen um den ganzen Globus werden. Ganz gewiss kann uns dabei unser Glaube an einen gerechten, zärtlichen und erschaffenden Gott den nötigen Impuls geben, nicht abseits zu stehen.
Dr. Zeno Cavigelli, Zürich