13. Sonntag nach Trinitatis / 24. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Lk 10,25-37 | Ex 32, 7-11.13-14 | 1 Tim 1, 12-17 | Lk 15, 1-32 |
Lukas 10, 25-37
Beim Thema ankommen
„Help! I need somebody. Help! Not just anybody. Help! You know I need someone. Help!” (Beatles) Was für eine kulturelle Weiterentwicklung, Hilfe zu erbitten. Nicht jede*r hat die Möglichkeit dazu. Um Hilfe zu bitten, will gelernt sein. Und es muss gesellschaftlich gewollt sein. Nicht überall ist es angesehen, am Straßenrand anzuhalten, um jemandem zu helfen. Nicht immer gibt es die Möglichkeit, schnell professionelle Hilfe zu holen.
„I never needed anybody's help in any way. But now these days are gone, I'm not so self-assured. Now I find I've changed my mind and opened up the doors. Help me if you can, I'm feeling down. And I do appreciate you being 'round. Help me get my feet back on the ground. Won't you please, please help me?” Der Mensch ist auf Hilfe angewiesen – besonders in den ersten Jahren nach der Geburt und in den letzten Jahren vor dem Tod. Doch auch mitten im Leben brauchen wir Unterstützung. Meine Frau macht mir jeden Morgen das Frühstück und hilft mir so, gestärkt in den Tag zu gehen und Zeit für meine Rückenübungen zu machen. Eine vermeintlich kleine Tat, aber mit großer Wirkung. Es muss nicht immer gleich eine Lebensrettung sein, die uns bewusstwerden lässt, wer die Menschen sind, die unserem Herzen im Alltag am nächsten sind. Das zu wissen, ist auch viel wert.
Die biblische Geschichte lesen
Menschen, die kluge Fragen stellen können, fragen Jesus nach dem Weg zum ewigen Leben. „Liebe!“, sagt Jesus. Um sicher zu gehen, fügt er noch hinzu: „Liebe Gott – deine Nächsten und dich selbst.“ Vielleicht hätte Jesus heute, wo die Flüsse über die Ufer treten, die Landstriche vor Hitze verbrennen und Eisbären wie Menschen vor zu viel Wärme verhungern, noch hinzugefügt: „Liebe alles, was lebt! Liebe diese Welt, in der alles Leben miteinander verbunden ist!“ Eigentlich ist die Sache ganz einfach. Wenn du leben willst – dem Menschsein, der Ebenbildlichkeit Gottes, dem Geschenk des Lebens angemessen – dann sorge für das Leben. Nun könnten die klugen Menschen in der biblischen Geschichte aufstehen und anfangen – doch sie fragen weiter: „Wer sind denn unsere Nächsten?“ und Jesus erzählt eine wirklich „krasse“ Geschichte von einem Gewaltverbrechen mit unterlassener Hilfeleistung. Die Person, die dem Menschen „halb tot auf der Straße liegend“ schließlich hilft, ist Samariter (Angehörige einer Religionsgemeinschaft, die wie das Judentum aus dem Volk Israel hervorgegangen ist) und sie ist auf einer Reise. Die Person kümmert sich, bringt die verletzte Person in Sicherheit und sorgt für medizinische Hilfe.
„Liebe deine Nächsten wie dich selbst“ bedeutet weder: deine eigenen Geschäfte gehen vor; noch bedeutet es: kümmere dich zuerst um Angehörige deiner eigenen Gemeinde oder Nationalität. Es bedeutet auch nicht, dass du alles allein machen musst; auch als Helfer*in kannst du dir Hilfe holen. Nur so viel ist klar: deine dir nächste Person, begegnet dir im Hier und Jetzt. Punkt. „So geh und tu!“, sagt Jesus zu den klugen Leuten.
Weiterführende Fragen und mögliche Schwerpunktthemen
Für mich bleibt trotzdem die Frage nach dem Anspruch und dem, wie ich ihm persönlich gerecht werden kann. Ich bin keine Intensivmedizinerin, keine Seenotretterin und keine Klimaaktivistin. „Help me if you can, I'm feeling down. And I do appreciate you being 'round.” Da sein und zuhören, ja das kann ich. Aber reicht das? Woran erkenne ich, wann ich wirklich helfen kann und wann nicht, wo meine Grenzen liegen? Barmherzigkeit, Empathie – aber kenne ich mich gut genug, um mit der Hilfe für andere nicht meine eigenen Bedürfnisse zu überdecken (Helfer*innensyndrom)? Wie kann Hilfe aussehen, die den zu Helfenden ihre Würde lässt und sie nicht zurück lässt mit dem Gefühl, unendlich dankbar sein zu müssen (Aufopferung)? Wie kann ich das Verhältnis zwischen Empathie für andere und Achtsamkeit für mich selbst gut ausbalancieren? Und sind das gegenüber der Radikalität des Textes nicht Luxusfragen?
Ich glaube, es ist gut diese Fragen aufzunehmen. Zum einen, weil der biblische Text ja unsere Lebenswirklichkeit nicht kennt und wir sie mindestens so aufmerksam wahrnehmen sollten, wie ihn, bevor wir zu anderen „predigend“ sprechen. Zum anderen sind die Fragen und Nöte der globalen Situation ja der einzelnen Person heute viel präsenter als in der damaligen Welt ohne Internet. Die Fragen nach Klimawandel, Welternährung, Pandemiebekämpfung sind Fragen, die uns als einzelne schnell überfordern können und vielen Angst machen.
Auch die Fragen nach Bezahlung und Zeit und Gendergerechtigkeit in Pflege und Carearbeit können nicht von Einzelnen bewältigt werden. Ist „Nächstenliebe“ heute für weibliche, männliche, diverse oder nonbinäre Personen unterschiedlich zu beschreiben? Wovon würde heute ein modernes Gleichnis mit einer weiblichen oder trans Protagnist*in handeln?
Wie ist es mit einer strukturellen „Nächstenliebe“, mit denjenigen, die zwar nicht direkt Leben retten, aber sich für die Veränderung von lebensbedrohlichen Bedingungen einsetzen? Was kann „Nächstenliebe“ heute für die Kirche bedeuten, wenn diejenigen, die Hilfe leisten, im Internet bedroht werden. Vielleicht eine Initiative „from #hatespeech to #hopespeech“, wie das Projekt „Netzteufel“ an der Evangelischen Akademie Berlin (www.netzteufel.eaberlin.de).
Christina Biere, Dortmund