Letzt. Sonnt. im Kirchenjahr / Christkönigssonntag
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
(Letzt. So.:) Mk 13,28-37 |
2 Sam 5, 1-3 | Kol 1, 12-20 | Lk 23, 35-43 |
„Anders-Macht“ – Zwischen Macht – Ohnmacht und Autorität
Wir feiern den letzten Sonntag in diesem Kirchenjahr. Ewigkeitssonntag, oder auch Christkönigsonntag.
Die Lesungstexte heute inspirieren dazu, über Macht und Wirksamkeit nachzudenken.
Wer ist mächtig? Wer hat Macht über mein Leben? Wem gebe ich Macht?
2 Sam 5,1-3
In der heutigen Lesung, im zweiten Buch Samuel, wird der junge David zum König gesalbt: „Der Herr hat dir gesagt, du sollst der Hirt meines Volkes Israel sein“ (2 Sam 5,2b). Das Königtum Davids qualifiziert sich durch die ihm übertragene Aufgabe. Als König ist David zugleich Hirte. Einer, der hütet, bewahrt, schützt und seine Herde sicher nach Hause führt. Ein König repräsentiert sein Volk und sorgt für Recht und Gerechtigkeit. Das ist der Idealfall.
Die Königsgeschichte Israels zeigt ungeschönt Aufstieg und Fall menschlicher Herrschaftsansprüche.
War Israel glücklich mit seinen Königen? Hatte Gott sie nicht gewarnt, es nicht zu handhaben wie in allen Völkern? Sie wollten einen König, so wie alle und sie bekamen ihre Könige. David ist neben Saul und Samuel der prominenteste König Israels. Eine Lichtgestalt mit langen Schatten.
Kol 1,12-20
Gott befreit aus der Gewalt der Finsternis. Er bringt Erlösung – Versöhnung – Friede. Doch nicht ohne Beteiligung des Menschen. Daher lohnt es sich sehr, die vorherigen Zeilen zu lesen und in die Ausführungen mit einzubeziehen:
Kol 1,9-11
„Daher hören wir seit dem Tag, an dem wir davon erfahren haben, nicht auf, für euch zu beten und zu bitten, dass ihr mit der Erkenntnis seines Willens in aller geistlichen Einsicht erfüllt werdet. Denn ihr sollt ein Leben führen, das des Herrn würdig ist und in allem sein Gefallen findet. Ihr sollt Frucht bringen in jeder Art von guten Werken und wachsen in der Erkenntnis Gottes. Er gebe euch in der Macht seiner Herrlichkeit viel Kraft, damit ihr in allem Geduld und Ausdauer habt.“
Kol 1,13 „Er hat uns der Macht der Finsternis entrissen“.
Wir sind den Mächtigen nicht hilflos ausgeliefert, wir sind ermächtigt von Gott für Recht und Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung Zeugnis abzulegen.
Daher erinnert der Autor des Kolosserbriefs immer wieder daran, sich nicht abbringen zu lassen.
Einige Zeilen weiter folgt ein Kernsatz aus dem Kolosserbrief: Doch müsst ihr im Glauben bleiben, fest und in ihm verwurzelt, und ihr dürft euch nicht von der Hoffnung des Evangeliums, das ihr gehört habt, abbringen lassen. In der ganzen Schöpfung unter dem Himmel wurde es verkündet (Kol 1,23).
Zur historischen Einordnung des Christkönigfestes
In einer Zeit, in der die herrschenden Königtümer in Europa zerbrechen und die jungen Demokratien Laufen lernen, wird das Christkönigsfest 1921 von Rom eingeführt. Es ist ein kritisches Fest.
Christkönig ist keine romantische Reminiszenz an königliche Herrschaften mit Pomp und Glamour. Es kritisiert kirchliche und weltliche Machtansprüche und verdeutlicht: Gottes Königtum ist anders als menschliche Machtansprüche.
Lk 23,35ff
Vom gesalbten König David in der ersten Lesung (2 Sam 5) zum Christos, dem Gesalbten Gottes. Die Szene im Lukasevangelium ist ausdrucksstark: Menschen schauen zu, wie Jesus gefoltert, verspottet und schließlich ermordet wird. Führende Männer verlachen ihn und sagen: „Andere hat er gerettet, nun soll er sich selbst retten, wenn er der Christus Gottes ist, der Erwählte.“ (Lk 23,35)
Ein gekreuzigter König. Vor kurzem wurde er von seinen Jüngern noch hochgefeiert und bejubelt: „Gesegnet sei der König, der kommt im Namen des Herrn. Im Himmel Friede und Ehre in der Höhe“ (Lk 19,38). Drei Kapitel später hängt er am Kreuz, alleingelassen von seinen Anhängern, verlassen von seinen Freunden. Es ist eine beklemmende Szene voller Aggression, Mordlust, Gleichgültigkeit und Angst. Ein verwundbarer, leidender Mensch. Christus, der guter Hirte, stirbt am Kreuz.
Das Leben Jesu ist geprägt von der radikalen Umkehrung der Machtverhältnisse. Lukas zeichnet einen „Antiherrscher“ (vgl. lukanische Kindheitsgeschichte Jesu) zwischen Macht und Ohnmacht. Hildegund Keul spricht von Anders-Macht. Anders-Macht bezeichnet die Fähigkeit, aktiv und konstruktiv Einfluss zu nehmen und Widerstand zu leisten. Voraussetzung für Anders-Macht ist die Unterscheidung von Vulneranz und Vulnerabilität. Keul unterscheidet Vulneranz als menschliche Fähigkeit zu zerstören und Macht destruktiv zu gebrauchen von Vulnerabilität, verstanden als die humane Möglichkeit der Macht, das eigene Leben hinzugeben, etwas einzusetzen oder gar sich selbst hinzugeben, statt fremde Opfer zu produzieren.
Gerade im Wissen um die eigene Verwundbarkeit kann Autorität wachsen. Autorität ist abgeleitet vom Lateinischen auctoritas und augere, was so viel wie wachsen lassen, nähren bedeutet. Diese Autorität zur Anders-Macht erwächst aus der spirituellen-ganzmenschlichen Verbundenheit mit Gott in Jesus Christus. Sie ist die Macht, die Ohnmacht nicht scheut, weil sie an die ermächtigende Kraft Gottes glaubt und innerweltliche Machtlogiken lustvoll, subversiv oder kreativ durchkreuzt.
Ignatius von Loyola hat dazu das Instrumentarium der „Unterscheidung der Geister“ eingesetzt. Es geht darum, die eigenen Gedanken und Gefühle, die eigenen Haltungen und Prinzipien daraufhin zu prüfen, ob sie destruktiv oder lebensförderlich sind.
Wir alle haben Macht und möchten Einfluss nehmen. Die Lust auf Macht und Wirksamkeit ist eine kostbare Kraft. Entscheidend ist, wofür und wie ich meine Macht einsetze. Die Versuchung, Macht als Herrschaftsinstrument für eigene Interessen zu missbrauchen, ist immer gegeben. Der Wille zur Macht als Instrument der Unterwerfung anderer verletzt die Würde von Menschen und Tieren und zerstört Leben. Die kritische Reflexion auf das eigene Verhalten und die eigenen Haltungen gehören nach Ignatius unbedingt zu einem mündigen Christsein und zu einer lebendigen Spiritualität. Begegne ich Menschen, Tieren, Pflanzen und Bäumen mit Respekt und Wertschätzung, oder sind sie nur ein Mittel, um meine eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und mein Ego zu steigern, frei nach Zefanja, Kapitel 2,15: „Ich und sonst niemand!“
Immer wieder gilt es eine Art Feintuning vorzunehmen und Lebensspuren von Todesspuren zu unterscheiden. Es mangelt uns nicht an Wissen, sondern an Mut und Entschiedenheit, das Erkannte auch umzusetzen. Für eine verantwortungsvolle Ausübung von Macht braucht es Com-Passion. Es braucht Mitempfinden und Mut, entschieden zu handeln. Wirkmächtigkeit geschieht aus der Haltung des Respekts vor allem, was lebt, vor jedem Menschen, jedem Tier, jedem Baum und jeder Pflanze. Nachhaltig handeln wir dort, wo wir eigene und fremde Grenzen achten und Leben fördern und schützen. Als tägliche Übung empfiehlt Ignatius: Aufmerksamkeit, Selbstreflexion und Gebet.
„Denn es wird nicht möglich sein, sich für große Dinge zu engagieren allein mit Lehren, ohne eine „Mystik“, die uns beseelt, ohne innere Beweggründe, die das persönliche und gemeinschaftliche Handeln anspornen, motivieren, ermutigen und ihm Sinn verleihen.“ (Papst Franziskus, Laudato si, 216).
Der letzte Sonntag im Kirchenjahr konfrontiert uns mit göttlicher Anders-Macht, mit menschlichem Machtmissbrauch, mit neuer Ermächtigung durch Gottes heiligen Geist.
Dr. Gabriela Grunden, München
Literatur:
Ignatius von Loyola, Geistliche Übungen. Nach dem spanischen Autograph übersetzt von Peter Knauer, Würzburg 2008.
Papst Franziskus, Laudato si. Über die Sorge für das gemeinsame Haus, Stuttgart 2015.
Katharina Ganz, Kreativität aus Vulnerabilität am Beispiel der Ordensgründerin Antonia Werr (1813-1868), Würzburg 2016.
Hildegund Keul, Thomas Müller (Hg.), Verwundbar. Theologische und humanwissenschaftliche Perspektiven zur menschlichen Vulnerabilität, Würzburg 2020.