Quasimodogeniti / 2. Sonntag der Osterzeit (16.04.23)

Quasimodogeniti / 2. Sonntag der Osterzeit


ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
1 Mose 32,23-32 Apg 2, 42-47 1 Petr 1, 3-9 Joh 20, 19-31

Der Sonntag nach Ostern Quasimodogeniti (evgl.) oder Barmherzigkeitssonntag, auch Weißer Sonntag genannt (kath.), pointiert die Themen 1. Neugeboren werden, Segen, 3. „Frieden".

Wochenspruch

„Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten." (1 Petr 1,3)

1. Neugeboren werden

Quasimodogeniti, wie die neugeborenen Kinder, bezieht sich auf 1 Petr 2,2: „Verlangt wie neugeborene Kinder nach der unverfälschten, geistigen Milch, damit ihr durch sie heranwachst und Rettung erlangt". Ist der Sonntag nach Ostern ein Tag für „Neu-Geborene" und was heißt das? Bei mir kommt im Blick auf die „geistige Milch" auch die Frage auf: „Was nährt mich (wirklich)?

Geboren werden ist ein intensiver, auch schmerzhafter Prozess für Mutter und Kind. Die Metapher „Neugeboren werden" aus dem heiligen Geist bezeichnet den Erneuerungsprozess des Christwerdens, der nicht einfach mit der Taufe abgeschlossen ist. Wer geboren wird oder neu geboren wird, verlässt Vertrautes und wagt sich ins Offene hinein.

„Geboren werden" heißt im Latein „nasci" (natura). Das deutsche Wort Natur klingt hier an. In der Natur sein hat etwas mit „geboren werden" zu tun, mit „geburtlich" sein und gebürtig bleiben. Und das meint achtsam bleiben auf das, was leben will, sich entfalten will, ans Licht will. Das gilt für Menschen, Tiere, für Bäume und Pflanzen. Eines der staunenswertesten Naturereignisse ist das Licht am frühen Morgen. Wer sich Zeit nimmt und Gelegenheit hat, den Sonnenaufgang zu betrachten, wird mit Staunen entdecken, wie die Dinge im Morgengrauen das Licht empfangen und wie die Schöpfung nach und nach die dunkle Nacht hinter sich lässt. So morgendlich da sein, meint bereit und empfänglich, geburtlich zu sein: Achtsames Innehalten und Sich-Öffnen.

Was derart in der äußeren Natur jeden Morgen geschieht, findet Widerhall in der inneren: Bildworte wie Erleuchtung sprechen davon, auch Aura und Ausstrahlung gehören in diesen Zusammenhang. Ebenso wichtig wie der Sonnenaufgang draußen ist die Lichterfahrung drinnen, „in unseren Herzen". Bereit sein – für das fühlbare, berührbare Herz:

  • Ps 57,9: „Wach auf meine Seele, wach auf Harfe und Seitenspiel. Ich will das Morgenrot wecken."
  • 1 Petr 2,9: „der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat"
  • 2 Petr 1,19. „Das Wort, es ist ein Licht, das an einem finsteren Ort scheint, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in eurem Herzen."

Ein Versprechen von Erneuerung, Wandlung und Erfrischung steckt in diesem neu-geburtlichen Leben, wer sehnt sich nicht danach? Der Quasimodogeniti - Sonntag erinnert uns an die innere und äußere Natur, die es zu achten, zu schützen und zu bewahren gilt.

Gleichsam wie Neugeborene sollen österliche Menschen leben. Mit der Taufe feiern Christen die Neugeburt, ein Neugeboren werden aus dem Glauben, erfrischt und vitalisiert durch Gottes Geist.

In der katholischen Kirche ist der Tag auch als Weißer Sonntag (später auch als Barmherzigkeitssonntag) bekannt. Weiß (lat. alba) ist die festliche Farbe der Christen. Das weiße Taufgewand gehört zum Ursprung der liturgischen Kleidung, die Albe. In der frühen Kirche, die vorwiegend die Erwachsenentaufe praktizierte, war es üblich, eine Woche lang, von Ostern bis zum Sonntag nach Ostern, die weißen Taufkleider zu tragen, aus Freude über die Neugeburt als Christin und als Christ.

Jes 40, 26-31

„Die auf den Herrn vertrauen, schöpfen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden" V 31.
Wer neugeboren wird, bekommt neue Kraft. Insofern ist der Lesungstext aus dem Buch des Propheten Jesaja ein großer Zuspruch und eine tiefe Ermutigung für alle, die müde und matt gewordenen sind.

Es braucht langen Atem, der Hoffnung zu trauen. Dass Durchhaltevermögen, kluge Unterscheidung und Gottvertrauen auch jene auszeichnet, die sich entschieden für Klimaschutz, Artenvielfalt und soziale Gerechtigkeit einsetzen, wurde unter anderem in den USA im Sommer 2022 deutlich. Eine kurze Rückblende: Im August 2022 betitelt die SZ unter „Al Gores späte Genugtuung" einen Beitrag zum neuen Klimaschutz. Der US amerikanische Senat verabschiedet ein wichtiges Gesetzespaket (SZ 9.8. 2022). Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit werden priorisiert. Endlich. Der Friedensnobelpreisträger und ehemalige US-Senator Al Gore wird in der New York Times mit dem Satz zitiert: „Ich hätte mir nicht einen Moment träumen lassen, dass das so lange dauert."

Was bewegt einen Menschen, die Hoffnung wachzuhalten und dem Prozess der Erneuerung zu trauen?

2) Segen

Der heute Predigttext aus 1 Mose 32,23-32, der Kampf am Jabbok, gibt ein paar Anregungen dazu. Bei Dunkelheit bricht Jakob mit seiner Familie auf und durchschreitet den Jabbok, um ans andere Ufer zu kommen. Der äußere Weg wird zum Bild für den inneren Weg: Jakob ringt mit der geheimnisvollen göttlichen Kraft und er ringt Gott den Segen ab: Ich lasse dich nicht los, wenn Du mich nicht segnest. Als es Morgen wird, geht er hinkend als gesegneter „Gottesstreiter" (Israel) hervor.

Segen vernetzt

Die liturgischen Texte heute bieten reichlich Inspiration zu einem vernetzten, neuen Denken. Der Schatz unserer biblischen Schriften ermutigt zu wacher Erinnerung an die vielen Generationen vor uns, die dem Leben mit Respekt und Wertschätzung begegneten und dem Segen Gottes vertrauten.

Wie notwendig ein nachhaltiges, erinnerndes Denken ist, macht die Historikerin Annette Kehnel in ihrem Buch „Wir konnten auch anders. Eine kurze Geschichte der Nachhaltigkeit." (2021) deutlich. Das Buch bietet einen faszinierenden Beitrag zur Nachhaltigkeit aus historischer Sicht und entlarvt die Kurzfristigkeit unseres gegenwärtigen Denkens als entscheidendes Problem.

Als Christen und Christinnen schöpfen wir aus den Quellen des Ersten Testaments und haben mit dem Evangelium guten Grund, weit und nachhaltig zu denken und zu handeln.

3) Frieden

Das heutige Evangelium findet sich bei Joh 20, 19-31.

Furcht und Angst – Friedenszusage im Zeichen der Verwundung – Freude – erneute Friedenszusage – Sendung – Geisteinhauchung – Thomas zweifelt - Friedenszusage – Thomas erkennt Jesus an den Wunden und bezeugt ihn.

Angst: In Zeiten großer Angst ist Rückzug und Vorsicht eine gesunde Reaktion. Die Jünger fürchten sich vor Gewalt, sie sind unsicher und haben sich hinter verschlossenen Türen versammelt. Angst macht eng und lähmt. Angst kann Menschen spalten. Das Gegenteil von Glauben ist nicht Unglauben, sondern Angst, so ähnlich hat es einmal Eugen Drewermann formuliert.

Für Jesus sind verschlossene Türen kein Hindernis. Er kommt in die Mitte der Ängstlichen und wünscht ihnen den Frieden. Im Hebräischen bezeichnet dieser Gruß nicht nur den Friedenswunsch und die Friedenszusage, sondern er impliziert auch „die Erkundigung nach dem Wohlbefinden jemandes" (H. Strack/P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, II Band, München 1924, zehnte unveränderte Auflage 2009, 584f).

Zweimal spricht Jesus den Jüngern den Frieden zu. Zweimal erkundigt er sich nach ihnen mit seinem Schalom-Gruß. Dann sendet er sie und schenkt ihnen neuen göttlichen Lebensatem.

In der Begegnung mit Thomas zeigt Jesus, wie notwendig es ist: sich dem Zweifel zu stellen und dabei berührbar zu bleiben. Thomas erkennt Jesus an seinen Wunden.

Wir alle sind - wie die Schöpfung insgesamt - verletzlich. Wir tragen Wunden und Narben davon.

 

"Nicht müde werden,/ sondern dem Wunder / leise,/ wie ein Vogel/ die Hand hinhalten." (Hilde Domin)

Dr. Gabriela Grunden, München

Literatur:

H. Strack/P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, II Band, München 1924, zehnte unveränderte Auflage 2009.

Annette Kehnel, Wir konnten auch anders. Eine kurze Geschichte der Nachhaltigkeit, München 2021.