7. Sonntag nach Trinitatis / 16. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Apg 2,41-47 | Weish 12, 13.16-19 | Röm 8, 26-27 | Mt 13, 24-43 |
Apg 2, 41-47 – „Alle hatten alle Dinge gemeinsam"
1. Exegetische Hinweise und theologische Impulse
Unsere Perikope ist eins von drei für die Apostelgeschichte typischen Summarien, in denen der Evangelist summarisch das Leben der Urgemeinde beschreibt (vgl. 4, 32-25 und 5, 12-16). Stark idealisiert formt er die Jerusalemer Urgemeinde zum Vorbild einer christlichen Gemeinde. Diese Gemeinde ist geprägt von einer im Glauben gegründeten inneren spirituellen Einheit, die sich in ihrem Leben und Handeln konkret auswirkt, und zwar so, dass sie attraktiv für die Außenstehenden ist, die ihr mit „Wohlwollen" begegnen, und sich viele ihr anschließen.
Vier Elemente bilden das geistliche Fundament der Jerusalemer Gemeinde und die Quelle ihrer „Einmütigkeit":
- die Lehre der Apostel, das Zeugnis derer, die mit Jesus gewandert sind und gepredigt haben, die den Gekreuzigten und Auferstandenen „gesehen" haben.
- die Gemeinschaft, communio, die zuerst innere Gemeinschaft mit dem Herrn bedeutet, der in ihrer Mitte lebt, aber auch Gütergemeinschaft: „alle hatten alles gemeinsam."
- das Brotbrechen, das Abendmahl, das miteinander Teilen des göttlichen Lebens in Jesus Christus.
- das „beständige" Gebet. Es begleitet, durchdringt und formt das gesamte Leben der Gemeinde. Und dieses Gebet findet nicht nur „in den Häusern", sondern auch im Tempel statt: „Sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel." Die Jesusanhänger sind noch Teil der jüdischen Religionsgemeinschaft.
In Apg 4, 32 schreibt Lukas: Sie waren „ein Herz und eine Seele". Sie hielten ihre Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen." Die Freude ist wichtig. Sie macht die Frohe Botschaft glaubwürdig unter den Menschen. Die Lauterkeit ist wichtig, die Aufrichtigkeit im Umgang miteinander, vor allem in der Kommunikation: keine Lügen, keine fake news, wahrhaftige Rede: „Es sei aber euer Ja ein Ja und euer Nein ein Nein, damit ihr nicht dem Gericht verfallt" (Jak 5, 12).
„Es kam aber Furcht über alle", schreibt Lukas. Furcht und Zeichen (Wunder) – das erinnert an die Epiphanien des Alten Bundes, aber auch an Erfahrungen mit Jesus in den Evangelien. Gott ist da. „Die Welt ist Gottes so voll" (Alfred Delp, Pierre Teilhard de Chardin), die Menschen erfahren dies in tremendum et fascinosum, in Erschrecken und Faszination, in Distanz und Anziehung (vgl. Rudolf Otto). Nicht Angst meint diese Furcht, sondern Ehrfurcht, die „Ehre erweist", die erkennt, was in dieser Begegnung geschieht. Diese Furcht ist Offenheit dem Heiligen gegenüber, Erkenntnisfähigkeit für die Gegenwart Gottes und seines Handelns. Diese Furcht ist das Gegenteil von Verstocktheit, in ihr ist nicht nur der in die Distanz versetzende Impuls, sondern auch das anziehende Staunen und Erkennen des Heiligen. In dieser Begegnung mit dem Heiligen / Göttlichen geschieht auch etwas ganz Wesentliches in mir, nämlich Erkenntnis der eigenen Person, des eigenen Seins und Wesens (Was bin ich? Wer bin ich?) in meiner Kleinheit und Größe, Begrenztheit und Weite, in meiner Not und Bedürftigkeit, ja Gottesbedürftigkeit: Ich bin der, der Gottes bedarf, um zu dem zu werden, der ich bin. Und dabei hilft mir die „Gemeinschaft der Heiligen" – die Kirche.
2. Nachhaltigkeitsaspekte
Auch wenn Lukas uns ein Idealbild von Kirche zeichnet, ist das keine Illusion, keine jenseits aller Wirklichkeit angesiedelte Utopie. Er appelliert vielmehr an uns, die Gläubigen: Das ist Eure Aufgabe!! Im letzten Vers heißt es: „Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden." Das sind die, die das Wort hören und es befolgen. Das Wort muss gelebt, lebendig werden, sich sichtbar greifbar in einem verwandelnden Handeln in der Welt „materialisieren" (Stichwort: Wandlung in Abendmahl / Eucharistie). Gott hat sich „materialisiert" im Menschensohn Jesus Christus, er „materialisiert" sich durch uns in unserem Handeln, im solidarischen Liebesdienst und in der Politik gleichermaßen, damit alle leben können, die Menschen heute, aber auch die künftiger Generationen. Wir sind Teil der Natur, wir können nur leben, wenn wir die Schöpfung in unser Handeln einschließen, Pflanzenwelt und Tierwelt (vgl. Jona 4, 10f), alle Güter dieser Erde.
„Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte." Reiche, die alles verkaufen und mit anderen, mit Bedürftigen teilen? Ist das nicht eine irreale Utopie? Der Kommunismus wollte das Eigentum – zumindest an Produktionsmitteln – abschaffen und hat eine gewaltige Blutspur in der Geschichte hinterlassen. Aber freiwilliger Verzicht auf alles, um alles zu teilen, damit jeder genug hat, so viel, wie er für sich zu einem erfüllten Leben braucht? Klingt weltfremd. Aber es gibt Menschen, die auf persönlichen Besitz verzichten. Die, die ich kenne, sind nicht unglücklich. Sie leben auf diese Weise das Evangelium. Für uns aber ist das Herausforderung. Wie gehen wir mit den Gütern der Welt um? Wir müssen dabei über den Kirchenrand hinausschauen, die ganze Welt, die Erde mit ihren fast acht Milliarden Menschen in den Blick nehmen. Solidarität muss heute weltweit denken, sonst hat diese Erde, das Leben auf ihr, zumindest das Leben der Menschen, womöglich keine Chance mehr. Der Klimawandel bedroht uns alle, Menschen in anderen Ländern mehr als uns: Afrika, Indien, Bangladesh ... Wäre Verzicht in den industrialisierten Ländern nicht dringend geboten? Sie verkauften ihre Autos und gaben den Erlös den Hungernden! Unvorstellbar? Fleischverzicht? Weniger Heizen? Ist Freiheit nicht wichtiger als ein warmer Hintern? Wir haben jetzt im Mai 2022 Krieg in der Ukraine mit furchtbaren Opfern. Es ist ein Krieg gegen die politischen Freiheitsmodelle von Demokratie und Menschenrechten, aber auch gegen die Vorstellungen einer internationalen Solidarität. Milliarden werden wieder in Rüstung und Militär gesteckt. Stichwort: Sondervermögen Bundeswehr. Mittel, die dem wirksamen Kampf gegen die Klimakatastrophe und den Hunger fehlen. Die ökologischen Folgen sind noch nicht abzuschätzen, aber der Hunger in der Welt bedroht viele Millionen Menschen, weil Millionen Tonnen Weizen von der Ukraine nicht mehr exportiert werden können, andere Länder Getreideexporte verbieten. Wohlstandsverlust durch Krieg – eine den Menschen Angst machende Vorstellung. Muss das aber ein Schreckensszenario sein? Kann weniger nicht mehr sein, auch für das Überleben von Mensch und Welt? Ist das eine schlimme Vorstellung: Einer, der mehr hat, gibt mehr ab, damit der Arme das bekommt, was er zu einem guten Leben braucht? Wir Christen haben hier Erfahrung, ja geradezu faire „Geschäftsmodelle"! Wir müssen es wollen und sollten es wagen.
Weish 12, 13.16-29 – Der Gerechte muss menschenfreundlich sein
1. Exegetische Hinweise und theologische Impulse
Unsere Lesung ist eine Meditation über die Souveränität Gottes, seine Gerechtigkeit und Fürsorglichkeit. Er trägt für alles Sorge. Da ist kein Gott außer ihm, der sich so für seine geschaffene Welt, für das von ihm ins Leben gerufene Leben und seine Dialogpartner, die Menschen, einsetzt. Die Fürsorglichkeit Gottes ist geradezu Fundament seiner Gerechtigkeit.
Souveränität und Gerechtigkeit gehören bei Jahweh, dem Gott Israels, zusammen. Weil er souverän ist, einzigartige, göttliche Macht hat, kann er gerecht sein. Seine Macht steht im Dienst der Gerechtigkeit. Insofern ist sie nicht „allmächtig", sie ist gebunden an ein Engagement, das allem Leben dient, es hervorbringt, bewahrt und fördert. In absoluter Freiheit richtet er milde und behandelt mit großer Schonung. So „belehrt" er uns – frei, gerecht, unparteilich –, dass der Gerechte menschenfreundlich sein muss. Selbst die Bestrafung der Sünder steht im Dienst des Lebens. Er gewährt ihnen Umkehr, d.h. einen Neuanfang, den Raum zur Entfaltung neuen Lebens. Den Gerechten zu verurteilen, ist damit nicht vereinbar. Gottes Herrschaft ist keine Willkürherrschaft! Der Autor des Weisheitsbuches setzt damit ein Gegenmodell zu Formen irdischer Herrschaft: Die Mächtigen missbrauchen ihre Macht (s. Mk 10, 42 //). Jesus folgt dem Weisheitslehrer, wenn er von seinen Jüngern erwartet: „Bei euch aber soll es nicht so sein" (Mk 10, 43 //). Jahweh unterwirft sich in Souveränität selbst gesetzten Maßstäben, es sind die Maßstäbe der Menschenfreundlichkeit. Diese Maßstäbe gelten universell, für alle Menschen, nicht nur für sein Volk.
Gottes „Allmacht" ist beschränkt um des Menschen, des Lebens willen. Unbeschränkt aber ist sein Erbarmen, auf das wir alle angewiesen sind. „Du hast sie geschont, weil sie Menschen waren", heißt es in Kapitel 12 Vers 8. Und in Kapitel 11 Vers 26: „Herr, du Freund des Lebens." Eindrücklich sagt dies die „Gnadenformel" aus:
„Der HERR ist der HERR, ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig und reich an Huld und Treue: Er bewahrt tausend Generationen Huld, nimmt Schuld, Frevel und Sünde weg, aber er spricht nicht einfach frei, er sucht die Schuld der Väter bei den Söhnen und Enkeln heim, bis zur dritten und vierten Generation" (Ex 34, 6f).
2. Nachhaltigkeitsaspekte
Unbeschadet der Problematik, im Zusammenhang mit dem Gott Jesu Christi von Macht oder gar Allmacht zu sprechen, wenn Gott (die) Liebe ist (1 Joh 4, 16) und Liebe ein Raum der Machtfreiheit, ja geradezu der Ohn-Macht, geht es in unserem Text aus dem Ersten Testament um ein sich in Entwicklung befindendes Verständnis von Macht, ohne die sich der Hebräer Wirksamkeit in der Welt nicht vorstellen konnte. Es ist ein Fortschritt, Macht als beschränkte Macht im Dienst von Recht und Gerechtigkeit, von Menschenfreundlichkeit und Frieden zu denken und für den realen Lebensraum, für Familie, Gemeinde, Politik und Kirche (!) zu fordern.
Politische Gestaltung unserer Gesellschaft und der internationalen Völkergemeinschaft geht nicht ohne Machtausübung, möglicherweise auch nicht ohne militärische Gewalt (Stichwort: Selbstverteidigung). Der 24. Februar 2022 stellt unsere Friedensethik vor neue Herausforderungen. Macht ist gebunden an Gerechtigkeit. Maßstab der Gerechtigkeit sind Menschenwürde und Menschenrechte. Diese sind heute unauflöslich verbunden mit Achtung, Wahrung der Natur, des Lebens auf diesem Planeten (Stichwort: Tierwohl) und der nachhaltigen Nutzung aller Ressourcen, die Grundlage des Lebens auf diesem Planeten sind.
Menschenfreundlichkeit: Was bedeutet das in Zeiten des Krieges, der Flüchtlingsströme, des Hungers von Millionen, des unaufhaltsam scheinenden Klimawandels? Was bedeutet das in der Kirche im Blick auf Partizipation, auf Frauen (Amt), Kinder (Missbrauch), eine zeitgemäße Friedensethik und Theologie der Schöpfung?
Röm 8, 26-27 – In meiner Schwachheit ein Seufzen nach Befreiung und Entfaltung
1. Exegetische Hinweise und theologische Impulse
Paulus greift mehrfach das Thema Schwachheit in seinen Briefen auf. Mich berühren gerade diese Passagen sehr. Für Menschen, die unter ihrer eigenen Schwachheit, ihrer Ohnmacht, ihrer Bedürftigkeit leiden, sind die Aussagen des Apostels aufschlussreich und – tröstend, auch ermutigend. So schreibt er hier, dass uns der Geist Gottes in unserer Schwachheit, Verlorenheit, spirituellen Trockenheit nicht allein lässt. Wenn wir nicht wissen, warum und was und wie wir beten sollen, wenn wir mehr stammeln oder stöhnen als sprechen können, übernimmt er das, betet er in uns, und dies in der menschenfreundlichen Absicht Gottes selbst: „Denn er tritt so, wie Gott es will, für die Heiligen ein." Er ist unser Gespräch mit Gott. Sein Atmen in uns ist ein Seufzen nach Befreiung und Entfaltung, nach Selbstfindung und Menschwerdung im Lebensraum Gottes.
2. Nachhaltigkeitsaspekte
Was nützt aber Beten? Angesichts gewaltiger Umwälzungen und Ereignisse in der Welt, die ich nicht – wirklich nicht? – beeinflussen kann: Krieg, Klimakatastrophe, Hunger, Pandemie, Bedrohung von Frieden und Freiheit ... Depression und Hoffnungslosigkeit können sich auch in mir breit machen. Ich kann nichts tun in meiner vereinzelten Schwachheit?
- - Der Geist, der in mir betet, macht mich lebendig, öffnet meinen Geist zu sehen und zu verstehen, was in der Welt vor sich geht.
- - Ich beginne, Neues zu denken.
- - Ich bin nicht allein. Da sind noch viele, die im gleichen Geist beten. Der Geist verbindet mein Gebet mit dem ihren:
„Allein den Betern kann es noch gelingen
Das Schwert ob unsern Häuptern aufzuhalten
Und diese Welt den richtenden Gewalten
Durch ein geheiligt Leben abzuringen." (Reinhold Schneider)
- - Beten verändert mich, reißt mich aus der Resignation, ich sehe, was ich selbst und mit anderen tun kann. Ja, ich kann etwas tun!
- - Beten wird zum Treibsatz, der mich antreibt zu einem nachhaltigen, d.h. wirkungsvollen und die Welt verändernden Handeln. Ich bin in meiner Schwachheit stark!
Mt 13, 24-43 – Hört und handelt!
1. Exegetische Hinweise und theologische Impulse
Der Evangeliumstext ist Teil der sog. Gleichnisrede des Matthäus (13, 1-53). Die drei Gleichnisse vom Unkraut, vom Senfkorn und vom Sauerteig sind Gleichnisse des Himmelreichs: „Mit dem Himmelreich ist es wie mit ..." Das Gleichnis vom Unkraut deutet Jesus selbst seinen Jünger „im Haus", nur vor ihnen, nicht vor der Menge.
Über den Sinn der Gleichnisse spricht Jesus mit den Worten von Psalm 78: „Ich öffne meinen Mund in Gleichnissen, ich spreche aus, was seit der Schöpfung der Welt verborgen war" (vgl. Ps 78, 2). Das Geheimnis, das sich in den Gleichnissen entfaltet, ist das Gottesreich. „Und siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch" (Lk 17, 21). Es ist da in Jesus, in seinem Wort und seinem Tun, in den Zeichen und Wundern. Es ist aber auch Gegenwart im Hier und Heute unseres Alltags, in der Kleinheit unseres Lebens, in uns selbst, wenn wir das Wort von Jesu Botschaft hören. Es ist da wie ein unscheinbares Senfkorn, in dem aber das Leben eines großen Baumes verborgen ist und sich entfalten will. Es ist das Leben Gottes selbst, das kein Ende kennt, auch nicht durch den Tod, sondern zur Vollendung, zum Leben in Fülle drängt. Und dieses Gottesreich will bereits jetzt Gestalt annehmen und diese Welt wirksam, erfahrbar verwandeln (Stichwort: Wandlung in der Eucharistie). Dabei ist es unwiderstehlich, unaufhaltsam. Wie das Senfkorn sich zum großen Baum entfaltet, in dem „die Vögel des Himmels" – also alle – nisten, der Sauerteig die große Menge Teig – also die ganze Welt – durchsäuert, wird es sich durchsetzen. „... so ist es auch mit dem Wort, das meinen Mund verlässt: Es kehrt nicht leer zu mir zurück, ohne zu bewirken, was ich will, und das zu erreichen, wozu ich es ausgesandt habe" (Jes 11, 55).
„Das gegenwärtige Hereinbrechen der Gottesherrschaft in Jesu Wirken verheißt und verbürgt das vollendete Reich Gottes" (Rudolf Schnackenburg). Diese Verheißung ruft auf und motiviert zum Handeln: „Wer Ohren hat, der höre!" Hört und handelt! Das Reich Gottes kommt nur, wenn ihr was tut, wenn ihr was dazu beitragt! Nur so kann der Baum wachsen und seine Zweige, seine Baumkrone entfalten, nur so kann der Sauerteig des Evangeliums die Welt durchsäuern! Das Wort wird nur gehört, wenn wir es sagen, wenn wir es mit unserem Leben erfüllen, nur so gewinnt es seine, die Welt in das Reich Gottes verwandelnde Kraft! Was sollen wir aber tun? Die Verse 41 und 42 geben uns einen wichtigen Hinweis: Die Verführer und Gesetzlosen werden in den Feuerofen geworfen, die Gerechten aber werden „im Reich des Vaters wie die Sonne leuchten." Das erinnert an die Gerichtsrede des Matthäus (Mt 25, 31-46):
„Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, empfangt das Reich als Erbe, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist! Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen. ... Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan. (Mt 25, 34-36.40)
2. Nachhaltigkeitsaspekte
Das Gleichnis vom Senfkorn nutzt die in der Natur liegende Dynamik des Wachstums und der Entfaltung des Lebens im Samenkorn für die theologische Aussage. Aber es ist nicht nur ein Bild. Die Assoziation ist die: Im Tun des Evangeliums, im Tun des Reiches Gottes in der Nachfolge Jesu liegt auch die Aufforderung, dem realen Senfkorn seinen Lebens- und Entfaltungsraum zu sichern. Die Frohbotschaft ist evangelium vitae, Evangelium des Lebens, darin sind Natur, Pflanzen- und Tierwelt, jegliches Leben der gesamten Schöpfung einbezogen. Am Reich Gottes mitbauen heißt auch Achtung, Bewahrung und Mehrung des Lebens der Schöpfung. Paulus wusste das:
„Denn auch sie, die Schöpfung, soll von der Knechtschaft der Vergänglichkeit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt" (Röm 8, 21f). Die Schöpfung ist in Wehen, d.h. in Schmerzen, die wir Menschen ihr selbst oft genug zufügen. Aber es sind für Paulus Geburtswehen, die Schöpfung will Leben gebären. Die Natur, das Klima, den Organismus Erde achten, schützen, ihre Lebensquellen fördern, würde uns zu Geburtshelfern der Schöpfung machen, zu wahren Mitarbeitern am Reich Gottes.
Vielleicht können wir das zweite Gleichnis neu schreiben: Mit dem Gottesreich ist es so wie mit einem Förster (z.B. Peter Wohlleben) oder Agrarökonomen (z.B. Tony Rinaudo), der sich um Bäume kümmert, ihr Wachstum pflegt, sie neu pflanzt oder aus ihren Wurzeln neu zum Leben und Wachsen bringt. Und das Leben rund um die Bäume blüht auf, eine große Vielfalt an Pflanzen entwickelt sich, viele Tiere finden neu einen Lebensraum und Menschen können wieder Getreide anbauen und Brot backen für das Brotbrechen. Dann ist das Reich Gottes, auch in der Natur, mitten unter uns.
Ein weiterer Aspekt: Der Baum mit seiner ausladenden Krone ist Bild eines völkerumspannenden Reiches. Es kann auch ein Bild der Kirche sein: Sie ist universell, offen für alle Menschen. In ihr gibt es keine Ausländer, kein Rassismus, kein Nationalismus. Im Grundsatz! In der Realität ist und bleibt das Aufgabe. Das Gift des Nationalismus wirkt auch in der Kirche, (immer noch oder) schon wieder werden Waffen gesegnet! Es gibt viel Sympathie, Solidarität mit Menschen, denen man ihre Heimat genommen, die vor Hunger, Gewalt und Tod geflohen sind, gerade unter Christen, aber die Neigung zur Ausgrenzung von Menschen, vor allem von solchen, die angeblich „nicht zu uns gehören", ist auch unter uns verbreitet. Hier ist das bekennende Wort, hier ist Zivilcourage gefordert.
Eine Assoziation: Das Gleichnis, in dem der Feind Unkraut unter den Weizen sät, lässt mich an den Krieg in der Ukraine denken. 25 Millionen Tonnen Weizen, der in der Welt dringend gebraucht würde, drohen in der Ukraine zu verrotten (jetzt im Mai 2022), weil Schiffe sie nicht transportieren können. Gleichzeitig steigt weltweit der Weizenpreis (und füllt auch Kriegskassen). Hunger in den wirtschaftlich und politisch benachteiligten Ländern, vor allem Afrikas, wird die Folge sein. Schätzungen gehen davon aus, dass über 900 Millionen Menschen betroffen sein könnten. Wie kann Solidarität mit diesen Menschen aussehen? Wie können wir die Ressourcen gerecht teilen, dass alle genug haben und leben können. Was kann Politik tun? Was kann ich tun, um Politik zu einem solidarischen Engagement für die Länder des Südens zu drängen? Was kann ich selbst tun – an direkter Hilfe, an persönlichem Verzicht zugunsten der Armen? Gilt sie noch, wenn es konkret wird: die Option für die Armen? „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan" (Mit 25, 40). Wer so tut, arbeitet mit am Reich Gottes.
Thomas Bettinger, Bistum Speyer
Quellen:
1) Texte der Lutherbibel 2017: https://www.bibleserver.com/
2) Stuttgarter Altes und Neues Testament, Kommentierte Studienausgabe der Einheitsübersetzung 2016, Kath. Bibelwerk, Stuttgart 2017
3) Neue Jerusalemer Bibel. Neu bearbeitete und erweiterte Ausgabe, hrsg. von Alfons Deissler und Anton Vögtle in Verbindung mit Johannes Nützel, Freiburg 1985
4) Rudolf Schnackenburg: Matthäusevangelium 1,1-16,20, Reihe: Neue Echter Bibel Neues Testament, Echter Verlag, Würzburg 20054
5) Rudolf Pesch: Römerbrief, Reihe: Neue Echter Bibel Neues Testament, Echter Verlag, Würzburg 20095
6) Peter Wohlleben: Das geheime Leben der Bäume, Heyne Verlag, München 2019
7) Peter Wohlleben: Das geheime Leben der Bäume, Film mit Peter Wohlleben, Constantin Film (Universal Pictures), 2020 (als DVD & Blue-ray)
8) Tony Rinaudo: Unsere Bäume der Hoffnung, mit einem Vorwort von Volker Schlöndorf; Rüffer & Rub Sachbuchverlag, Zürich 2021
9) „Der Waldmacher", ein Dokumentarfilm von Volker Schlöndorf über den Agrarökonomen Tony Rinaudo, den Träger des Alternativen Nobelpreises, der mit seiner Methode FMNR die Wiederaufforstung in Afrika und Indien revolutioniert hat, Deutschland 2022 (als DVD & Blue-ray)