10. Sonntag nach Trinitatis / 19. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
5 Mose 4,5-20 | 1 Kön 19, 9a.11-13a | Röm 9, 1-5 | Mt 14, 22-33 |
Verortung im Kirchenjahr
Der 10. Sonntag nach Trinitatis ist in der evangelischen Kirche der sog. „Israelsonntag". Seit der neuen Perikopenordnung gibt es für diesen Tag zwei Proprien: die Texte der „grünen Reihe" (weil dann das grüne Parament aufgehängt werden soll) betonen die Lust an der Begegnung mit dem Judentum; die „violette Reihe" (mit violettem Parament) thematisiert den Israelsonntag als Bußtag. Der Text Dtn 4,5-20 / 5 Mose 4,5-20 ist der „grünen Reihe" entnommen.
Bei den anderen Texten des Sonntags sehe ich wenig Möglichkeit, Aspekte der Nachhaltigkeit zu thematisieren, ohne den Texten etwas abringen zu wollen, wozu sie eigentlich nichts sagen. Ich verzichte deshalb auf eine eingehendere Betrachtung.
Exegetische Hinweise
Im Buch Deuteronomium (5. Buch Mose) sind Abschiedsreden des Moses gesammelt. Sie stellen so etwas wie das Vermächtnis des Moses dar, der selbst das Land westlich des Jordans nicht mehr betreten wird. Nach der Befreiung aus Ägypten war das Volk Israel – so Dtn 1, - 40 Jahre unterwegs und steht jetzt – am ersten Tag des elften Monats - östlich des Jordans mit Blick auf das verheißene Land. Dort spricht Mose zum Volk und beschwört es geradezu zur vollkommenen Hingabe an den einen Gott: „...du sollst Jahwe, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft". (Dt 6,4f)
Die erste Rede beginnt in Dtn 1,6ff mit einem Rückblick auf die Zeit der Wüstenwanderung. Mit Dtn 4, dem der Predigtabschnitt entnommen ist, beginnt der zweite Teil dieser ersten Rede. Mose stellt darin dem Volk die Bedeutsamkeit von Gottes Satzungen und Gebote nochmals vor Augen und mahnt eindringlich, diese in dem Land, in das sie nun gehen werden, einzuhalten. Das Halten der Gebote ist Bedingung für gelingendes Leben an dem neuen Ort. Es ist aber auch Grund für Bewunderung durch andere Völker: Dtn 4,6-8. Was ist das für ein Gott, der seinem Volk solche weisen Gebote gibt! Was ist das für ein Volk, das so weise ist, sich an diese Gebote zu halten! Das besondere Gottesverhältnis macht das Volk Israel zu einem großen Volk; zwar nicht in quantitativer Hinsicht – Israel war immer kleiner als seine Nachbarn - , sondern „'groß' ist Israel, wenn und weil sein Gott ihm nahe ist." (BK AT V/1 S. 314)
Aspekte der Nachhaltigkeit und wie sie für die Predigt fruchtbar gemacht werden können
„Wenn Recht und Gerechtigkeit nicht mehr ausgeübt werden, ist das soziale Miteinander gestört." Dies kann man als die Quintessenz des Verständnisses von Recht und Gerechtigkeit im Ersten Testament bezeichnen. Wo das Zusammenleben von Menschen gelingen, wo die Würde auch der Schwachen gewahrt werden und Freiheit Bestand haben sein soll, braucht es Regeln, braucht es das Recht. In der Geschichte des Volkes Israel ist die Erfahrung von Befreiung untrennbar mit der Gabe der Gebote als den Regeln verbunden, die dieser Freiheit Bestand verleihen. „Indem das aus Ägypten befreite Gottesvolk an den Sinai, den Ort Gottes kommt und dort ihm selbst begegnet, erhält es mit der Tora die Regeln des Zusammenlebens, die der geschenkten Freiheit entsprechen und sie realisieren." (Frank Crüsemann, „So gerecht wie die ganze Tora" (Dtn 4,8). Die biblische Grundlage christlicher Ethik in „Staunen über die Tora" s. unter Literatur)
In dreierlei Hinsicht ließen sich diese Grundeinsichten in einer Predigt am Israelsonntag aufgreifen:
1. Staunen und Bewunderung für Israels Gebote
Gerade der Israelsonntag in seiner „grünen" Variante (s.o.) will auf Begegnungen mit dem Judentum Lust machen. Noch immer halten sich in unseren Gemeinden antijudaistische / antisemitische Vorurteile bzgl. des Ersten Testaments als einer von unsinnigen und einschränkenden Geboten und Verboten geprägter Gedankenwelt. Das Verständnis der Thora, also der Gesamtheit der göttlichen Gebote, als lebensförderliche Regeln zu veranschaulichen, ist für ein angemessenes Verhältnis zum Judentum weiterhin vonnöten. Dass auch die Gedanken der „Menschenwürde" und der „Menschenrechte" sich aus dieser Quelle speisen, sollte betont werden.
2. Das Recht verhilft zum Frieden
Wohin der Bruch des (Völker-)Rechts führt, sehen wir heute im Krieg gegen die Ukraine sehr deutlich. Um Recht und Gerechtigkeit wieder zur Geltung zu verhelfen, braucht es eine tiefe und unerschütterliche Überzeugung von deren Lebensdienlichkeit. Das Nachdenken über den Text Dtn 4,5-20 kann dazu beitragen, die Weisheit des Rechts neu zu entdecken und wertzuschätzen. Denn wenn wir dem Recht und der Gerechtigkeit nichts mehr zutrauen, gewinnen Unrecht und Gewalt die Oberhand.
3. Freiheit und Gesetz widersprechen einander nicht
In unserer Gesellschaft breitet sich immer mehr ein Freiheitsverständnis aus, das Freiheit vor allem als die Freiheit des Individuums versteht und im Ausleben partikularer Bedürfnisse besteht. Jede Form von gesetzlich geforderter Rücksichtnahme oder Verzicht im Sinne des Gemeinwohls wird als unzulässige Beschränkung zurückgewiesen. Dies zeigt sich in besonderer Deutlichkeit in der Frage der Geschwindigkeitsbeschränkungen auf deutschen Straßen. Dass Autoverkehr nie ohne gesetzliche Regelungen auskommt und nur durch Regelungen Sicherheit gewährleistet werden kann, wird dabei aus dem Blick verloren. Demgegenüber wäre der freiheitssichernde Charakter des biblischen Verständnisses von Recht und Gesetz zu betonen.
Barbara Kohlstruck, Ludwigshafen
Literatur:
• Staunen über die Tora. Arbeitshilfe zum Israelsonntag 2011. Evangelische Kirche im Rheinland
• Perlitt, Lothar, Biblischer Kommentar, Altes Testament V/1, Deuteronomium1. Teilband, 2013
• Finsterbusch, Karin, Deuteronomium. Eine Einführung, Göttingen, 2012
• Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet :: bibelwissenschaft.de Art. Gerechtigkeit / Gerechter / gerecht (AT)