14. Sonntag nach Trinitatis / 22. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | Kath. 1. Lesung | Kath. 2. Lesung | Kath. Evangelium |
1 Mose 28, 10-19a | Sir 3, 17f. 20. 28f | Hebr 12, 18f.22-24a | Lk 14, 1.7-14 |
Stellung im Kirchenjahr
Im September beginnt die so genannte Ökumenische Schöpfungszeit, die im Jahr 2007 von der dritten Ökumenischen Versammlung in Sibiu auf Initiative der orthodoxen Kirchen ausgerufen wurde. Die Zeit bis zum 4. Oktober soll dem Gebet für den Schutz der Schöpfung und der Förderung eines nachhaltigen Lebensstils gewidmet sein. Es wäre sehr wünschenswert, dass sich die Schöpfungszeit fest im liturgischen Kalender der Kirchen etabliert. Auf jeden Fall sollte im Gottesdienst und in der Predigt darauf verwiesen werden.
1. Mose 28, 10-19a
Exegetische Überlegungen
Die Legende von Jakobs Gottesbegegnung in Bethel muss man im Zusammenhang des ganzen Sagenkranzes von Isaak, Jakob und Esau lesen. Der Mann, der sich in Bethel nachts zur Ruhe legt, ist auf der Flucht. Er hat sich durch eine üble List den Erstgeburtssegen des Vaters erschlichen und muss nun den Zorn des Bruders fürchten. Wohin sein Weg führt, ist völlig ungewiss. Die Abrahamsverheißung (1. Mose 13,14 f) steht auf dem Spiel. Die nächtliche Gottesschau bedeutet nichts Geringeres als voraussetzungslose Zuwendung Gottes an den Sünder Jakob, eine Rechtfertigung „allein aus Gnaden".
Was in der Lutherübersetzung Himmelsleiter genannt wird, meint die Rampe eines Stufentempel, wie man sie aus Mesopotamien kennt, an dessen Spitze nach der Überzeugung der Babylonier die Gottheit wohnte. Freilich muss Jakob nicht die „Leiter" hinaufsteigen, sondern Gott, bzw. die Boten Gottes kommen herab. Gott spricht auch nicht ein Donnerwort vom Himmel herab, sondern ist persönlich und nahe vernehmbar. Bei Jakob folgt, so könnte man in der Terminologe der lutherischen Rechtfertigungslehre sagen, auf die justificatio sogleich die sanctificatio. Jakob sagt dem Sinn nach: " Gott wird mich behüten auf meinem Weg und es wird mir gut gehen. Aber nun bin ich auch selber dran. Jetzt, wo ich meinen Gott gefunden habe, werde ich, wo ich kann, seinen Namen rühmen. Ich werde von allem, was er mir schenkt, etwas abgeben. So behalte ich im Herzen, dass ich nicht selber meines Glückes Schmied bin."
Predigtimpulse
In einem ersten Teil der Predigt erzähle ich 1. Mose 28 mit seiner Vorgeschichte nach. Sie ist ja an sich schon ein kleines Stück Weltliteratur und vermag die Hörerinnen und Hörer zu fesseln.
Danach erzähle ich eine zweite Geschichte, die in unserer Zeit spielt und die entscheidenden Eckpunkte der alten Erzählung aufnimmt: Eine Frau verlässt nach einer langen Phase des Streits und der Zerrüttung ihrem Mann und findet sich in einer leeren Wohnung wieder, die ihr, wenigstens vorübergehend, ein Dach über dem Kopf bieten soll. Während sie in Gedanken versunken die Dunkelheit nahen sieht, steigt in ihrem Gedächtnis das Bruchstück eines Kirchenliedes auf, das sie als Konfirmandin gerne gesungen hat: „Fürchte dich nicht, gefangen in deiner Angst, ... gesandt in den neuen Tag ...". Allmählich gewinnt sie eine Vorstellung davon, wie sie ihr Leben neu auf die Reihe bekommt.
Bezug zur Nachhaltigkeit
„Jakobs Leben wird zukunftsfähig", könnte man die Erzählung aus Gen 28 überschreiben. So gesehen handelt sich um eine Art spiritueller Nachhaltigkeit. Seine Gottesbegegnung mit einer umfassenden Verheißung impliziert einen „Schuldenschnitt", Jakobs Leben wird auf null gestellt; die Schuld, die er durch den Betrug am Vater und am Bruder auf sich geladen hat, wird von ihm genommen. Befreit von der Last der Vergangenheit und mit der Zusage ausgestattet, Gott werde ihn behüten auf allen seinen Wegen, findet der Flüchtling und Betrüger zu einer Gottesbeziehung der Ehrfrucht und des Dienstes (siehe Gelübde V. 10).
Hebr 12, 18f.22-24a
Exegetische Überlegungen
Die Einleitungsfragen zum Hebräerbrief, Autor, Adressaten, Zeit der Abfassung und seine literarische Gattung, sind bis heute weitgehend ungeklärt. Einigkeit besteht aber darin, dass das Schreiben an Christen der zweiten und dritten Generation gerichtet ist, die in ihrer Glaubensgewissheit verunsichert sind. Diese will der Verfasser durch die Gegenüberstellung des alten und neuen Bundes neu entfachen und ihr Sinnen und Trachten auf das Ziel der himmlischen Welt ausrichten.
Im Abschnitt 12, 18-24 wird die Gegenüberstellung von altem und neuen Bund durch die Berge Sinai und Zion auf den Punkt gebracht. Der Sinai ist der Ort, an dem Gott als der bedrohliche, furchteinflößende Macht erfahren wird, der Zion ist der Ort der Seligkeit und der Vollendung. Durch die Taufe gehören die Christen bereits jetzt unwiderruflich zu jener Welt, zu der sie zugleich noch unterwegs sind. Jesus Christus, der Anfänger und Vollender des Glaubens, hat diesen Weg gebahnt.
Predigtimpulse
Man muss zunächst eingestehen, dass ein heutiger, auch gutwilliger Leser, ziemlich ratlos vor diesem Bibel-abschnitt stehen wird. Dazu kommt, dass die holzschnittartige Gegenüberstellung von Sinai und Zion den einschlägigen alttestamentlichen Texten selber nicht gerecht wird.
Andererseits ist die vermutete Situation der Hebräerbrief-Gemeinden der unseren durchaus nahe. Die Predigt wird also problemorientiert, nicht textorientiert vorgehen müssen: Was hilft unserem Glauben in einer Epoche der allgemeinen Verunsicherung und der postmodernen Beliebigkeit? Nicht Imperative aller Art, sondern der Indikativ: „Ihr seid gekommen ...", „ihr seid die Erstgeborenen", ihr habt Teil an der Bewegung des Reiches Gottes. Tauferinnerung könnte einen Teil der Predigt ausmachen. Und, wo es noch nicht überwunden ist, könnte das Bild eines übermächtigen und erdrückenden Gottes korrigiert und durch das Bild Jesu ersetzt werden, der Gott zeigt und vertritt.
Ein Bezug zur Nachhaltigkeit lässt sich an diesem Text nicht herstellen.
Sir 3, 17f. 20. 28f (19-21.30f) und Lk 14, 1.7-14
Exegetische Überlegungen
Die Abschnitte aus Jesus Sirach und dem Lukas-Evangelium verbindet die Stichworte „Bescheidenheit" und „Selbstüberhebung". Bei Jesus Sirach (ein Werk der Weisheitsliteratur, entstanden um 180 v.Chr. in Jerusalem, in der katholischen und den orthodoxen Kirchen als kanonisch angesehen, in den Kirchen der Reformation zu den Apokryphen gezählt) handelt es sich im ersten Teil des Buches um allgemeine Ermahnungen zu einem Gott wohlgefälligen Leben. Lukas hingegen hebt die „Benimm-Regeln" auf eine andere Ebene, wenn er in V. 7 ein Gleichnis ankündigt und den Abschnitt mit dem Wanderlogion V. 11 abschließt. Es geht nun nicht mehr um ein normales Gastmahl, sondern um das Festmahl des ewigen Lebens. Zugang dazu haben nur jene, die, wie der Zöllner in Lk 18, wissen, dass sie vor Gott Sünder und ganz auf seine Gnade angewiesen sind.
In den Versen Lk 14, 12-14 spricht sich einmal mehr die besondere Aufmerksamkeit des Evangelisten Lukas für Menschen am Rand der Gesellschaft aus, denen Gottes umfassende Liebe und Fürsorge gilt.
Predigtimpulse
Der Text aus Jesus Sirach trägt, für sich genommen, eine Predigt nicht, auch wenn die Wertschätzung von Tugenden wie Bescheidenheit, Mildtätigkeit, Demut und Aufmerksamkeit neuerdings wieder zunimmt. Wer die Bezüge zur Nachhaltigkeit bei Lukas nicht aufgreifen will (siehe unten), sollte aber auf moralische Appelle verzichten und der Frage nachgehen, wie heute angemessen von Demut vor Gott gesprochen werden kann. Zwischen unechter Demut, Demütigung, sklavischer Gesinnung, Kriechertum und der biblischen tapeinophrosyne gibt es viel klären.
Bezüge zur Nachhaltigkeit
Die dritte Säule der Nachhaltigkeit ist die soziale: Ein Staat oder eine Gesellschaft sollte so organisiert sein, dass sich die sozialen Spannungen in Grenzen halten und Konflikte nicht eskalieren, sondern auf friedlichem und zivilem Wege ausgetragen werden können. Die Situation am Tisch des Gastgebers (Lk 14, 12-14), an dem nur die reichen Nachbarn Platz nehmen, lässt sich mühelos auf die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der globalisierten Welt im 21. Jahrhundert übertragen. Die Armen, Lahmen und Blinden sind jene, die keinen Zugang zu Bildung, zu Gesundheitsfürsorge und zu sauberem Wasser haben, jene, die auf Plantagen und in Nähstuben der Großkonzerne westlicher Industrienationen ausgebeutet und wegen des Klimawandels zu Flüchtlingen werden. Hier legt sich eine politische Predigt nahe.
Gerhard Monninger