20. Sonntag nach Trinitatis / 29. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Mk 10,2-9(10-12)13-16 | Jes 45, 1.4-6 | 1 Thess 1, 1-5b | Mt 22, 15-21 |
Kirchenjahr evangelisch schreibt als Leitgedanken zu diesem Sonntag: »Regeln zum guten Leben: Was ist richtig? Was ist falsch? In einer Welt, in der ich oft nur Grautöne sehe, hätte ich das gerne: klare moralische Grundregeln und Verhaltensmaßstäbe, an denen ich mich ausrichten kann. Der 20. Sonntag nach Trinitatis kommt diesem Bedürfnis entgegen und zeigt Wege zum guten Leben auf.« (https://www.kirchenjahr-evangelisch.de/article.php#1139)
Diese Gedanken passen als Tonus auch zu den drei Texten aus dem katholischen liturgischen Kalender für diesen Sonntag. Die Reflexion der Regeln guten Lebens verbindet sich mit der Frage, die in den Texten ebenfalls durchschimmert: Wer hat die Macht und das Recht, Regeln zu setzen?
Mk 10, 2-9+13-16
Hier werden Regeln für das gute Zusammenleben zwischen Frau und Mann in der Ehe und zwischen Erwachsenen und Kindern benannt. Wenn ich kontextbezogen diese Regeln nicht absolut verstehe, sondern je und je als aktueller Ausfluss der Nächstenliebe, dann wird deutlich, dass es für das Zusammenleben der Menschen Regeln braucht, die stets im Rückgriff an die biblische Grundlage zu aktualisieren sind.
Auf den ersten Blick scheint es hier keine Brücken zur Nachhaltigkeit zu geben. Vielleicht aber über einen kleinen Umweg. Im letzten Jahr habe ich mich mit der Permakultur beschäftigt, die sich ursprünglich nur mit nachhaltiger Landwirtschaft befasst und dafür Regeln aus der Beobachtung natürlicher Zusammenhänge ableitet. Sina Adrian Vollmer und andere versuchen seit längerer Zeit, diese Regeln auch auf das soziale Zusammenleben hin anwenden. Ich frage mich: Geht das auch umgekehrt? Können zum Beispiel aus dem christlich begründeten liebevollen Umgang zwischen Eheleuten und zwischen den Generationen auch Regeln für den Umgang mit der natürlichen Mitwelt entwickelt werden?
Zum Beispiel so: „Gott hat vielfältige Verbindungen zwischen Mensch und Umwelt geschaffen, die soll der Mensch nicht trennen."
Oder: „Wer nicht die Gaben der natürlichen Umwelt empfängt wie ein Kind, der wird nicht in Gottes Reich hineinkommen."
Eine Predigt könnte diesen Gedankengang weiter ausführen.
Jes 45,1.4-6
»Die Selbstprädikation Jahwes am Schluss ist so allgemein formuliert, dass die zeitgeschichtlichen Schranken glatt abfallen und man das ewige Wort Gottes, das der Prophet über Kyros und Israel hinaus an die Menschheit aller Zeiten zu verkünden hat, ohne Schwierigkeiten aus dem zweieinhalb Jahrtausend alten Text heraushört. Die Botschaft ist klar: Heil und Unheil des Weltlaufs wie des persönlichen Erlebens, alles kommt von Gott.« (Karl Elliger, Deuterojesaja, BKAT Band XI/I, S. 502)
Damit ist alles gesagt. Von hier aus öffnen sich alle Türen, um aktuelle Aspekte der Nachhaltigkeit, ob lokal, regional oder zeitbedingt aufnehmen zu können. Ich verzichte darauf, konkrete Vorschläge zu machen, da der 20. Sonntag nach Trinitatis 2023 zum Zeitpunkt des Schreibens noch in sehr weiter Ferne liegt.
1. Thess 1,1-5b
Für mich ist hier die Dankbarkeit das Stichwort. Paulus dankt Gott für die Gemeinde. Diese ist von Gott geliebt und erwählt, dies impliziert die Dankbarkeit der Gemeinde Gott gegenüber für seine Haltung uns gegenüber. Vom Begriff der Dankbarkeit lassen sich leicht Gedanken in Richtung eines nachhaltigen Umgangs mit der natürlichen Umwelt entwickeln, im Prinzip zu jedem Thema. Ich würde versuchen, möglichst sehr konkret an örtlichen Gegebenheiten der jeweiligen Gemeinde aufzuzeigen, wie diese Dankbarkeit aussehen kann.
Mt 22-15.21
Hier geht es um die Machtfrage. Die Schriftgelehrten locken Jesus in eine Falle und werden blamiert. Sollen wir Steuern zahlen, fragen sie. Sagt Jesus ja, dürfte sein Ansehen beim Volk dahin sein. Ein Messias, der auffordert, dem Gottkaiser, wie er sich selbst versteht, Steuern zu zahlen, ist unten durch. Sagt er nein, nun, dann ruft er praktisch zum Aufruhr auf. Verhaftung, Hinrichtung, Problem erledigt.
Mit der simplen Frage nach einem Denar lockt Jesus die Schriftgelehrten in die Falle: Sie greifen in die Tasche – und holen das Geldstück heraus, dass eben das Bild des Gottkaisers zeigt. Sie zahlen selbst mit diesen Denaren. „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist," so einfach hätte Jesus das Gespräch beenden und aus der Falle schlüpfen können. Doch erst der nachgeschobene Satz: „Und gebt Gott, was Gottes ist!", stellt die Frage nach der Macht in den Mittelpunkt. Es ist eine verschlüsselte Kritik am Anspruch des römischen Kaisers, voll und ganz über seine Untertanen herrschen zu können, in allen Lebenslagen. Dies steht nur Gott allein zu, so Jesus. Damit sagt er zugleich: Jeder Mensch ist letztlich Gottes Eigentum, Menschen haben kein Recht, vollumfänglich über andere bestimmen zu können, absolute Macht ist widergöttlich.
Von hier aus – und das ist schon ein langer Anmarsch – lässt sich dann diese Machtfrage auch auf den Umgang mit der natürlichen Umwelt übertragen. Auch die „Natur" ist nicht Eigentum des Menschen, ihre „Regeln" sind zu beachten, damit es der ganzen Schöpfung gut geht. Menschliche Macht hat für mich daher immer einen dienenden Charakter.
Dr. Matthias Jung, Hannover