Altjahrsabend / Silvester (31.12.13)

Altjahrsabend /Silvester

 

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. Evangelium
Hebr 13, 8-9b 1 Joh 2, 18-21 Joh 1, 1-18
Hl. Silvester I: Ez 34, 11-16 Hl. Silv.: Mt 16, 13-19

 

Ez 34, 11-16 / Mt 16, 13-19 / Hebr 13, 8-9b

Exegetische Aspekte

Im Mittelpunkt der Ersten Lesung aus dem Propheten Ezechiel steht die Ankündigung „Ich selbst will meine Schafe weiden..."( Ez 34, 15). Und die Botschaft, die damit verbreitet wird, ist einerseits eine ‚Frohe Botschaft', für die „verirrten Schafe", für die in der Diaspora verstreuten Schafe, weil sie das Ende des Unheils und den Beginn der Rettung verkündet. Dies wird möglich, weil Gott eingreift. Das ist zunächst mal eine tröstliche Botschaft, in der aber gleichzeitig wenig Gutes verheißendes durchklingt für diejenigen, denen als Hirten hier offenbar das Heft aus der Hand genommen wird. Diese auf den ersten Blick ‚Frohe Botschaft' enthält also eine außerordentliche Brisanz, wenn sie in ihrem textlichen und politischen Kontext gehört wird. Ohne diesen Kontext wird der Grund göttlichen Eingreifens kaum fassbar. Leider lässt die auf die Verse 14-17 beschränkte Textauswahl den Grund des Eingreifens nur erahnen. Deshalb wäre es umso wichtiger, die Kontexte deutlich zu machen.

Textlicher Kontext

Der für das Verständnis unbedingt notwendige weitere textliche Zusammenhang ist Ez 34, 2-22. Das „Ich will..." zieht sich durch den kompletten Text und zeigt an, dass Gott der Geduldsfaden gerissen ist und er das Hirtenamt zur Chefsache macht.

Was das für das Leben der Menschen bedeutet, macht der Text deutlich: Mit Gott wird die Herde wieder zusammengeführt (34, 12). Den Hirten, die „sich selbst weideten", will Gott „ein Ende damit machen, dass sie Hirten sind" (34,10). Unter neuer Leitung wird das Volk herausgeführt „aus allen Völkern" und „aus allen Ländern" gesammelt (34,13). Diese Zerstreuung ist das Ergebnis von Selbstsucht der Regierungsschichten: „Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden!" (34,3). Deshalb sind die Schafe zerstreut, „weil sie keinen Hirten haben" (34,5). Gott will seinem Volk „einen einzigen Hirten erwecken, der sie weiden soll, nämlich meinen Knecht David" (34,23). Ein David, auf deutsch „Liebling Gottes", soll die Gemeinde führen, ein Hirte von Gottes Gnaden, nicht ein König. Nach dieser Veränderung der Rechtleitung wird wieder der Segen Gottes auf seiner Herde liegen. (34,26). „Und sie sollen erfahren, dass ich, der HERR, ihr Gott, bei ihnen bin (34,30). Das ist sozusagen die Voraussetzung für die Rückkehr des Volkes zu seinem Gott: Die Erfahrung der Gerechtigkeit. Gott wird richten zwischen „weißen" Schafen und „schwarzen Schafen", zwischen Widdern und Böcken (34,17). Unter dem „Geliebten" als Gottes Exekutive wird die Herde Gottes wieder „auf guten Auen lagern und fette Weide haben" (34,14), auf der sich die Hirten zuvor nur selbst „geweidet" haben.

Gesellschaftlicher Kontext

Der Prophet Ezechiel (595-573 v. Chr) wird mit der ersten Deportation Nebukadnezars (597 v. Chr) aus Jerusalem nach Babylon zwangsumgesiedelt.  Die Deportation begreift er als eine Strafe Gottes für die Selbstsucht der Jerusalemer Oberschicht, aber auch des ganzen Volkes. Daß das Volk besiegt wird, deportiert wird, ist nicht einer Schwäche Gottes zuzuschreiben, sondern einer Notwendigkeit der Bestrafung, die er durch die Babylonier ausführen läßt. Das wiederum legt den Schluß nahe, daß Gott nicht nur ein Gott der Israeliten ist, sondern ein universeller Gott, der einzige Gott.

Den Eliten wirft der Prophet Unterdrückung und Ausbeutung der Armen vor. Weil die Oberschicht nur mit sich selbst beschäftigt ist, fehlt dem Volk die Leitung. Dafür wird die Führungsschicht zusätzlich zum Exil noch individuell abgeurteilt werden. Aber Ezechiels Botschaft ist auch eine Trostbotschaft an Israel. Wenn das Volk auf den Pfad der Tugend und Gottestreue zurückfindet, wird es auch wieder heimkehren können. Gott hat seine Treue dem Volk nicht aufgekündigt. Indem Gott seinen „geliebten" Knecht schickt, ergibt sich in seiner Nachfolge der geographische Weg zurück nach Israel, aber auch ein spiritueller Weg in das „Reich Gottes", da die Gegenwart Gottes weder an den Tempel, noch an die Stadt Jerusalem gebunden ist (Ez.10,18ff; 11,22ff). Der Weg führt also nicht wieder zurück zu einem neuen Israelitischen Königreich, sondern ein Hirte Gottes wird die Leitung inne haben. Damit dies zustande kommen kann, gibt der Prophet klare Anweisungen für zukünftige geistige Haltung und Kultgestaltung.

Rettung kommt also durch eine komplette geistige wie strukturelle Neuausrichtung des Volkes. Die bisherigen Oligarchien haben ausgedient, die sich nur selbst bereichert haben, nur auf den eigenen Hedonismus ausgerichtet waren, während das Volk in Armut, Ausbeutung und Unterdrückung lebte. Das Volk selbst soll sich auf Gott ausrichten, dann wird er seine Geschicke zum Guten lenken.

Verbindung zu den übrigen Texten des Sonntag

Die Beauftragung „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen" ist sozusagen eine Beauftragung, aus der die Kirche ihr „Hirtenamt" ableitet. Der „Geliebte Gottes" nach Gottes eigener Aussage („Du bist mein geliebter Sohn", Lk 3,22), ein David/der christliche Messias , gibt das Amt weiter an einen, der wiederum durch eine Offenbarung Gottes ausgezeichnet ist, denn das Messiasbekenntnis des Simon kommt nicht aus ihm selbst, „sondern mein Vater im Himmel" (hat dir das offenbart, Mt, 16,16). So setzt sich im NT die Beauftragungsgeschichte Gottes für sein Volk fort.

Der feste Glaube an die Beauftragungsgeschichte Gottes für sein Volk „geschieht durch Gnade" (Hebr. 13,9). Nur in der Gnade Gottes können Irrwege vermieden werden. In die Irre geht, wer glaubt, sich am eigenen Schopfe aus dem Sumpf ziehen zu können, durch seine Werke und Taten, z.B. die Einhaltung von Speisegeboten.

So schärft denn der Schreiber des Hebräerbriefes den Adressaten das kleine Einmaleins des Gottesnachfolge ein: Gastfreundschaft, Nächstenliebe, Ehezucht, Gerechtigkeit.

Ezechiel warnt ebenso vor verschiedenen Formen der Gottlosigkeiten: kultisch (Götzenfleisch, Aberglauben), sozial (Gewalt, Vertreibung, Diskriminierung), wirtschaftlich (Habgier, Zins, Ausbeutung) und ganz allgemein: Vertragsbruch, Korruption, Rachsucht.

Bedeutung für Nachhaltigkeit

Dass sich Korruption, Bereicherung, Rücksichtslosigkeit und Betrug irgendwann rächt, können wir an vielen gesellschaftlichen Entwicklungen der Gegenwart ablesen. Die weiße Oberschicht Rhodesiens ist im heutigen Zimbabwe praktisch vollständig eliminiert, nachdem sie das Land lange als das ihr exklusiv gehörende betrachtet hat. Russische Menschen haben in vielen Ländern der ehemaligen Sowjetunion ein schwieriges Leben. Diktaturen sind nicht nachhaltig. Erlebte Ungerechtigkeit setzt sich in gebildeter Gesellschaft immer stärker in Aufbegehren und gesellschaftliche Instabilität um (Ukraine, Ägypten, Tunesien, Brasilien etc.).

Aber wir können auch durchaus in der Heimat des Propheten bleiben. Die Situation mutet an wie die Anfangsjahre des Ezechiel, als er noch in Jerusalem lebte, vor der großen Deportation nach Babylon. Eine Bevölkerungsschicht definiert die Lebensverhältnisse ausschließlich nach eigenem Vorteil und hält das auch noch für ein Gebot Gottes. Gerechtigkeit gilt nur der eigenen Gruppe. „Ein Kainsmal auf der Stirn der Knesseth" nennt Arik Asherman, der Sekretär der Rabbiner für Menschenrechte, ein neues Gesetz, das die Enteignung und Vertreibung der Beduinen des Negev zementieren soll. Solches Verhalten kann nicht nachhaltig sein. Es wird immer den Willen zur Revanche nach sich ziehen.

Die diesjährige Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, Swetlana Alexijewitsch, schreibt an gegen eine Kultur der Habgier und des Konsums in Osteuropa. Der vorangegangene Größenwahn der sowjetischen Diktatur sei nicht zuletzt an Tschernobyl und Afghanistankrieg gescheitert. Solcher Größenwahn geht immer auch auf Kosten der Natur, zerstört die natürlichen Ressourcen. Wir wissen nicht, was letztlich die neueste Öl- und Gasgewinnungsmethode, das Fracking, für die Umwelt bedeutet, wodurch buchstäblich die letzten Reste fossiler Energieträger aus der Erde gepresst werden. Das alles für den Energiehunger der westlichen Welt.

Wir machen uns auch nicht klar, in welchem Ausmaß wir zur Stillung dieses Hungers Gewalt ausüben. Für unseren Hunger nach Holz und Zellulose sind wir sogar bereit, uns die grüne Lunge aus unserem Erdkörper herauszureißen und die für die Ökologie und das Weltklima so wichtigen Regenwälder niederzumachen. Weltkonzerne, einer heißt Weyerhauser, die Gründer stammen aus Rheinhessen, Holz fressende Ungeheuer, die mit ihren nimmersatten Maschinenmäulern innerhalb von Minuten ein fußballfeldgroßes Gelände verschlingen, ratzekahl, wie es so heißt. Alles wird verwertet, bis zum letzten Geäst, das als Zellulose in der Papierproduktion landet. Prima, sollte man meinen, kein Abfall. Aber Abfall gibt es im Naturkreislauf sowieso nicht, es gibt nur immer Nahrung für einen Nachbarn im Naturleben. Die Nahrung für unseren Papierhunger, hinterlässt, indirekt, Wüsten. Durch den Kahlschlag erodiert die Erde, wird in die Flüsse gespült, die dadurch verschlammen, den Fischen den Lebensraum nehmen, die wiederum der noch naturnahen einheimischen Bevölkerung als Hauptnahrungsquelle dienen. Die Erosion setzt zudem Quecksilber frei, das sich in der Fischnahrung anreichert. Wildbestände verschwinden, es gibt kein Karibu mehr zu jagen, der als Nahrung und ledernes Dach über dem Kopf diente. Alles Leben zieht sich zurück, es entsteht Tohuwabohu, das Martin Buber mit Irrsal und Wirrsal übersetzt, es ist eher Irrsinn und Giersinn. Wir verkehren den Auftrag Gottes in sein Gegenteil.

Swetlana Alexijewitsch sagt: „Wir stehen mit unseren kleinen Ideen unbewaffnet in dieser Welt, während wir uns nach Gerechtigkeit und Frieden sehnen" („Die Zeit", 27.6.13). Das Ausharren in der Diktatur Weißrussland mit dem unterdrückten Volk hat sie gemeinsam mit Carl von Ossietzky, der uns ebenfalls dieser Tage von der evangelischen Zeitschrift „Chrismon" (07/13) vorgestellt wird. „Der Oppositionelle, der über die Grenze gegangen ist, spricht bald hohl ins Land hinein" wird er dort zitiert.

Wenn wir nur konsequent unsere kleinen Ideen auf dem Weg zu Gerechtigkeit und Frieden verfolgen, dann wird uns Gott auch wieder einen David schicken, einen seiner Geliebten, der in der Lage ist, uns, seinem Volk aus allen Völkern Richtung zu geben. „Die Zeit" (27.6.13) schrieb in diesem Tagen über Anton Schmid, österreichischer Katholik, der als Feldwebel in Wilna 1941/42 Hunderten Juden das Leben rettete und dies mit dem eigenen bezahlte. Publik Forum berichtet über Erwin Kräutler, Bischof der größten brasilianischen Diözese, der 2010 den alternativen Nobelpreis erhielt. In seinem Engagement zeigt sich deutlich: Menschenschutz ist Naturschutz, und Naturschutz ist Menschenschutz. Auch er gefährdet sein eigenes Leben, indem er sich für das Leben der Unterdrückten einsetzt.

An der Schwelle zu einem neuen Jahr ist es wert, sich diese Zusammenhänge vor Augen zu führen und mit hoffentlich guten Vorsätzen ins neue zu gehen. Ein achtsamer Umgang mit Papier, z.B. durch die beidseitige Benutzung, wäre ein guter Anfang. Und auch dieser Text muß nicht unbedingt ausgedruckt werden ...

Johannes Borgetto