Reminiszere / 2. Fastensonntag (16.03.14)

Reminiszere / 2. Fastensonntag

 

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Hebr 11, 8-10 Gen 12, 1-4a 2 Tim 1, 8b-10 Mt 17, 1-9

 

Hebräer 11, 8-10

Exegetische Hinweise:

Der Verfasser bezeichnet sein Schreiben als „Wort der Ermahnung“ (13,22). Die Gemeinde läuft Gefahr, ihre Resonanzräume für die Verheißung zu verlieren (3,7ff.). Unheilsprophetie ließe sich anschließen; darin liegt die Gefahr des Textes, der den Zuspruch Gottes eng mit einem Anspruch verknüpft. Es geht aber um die Frage, wie stark das Vertrauen und wie lebendig der Gehorsam der Glaubenden ist (10,23). Abrahams Leben wird zum Vorbild eines Lebens, dem eine „strukturelle Ruhe“ (vgl. 4,11ff.) innewohnt.

 

Theologische Impulse:

Abraham vollzieht den Wandel von der Selbstregierung eines Patriarchen (gubernatio) zur Pilgerfahrt (peregrinatio) (vgl. H. G. Ulrich 2007, S. 52). Werden und Entdeckung (Exploration) werden zur offenen Existenzform. Die angemessene Behausung ist das leichte Zelt. Die Pilgerfahrt wird zum Gegenentwurf einer sich an verzehrenden Selbst- und Lebensentwürfe (etwa Turmbau, Gen 11) orientierenden Existenz. Leben und Arbeit sind nur als sinnvolle Erschließungen der Ordnung Gottes im Vollzug des Gehorsams gesegnet (vgl. Chr. Link, 2012, S. 76ff.) Mit der Umbuchung seiner Existenz auf Gott fügt sich Abraham in diese Ordnung Gottes ein. Neu an der Beziehung ist der Gehorsam als vernehmendes Vermögen. Es ist ein lebendiges, lebendig machendes und gereiftes Vermögen. Gehorsam steht hier für eine Wahrnehmungskompetenz, ohne die Welt gottlos umzudeuten. Die gehorsame Umbuchung der Selbstherrschaft auf Gottes Herrschaft ist der entscheidende Gehorsamsvollzug.

 

Nachhaltigkeitsaspekte:

Dass sich menschliches Leben als peregrinatio an den göttlichen Ordnungsrahmen angepasster gestalten muss, ist eine Kernaussage des theologischen Nachhaltigkeitsdiskurses. Welche neuzeitlich geprägte Patriarchengeste nehmen wir zur Schöpfung ein? Wo müssen wir unsere Wahrnehmungen an Gottes Schöpfungsplan schärfen, um zukunftshöffiger zu werden? Was ist die geistliche Topografie unseres ökologischen Fehlverhaltens? Der moderne Patriarch, beheimatet in der interessenorientierten Welterschließung und in traditionellen Herrschaftsentwürfen, muss das Hören (als Gehorsam) wieder lernen.

 

Literatur:

H. G. Ulrich, Wie Geschöpfe leben. Konturen evangelischer Ethik. EThD 2, hrg. von Marianne Heimbach-Steins u.a., Münster 2007²

Christian Link, Schöpfung. Ein theologischer Entwurf im Gegenüber von Naturwissenschaft und Ökologie, Neukirchen-Vluyn 2012

 

Gen 12,1-4a

Exegetische Hinweise:

Die Geschichte Abrahams ist Beginn einer Familiengeschichte über drei Generationen. Sie ist mit der Geschichte Israels verbunden durch die Verheißung (vgl. C. Westermann, 1978, S.  20). Diese Verheißung lautet nicht, dass Gott ein Land verheißen wird, sondern dass er eines verheißen will. Diese Offenheit der Verheißung ist mehr als eine sprachliche Nebensächlichkeit. Philo, De migr. Abr. 43f. zitiert nach O. Michel (1984), S. 390: „Absichtlich bestimmte Gott (dem Abraham) nicht die gegenwärtige, sondern die zukünftige Zeit in der Verheißung, indem Er nicht sagte: das Land, das Ich dir zeigen werde, sondern das Ich dir zeigen will (Gen12,1), zum Zeugnis des Glaubens, den die Seele Gott entgegenbrachte, indem sie nicht auf Grund vollendeter Tatsachen sich dankbar erwies, sondern auf Grund der Erwartung zukünftiger Dinge.“

 

Theologische Impulse:

Land (V1) und Segen (V3) sind die Stichworte für den Nachhaltigkeitsbezug dieses Textes.

Besinnung auf den Segen Gottes markiert ein geistliches Wissen gegen eine Auffassung, es gäbe eine diskursive und produktionsorientierte Vergewisserung menschlichen Vermögens. (vgl. H. G. Ulrich, 2007, S. 359ff.).

Von daher ist es entscheidend, ob es in der Predigt gelingt, eine alternative Programmatik, also andere Prämissen in der Wirklichkeitsdeutung und einen anderen ethischen Strategiekern als den eines Nutzenparadigmas zu entwickeln. (vgl. O. Reis, 2003, S. 60f.). Das neuzeitliche Paradigma, das in der Unterwerfung der Natur durch den Menschen seine kulturelle Zielbeschreibung gefunden hat, erfährt hier eine heilsame Begrenzung durch die Erinnerung daran, dass Segen keine Folge menschlicher Arbeit ist, sondern seine Voraussetzung.

 

Nachhaltigkeitsaspekte:

Nachhaltige Entwicklung lebt vom Bund und den Geboten, die Zukunft offen zu halten. Hintergrund ist ein Positionswechsel in der Erinnerung, die sich nicht allein auf Herrschaftssymbole zu berufen vermag, sondern Leben für das Kommenden Gottes transparent werden lässt (vgl. O. Reis, 2003, S.  453). Nachhaltigkeit meint auch (aber eben nicht nur), in größerem Einklang mit der Natur zu leben (vgl. R. Sennet, 2007, S. 24). Insofern ist das Motiv der Landverheißung als Beheimatung der suchenden Existenz daraufhin befragbar, ob sich menschliches Niederlassen und Ankommen an Bedingungen zu orientieren vermag, die keine tödlichen Nebenfolgen haben. Wie sieht eine Lebensgestaltung im Angesicht eines Gottes aus, der uns geschöpfliche Heimat erweisen will.

 

Literatur:

Claus Westermann, Kurze Bibelkunde des AT, Stuttgart 19783

Otto Michel, Der Brief an die Hebräer, KEK XIII, Göttingen 1984

Oliver Reis, Nachhaltigkeit – Ethik – Theologie. Eine theologische Beobachtung der Nachhaltigkeitsdebatte. Forum Religion & Sozialkultur, Abt. B, Profile und Projekte Bd. 18, Münster 2003

Richard Sennet, Handwerk, Berlin 2007

H. G. Ulrich, Wie Geschöpfe leben. Konturen evangelischer Ethik. EThD 2, hrg. von Marianne Heimbach-Steins u.a., Münster 2007²

 

2. Tim 1,8b-10

Exegetische Hinweise:

„Fremdlehrer“ bringen Streit und Verwirrung in die Gemeinde. Die Lehre der Apostel lautet: Gott gewährt den Seinen die volle Gemeinschaft und legt ihnen den Kampf gegen alles Unrecht auf; denn sie warten noch auf die Vollendung.

 

Theologische Impulse:

Streit und Verwirrung und die Frage, mit welchen „Lehren“ wir es zu tun haben, bestimmen auch weite Teile des Nachhaltigkeitsdiskurses. Es geht darum, unser Schöpfungs- und Heilswissen in die Wirklichkeitswahrnehmung einzutragen und so zu entfalten, dass sie einen konkreten Beitrag zu den akuten Problemen der Schöpfungsbewahrung leisten, ohne die strukturelle Geborgenheit einer belastbaren Glaubensgewissheit zu verlieren. Biblisch argumentieren wir dort, wo wir das „Seufzen der Kreatur“ (Röm 8,18ff.) in die Glaubensgewissheit aufnehmen, dass es für die, die „in Christus sind, keine Verdammnis gibt“ (Röm. 8.1ff.). Auch unter bedrohten und bedrohlichen Bedingungen ist die ganze Schöpfung zur Gemeinschaft mit Gott bestimmt. „Das Reich der schöpferischen Möglichkeiten Gottes hat ontologische Priorität vor dem Reich der Wirklichkeit der Welt und der inhärenten weltlichen Möglichkeiten“ (J. Moltmann, 1993, S. 174). Solches Schöpfungswissen redet nicht nur von den Anfängen der Welt  (protologisch), sondern auch von Gottes befreiendem Handeln im Hier und Jetzt (eschatologisch).

 

Nachhaltigkeitsaspekte:

Die Gemeinschaft mit Gott ist die „distinktive Basis“ (Chr. Schwöbel, 2011, S. 201) im Vergleich nicht biblischen Erfahrungshintergründen. Gemeint ist ein unaufgebbarer Sachverhalt christlicher Identität. Als Kirche Jesu arbeiten wir nicht daran, Scheiterns- und Versagenserfahrungen unseres offensichtlich zerstörerischen Lebenswandels einfach in die Zukunft hinein zu verlängern. Wir arbeiten nicht der existenziellen Unterdrückung unserer Mitwelt in die Hand. Wir kratzen nicht an den Fundamenten der strukturellen Gewissheit, die Gott uns durch den Glauben schenkt. Sondern wir buchstabieren die Überwindung dieser Verdammnis auch und gerade im geistlich geformten Transformationsdiskurs. Hier fragen wir nach einem Geist, der uns dazu stärkt und befähigt, angstgeleitete Fehlstellungen im Lebenswandel und der Lebensführung zu identifizieren und verändern.

 

Literatur:

Christoph Schwöbel, Gott im Gespräch. Studien zur theologischen Gegenwartsdeutung. Tübingen 2011 S. 201

Jürgen Moltmann, Gott in der Schöpfung. Ökologische Schöpfungslehre. Gütersloh 19934

 

Mt 17,1-7

Exegetische Hinweise:

Jesus wird als Lichtherrlichkeit beschrieben. Allein über dieses Stichwort könnte man prüfen, ob die Herrlichkeit Jesu, die Herrlichkeit Gottes und die Verherrlichung Gottes in seiner Schöpfung mehr als assoziative Anknüpfungen erlauben. Nach Jürgen Moltmann (1993, S. 67) ist schöpfungstheologisch nicht nur protologisch, sondern eben auch eschatologisch von Gottes herrlicher Schöpfung zu reden.

 

Theologische Impulse:

Eine Anknüpfung an den semantischen Kreis „Himmel“ ist in der theologischen Nachhaltigkeitsdiskussion ein lohnendes Feld. Lohnend schon deswegen, um nicht immer nur die Paränese in den Vordergrund zu stellen, sondern eben auch einmal ihre Voraussetzungen. Dass die „Himmelherrschaft“ (C. Westermann, 1973, S. 16) Wirkungen auf die Herrschaften der Erde haben, ist unbestritten. Theologisch beschreiben wir jene Ermöglichungsräume, die uns als Talente zur treuen Haushalterschaft anvertraut sind. Mit einer solchen Haltung bleiben wir der modernen Gesellschaft nicht etwas schuldig, sondern wir reichern den Nachhaltigkeitsdiskurs mit einem notwendigen Wissen an, ohne das eine akteursbezogene und an Verantwortung und Freiheit orientierte Lebensveränderung kaum denkbar ist. Darum feiern wir den Himmel. Mit Himmel wird  die „gottoffene Seite der Schöpfung“ bezeichnet (J. Moltmann, 1993, S. 172). Himmel beschreibt, was „neben uns“ sich auftut, oder „unter uns“ und auch „in uns“. Wenn wir gemeinsam beten „Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden“, dann ist dieses Gebet nicht die Bitte darum, die spekulativen Himmelswirklichkeiten mögen sich auf die Erde ergießen und dem bösen Treiben hier ein Ende bereiten. Das Gebet zielt darauf, die Welt möge sich in ihren gottverbürgten Möglichkeitsräumen gegen unsere angstverschlossenen Geister, gegen die Übersteigerung des menschlichen Machbarkeitsdünkels als mächtig (dynamisch) erweisen. Für J. Moltmann gilt deshalb: „Das Reich der schöpferischen Möglichkeiten Gottes hat ontologische Priorität vor dem Reich der Wirklichkeit der Welt und der inhärenten weltlichen Möglichkeiten.“ (J. Moltmann, 1993, S. 174) Das heißt: Wir werden das Sein der Welt als Gottes Möglichkeitsraum durch unsere gestörte Selbstwahrnehmung nicht außer Kraft setzen können. Aber es besteht die Möglichkeit, das Wissen um diese Offenheit der Welt zu vergessen. Der Zuspruch des Paulus, dass nichts uns von der Liebe Gottes zu trennen vermag, hat zeigt eine schöpfungstheologische Dimension des Christusglaubens.

 

Nachhaltigkeitsaspekte:

Ein Lebensansatz, der angesichts des anthropogen verursachten Leidens der Schöpfung davon immer noch ungebrochen davon ausgeht, dass die Naturumformung nur in den Griff zu bekommen ist, indem man die Mittel intensiviert, ist dämonisiert. Dieser Lebensansatz steht außerhalb der göttlichen Ermöglichungsräume und kennt den Himmel nicht. (vgl. O. Reis, 2003, S. 462 Anm. 1116)

 

Literatur:

Jürgen Moltmann, Gott in der Schöpfung. Ökologische Schöpfungslehre. Gütersloh 19934

Claus Westermann, Kurze Bibelkunde zum NT, Stuttgart 1973

Oliver Reis, Nachhaltigkeit – Ethik – Theologie. Eine theologische Beobachtung der Nachhaltigkeitsdebatte. Forum Religion & Sozialkultur, Abt. B, Profile und Projekte Bd. 18, Münster 2003

 


R. Adler