"Kultur des Maßes": Haben Sie sich schon einmal Gedanken dieser Art gemacht:
„Wir müssen / müssten unseren Lebensstil ändern, um eine global zukunftsfähige Entwicklung auf der Erde zu ermöglichen!"
(Foto: Wikimedia Commons, K. Oberst)
Was ganz einfach und logisch klingt, machen wir nicht! Was ist das Problem? Prof. Dr. P. Wehrle, em. Weihbischof aus Freiburg, gibt Orientierung mit seinem Denkansatz "Kultur des Maßes".
Prof. Dr. R. Grießhammer vom Öko-Institut geht die Frage PROSA-isch-wissenschaftlich an ...
"Leben mit Stil" statt Lebensstil
Kultur des Maßes
Es braucht eine Orientierung für gelingendes Leben. "Gewinnmaximierung" läuft für sich genommen ins Leere. Sie wird dem Bild des Menschen in seiner Komplexität, seinem Geist, seiner Spiritualität und selbst seiner Intelligenz nicht gerecht. Auch "Verzicht" läuft - für sich genommen - ins Leere, wenn das Wohin fehlt. Gemeinsam mit dem "gestaltenden Streben", das hinter einer Gewinnmaximierung steckt, spannt der Verzicht jedoch ein kreatives Spannungsfeld auf, das einen gangbaren Weg aufzeigt.
Weihbischof em. Dr. Paul Wehrle bezeichnet in einem Artikel des Freiburger "Konradsblatts" diesen Weg als eine "Kultur des Maßes". Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung sind wichtige Grundelemente dieser christlichen Kultur, die es zu entwickeln gilt. Ebenso beinhaltet sie den göttlichen Gestaltungsauftrag an den Menschen: Die Dinge nicht passiv ("träge") hinnehmen, sondern zukunftsfähige Visionen entwickeln und diese in christlicher Verantwortung zu einem Leben mit "Stil" (statt einfach nur fast beliebig "Lebensstil") verwirklichen.
(zum Artikel: PDF-Version, 3,4 MB / HTML-Version - mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Wehrle und dem "Konradsblatt")
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Suffizienz – eine Frage des Lebensstils? Sofort drängen sich negativ besetzte Begriffe wie „Verzicht", „Beschränkung" in das Bewusstsein und lösen eine Angst besetzte Stimmung aus:
„Uns geht es endlich gut, wir haben so viel erreicht – man braucht ja nur in andere Teile der Welt zu sehen ... – und jetzt sollen wir darauf verzichten?!"
Unser Wohlstand hängt eng mit diesen anderen Teilen der Welt zusammen, mit denen wir uns so gerne vergleichen. Er wäre kaum möglich geworden, wenn Technologien, die die Industrienationen entwickelt haben, nicht die Rohstoffvorräte hätten nutzen können, die in anderen Teilen der Welt lagen (Holz für unseren Papierverbrauch u.v.m).
Andererseits deutet gegenwärtig Vieles darauf hin, dass Vezicht zukünftig mit einem Gewinn an Lebensqualität einhergeht. „Verzicht auf hohen Energieverbrauch" zur Beheizung unserer Wohnungen im Winter bewirkt zum Beispiel, dass wir auch zukünftig auf Wärme und Behaglichkeit trotz knapperer Ressourcen nicht zu „verzichten" brauchen. Es scheint an der Zeit. den Begriff des „Verzichts" neu zu denken!
Verzicht - (k)ein angstbesetzer Begriff
Wenn man „Verzicht" in unterschiedlichen Zusammenhängen einsetzt, wird schnell deutlich, dass Angst nicht mit dem Begriff verbunden ist, sondern mit dem, was jeweils „dahinter" steckt. Verzicht ist offensichtlich positiv besetzt, wenn man den Begriff im richtigen Kontext verwendet:
• Verzicht auf unnötig hohen Energieverbrauch
• Verzicht auf Ausbeutung von Kindern (selbst wenn sie für uns günstige Konsumartikel herstellen)
• Verzicht auf unnötige Autofahrten und auf unnötige Autos
• Verzicht auf Wohlstands-Krankheiten (?!)
• Verzicht auf hochleistungsfixierte "Engstellung" von Kindheit
• Verzicht auf lebenslanges Funktionieren, ohne zwischendurch ernsthaft nachzudenken
Verzicht auf den Einkauf am Sonntag scheint dagegen - auf den ersten Blick - eine rein christliche Angelegenheit (dazu unten mehr).
Zeit für PROSA.
Dass es im Sinne von „Leben mit Stil" zwei sich ergänzende Arten gibt, das Konsumverhalten zu verändern, zeigt Prof. Dr. Rainer Grießhammer in seinem hier hinterlegten Vortrag. Stil entwickeln, indem auf Unnötiges im positiven Sinne verzichtet wird, ist die eine Seite der Medaille. Den Konsum auf „Top-ten"-Artikel auszurichten, die herstellungsbedingt die Ressourcen schonen, materiell ebenso wie sozial, ist die andere Seite der Medaille - und ein zukunftsfähiger Stil. Um Empfehlungen speziell für nachhaltigen, qualitativ hochwertigen Konsum geben zu können, hat das Öko-Institut e.V. auf sozial- und naturwissenschaftlicher Grundlage „PROSA" entwickelt
Link zur Konsum-Präsentation Dr. Grießhammer: (HTML-Export der Powerpoint-Präsentation)
Hinweis: Der Powerpoint-Export lässt sich am besten mit dem Internet-Explorer anzeigen, da der Firefox-Browser einige der Funktionen nicht unterstützt.
(Vortrag am 16.01.2014 in Konstanz, mit freundl. Genehmigung von Prof. Dr. Grießhammer, s.a. www.ecotopten.de)
Klimakultur als Leitbegriff
Peter Unfried (TAZ-Chefredakteur und Buchautor) lässt seine Aversion gegen „Verzichtskommunikation" in einen neuen Begriff münden: „Klimakultur". Er meint, dass wir nicht ständig „unpopulär" von Verzicht reden müssen, sondern uns auf die Klimakultur als „angesagte" Lebensweise einstellen sollten. Wie andere globale Bedingungen zu früheren Zeiten die „Steinzeit" und die „Eisenzeit" hervorbrachten, haben wir die „Klimakultur". Nach Ansicht von Peter Unfried gibt dieser Leitbegriff „Klimakultur" Orientierung und ermöglicht, Entscheidungen und Lebensstilfragen auf die globale Situation, in der wir jetzt leben, abzustimmen. Herr Unfried hat angekündigt, seinen am 5.01.14 bei den Naturschutztagen in Radolfzell gehaltenen Vortrag nach Überarbeitung für "nachhaltig predigen" zur Verfügung zu stellen.
Stilfrage: Einkauf vs. Shopping
Zwei scheinbar identische Tätigkeiten mit Sprengkraft für die globale Gemeinschaft: Konsum am Sonntag – was Einigen als sonntagtaugliches Freizeitvergnügen erscheint, ist für andere Alltag, Geschäft. Diese „Lebensstilfrage" reicht deutlich weiter, als es im ersten Moment scheint. Wenn Sie schon mal im Internet etwas gesucht haben, und in den Wochen danach das gesuchte Produkt auf ganz anderen Internetseiten in Werbeanzeigen auftaucht, bekommen Sie eine Ahnung von der Wirklichkeit. Lesen Sie zum Einkaufen am Sonntag die Pressemitteilung des Kolpingwerks Landesverband Rheinland-Pfalz (von Thomas Bettinger, Leiter des Diözesanverbands Speyer).
Es wird deutlich, dass auch dieses Thema eine Frage von „Leben mit Stil" ist und die Ruhe am Sonntag in erster Linie eine soziale Errungenschaft und trotz Verzicht auf Shopping-Luxus ein weltweites Bollwerk gegen soziale Ausbeutung ist.
Stellungnahme des Kolpingwerk Landesverbands Rheinland-Pfalz vom 14.01.14 (PDF-Datei, 320 kB)
„Leben mit Stil" und „Lebensstil" sind ganz und gar nicht dasselbe.