Röm 14,(1-6)7-
13;
Hiob 14,1-6(7-
12)13(14)15-
17;
Lk 18,1-8; Offb 2,8-11 [www.stichwortp.de]
vorletzter Sonntag im Kirchenjahr / 33. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Mt 25, 31-46 | Dan 12, 1-3 | Hebr 10, 11-14.18 | Mk 13, 24-32 |
Die biblischen Texte des Sonntags malen kräftige Bilder vom jüngsten Tag. Wie auch beim Thema Nachhaltigkeit wäre es problematisch, die Schwierigkeiten damit abzutun oder wegzuerklären. Differenzierte Wahrnehmung und Gottes Liebe könnten jeweils handlungsleitend sein.
Das Kirchenjahr neigt sich dem Ende zu. „Tod“ und „Gericht“ sind die theologischen Themen, die derzeit eine Rolle spielen. Je nach örtlicher Tradition wird auch auf den so genannten „Volkstrauertag“ einzugehen sein.
Die Texte des Sonntags entwerfen unterschiedliche Szenarien, wie es sich verhält mit dem Ende der Zeit, der Wiederkehr Christi und dem jüngsten Gericht. Die meisten Schilderungen darin sind mir und meinem Glauben erstmal fremd. Bildlich und plastisch dargestellt haben sie in der Christentumsgeschichte aber einen großen Eindruck hinterlassen. Mir stehen die Portale französischer Kathedralen und die Außenbemalung rumänischer Klosterkirchen vor Augen. Mit Sinn und Verstand, Fantasie und Furcht haben die Menschen vor 500 oder 900 Jahren in Szene gesetzt, was wir an diesem Sonntag predigen sollen:
Die katholische Lesung aus dem Ersten Testament startet mit dem großen Auftritt von „Michael, dem Engelfürst“; Dan 12, 1-3. Und folgt mit dem Aufwachen der Toten. Als Geistwesen an den Kirchenwänden dargestellt steigen die Leiber aus den geöffneten Gräbern. Sie schweben, scheinbar ungläubig über das, was mit ihnen geschieht, empor. Vor einen Richterstuhl gestellt müssen sie jedoch schnell erkennen, dass diese Auferstehung nicht unbedingt ein freudiges Ereignis ist. Mit Schrecken in den Gliedern erwarten sie ihr Urteil. Und erfahren, dass alle aufwachen – „die einen zum ewigen Leben, die andern zu ewiger Schmach und Schande.“ (V. 2)
Der Richter, so die katholische neutestamentliche Lesung, ist kein Geringer als Christus, der Auferstandene (Hebr 9, 24-28). Manchmal hält er eine Waage in der Hand, manchmal die Insignien der Weltenherrschaft. Er ist erschienen „denen, die auf ihn warten, zum Heil.“ (V.28) So sehr die Teufelsgestalten auch an jenen zerren, um sie in die Höllenschlünde zu ziehen: Christus ist auch hier der Sieger. Die Heiligen erwarten sie schon zum guten Leben. Was jedoch mit denen geschieht, die nicht auf ihn gewartet haben, wird keinesfalls verschwiegen, bzw.: ebenso kräftig dargestellt.
Wer sich mit den anderen Betrachtern der Bilder und Reliefe fragt, wie man nun zu denen gehören kann, die „zum ewigen Leben aufwachen“ und denen „Christus zum Heil erscheint“; denen gibt der evangelische Predigttext (Mt 25, 31-46) eine Antwort: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan.“ Und dann fragen alle: „Herr, wann haben wir dich krank, hungrig oder im Gefängnis gesehen?“ Und Jesus antwortet: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das ... – auch diese Szenen gelungener oder verfehlter Nachfolge kunstvoll dargestellt an den Kirchenwänden.
Fehlt als vierter im Bunde der katholische Evangeliumstext (Mk 13, 24-32), welcher sich weniger mit dem Jüngsten Tag und mehr mit den Zeichen, die ihn ankündigen beschäftigt. Da geht es zu, wie im Hollywood-Film: die Sonne verfinstert sich und der Mond verliert seinen Schein. Die Sterne fallen herab und selbst die „Kräfte der Himmel“ kommen ins Wanken. Das ist nicht nur „großes Kino“ sondern ein radikaler Schlusspunkt. Dann tritt der Menschensohn auf und schickt die Engel aus, „seine Auserwählten“ zu sammeln...
Es gab und gibt verschiedene Möglichkeiten, all diesen Texte die Spitze zu nehmen. Man kann von der Nah-Erwartung der biblischen Zeit erzählen. Oder von den Herausforderungen der damaligen Gemeinden. Über die apokalyptischen (Wahn-?)Vorstellungen des Danielbuches oder die hohen ethischen Anforderungen des Matthäusevangeliums informieren. Genauso, wie man auch fasziniert auf die Endzeit-Bilder an den Kirchenwänden aus fernen Zeiten schauen kann.
Angemessener wäre wohl, sie als biblisches Wort ernst zu nehmen. Sich von ihrer Fremdheit nicht nur verstören sondern auch anregen zu lassen. Dieses Befremden aber nicht wegzuerklären, sondern sich aus der Irritation bewegen zu lassen.
Auch, wenn ich nicht in den November 2015 voraus schauen kann, so bin ich doch sicher, dass es ähnliche Szenen, wie in den Texten auch im letzten Monat gegeben haben wird: Katastrophen, in denen sich für die Betroffenen Sonne und Mond verfinstern, selbst die Kräfte des Himmels zu wanken beginnen. Ereignisse, die daran denken lassen, dass hier Menschen wohl zur ewigen Schmach und Schande gehandelt haben. Ein gesellschaftliche Grundstimmung, die das Warten auf Christus schwer macht. Das Bedürfnis nach klarer ethischer Orientierung. Auch auf den Volkstrauertag lassen sich diese vier Perspektiven gut beziehen.
Apropos klar: Vorsichtig wäre ich damit, eines der vier Bilder (oder auch einen Mix aus ihnen) zu DER christlichen Ansage in Bezug auf Tod und Gericht, die Themen des Sonntags zu stilisieren. Ihre unterschiedlichen Schwerpunkte deuten schon an, dass es dazu verschiedene Ansichten gibt.
Während in der einen Situation die Frage nach dem richtigen Tun wichtiger ist (Mt), stellt woanders vielleicht das bloße Auf-Christus-Warten, mit ihm rechnen (Hebr) eine große Herausforderung dar. Während die einen sich mit der Frage nach dem Sinn solch furchtbarer Umstände beschäftigen müssen (Mk), sind die anderen mehr an der generellen Scheidung zwischen „Schande“ und „ewigem Leben“ interessiert.
Diese differenzierte Wahrnehmung und der Blick aus unterschiedlichen Perspektiven tut auch dem Thema „Nachhaltigkeit“ gut. Wird doch gern EINE feste Lehre daraus gezogen und als „ethisch überlegen“ dargestellt und deren Nachahmung gefordert. Auch die schnelle Ermäßigung durch mehr oder weniger sinnvolle Einwände haben die Themen am Ende des Kirchenjahres und dieser Internetseite gemeinsam.
„Man müsste/ könnte ja, aber...“
Bei allen Unterscheidungen, die hier zu treffen sind, ist es gut zu wissen, dass sie selbstverständlich fehlbar sind. Und dass die letztgültige Beurteilung nicht von uns, sondern vom Menschensohn ausgesprochen wird. Dessen Maßstab ist nach biblischen Zeugnis in erster Linie nicht Angst und Verderben, sondern Liebe.
Bei uns im Kindergottesdienst hieß die letzte Einheit „Gott hat ein großes Herz.“ Auf dieses können wir bauen. Auch, wenn die Bilder vom letzten Tag nicht nur rosig sind, sondern fremd, in ihrer Drastik vielleicht sogar verstörend.
Johannes Merkel