Sexagesimae / 4. Sonntag im Jahreskreis (31.01.16)

Sexagesimae / 4. Sonntag im Jahreskreis


ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Hebr 4, 12-13 Jer 1, 4-5.17-19 1 Kor 12, 31-13, 13 oder
1 Kor 13, 4-13
Lk 4, 21-30

Hebr 4, 12-13

Im Hebräerbrief geht es in den ersten Kapiteln um die Offenbarung Gottes in Jesus Christus. Die letzten Verse unterstreichen die Heilswirksamkeit der Botschaft genauso wie ihre richtende Schärfe.

Die Botschaft vom Heil ist keine Friede, Freude, Eierkuchenbotschaft, genauso wie unsere Welt kein Himmelreich auf Erden ist. Da ist nichts Naives, nicht allein nur Frohmachendes in der Botschaft Jesu Christi. In der Botschaft steckt auch die Kraft zur Unterscheidung zwischen Gut und Böse, zwischen Heil und Unheil. Um diese Kraft geht es im vierten Kapitel des Hebräerbriefes. Jetzt schon, hier und heute entscheidet sich alles und der Schnitt ist so präzise, dass nichts unentschieden bleibt. Alles in unserem Leben liegt „nackt und bloß“ vor unserem Richter.

Angesichts von Millionen Flüchtlingen weltweit ist das Urteil schon gefällt: Schuldig! Nicht allein die, die Flüchtlinge aus ihrer Heimat vertrieben haben, sondern auch die, die die Not in den ärmsten Ländern verantworten, die, die sie weiterschicken in eine ungewisse Zukunft: Sie alle sind schuldig. Und auch wir, die wir uns schwer tun mit der Aufnahme von Flüchtlingen, die nicht abgeben wollen von unserem Wohnraum, unserer Bildung und unserem Wohlstand. Wir, die wir nicht teilen und unseren Komfort aufgrund des Elends in der Welt bewahren wollen, auch wir, haben Anteil an dem Flüchtlingsdrama. 

Wir alle können nur hoffen, dass auch unser guter Wille in der Waagschale Gottes liegt, dass unsere Versuche zu helfen und unser Scheitern berücksichtigt werden. Angesichts der Flüchtlingsdramas in unseren Tagen bleibt nur das Zutrauen auf Gott: Unsere Schuld an Not und Tod so vieler wiegt jetzt schon schwer, aber ebenso gilt die Zusage der Treue Gottes zu uns. Auch wenn wir die Flüchtlinge um uns herum fallen lassen: Gott lässt uns nicht fallen.


Jer 1, 4-5,17-19

Die Gerichtsworte über Jerusalem und Juda beginnen mit dem Auftrag des Herrn an den Propheten Jeremia. Schon vor seiner Geburt war er berufen, gestärkt von Gott selbst kann er vor die Menschen treten und auch wenn sie ihn bekämpfen, werden sie den Propheten nicht bezwingen.

Eine „befestigte Stadt, eine eisernen Säule mit ehernen Mauern und gegen das ganze Land“. Bilder, die bei manchen Themen die Haltung der Kirche beschreiben könnten: Unbeweglich, starr und manchmal gegen die Meinung der Mehrheit der Menschen erscheint die Kirche manchmal. Es gibt Themen, da bewegt sich die Kirche nicht. Doch da ist auch die andere Seite der Kirche, da sind die Menschen, die ganz nah bei den Menschen sind, Not sehen und handeln. Allen voran Papst Franziskus, der 2013 mit seiner Predigt auf der Flüchtlingsinsel Lampedusa eine Welle der Hilfsbereitschaft für die Flüchtlinge losgetreten hat. Er hat sie in den Fokus der Öffentlichkeit gestellt, lange bevor die Schreckensbild von den Flüchtlingsbooten im Mittelmeer um die Welt gingen.

Ja, die Kirche ist eine befestigte Burg, immer dann, wenn es um ihre Botschaft von der Liebe geht, der Liebe Gottes. Sie in die Welt zu tragen und den Menschen verständlich zu machen, die sie am nötigsten haben, das ist ihre Aufgabe. Darin ist sie eine feste Burg und verteidigt diese Botschaft vom Heil, wie es auch die Propheten im Alten Israel getan haben.   

Aber nein, die Kirche ist keine feste Burg, wenn es darum geht Positionen einzunehmen, die dann Jahrzehnte oder Jahrhunderte später von der Welt überholt werden. Da kämpft sie mancherorts  wirklich „gegen das ganze Land“, statt auf die Menschen zu hören. Gott ist immer schon auch bei den Menschen. Da kann es kein Gegeneinander nehmen, hier die Kirche, da die Welt, keine feste Mauer um die Kirche, da muss immer eine Offenheit sein, mit der die Kirche auf die Menschen zugeht. So wird die Kirche auch die nächsten 2.000 Jahre überdauern.

„Denn ich bin mit dir“, sagt Gott dem Propheten und seiner Kirche heute zu.

 

1 Kor 12, 31-13.13

Nach den vielen Problemen der jungen heidenchristlichen Gemeinden spricht Paulus von den vielen Gaben des Geistes. Sie können die Lösung der Probleme sein.

Da klingen die Hochzeitsglocken: „Die Liebe ist langmütig,  die Liebe ist gütig“. 1. Korinther 13 ist die Hochzeitslesung schlechthin und damit hätten wir denn auch all das, was die Liebe demnach sein soll, guten Gewissens in die Ehe verbannt: In der Ehe soll das hohe Lied der Liebe gesungen werden. In der Wirklichkeit, am Arbeitsplatz, in der harten Wirklichkeit, da herrschen andere Gesetze. Liebe ist da fehl am Platze, höchstens ein Stück weit Sympathie. Und erst recht den Fremden gegenüber: Da hört die Liebe auf. Skepsis und Zurückhaltung, wenn nicht gar offene Feindschaft, so begegnen wir den Fremden und dem Fremden.

Wer sagt denn, dass Paulus da von der Ehe spricht? Die Liebe, die wir von Gott erhalten haben, weiterzugeben, das ist unsere Aufgabe hier und heute, solange, bis wir eines Tages alles vollkommen erkennen. Solange sollen wir alle mit liebenden Augen anschauen, nicht nur den Ehepartner, den Vertrauten, das Vertraute. Auch die Fremden, die zu uns kommen, die andere Sitten und Bräuche, andere Weltbilder und Religionen mitbringen, auch Ihnen sollen wir mit Liebe begegnen. Nur so wird das Miteinander auf die Dauer klappen.

„Die Liebe hört niemals auf.“ Gerade da, wo die Fremden unser Verstehen herausfordern und unsere Toleranz strapazieren, gerade da sollen wir lieben, sollen wir sie mit liebendem Blick betrachten. Jetzt schauen wir nur rätselhafte Umrisse, erkennen das große und ganze Nicht, sehen auf die Unterschiede, ängstigen uns und schauen weg. Am Ende schauen wir von Angesicht zu Angesicht. „Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe.“ Welch ein wunderbarer Trost für uns im Hier und Jetzt!

 

Lk 4, 21-30

Nach der Geburt Jesu und der Taufe im Jordan berichtet der Evangelist Lukas vom ersten Auftreten Jesu in Galiläa und der Ablehnung, die der Messias dort erfahren hat.

Was für ein Abgang: „Er aber schritt mitten durch die Menge hindurch und ging weg.“ Das wünsche ich mir auch manchmal, dass ich mit einer solchen Haltung meinen Kritikern entgegentrete. Welch eine Selbstsicherheit! Welch ein Hochmut! Eigentlich dem Jesus von Narzareth nicht angemessen. Er, der sich doch allen und jedem zuwendet, der alle und jeden heilt, wendet sich von seinen Kritikern ab. Dabei hatten sie doch nur gefragt: Ist das nicht der Sohn Josefs? Eine legitime Frage, die bis heute nicht beantwortet hat: Woher hatte Jesus seine gute Bildung?

Der Evangelist Lukas greift die Fragen derer auf, die Jesus nicht mehr leibhaftig gekannt haben. Die Frage, weshalb nicht alle im damaligen Israel Jesus nachgefolgt sind, weshalb Jesus schon damals Kritiker und Zweifler hatte. Die Antwort: „Kein Prophet wird in seiner Heimat anerkannt.“ Deshalb sein Scheitern in Israel und die guten Erfolge der Apostel bei der Heidenmission.

Wir Christen im christlichen Abendland müssen uns heute ebenfalls fragen lassen, wie viel Jesus noch bei uns zählt. Die Menschen anderer Religionen, die in letzter Zeit in großen Mengen zu uns kommen, stellen mit ihrer um ein vielfaches lebendigeren Gläubigkeit unseren Glauben in Frage. Manche lehren uns, unseren christlichen Glauben mit Freude zu leben. Manche lehren uns, seine Besonderheit wahrzunehmen, während die Propheten im eigenen Land an Glaubwürdigkeit verloren haben.

Und der Abgang Jesu? Diese Selbstsicherheit? Das ist die Reaktion auf das, was die Kritiker eben nicht aussprechen. Sie äußern einen fundamentalen Zweifel an der Gottessohnschaft Jesu? Diesen Zweifel beantwortet er mit seinen Werken und Taten, die der Evangelist in den nächsten Kapiteln beschreibt. Eine abstrakt dogmatische Antwort lehnt Jesu ab. Seine Legitimation bekommt er aus seinem Wirken, genauso wie wir heute unser Christsein nicht nur mit Gebetsformeln zum Ausdruck bringen können, sondern mit jeder guten Tat, die im Geiste Jesu geschieht.

Eckhard Raabe