Quinquagesimae / 5. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
1 Kor 13 | Jes 6, 1-2a.3-8 | 1 Kor 15, 1-11 oder 1 Kor 15, 3-8.11 |
Lk 5, 1-11 |
Die Autorin geht vertiefend auf den ev. Predigttext ein und ergĂ€nzt kurze Anregungen fĂŒr die Texte der kath. Leseordnung.
1 Kor 13
1. Der Kontext: Leistungsdruck und Konkurrenz in der Gemeinde
Die Gemeinde von Korinth scheint mir ganz nah - die dort verbreiteten PhĂ€nomene jedenfalls: Konkurrenz und ein unseliges Wetteifern darum, wer nun den rechten Glauben hat und wessen (spirituelle) FĂ€higkeiten die wichtigeren - vielleicht sogar die einzig wesentlichen - sind, bestimmen die AtmosphĂ€re. Streitigkeiten â sogar gerichtliche â sind an der Tagesordnung, die Gemeinde droht in GrĂŒppchen zu zerfallen. Dem versucht der Apostel entgegenzuwirken mit dringenden Ermahnungen und starken Bildern wie dem vom einen Leib mit den vielen Gliedern â bis heute eine wunderbare Metapher fĂŒr komplementĂ€re Verantwortung.
Aus meiner Arbeit als Organisationsberaterin kenne ich leider auch heute noch genĂŒgend Gemeinden, in denen sich Hauptamtliche wie auch KirchenvorstĂ€nde zerreiben in zĂ€hen Streitigkeiten um das, was bei knapper werdenden Ressourcen geleistet oder angeboten werden sollte. Solange dies aus einer Haltung des âIch weiĂ besser, was wichtig und richtig istâ erfolgt, ist die Chance, zu einer Einigung zu kommen, gering. Diese Gemeinden verbrauchen ihre ganze Energie nach innen und gewinnen wenig Strahlkraft nach auĂen.
In solche Kontexte hinein beschwört Paulus eine Haltung, die es ermöglicht, Gaben zur Entfaltung zu bringen und aus Verschiedenem etwas Gemeinsames zu gestalten.
2. Liebe â eine Frage der Haltung
Paulus beschreibt Liebe nun als eine Haltung, aus der heraus sowohl die öffentliche Rede, intellektuelle Erkenntnis und aktives Engagement wirkliche Strahlkraft bekommen und nachhaltige Wirkung erzeugen â oder eben nicht. Es ist eine Haltung, die ich in einigen BĂŒchern zu FĂŒhrung und SpiritualitĂ€t auch wieder beschrieben finde: Liebe als eine Grundhaltung, um dem Leben und seiner fortgesetzten (universellen) Erneuerung zu dienen.
âIn letzter Konsequenz ist Liebe eine Lebenspraxis, besser gesagt eine Lebenshaltung â ein Ja zum Leben und ein Ja zu uns selbst, zu unseren Mitmenschen, zur Natur und auch zu der Tatsache, dass das irdische Dasein vergĂ€nglich ist. Indem wir uns dazu bekennen, erlangen wir Selbstvertrauen, Selbstachtung und WĂŒrde; indem wir den Zustand des Getrenntseins ĂŒberwinden, beseitigen wir die Wurzeln von Ăngsten und Traumata... In der Ganzheit empfangen wir die Harmoniesignale der kosmischen Ordnung. Wir selbst werden zur Quelle von Wahrheit, Heilung und Harmonie.â â schreibt die Ethnologin Christina Kessler in ihrem inspirierenden Buch âWilder Geist, wildes Herz â Kompass in stĂŒrmischen Zeitenâ.
Es geht also um WertschĂ€tzung â mir selbst, meinem Körper und meinen Talenten, FĂ€higkeiten gegenĂŒber, die entfaltet werden wollen, wie auch um WertschĂ€tzung der Mitmenschen (Kollegen, Mitarbeitern, Vorgesetzten) in ihrer Einzigartigkeit, insbesondere mit ihren individuellen StĂ€rken.
Es geht um MitgefĂŒhl / Anteilnahme mit meiner Mitwelt (Menschen und Natur) im MaĂe des mir Möglichen.
Es geht um Vertrauen in die Möglichkeit von Transformationsprozessen und um das EinverstĂ€ndnis in das dazugehörige âStirb und Werdeâ, also die Notwendigkeit, Altes loszulassen, damit Neues werden kann.
Es geht um Achtsamkeit und Geduld mit der Fortschritt von Wachstums- und VerĂ€nderungsprozessen â individuell wie gesamtgesellschaftlich.
3. Worum es nicht geht: Christliche MissverstÀndnisse der Liebe
Doch bevor sich dieses neue Bewusstsein von Liebe verbreiten kann, gilt es - insbesondere in den traditionellen Gemeinden â mit einigen christlichen MissverstĂ€ndnissen rings um die Liebe grĂŒndlich aufzurĂ€umen, da sie uns immer noch den freien Zugang zur verwandelnden Kraft der Liebe verstellen:
Es geht nicht um naive GutglĂ€ubigkeit oder falsche RĂŒcksichtnahme auf mögliche âBefindlichkeitenâ: auch Paulus findet scharfe Worte, um MissstĂ€nde und Fehlverhalten in der Gemeinde von Korinth zu konfrontieren (1. Kor. 5 ff.).
Es geht nicht um Streitvermeidung um jeden Preis: in vielen Gemeinden werden noch heute Konflikte verdrĂ€ngt und tabuisiert â der Preis ist letztlich hoch, da Konflikte so unterschwellig das Klima vergiften oder sich völlig verhĂ€rten.
Es geht vor allem nicht um Selbstaufgabe und Entsagung: Hier scheint mir das gröĂte MissverstĂ€ndnis zu liegen, das aus einem trennenden Welt- und Menschenbild erwachsen ist und das es heute zu ĂŒberwinden gilt: Liebe manifestiert sich in der Verbindung von Selbstliebe (mit unserem Körper und allen unseren Sinnen) und Weltliebe. Wir kennen alle genug âhilflose Helferâ, die hinter ihrem eifrigen Engagement fĂŒr Mitmenschen, Umwelt oder Gesellschaft ihre eigene BedĂŒrftigkeit verstecken oder ĂŒberhaupt nicht wahrnehmen und damit durchaus zu einer Last fĂŒr ihre Umgebung werden können.
4. Glaube, Hoffnung und Liebe als Treiber fĂŒr nachhaltige Entwicklung
4.1. Der Glaube
Das griechische pistis hat den deutlichen Beigeschmack von Vertrauen / Zutrauen. Dies gilt es, trotz aller negativen Prognosen und dĂŒsteren Zukunftsszenarien zu predigen: Zutrauen in vielen AnsĂ€tze positiver Entwicklungen und Versuche, z.B. eine andere Art des Wirtschaftens in die Welt zu bringen. Z.B. die alternative Wirtschaftszeitung âEnormâ ist immer wieder voll von diesen Beispielen. Propheten des Weltuntergangs und Problembewusstsein gibt es genug, von den Kanzeln muss dieses nicht derzeit nicht mehr verstĂ€rkt werden. Es stĂ€rkt mich auch nicht, wenn in FĂŒrbittgebeten die Probleme dieser Welt vor Gott gebracht werden â so könnte nur ER es hinkriegen.
Vielleicht brauchen wir einen neuen Glauben an Wunder â ich jedenfalls erlebe sie â die positiven Ăberraschungen â durchaus hier und da in der Begleitung von VerĂ€nderungsprozessen: wenn Menschen, die zuerst sehr skeptisch waren, auf einmal die Chancen des Neuen entdecken und alte Ăngste hinter sich lassen.
4.2. Die Hoffnung
Hoffnung wĂ€chst aus dem Glauben und aus einem vertieften VerstĂ€ndnis fĂŒr das langsame Tempo von Wachstumsprozessen. Eine alte tibetanische Weisheit sagt: âEin Baum der fĂ€llt, mach mehr Krach, als ein Wald, der wĂ€chst.â Der Atomphysiker Hans-Peter DĂŒrr zitiert diese Weisheit in seinem Buch âWarum es ums Ganze gehtâ und mahnt an, dass wir in unserer Wahrnehmung von VerĂ€nderungen in der Welt zu sehr auf die âfallenden BĂ€umeâ und zu wenig auf den âwachsenden Waldâ gerichtet haben. Ich lebe in Halle (Saale) , einer ehemaligen Chemieregion, die vor 30 Jahren furchtbar dreckig und lebensfeindlich war. In der NĂ€he ist Bitterfeld, am Ende der DDR eine Mondlandschaft. Heute ist diese Gegend eines der Vorzeigeprojekte zur gelungenen Renaturierung einer Region. Das macht mir Hoffnung, und ich wĂŒnschte mir, dass wir uns viel hĂ€ufiger Hoffnungsgeschichten als Horrorgeschichten erzĂ€hlten.
4.3. Die Liebe
âDie Liebe aber ist die gröĂte unter ihnen.â (1. Kor. 13, 13). Warum dies? Vermutlich, weil sie letztlich die verbindende Kraft des Universums ist, die Kraft, aus der wir kommen und aus der wir immer schöpfen können, ohne das sie versiegt. Manche reden auch von der spirituellen Intelligenz.
Gelebte SpiritualitĂ€t aber â und das ist das Neue - findet heute nicht mehr in der Weltentsagung, sondern mitten in der Welt statt - zum GlĂŒck, denn wir können SpiritualitĂ€t wieder entdecken als religio, als RĂŒck-Verbindung mit der Welt in der Tiefe unseres Selbst. Und aus dieser Quelle können wir Kraft und Weisheit schöpfen. Wege zu dieser Quelle gibt es viele, alle Religionen haben Wege beschrieben, das Eifern um den einzig wahren Weg dahin ist mĂŒĂig. Nicht umsonst gibt es einen neuen Boom â nicht nur bei FĂŒhrungskrĂ€ften - , die Praxis von Achtsamkeit, Meditation oder innerer Einkehr zu lernen und zu pflegen â fĂŒr mich ein hoffnungsvolles Zeichen fĂŒr ein zunehmendes Bewusstsein dieser Quelle, zu der wir alle â unabhĂ€ngig von einer glĂŒcklichen Kindheit oder von gesellschaftlichem Status â Zugang haben, wenn wir den Weg nach innen gehen.
Der Weg nach innen jedoch ist keine Sackgasse, er fĂŒhrt wiederum nach auĂen, heute vor allem in das Engagement fĂŒr eine nachhaltige Transformation unserer Welt, die nicht nur in Ăkologie und Ăkonomie, sondern auch im Lernen und im Bewusstsein stattfinden muss.
Auch der Atomphysiker Hans-Peter DĂŒrr landet erstaunlicherweise bei der Einsicht, dass es genau diese Haltung der Liebe braucht, um die Schöpfung nicht nur zu bewahren sondern kokreativ im Sinne des Lebens weiter zu entfalten:
âAuf welche Weise ... Nachhaltigkeit, insbesondere ökologische Nachhaltigkeit, erzielt werden kann, ist nicht einfach zu beantworten... Genau betrachtet sind wir nĂ€mlich bei einer Verwirklichung von Nachhaltigkeit in keiner schlechteren Situation als die Natur selbst...Die Natur muss dies nach dem Prinzip von âVersuch und Irrtumâ, gewissermaĂen spielerisch aber unter optimaler AusnĂŒtzung synergetischer Vorteile â also konstruktiven Zusammenwirkens schon existierender Lebensformen â herausfinden.... Nachhaltigkeit wird also nicht in der genauen Befolgung bestimmter Rezepte erreicht, sondern durch eine offene, aufmerksame, umsichtige, flexible, kreative, einfĂŒhlende und liebende Lebenseinstellung....â (Hans-Peter DĂŒrr, Warum es ums Ganze geht. Neues Denken fĂŒr eine Welt im Umbruch. 4. Aufl. 2014)
Jes. 6,1-8
Sendungsbewusstsein lĂ€sst manche abheben â nicht so Jesaja. Er ist sich der Tragweite und Schwere seines Auftrags bewusst, denn auch er trifft auch Leute, fĂŒr die seine Botschaften unbequem sind. Wer Wandel vorantreiben will, macht sich nicht nur Freunde, sondern muss mit Widerstand rechnen.
1 Kor 15. 1-11
Die Auferstehung Jesu begreife ich als Impuls, vertieft ĂŒber VerĂ€nderungsprozesse nachzudenken. âEs ist die VerĂ€nderung, die sich in unserem Leben vollzieht, auf die es bei der Auferstehung Jesu ankommt" (Luise Schottroff) Und diese VerĂ€nderung ist â wie die Auferstehung â nicht ohne Todeserfahrung zu haben, damit meine ich die Erfahrung des Loslassens, damit Neues werden kann und das Durchschreiten der damit verbundenen Ăngste.
Lk 5, 1-11
Eine (Wunder)Geschichte gegen die Macht der eigenen Erfahrungen: wann und wo lohnt es sich, doch noch einmal einen erneuten Versuch zu wagen? Auch Bestrebungen um Nachhaltigkeit brauchen den langen Atem, das Ăberwinden drohender Resignation angesichts scheinbar geringer Erfolgsaussichten.
Dr. Friederike Stockmann