Okuli / 3. Fastensonntag (28.02.16)

Okuli / 3. Fastensonntag


ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Eph 5, 1-8a Ex 3, 1-8a.13-15 1 Kor 10, 1-6.10-12 Lk 13, 1-9

„Umkehr“ beginnt im Kopf

Der Autor reflektiert den biblischen Gedanken der „Umkehr“ sprachlich und – vor aktuellen Theorien der Pädagogik und Hirnforschung – hinsichtlich einer nachhaltigen Veränderung von Haltungen. Denn erst darauf ist wirkliches – und wirksames – Umkehren praktisch möglich.

Stellung im Kirchenjahr

Seit drei Wochen befinden sich Kirche und Christen in der österlichen Bußzeit, der Vorbereitung auf das Hochfest Ostern. „Umkehr“ wird hier oft thematisiert – und auch eingefordert. Doch: Lässt es sich verordnen umkehren zu müssen? Und: Steht vor dem ersten Schritt in eine andere Richtung nicht eine veränderte innere Aus-Richtung?

Mahnungen – Wo setzen sie an und wie erfolgreich greifen sie? (Eph 5,1-8)

„Unzucht“, „Schamlosigkeit“, „Habgier“, „Sittenlosigkeit“, „zweideutiges Geschwätz“… – Stellen Sie sich vor, Sie werden in der heutigen Predigt mit dieser Kaskade überhäuft. Wie würden Sie reagieren? Und: Was würde wie in Ihnen anschlagen? Der, der hier in der Autorität des Apostels Paulus schreibt, will – ist man in der Lage, sich von diesen Sätzen nicht zu sehr beeindrucken zu lassen, sondern sie im Gesamtzusammenhang des ganzen Briefes zu sehen – die Hörer offenbar daran erinnern, dass sie als getaufte Christusträger „Kinder des Lichts“ (V. 8) sind: Menschen, die die „Mächte der Finsternis“ nicht – mehr – nötig haben. Doch, wie es einem Vater ergeht, der zu viel über das Liegengebliebene „meckert“ anstatt wertzuschätzen, dass seine Kinder mit dem, was er als Unordnung bewertet, im Haushalt mithelfen wollten, so dürften auch hier etliche Hörer „abgeschaltet“ haben. Zu viel „Moralin“:  So würde die Predigtbewertung im Stil dieser Passage heute wohl ausfallen – und das zu Recht.

Auch der Theologe kann sich hier nur durch eine saubere Exegese retten, damit ihn – oder sie – diese Mahnungen nicht „erschlagen“. Kulturell-religiöser Hintergrund dieses deuteropaulinischen Briefes war ein „melting pot“ verschiedenster Mysterienkulte und Praktiken, allen voran der Artemiskult. Neben diesen religiösen Traditionen, in die hinein – oder vielmehr gegenüber denen – sich der christliche Glaube durchzusetzen hatte, beherrschten auch Spannungen zwischen sogenannten Juden- und Heidenchristen das Gemeindeleben.
Der Neutestamentler Udo Schnelle geht davon aus, dass dem Autor des Epheserbriefes vor allem daran lag, eine Gemeindevision aus der „gesunden“ Verbindung beider Linien zu entwerfen. Denn die Judenchristen dürften zu dieser Zeit bereits in der Minderheit gewesen sein – und die Heidenchristen gelegentlich entsprechend abschätzig auf sie „herabgeschaut“ haben. Vor allem das in der Aufzählung letztgenannte Prädikat scheint daher besonders bedeutsam –erinnert es an den Aufruf zu Eindeutigkeit und Wahrhaftigkeit der Christen durch Jesus selbst, im Zeugnis der Evangelien:  „Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein.“ (Mt 5,37) Mit entsprechendem Pathos und entsprechender Wortwahl „beschwört“ so auch (so z.B. Eph 4,17) der Autor dieses Briefes die Leser – und grenzt deren neues Menschsein vom „alten“ ab – explizit: „nicht mehr wie die Heiden in ihrem nichtigen Denken“ (V. 17) dahin zu leben. Das „Ablegen“ dieses „alten Menschen“ scheint nach seiner Beobachtung aber noch nicht – ganz – erfolgt zu sein.

Dennoch, auch bei allen exegetischen „Klimmzügen“: Der fahle Nachgeschmack beim heutigen Lesen und Hören dieser Stelle und dieses Briefes bleibt. – Anders liest sich der Aufruf zur „Umkehr“ im heutigen (katholischen) Evangeliumstext.

„Umkehr“ – Was vor dem ersten Schritt passiert sein muss. (Lk 13,1-9)

„Wie oft habe ich das mit der Umkehr schon zu hören gekriegt, genützt hat es mir nichts. Wie auch, wenn ich nicht weiß, wohin sich ‚kehren’ und ich bloß diesen klugen Rat bekomme…“, so kann es sich anhören, wenn sich ein Mensch – hier ein älterer – Gedanken über einen Begriff macht, der in der Liturgie wie in der pastoralen Praxis der Kirche oft verwendet wird. Der „kluge Rat“, als der dieser – sicher „gut gemeinte“ – Hinweis des Seelsorgers hier ankam, deutet an, dass damit auch noch eine andere Ebene verbunden war. Denn nicht selten wird „Umkehr“ mit einer „Abkehr“ vom sogenannten „sündhaften“ Leben vermengt. Der Vorteil, dass der Mensch dann einen konkreten „Katalog“ des Guten, aber auch dessen hat, was als „Sünde“ zu unterlassen ist, wird dann aber vom – bedeutender zu bewertenden – Nachteil überlagert, dass damit der Blick auf seine Defizite – oder besser die seines Wollens und Handelns – und immer möglichen Fehler gelenkt wird. Diese Schieflage kann schnell ins Rutschen kommen. Und spätestens hier zeigt sich auch ganz konkret das Menschenbild einer Kultur und Religion, bzw. welche Vorstellungen vom Menschen als Denk- und Handlungsmaxime – praktisch – leitend sind.

Der griechische Begriff, der sich für die „Umkehr“ bzw. das „Umkehren“ in der Bibel findet, bedeutet in seinem Wortsinn erstmal ganz wertneutral, seine „Meinung zu ändern“. Und damit erscheint das alte – und oft antiquiert und konservativ klingende – Wort „Umkehr“ plötzlich sehr modern. Was Pädagogen und Psychologen wissenschaftlich untersuchen und erforschen, kann sicher auch jeder Vater und jede Mutter bestätigen: Dass es zwar möglich ist, Menschen dazu zu bringen, ihr Verhalten zu ändern, dass es aber wenig nachhaltig ist, wenn die Verhaltensänderung nicht mit einer – zuvor – veränderten Einstellung verbunden ist. Das bedeutet, dass „Umkehr“ ohne die „Änderung seiner Meinung“ keine wirkliche Umkehr ist, sondern bestenfalls gut „antrainiertes“, sozial erlerntes Verhalten, pädagogisch gesprochen: Konditionierung.

Es ist daher bereits ein großer Lernfortschritt, vom – als ungünstig oder nachteilig erlebten – Verhalten weg, hin zur Frage nach der Einstellung zu gelangen. Wann aber sind Menschen bereit, ihre Meinung zu ändern? Und wann ist diese „innere“ Veränderung an den Taten des Menschen erkennbar? Denn das Gleichnis vom Feigenbaum – wie viele andere Gleichnisse und Stellen in der Bibel – geht davon aus, dass eine wirkliche Umkehr sich auch im Verhalten – oder ethisch korrekter: im Handeln – zeigen wird. Im vorliegenden Gleichnis wird dem Gärtner als Konsequenz aufgezeigt: „Hau ihn (den Baum) um, was soll er weiter dem Boden seine Kraft nehmen!“ (V. 7)
Und der Gärtner versteht diesen klaren Auftrag – und traut sich, darauf eine Bitte vorzutragen: „Herr, lass ihn dieses Jahr noch stehen“, verbunden mit dem Angebot, seine Aufgabe als Gärtner, der er in letzter Zeit vielleicht nicht wie nötig nachgekommen ist, umgehend zu erfüllen. (V. 7.8) Beeindruckend, dass der Besitzer des Weinberges den Gärtner mit keiner Silbe kritisiert – zumindest berichtet der Evangelist Lukas davon nichts. Die Hinweise, die der Angestellte selbst bringt, hätten dazu mehrfach Anlass geboten; hätte er darauf – den Boden zu lüften und zu düngen, vielleicht den Baum auch mal wieder zu beschneiden… – nicht schon früher, in den letzten drei Jahren achten können?
Man spürt der Stelle die ehrliche Sorge des Besitzers um seinen Baum an. Diese steht offenbar im Vordergrund. Und auch der Gärtner muss diese Sorge gespürt haben, damit auch die Liebe für dieses, wohl schon ältere, Gewächs. Diese Haltung sprang über. Und so konnte sich der Gärtner – auch, weil bei ihm kein Fehlverhalten gesucht worden war – ebenfalls ganz auf den Feigenbaum konzentrieren und seine „Meinung ändern“ – dass es vielleicht doch nicht reicht, ihn nur anzusehen und zu hoffen, dass er „von allein“ im nächsten … oder im übernächsten Jahr wieder Früchte trägt. Ohne alle Kritik und ohne alle Androhung von persönlicher Strafe erkannte dieser neu seine Verantwortung und kam ihr daraufhin auch (neu) nach. – Zumindest verspricht er dies.
Doch dieses Wort klingt ebenso glaubwürdig wie die Sorge des Besitzers um seinen Feigenbaum. Und diese Erfahrung – mit dem Besitzer wie mit sich selbst – wird seine Einstellung für alle anderen Bäume, vielleicht sogar die Haltung für und in seinem Dienst im Weinberg, grundsätzlich verändert haben.

Umkehr, das zeigt sich an diesem Beispiel und an der durchdachten Darstellung der Kommunikation in diesem Gleichnis, ist ebenso wenig „machbar“ wie Einstellungen oder die konkrete Haltung zu einer Person, einem Geschehen oder einer Sache. Der Neurobiologe Gerald Hüther geht davon aus, dass Erfahrungen mit den dabei ausgelösten Emotionen zu Haltungen „verbacken“. Aufgrund gleichzeitiger Aktivierung kognitiver und emotionaler Netzwerke im sogenannten präfrontalen Kortex des Gehirns lassen sich derart konsolidierte Haltungen dann auch auf neue Erlebnisse übertragen, und werden dadurch verändertes Verhalten, andere Handlungsweisen, neuartige Reaktionen erfahrbar.
Ebenfalls hat Hüther untersucht, dass bei enger Bindung, ausgeprägten Spiegelneuronen und authentischen Emotionen – wie hier bei dem um seinen Baum besorgten Besitzer – Haltungen auch übernommen werden können. Doch auf die Frage des Pädagogen, wie Haltungen verändert werden können, würde der Neurobiologe nüchtern antworten: „Geht nicht!“ – Was heißt, dass Menschen im Hinblick auf eine beabsichtige (tiefgreifende) Veränderung in ihrer Meinung nicht zu „überreden“, nicht zu „belehren“, genau genommen – auch, wenn es Pädagogen tief seufzen lassen wird – auch nicht zu „unterrichten“ sind.
Diese traditionellen Methoden zielen auf die Vermittlung von Wissen – genau genommen, nur von inhaltlichem Wissen (also von jenen Anteilen, die immer weniger von Bedeutung sind) – ab, sind (im Gegensatz zu Kompetenzen) also rein kognitiv, und können entsprechend den Ergebnissen der Hirnforschung daher auch keine wirklichen – und wirksamen – Haltungen generieren. Ebenso wenig „funktioniert“ es – Gott sei Dank – mit reinen emotionalen Strategien, wie den klassischen Methoden wie Bestrafung und Belohnung.

Menschen können, wie das Gleichnis vom Feigenbaum und dem einsichtigen Gärtner zeigt, ihre Haltungen nur selbst verändern. Voraussetzung kann – wenn hier auch negativ formuliert, durch das geforderte Beseitigen des Baumes – die Einladung zu neuen Erfahrungen sein. Zwar wäre durchaus mehr pädagogische Kreativität auf der Suche nach neuen positiven Erfahrungsräumen von Seiten des Weinbergbesitzers wünschenswert gewesen. Aber bereits der Gedanke, dass der Weinberg dann einen Feigenbaum weniger haben wird, verknüpft mit den dadurch evozierten Gefühlen beim Gärtner – der vielleicht plötzlich um seinen Ruf als zuverlässiger Fachmann besorgt war – veränderte dessen Meinung und ließ eine tatkräftige Umkehr zu.

So ist auch Franziskus’ Enzyklika Laudato si’ kein belehrendes Dokument, sondern das Zeugnis eines Papstes, der – wie der Weinbergbesitzer im Lukanischen Gleichnis – in echter Sorge ist. Eine solche Haltung kann anstecken, überspringen – und Meinungen und Einstellungen bei anderen verändern. Auch wenn dieser Text, der im Juni letzten Jahres spontan als „Weckruf“ angekommen ist, schon wieder einige Monate „alt“ ist, gewiss bietet er sich gerade in der Vorbereitungszeit auf Ostern wieder als Lektüre an. – Fühlen Sie sich eingeladen, sich von den tiefen Gedanken des Papstes und seiner „Sorge für das gemeinsame Haus“ ansprechen – und anrühren – zu lassen.

Dr. Thomas Hanstein

Literatur:

Erpenbeck, J.: Werte als Kompetenzkerne. Berlin 2007
Franziskus, P.: Laudato si’. Über die Sorge für das gemeinsame Haus, unter: http://w2.vatican.va/content/francesco/de/encyclicals/documents/papa-francesco_20150524_enciclica-laudato-si.html
Hüther, G.: Auf dem Weg zu einer anderen Schulkultur. Die Bedeutung von Geist und Haltung aus neurologischer Sicht, Göttingen 1999
Schnelle, U.: Einleitung in das Neue Testament. Epheserbrief, Göttingen 2002