Kantate / 5. Sonntag der Osterzeit / 4. Sonntag nach Ostern (24.04.16)

Kantate / 5. Sonntag der Osterzeit / 4. Sonntag nach Ostern


ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Kol 3, 12-17 Apg 14, 21b-27 Offb 21, 1-5a Joh 13, 31-33a.34-35

Kann denn Singen SĂŒnde sein?

Von den biblischen Textabschnitten fĂŒr diesen Sonntag wĂ€hlt der Verf. den Text der 2.Reihe der EKD, Kol. 3,12-17, um den Bezug zum Sonntag Kantate herauszustellen.

Die 1. Lesung nach der Kath. Leseordnung (Apg 14, 21ff) hĂ€lt er fĂŒr ungeeignet, um einen Nachhaltigkeitsbezug zu entwickeln. Zur Perikope der 2. Lesung (Off 21, 1-5a) ist 2009 in Band V der Reihe ausfĂŒhrlich Stellung genommen. Das Ev. nach Kath. Ordnung (Joh 13, 31-35 i.A.) kĂ€me durchaus ebenfalls in Frage, wird aber nicht hier erörtert.

Von den Sonntagen in der „österlichen Freudenzeit“ ist KANTATE der handfesteste, sinnlichste, lauteste. Wer das GlĂŒck hat, in einer Gemeinde mit musikantischen Möglichkeiten zu leben, wird diese Chance nutzen und rechtzeitig alle Absprachen getroffen haben. Mein erster Einfall ist: Dietrich Buxtehudes Kantate ‚Alles, was ihr tut‘. Die Kongruenz von Predigtperikope und gefeiertem Gottesdienst darf ausgekostet werden! Ob Orgel, Chor, Instrumentalensemble oder solistische Gestaltung - Musik wirkt auf das GefĂŒhlsleben, beim Hörenden, aber stĂ€rker noch beim AusĂŒbenden. Um den Zusammenhang von Klang und Emotion besser zu verstehen, hier eine kleine Anleitung. Vielleicht hilft sie darĂŒber hinaus, den Bezug zur Nachhaltigkeit zu entdecken.

In der Musik haben wir es immer mit drei Basisordinaten zu tun: Melodie, Rhythmus und Harmonie. Sie gehören zusammen, sie wirken zusammen, sie formen gemeinsam das Ganze.

Die MELODIE ist eine lineare Erscheinung. Sie fließt, hĂŒpft, plĂ€tschert, rennt, retardiert, wiederholt, fĂŒhrt, stolpert. Sie hat Anfang und Ende und ist darum eine Zeitstrecke. Wer eine Melodie beginnt, weiß, dass sie ein Ende haben wird, in der Regel auf dem Grundton ihrer Tonart. Sie hat also ein Ziel, auf das sie zusteuert, ein Telos, den es zu erreichen gilt.

In der Debatte um Nachhaltigkeit kann man dieses teleologische Element wiederfinden, etwa in der Definition von Klimaschutzzielen („nicht mehr als zwei Grad
“). In der globalen Entwicklung werden auf dem Zeitstrahl Markierungen angebracht, die als Zwischenziele vereinbart werden (mĂŒssen), z.B. das Auslaufen fossiler und besonders atomarer Enegiegewinnung. Dies Lied mitzusingen ist befreiend.

Der RHYTHMUS hat die Funktion, der Tonfolge Struktur zu geben. Dies tut er nicht nur durch gleichbleibende ZĂ€hlzeiten, bei denen im Extremfall ein hirntoter Stampfrhythmus herauskommt, wie ich ihn gelegentlich vor der roten Ampel aus dem Nachbarauto wahrnehmen muss. Nein, er macht auch den Charakter: Bei ‚Josef, lieber Josef mein‘ spĂŒrt man das langsame Schwingen einer imaginĂ€ren Wiege und bei ‚Wachet auf, ruft uns die Stimme‘ entsteht vor unserem inneren Auge eine sehr geradlinig in die Höhe gebaute Burgmauer. Wird ein differenzierter Rhythmus wie in der synkopischen Form von ‚Ein feste Burg‘ dumpf eingeebnet, entsteht breitgetretener Quark, wie leider hĂ€ufig genug zu erleben ist.

RĂŒckbindung an die Vielfalt von Rhythmen kann in der Nachhaltigkeitsfrage eine hilfreiche und notwendige Maßnahme sein. Die Erdbeeren im Winter sind ebenso eine Rhythmusverletzung wie das StraßencafĂ© mit Heizpilzen im November. Die Bedingungen unseres Lebens beruhen zu einem großen Teil auf zirkulĂ€ren Prozessen, so auch auf dem Vegetationszyklus. Bei uns ist es im Winter kalt. Da gibt es keine frischen BeerenfrĂŒchte. Man muss sich warm anziehen und gezielt lĂŒften. Und man muss nicht mit dem Flugzeug in wĂ€rmere Gefilde flĂŒchten. Der angeheizte FlĂŒgekonsum verbraucht Rohstoffe, verlĂ€rmt flugplatznahe Regionen, schĂ€digt das Klima und treibt die touristische Illusionsfabrikation an. Das Wiedergewinnen lebensfreundlicher Rhythmen wĂŒrde damit beginnen, dass unsere Grundschulkinder erst um 9 Uhr mit dem Unterricht beginnen wĂŒrden, dass unser Speiseplan an den Jahreszeiten orientiert und die Dunkelheit der Nacht zum schĂŒtzenswerten Grundrecht erklĂ€rt wĂŒrde. ‚Der Mond ist aufgegangen‘ wĂŒrde den Rhythmus des Tages abrunden.

Und damit sind wir beim dritten Merkmal von (guter) Musik, der HARMONIE. VolkstĂŒmlich wird das angenehme Zusammenklingen zweier oder mehrerer Töne (oder Farben oder Menschen) als harmonisch verstanden. Das ist zwar ein Anfang, aber bei dieser Konsonanz bleibt die Musik nicht stehen. Weil die Melodie fließt und der Rhythmus sie zeitlich strukturiert, kommt es zur Harmoniefolge, zur Abfolge wechselnder KlĂ€nge. Selbst wenn ich nur fĂŒnf Töne zur VerfĂŒgung habe und nur eine melodische Stimme, kommt es zu einer Harmoniefolge: Unser musikalisches GedĂ€chtnis ist so geeicht, dass wir die einzelnen Töne dieser Perlenkette auf den Grundton beziehen, die Tonika. Singt also jemand ‚HĂ€nschen klein‘, so fĂ€ngt er immer mit dem fĂŒnften Ton ĂŒber der Tonika an, der Quinte - unabhĂ€ngig davon, in welcher Tonhöhe er beginnt. Der dritte Takt dieses Kinderlieds liefert die Scala, auf der wir uns bewegen. Und durch die AbstĂ€nde zwischen den Tönen, die Intervalle, kommt eine Folge verschiedener Harmonien zustande, ein harmonisches GerĂŒst. Harmonie ist ein Begriff fĂŒr die Beziehungen zwischen den Tönen. Unser Ohr verlangt danach, dass Disharmonien aufgelöst werden zu Harmonien. Wir wollen nicht Kakophonien, sondern Symphonien. Wenn das rundherum gelingt, nennen wir das GlĂŒck. Wenn uns Nachhaltigkeit glĂŒcken soll, mĂŒssen wir unsere Beziehungen ĂŒberprĂŒfen. Ob in der NĂ€he oder Ferne, die Kriterien Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung gelten nachhaltig. Faire Beziehungen auch zu den Fernsten zu suchen ist ein Schritt zur Gerechtigkeit. AbrĂŒstung individuell nennen wir Bescheidenheit, Verzicht auf Ehrgeiz SolidaritĂ€t, beides BeitrĂ€ge zum Frieden. Verringerung des Fleischkonsums, Reduktion der Emissionen, EinschrĂ€nkung aller -zide: es hilft, die Grundlagen der Schöpfung zu bewahren. Dabei ist der Beziehungsaspekt wesentlich: Mensch-Mensch-Beziehungen, Mensch-Tier-VerhĂ€ltnis, Mensch-Natur-Relation.

Weil Musik das Innere des Menschen in Bewegung setzt (darum sagen wir Emotion), kann sie missbraucht werden. Das Spektrum der Missbrauchsmöglichkeiten ist sehr breit: von der Konsumwerbung bis zur MilitĂ€rmusik reihen sich die nicht-nachhaltigen Einsatzformen. Und wenn man sich vor Augen fĂŒhrt, in welchem Kontext und zu welchem Zweck das MĂ€dchenorchester von Auschwitz aufspielen musste


Die Schöpfung singt ihr Lied. Der Mensch preist im Hymnus den Schöpfer. Als Mitarbeiter Gottes stimmen wir ein in das Schöpfungslob, das uns erfasst und verÀndert. Alles, was ihr tut mit Wort oder Werk, das tut im Namen des Herrn Jesus.

Wilhelm Wegner, Frankfurt am Main