2. Sonntag nach Trinitatis / 10. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Eph 2, 17-22 | 1 Kön 17, 17-24 | Gal 1, 11-19 | Lk 7, 11-17 |
Die Auferweckung des Jünglings von Nain (Lk 7,11-17, unter Bezug auf Eph 2, 17-22)
Die Auferweckungserzählungen stehen wie die Wunderheilungen im Dienst der Predigt Jesu von der Herrschaft Gottes, das nun beginnt und in Jesus präsent wird. In der traditionellen, europäischen Theologie wird diese Erzählung aber als „Beweis“ u.a. für die göttliche Vollmacht Jesu gedeutet. Jesu Tat ist sowohl mehr als die des Propheten Elias (auch von ihm wird eine Totenerweckung berichtet, in 1 Kön 17, 23f), als auch ein Hinweis auf seine eigene Auferweckung. So steht im Röm. Katechismus von 1997: „Er gibt schon in seinem irdischen Leben ein Zeichen und eine Gewähr dafür, indem er einzelne Tote auferweckt (vgl. Lk 7,11–17) und dadurch seine eigene Auferstehung ankündigt“.
Die Auferweckung des Jünglings ist aber eine Rückkehr in das bisherige Leben. Auferstehung bedeutet dagegen etwas völlig Neues: Die Abkehr vom „alten Menschen“, besessen von der Gier, hin zum „neuen Menschen“, besessen von Liebe und der Sehnsucht nach der Gerechtigkeit für alle.
In unmittelbarem Zusammenhang mit dieser Auferweckungsgeschichte steht die Frage des Johannes des Täufers, der wegen seiner Kritik an den herrschenden Missständen ins Gefängnis geworfen worden war. Von dort ließ er über seine Jünger Jesus fragen: „Bist du der, auf den wir warten“? Es war natürlich gemeint: „Bist du der Messias“? Jesus antwortete: „Sagt ihm, was ihr gesehen habt: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein und den Armen wird eine Frohe Botschaft verkündet“ (LK 7, 18-23). Jesus meinte - und Johannes verstand es so - dass ab jetzt alles anders wird. Ja, die Zeit des Messias ist jetzt gekommen!
In vielen Gleichnissen und konkreten Geschichten aus dem Alltag zeigt Jesu, was mit dieser neuen Zeit gemeint ist. So auch in der Erzählung von der Auferweckung eines jungen Mannes. Dieser junge Mann war das einzige Kind einer Witwe. Schon im AT wird immer wieder darauf hingewiesen, dass Witwen und Waisen, Flüchtlinge (Fremde) und Aussätzige im Zentrum der Fürsorge Gottes stehen. Sie stehen in der Rangordnung dieser Welt ganz unten. Diesen Menschen der Nächste zu werden ist der Maßstab für den rechten Glauben, denn mit ihnen identifiziert sich Jesus der Messias und in ihnen begegnen wir Gott. Wenn, wie in unserer Erzählung, eine Witwe auch noch ihren einzigen Sohn verliert, verliert sie die letzte soziale Absicherung. Sie wird zum Betteln verurteilt sein, zu einem langsamen und qualvollem Tod.
Das drohende Schicksal der Witwe weist auf eine erschreckende Missstände in Israel zur Zeit Jesu hin. Es geht nicht nur um diese eine Frau, sondern um alle, die in einer solchen Gesellschaft keine Chance hatten, die ausgestoßen und verachtet werden - und dies auch noch im „Namen der Rechtgläubigkeit“. Denn das auserwählte Volk Gottes - auch wir als Kirche - ist immer wieder vom Weg abgekommen, erschafft sich seine eigenen Götter und tötet die Propheten, weil diese den Willen Gottes verkünden. Wenn Jesus nun der Witwe ihren Sohn zurückgibt, dann ist das eine prophetische Anklage gegen die herrschende Unordnung und die Verheißung einer neuen Erde.
Zur Zeit Jesu erlebte das jüdische Volk die schlimmste Unterdrückung seit Jahrhunderten. Die römische Besatzungsmacht erstickte jeden Widerspruch mit schrecklicher Gewalt. Kreuzigungen waren an der Tagesordnung. Die Römer quetschten Land und Menschen wie eine Zitrone aus. Die Steuer- und Schuldenlast war so hoch wie nie zuvor. Die jüdische Oberschicht (Hohe Priester, Hoher Rat, u.a.) kollaborierte mit der Besatzungsmacht. Doch der Widerstand gegen diese Terrorherrschaft wurde immer größer, worauf die Römer mit noch mehr Terror reagierten. Johannes der Täufer sammelte Jünger um sich und kritisierte aufs Schärfste den die jüdische Oberschicht. Das Volk, das am Boden lag, wünschte so sehr wie nie zuvor, dass Gott sich erbarme und endlich der verheißene Messias kommen möge. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Jesus begann seine Verkündigung in Galiläa und als er erstmals in seinem Heimatdorf Nazareth auftrat, bat man ihn, aus dem AT zu lesen. Und er las die Worte des Propheten Jesaja: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe“. (Lk 4,18,19). Dann setzte er sich und sagte: „Diese Zeit hat jetzt begonnen“. Als seine Landsleute endlich begriffen, was er damit sagen wollte, wollten sie ihn töten und den Abgrund hinab werfen.
Denn Jesus verkündet den Beginn der Herrschaft Gottes, d.h., jetzt, mit ihm und durch ihn, beginnt diese Zeit, eine völlig andere, bessere Zeit. Diese ist mit dem, was in unserer Welt geschieht, völlig unvereinbar. Denn in der „alten Welt“ herrschen die Gier nach Gold und Geld, nach immer mehr Macht und das Bedürfnis, sich selbst zum alleinigen Maßstab (Gott) zu machen. Wen kümmert es da, wenn das einfache Volk bis aufs Blut geschunden wird, wenn es unter die Räuber fällt und selbst die „Frommen des Tempels“ ungerührt an den Opfern dieser politischen und wirtschaftlichen Strukturen (die von den Mächtigen zu ihrem Vorteil genau so eingerichtet wurden) vorbeigehen, weil sie nur um ihr eigenes Seelenheil besorgt sind? Und: Ist dies heute etwa vielleicht anders?
In der neuen Erde, dessen Anbruch Jesus verkündet, ist aber alles anders. Dort stehen nicht der Kult und die selbsternannten Eliten im Mittelpunkt, sondern die Ausgestoßenen, die buchstäblich Ausgesetzten, die Opfer gesellschaftlicher Missstände und Ungerechtigkeiten. Herrschaft Gottes heißt: Erniedrigte und Ausgegrenzte und alle Menschen, die daran gehindert werden, in Würde zu leben, erhalten die Zusage, dass Gott auf ihrer Seite steht, dass sie Kinder Gottes sind und dass sie ein Leben in Fülle haben werden - schon jetzt und in diesem Leben. Ihnen Bruder und Schwester zu werden, selbst Brot des Lebens zu werden für andere - das ist der Kern der christlichen Botschaft.
Papst Franziskus: „Ein Wirtschaftssystem, das sich um den Götzen Geld dreht, muss auch die Natur plündern. Es muss die Natur ausplündern, um den ihm innewohnenden unbegrenzten Konsum aufrecht erhalten zu können, von dem es lebt. … Warum schauen wir dann immer noch zu, wie menschenwürdige Arbeit beseitigt, so viele Familien aus ihren Häusern vertrieben, Campesinos ihrer Ländereien beraubt, Kriege geführt werden und die Natur misshandelt wird? Weil man in diesem System den Menschen, die menschliche Person, aus der Mitte gerückt und sie durch etwas anderes ersetzt hat. Weil man das Geld wie einen Gott kultisch verehrt. Weil man die Gleichgültigkeit globalisiert hat! Die Welt hat Gott vergessen, unseren Vater. Sie ist wieder eine Waise geworden, weil sie Gott beiseitegeschoben hat.“ (Ansprache an die Volksbewegungen, 28.10.14).
Die Botschaft Jesu vom Reich Gottes zeigt uns, was wir wirklich sind und zu was Gott uns alle berufen hat: Wir sind Gottes Ebenbild, alle Menschen in gleicher Weise. Jeder Mensch hat daher eine unvergleichliche Würde und unantastbare Rechte. Und die Erde gehört allen Menschen, genauer: sie ist ihm von Gott geliehen und sie ist uns anvertraut. Sie ist unser gemeinsames Haus, in dem alle Platz haben. Gott hat sie mit all den Gütern ausgestattet, die der Mensch zum Leben braucht. Diese Güter der Erde sind für alle Menschen bestimmt. Oder wie die andine Kosmovision (Buen Vivir) sagt: Kann man denn Erde und Wasser kaufen? Kann man denn seine Mutter verkaufen, die Mutter, die den Menschen hervorbringt und in die der Mensch zurückkehrt? Wenn aber um des eigenen Vorteils willen („die Gier nach immer mehr“) dem Mitmenschen diese Güter vorenthalten oder gar geraubt werden, dann herrschen Tod und Gewalt (z.B. Vertreibung). Dann wird der Mensch dem Menschen zur Bestie. Wir sind nicht dazu berufen, auf Kosten der anderen zu leben, sondern dazu, dem Mitmenschen zum Segen zu werden.
Tun wir dies, dann wird die Erde zur „Wohnung Gottes“ und wir zu „Hausgenossen Gottes“ (Eph 2. 17-22). Der Friede unter den Menschen ist die Voraussetzung dafür. Und umgekehrt: Je mehr wir uns dafür einsetzen, das Brot des Lebens (all dessen, was der Mensch zu einem Leben in Würde braucht) mit allen zu teilen, desto mehr wird der „Friede des Herrn“ unter uns Gestalt annehmen. „Der Frieden ist vor allem ein Werk der Gerechtigkeit. Er erfordert die Errichtung einer gerechten Ordnung, in der sich die Menschen als Kinder Gottes verwirklichen können, in der ihre Würde geachtet wird und ihre legitimen Erwartungen befriedigt werden. Den Frieden erlangt man nur, indem man eine neue Ordnung schafft, die eine vollkommenere Gerechtigkeit unter den Menschen herbeiführt“. So schreiben die lateinamerikanischen Bischöfe in Medellín 1968 und zitieren damit das 2. Vat. Konzil (Gaudium et Spes, Nr. 78, 76).
Die Verkündigung der Frohen Botschaft vom Anbruch des Reiches Gottes, bedeutet angesichts des Zustandes dieser Welt: Widerstand leisten und sich mit den „Wegwerf-Menschen“ (Papst Franziskus) auf den Weg machen! Dies wäre dann eine nachhaltige und glaubwürdige Verkündigung!
Willi Knecht