12. Sonntag nach Trinitatis / 20. Sonntag im Jahreskreis (14.08.16)

12. Sonntag nach Trinitatis / 20. Sonntag im Jahreskreis


ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Apg 9, 1-9 (10-20) Jer 38, 4-6.8-10 Hebr 12, 1-4 Lk 12, 49-53

Apostelgeschichte 9, 1 – 20

Das Damaskuserlebnis des Apostels Paulus ist ein Urdatum der christlichen Kirchen. Ein Mensch ändert sich vollständig, wird vom Verfolger zum Verfolgten. Er verkündigt dann eine Botschaft, die er vormals mit Gewalt und Inbrunst bekämpft hatte. Der tief beeindruckende, tief bewegende Predigttext für den 12. Sonntag nach Trinitatis wäre unvollständig, wenn man ihn bei seiner Lesung mit Vers 9 enden lassen würde. Die optional mögliche Fortführung bis Acta 9,20 sollte ebenfalls gelesen- und mitbedacht werden, insbesondere weil die Nachfolge Christi im weiteren Verlauf der Perikope bereits als Leidensnachfolge benannt wird.
Mit dem Berufungsereignis könnte ohne Bedenken die Reihe der kirchlichen „Geburtstage“ (Weihnachten als Geburt des Heilandes, Gründonnerstag als Geburtstag des Abendmahls, Pfingsten als Geburtstag der Kirche und Trinitatis als Geburtstag des Glaubensbekenntnisses) fortgeführt werden. Im Rückblick ist davon auszugehen, dass ohne das Damaskus- Ereignis, das die vorliegende Predigtperikope beschreibt, keine christlichen Kirchen entstanden wären oder zumindest nicht in ihren heute bekannten Formen bestehen würden.
Das Ereignis der Berufung des Apostels Paulus hat mit dessen Missionstätigkeit und der Profilierung der urchristlichen Theologie sowie der durch den Heidenapostel durchgesetzten Möglichkeit, Christ werden zu können, auch ohne vorher Jude gewesen- oder formal dem Judentum beigetreten zu sein, der Christenheit ein Urdatum gesetzt. Dadurch, dass es dem Apostel später gelingen sollte, im Apostelkonzil die noachidischen Gebote als Grundlage christlichen Verhaltens durchzusetzen (s. Acta 15), bestand nun die Möglichkeit der eigenständigen Entwicklung des christlichen Glaubens, auch unter den Heiden. Damit hatte Paulus die Grundlage für die spätere Weltreligion gelegt, die sich seit ihrer Entstehung aus Juden und Heiden formierte.

In dem, was der Apostel Paulus für seine Mitchristen und für die Generationen der nachfolgenden Jahrtausende bewirken konnte, entspricht er weitestgehend dem Apostel Petrus. Beide Personen stehen für die Gründung der ersten christlichen Gemeinden, aus denen die spätere Christenheit entstanden ist. Beide stehen mit ihrem ganzen Leben – sozusagen ganzheitlich – für den Einsatz für ihre (Glaubens-) Überzeugungen trotz der feindseligen Umwelt und der Verfolgung durch die staatlichen Autoritäten ihrer Zeit, trotz Verleumdungen durch ihre Mitmenschen, trotz Kerkerhaft, Leidens und letztlich der Blutzeugenschaft für ihren Glauben.
Oft scheint man im Rückblick auf die Kirchengeschichte und damit verbunden auch auf deren menschlich allzumenschlichen Entwicklungen zu vergessen, dass gleichzeitig und kontinuierlich Veränderungen eingetreten sind, die den Menschen auf der Grundlage christlicher Glaubensüberzeugungen materielle und gesellschaftliche Hilfestellungen gebracht haben.
Zu nennen sind die Versorgung von Armen und Kranken, die schon in der Apostelgeschichte beschrieben werden, sowie Fortschritt in der Ernährung der Menschheit, der Diakonie und der Medizin, der Protest von Christen gegen gesellschaftliche Entwicklungen, etwa in den Diktaturen des vergangenen Jahrhunderts und damit verbundener Vergehen und Verbrechen an der Menschlichkeit und letztlich die inhaltlichen Schwerpunkte christlicher Kirchen unserer Zeit, wie der Konziliare Prozess als gemeinsamer Lernweg christlicher Kirchen zu Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung.

Ein Einschnitt im Leben, eine Kehrtwende, ein Einsatz für ein Ziel, geprägt von Kontinuität bis zum Lebensende. Wesentlich ist hier die Feststellung des Predigttextes, dass der Impuls von außen kam: Paulus hat sich nicht selbst berufen, sondern wurde berufen, mitten aus seinem Alltagsleben heraus. Der Apostel Paulus wird bei seiner Berufung buchstäblich niedergeschlagen, er sieht himmlisches Licht (26.13: heller als die Mittagssonne), das die göttliche Herrlichkeit andeutet (vgl. Lk 2,9).
Hier kommt es zum Sturz des Starken, als der Christushasser der Christusmacht begegnet; er verliert dabei das Augenlicht und kann in den folgenden Tagen keine Nahrung zu sich nehmen. Er verliert gleichsam seine Autonomie und findet durch eine nun folgende Fremdbestimmung (die Bestimmung von Gott her) das Ziel seines Lebens. In unserer Zeit und im Leben der Christen kommen vergleichbare Einschnitte nur äußerst selten vor.
Dennoch lehrt der Alltag des Gemeindelebens, dass auch hier Menschen aus ihren schlichten Alltagserfahrungen heraus berichten, dass bestimmte Erlebnisse und Erfahrungen sie – oft Jahrzehnte nach der Taufe oder der Konfirmation – ihren Alltag verändert haben und dass sie seither ein auf den Glauben ausgerichtetes Leben führen, verbunden mit nachhaltigen Auswirkungen auf das tägliche Leben, im Vollzug des Alltags, in der Begegnung mit Menschen, im Umgang mit den Mitgeschöpfen. Berufungen des Heiligen Geistes, wie im Predigttext drastisch dargestellt, richten sich seit dem Pfingstereignis an jeden Christen. Damit verbunden die Möglichkeit zur kontinuierlichen Veränderung, zur Vergebung und zum täglichem Neubeginn. Dabei leben Christen stets im Spannungsfeld zwischen Indikativ und Imperativ, Evangelium und Gesetz, Zusage und Anspruch.

Lukas 12, 49-53

Für eine Auslegung der Perikope ist die symbolische Bedeutung des Feuers in der Bildsprache des Alten Testamentes zu berücksichtigen, wo es für die endzeitliche Reinigung und Erneuerung des Gottesvolkes steht (Sacharja 13,9; Maleachi 3,2f) und für die richtende Macht des Wortes Gottes im Mund seiner Propheten (Jeremia 5,14; 23,29; Sirach 48,1). In seiner Verkündigung nimmt Jesus diese Bedeutung auf und wünscht, dass das Feuer richtend und zugleich rettend sein Werk tue. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass sein Leidensweg – und seine damit verbundene Leidensbereitschaft – Grundlage für das anbrechende Gottesreich ist. Im apokryphen Thomas- Evangelium sagt Jesus „Wer mir nahe ist, ist dem Feuer nahe; und wer mir fern ist, der ist dem Königreich fern“ [82 p.47,17-19]. (oder auch: Wer mir nahe ist, der ist dem Feuer nahe. Wer mir fern ist, der ist dem Leben fern).
Die grundsätzliche Frage, die sich im Fortgang des Perikopentextes ergibt, ob seine Jünger nämlich bereit sind, um der Nachfolge willen Entzweiungen in Kauf zu nehmen, die selbst die nächsten Angehörigen betreffen, steht in Spannung zu Lukas 2,14 und hilft zu präzisieren, was dort mit Frieden gemeint sein kann. Christliches Leben unterscheidet sich vom Fortführen des alltäglichen Lebens.
Es ist geprägt von der Nachfolge, die eine Reaktion ist auf Jesu wiederholt- und an sehr entscheidenden Stellen erfolgenden Ausruf: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekom-men“ (Formulierung nach Matthäus in der Lutherbibel) oder in der Übertragung der römisch- katholischen Übersetzung von Fritz Tillmann: „Ändert euren Sinn, denn das Himmelreich ist nahe“. Damit steht christliches Leben oft auch im Kontrast und im Widerspruch zu gängigen, vorgefertigten Meinungen und gesellschaftlichen Entwicklungen; dieser Kontrast wirkt sich auch bis in die nächste Umgebung-, d. h., bis in die jeweils eigenen familiären Zusammenhänge aus und kann auch hier zu Widerspruch und zu Entzweiungen führen.

Im Rahmen einer Auslegung dieser Perikope ist der Friedensbegriff in Relation zu setzen zu Friedensvorstellungen unserer Zeit und dazu, dass es hierzu keine einfachen oder eindeutigen Festlegungen geben kann. Erinnert sei an Joschka Fischers Aussage, „Nie wieder Ausschwitz“, mit der er 1999, gerade erst als grüner Außenminister eingeführt, auch seiner eigenen, friedensbewegten Partei gegenüber die Beteiligung der deutschen Bundeswehr am Kampfeinsatz der Nato in Bosnien rechtfertigte, dessen Ziel es war, einen Völkermord zu verhindern.

Hebräer 12, 1-4

Der katholische Systematiker Thomas Ruster formulierte, dass Theologie die Rede sei von Mächtigen und Machtkämpfen im Himmel und ihren Auswirkungen auf der Erde. Im deutschen Protestantismus des 20. Jahrhunderts wurde der hier gleich zweimal verwendete Begriff „Kampf“ oft (und geflissentlich) vermieden, an zwei Stellen aber in besonderes eindrücklich verwendet; einmal im „Kirchenkampf“, dann aber auch in den 1970er- 1980er Jahren, als es um den Kampf gegen die atomare Aufrüstung oder gegen die so genannte friedliche Nutzung der Kernenergie ging.
In einer evangelischen Perikopenordnung führen nur die Verse 1 – 3 das große Glaubenskapitel des Hebräerbriefs (Kapitel 11) fort und werden hier als abschließende Einheit verstanden, während in der Perikopenabgrenzung der römisch-katholischen Kirche Vers 4 den Zusammenhang fortführt und den Anfang des folgenden Satzes bildet („Ihr habt noch nicht bis aufs Blut widerstanden im Kampf gegen die Sünde“), mit dem die weiteren Ausführungen beginnen. Während das vorangegangene Kapitel exemplarisch den Glauben alttestamentlicher Vorbilder des Volkes Israel aufzeigt und darstellt, welche Veränderungen der Glaube in den Lebensentwürfen dieser Vorbilder bewirkt hat, führt das paränetisch ausgerichtete 12. Kapitel mit Aufforderungen wie „darum stärkt die müden Hände …“, „jagt dem Frieden nach mit jedermann …“, „seht zu, dass ihr den nicht abweist, der zu euch redet …“ aus, welcher Lebens- und auch Leidensweg vor den Christen liegt und wie dem zu begegnen ist.
Kristlieb Adloff hat in einem ungedruckten Vortrag auf den Zusammenhang mit Psalm 80,19 hingewiesen: „… nie wollen wir abschwenken von dir! Belebe uns, und ausrufen wollen wir deinen Namen (Übertragung: Martin Buber). „Die Kraft, die hier [im Zusammenhang der Kapitel 11 & 12] zur Sprache kommt, steht bezeichnenderweise in extremer Widerspruchsspannung zur Erfahrung der Schwachheit, des Ausgeliefertseins.“

Auf Nachhaltigkeit befragt ergibt sich aus der vorliegenden Perikope sowie im gesamten Hebräerbrief als wesentlicher Inhalt die Aufforderung zum Festhalten am Glauben auf dem Hintergrund der Möglichkeit des Abfalls und der im Hebräerbrief dargestellten Unmöglichkeit einer zweiten Buße. Hier ist Kontinuität im Glauben gefragt, Bekennermut angesichts der gerade im Vorfeld ausführlich angeführten Glaubenszeugen des Alten Testamentes, denen das Festhalten an der Verheißung und die damit zwangsläufig verbundenen Lebensläufe und Lebensausrichtungen an erster Stelle gestanden haben.
Dabei kann auch auf die menschlichen Rückschläge verwiesen werden (bei David) sowie auf das Gestaltgewinnen des Glaubens im Verlauf eines Jahrzehnte währenden Alltagslebens (Abraham). Als Vorbilder werden Menschen angeführt, denen der Glaube und der Gehorsam gegenüber Gott wichtiger waren als alles andere; wichtiger als Eigentum und Besitz, die Familie (Bereitschaft zur Opferung des Sohnes der Verheißung [Genesis 22]), und das eigene Leben. Grundlage für die Bereitschaft zum Opfer, zur Hingabe, zum Leiden ist die Verheißung, die aussagt, dass die Bereitschaft, den hier thematisierten Glaubenskampf zu führen, Kampf gegen Widerstände, Kampf gegen die Sünde sich lohnt, sowie das Akzeptieren von damit verbundenen Rückschlägen, die in Kauf zu nehmen sind.

Besondere Möglichkeiten der Ausführung bietet die Aussage in Vers 4: „Ihr habt noch nicht bis aufs Blut widerstanden im Kampf gegen die Sünde“. Gleichsam als ein Hinweis, dass noch mehr möglich ist; noch mehr erreicht werden kann, wenn sich die Gemeinde/ die oder der Einzelne im Verhältnis betrachtet zu den Glaubensvorbildern der Vergangenheit. Dabei gilt es, in unserer Zeit für einen Predigtentwurf auch zu berücksichtigen, aus welchen Beweggründen die in ihrer Anzahl vielerorts schwindenden Gottesdienstbesucher sich für den Kirchgang entscheiden: Neben den sehr regelmäßigen Gottesdienstbesuchern sind es oft Suchende, die gekommen sind, weil sie Trost und Hilfestellungen für ihr Leben erhoffen und nicht ohne großes Fingerspitzengefühl den auch sprachlich gewaltigen Forderungen des Hebräerbriefs ausgesetzt werden sollten.

Uwe Hesse