17.11.24 – Vorletzter Sonntag im Kirchenjahr / 33. Sonntag im Jahreskreis

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Röm 14, (1-6)7-13 Dan 12, 1-3 Hebr 10, 11-14.18 Mk 13, 24-32

Der Autor geht kurz auf alle Bibelstellen des Sonntags ein, legt den Schwerpunkt aber auf den Auszug aus dem Römerbrief.

Zu Daniel 12,1-3

In der Hebräischen Überlieferung wird das Buch Daniel nicht zu den Propheten, sondern zu den Schriften gerechnet, was darauf hindeutet, dass es erst spät in den Kanon der heiligen Schriften aufgenommen wurde. Obwohl keine Namen genannt werden, können Personen des 2. Jh. vor Chr. erkannt werden. Besonders deutlich zeigt sich das an einem Ereignis, das wiederholt erwähnt wird: die Unterdrückung des jüdischen Glaubens und die Entweihung des Tempels in Jerusalem. Beides geschah 168-165 v. Chr. unter dem Seleuzidenkönig Antiochus IV. Epiphanes und war der Anlass für den Aufstand der Makkabäer. V11, 40 gibt den Hinweis auf den immer wieder umkämpften schmalen Landstreifen zwischen Ägypten und den Mächten im Norden, im 2. Jh. Vor Chr. die Seleuziden.

Auch wenn die Auslegungsgeschichte immer wieder der Versuchung erlag aus dem Buch Daniel ähnlich wie aus dem Buch der Offenbarung endzeitliche Berechnungen oder Spekulationen abzuleiten. Das Thema beider Schriften ist das Kommen der Herrschaft Gottes. Sie wollen die Leser*innen ermutigen, unter dem Druck der gottfeindlichen Systeme zu beharren bis ans Ende und so den rettenden Sieg Gottes zu erleben.

Zu Markus 13,24-32

Ob Jesus selbst das Ende so sehr erwartet hat oder ob später Ungeduldige seine Endverheißung so verstanden haben, ist unsicher. Das Gleichnis vom Feigenbaum könnte man so lesen: So wie der Feigenbaum Jahr für Jahr austreibt, so soll auch unsere Bereitschaft immer wieder neu erwachen,

für sein Kommen im Hier und Jetzt. Wachsein für seine Gegenwart trotz allem Unheil und Schrecken auch in unserer Zeit könnte die Botschaft sein.

Die Zeichen in V24f stehen für das kommende Gericht. Und die Rede vom Gericht hat ja auch etwas Tröstliches. ER möge doch kommen und gut richten und das Unrecht endlich beim Namen nennen.

Schließlich die Verheißung: „… seine Worte werden nicht vergehen“. Das könnte in unserer Zeit neu stark gemacht werden, erinnern an das, was er gesagt hat: Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun; liebet eure Feinde; selig sind, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden. In Jesus begegnen wir der Macht der Gewaltlosigkeit und dem unglaublichen Geschehen: Gott liebt sich zu Tode.

Zu Hebräer 10,11-14.18

Warum V15-17 weglassen? In Jeremia 31 leuchtet das Evangelium aus dem 1. Testament. Darauf zu verweisen, ist in unserer Zeit immer noch und immer wieder wichtig. Wie radikal ist V18? Ende des Opferkultes. Es braucht keine (Menschen)opfer (mehr). Schwerpunkt der Predigt: Versöhnung und Vergebung. Konkret: Konflikte fangen oft mit Worten an. Sprache abrüsten, Kriegsrhetorik ächten, die (berechtigten) Interessen der anderen sehen und berücksichtigen.

Zu Römer 14,1-13 (ein paar Früchte aus Kommentaren)

Ernst Käsemann, An die Römer, 1974. … zweifellos ist erneut die Paränese die Hauptsache, nicht die Erörterung der Zustände in der Gemeinde (353). Paulus sieht offensichtlich keinen Anlass, denen von vornherein zu widersprechen, die sich stark fühlen (354). Annahme bedeutet in diesem Fall, Raum zum Wachsen und zur Kommunikation offenzuhalten (254). Richten kann man nur, für wen man zuständig ist, nicht fremdes Eigentum (357). Unsere Verfehlung endet einzig, aber radikal an unserm Herrn (358).

Ein Christ wird nicht, wie es manchmal zu hören ist, durch das schlechte Gewissen über seine Unvollkommenheit und die Unentschlossenheit angesichts einer verworrenen Umwelt qualifiziert, sondern durch die ihn von andern abhebende klare Einsicht, überzeugtes und freudiges Hadeln und Leben (358). Wer weiß, im letzten Gericht für sich selber einstehen zu müssen, wird sich hüten, es andern gegenüber vorwegzunehmen (360) .V13 Paulus variiert den Wortstamm κριν- : urteilen – verurteilen – kritisch bedenken (361).

Bernd Schröder, Römer 14,7-9. Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext, 2015f.: In vielen Gemeinden wird die Abkündigung der Verstorbenen mit der Zitation von V8 dieser Perikope abgeschlossen. Der Satz stiftet Vertrauen – Leben und Sterben sind gut aufgehoben beim Herrn.

Aber irritierend ist der Dativ. Denn es gehört zu den Grundideen der Moderne, dass ‚ich‘ mein Leben führe - so wie ‚ich‘ es will und verantworten zu können meine (379).

Plutarch: Es ist beschämend, nur für sich selbst zu leben und zu sterben (379). Mit diesem Herr-Sein Jesu Christi in meinem Leben und Sterben geht einher, dass der eigene Lebenswandel im Interesse des Nächsten gestaltet wird: Es gilt dem Nächsten kein Ärgernis zu bereiten 14,13 (381f).

Martin Vahrenhorst, Römer 14,(1-6)7-13, Predigtmeditation im christlich-jüdischen Kontext, 2023f: Der vorletzte Sonntag im Kirchenjahr ist ein dunkler Tag. Eindringlich bringen Lieder und Lesungen den Gedanken an das Gericht am Ende der Zeiten ein. Auch im vorgeschlagenen Predigttext ist vom Gericht die Rede – aber mit einer ganz eigenen Note. Statt um die endgültige Scheidung von Gerechten und Ungerechten geht es darum, dass sich vor Gott jedes Knie beugen wird und jede Zunge Gott als den bekennt, der er ist. Es geht also um die Anerkennung von Gottes Gottsein.

Paulus kennt – ganz in jüdischer Tradition – keine absolute Freiheit. Sich selbst und seine Leserschaft versteht er als Sklavinnen und Sklaven Gottes (würden wir heute nicht mehr so sagen, RE). Gerade als solche sind sie aber von der Last befreit, auf das Urteil anderer etwas geben zu müssen (386).

Es geht Paulus in erster Linie nicht um das Gericht am Ende der Zeiten, sondern um das Zusammenleben im Hier und Jetzt (386).

Wir legen Wert auf unsere Autonomie, darauf, dass niemand uns sagt, was wir zu essen, wie wir zu fahren und zu heizen haben (386). Zwei Instanzen kennt Paulus, denen gegenüber Christenmenschen sich zu verantworten haben. Die eine ist Gott …, die andere … ist … die eigene Vernunft (386).  Du kannst machen, was du für richtig hältst und Gott gegenüber verantworten kannst – aber es gibt noch einen weiteren Faktor: Achte darauf, dass dein Mitmensch wegen deines Tuns oder Lassens nicht in Konflikte kommt, mit denen er oder sie vielleicht nicht umgehen kann. Das ist ein für die paulinische Ethik zentrales Motiv: Denk einmal nicht von dir her, sondern von deinem Mitmenschen (387) gilt auch für die Schöpfung (RE).

Und wer wollte sich eine Welt ohne Gerichte wirklich vorstellen (RE). Ohne Gerichte … würde sich das Recht des Stärkeren uneingeschränkt durchsetzen (387). Das Jüngste Gericht: Im Lichte der Liebe Gottes werden wir unser Leben als das erkennen, was es war. Wir werden sehen, wo wir geliebt haben, wie wir es sollten; wir werden auch sehen, wo wir anderen – und vielleicht uns selber – diese Liebe schuldig geblieben sind. Genau das ist dann das Gericht (387).

Nachhaltigkeit im Blick auf die Predigt

(Bezug vor allem zu Römer 14)

Einstieg: Volkstrauertag – Trauer – Gewalt – Tierwohl

Volkstrauertag 2024, während ich schreibe, weiß ich noch nicht vorüber ich dieses Jahr werde trauern (müssen). Neues – eigentlich unfassbares Leid – wird von Kriegsherren über Völker gebracht.

Der angestrebte und immer wieder auch erklärte Gewaltverzicht zwischen Staaten ist leider nicht Wirklichkeit. Gewalt tun Menschen anderen an, aus was für Gründen auch immer.

Menschen sind gewalttätig auch gegenüber der Natur und gegenüber Tieren. Das Thema Tierwohl wurde von der EKD erstmalig 2019 ausführlich bearbeitet (EKD-Texte 133). Noch bei der Friedenskonvokation des ÖRK 2011 in Jamaika spielte Tierwohl praktisch keine Rolle.

„Einer glaubt nämlich alles essen zu dürfen“ (V 1) könnte auch als kritische Anfrage an die bei Paulus so etikettierten „Starken“ gelesen werden.

Fleischkonsum überfordert die landwirtschaftlich nutzbare Fläche der Erde

Eindrücklich sind die Zahlen zur Biomasse der Säugetiere auf der Landfläche: ca. 1/3 bilden wir Menschen, ca. 2/3 die von uns gehaltenen sogenannten Nutztiere und nur ca. 4% machen die Wildtiere aus (von der Feldmaus bis zum Elefanten). Dementsprechend übernutzt sind Böden und Gewässer in vielen Teilen der Erde. Aufs Ganze gesehen haben wir Menschen das Maß verloren. Mühsam versuchen viele Engagierte den Blick zurückzugewinnen aufs Ganze. Der One-Health-Ansatz basiert auf dem Verständnis, dass Gesundheit von Mensch, Tier und Mitwelt eng miteinander zusammenhängt.

Der Fleischkonsum in Deutschland ist im Jahr 2023 wieder leicht gesunken, er liegt jetzt etwas unter

1 kg pro Person und Woche. Wohl gemerkt pro Person vom Säugling bis zum Greis. Von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung werden 300 bis 600 g empfohlen. Die Planetary Health Diät stellt den „Nahrungsmittelkorb“ zusammen, der sowohl für die Menschen als auch für den Planeten gesund ist.

Der Sonntagsbraten

Von Ökobauern lernen wir: Ganz ohne Viehhaltung funktioniert die Landwirtschaft nicht. Mist und Gülle dienen der Stickstoffdüngung. Aber in Maßen wie beim Fleischkonsum auch. Wie wär‘s damit, die Idee des Sonntagsbratens wieder zu beleben?

Am übermäßigen Fleischkonsum werden viele Fehlentwicklungen sichtbar: Gesundheitsschäden für Mensch und Tier, Flächenverbrauch für Futtermittelproduktion, Überlastung von Böden und Gewässern durch zu viel Stickstoffaustrag pro Fläche, Schieflage der internationalen Nahrungsmittel- und Futterströme, wir importieren viel zu viel Futtermittel und verhindern dadurch die Nahrungsmittelproduktion in anderen Ländern. Z.T. unmenschliche Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie.

Lebensstilfragen sind moralisch aufgeladen

„Da hält es jemand im Supermarkt für völlig unpassend, wie eine Mutter mit ihrem Kind umgeht. Da verachtet eine Tochter ihre Mutter für deren barschen Umgang mit dem Vater. Da hält einer den Kollegen für unzuverlässig und fragt sich, warum ihm nicht gekündigt wird (258).

Die Pointe der Predigt ist: Ich bin nicht Souverän und Richter, sondern allein Gott. Aufgrund dieses demütigen Bewusstseins um die Vorläufigkeit und Begrenztheit meiner Kenntnis des Anderen, versuche ich das Fremde, das Andere am Anderen zu ergründen“ (262),

Torsten Resack (14,10-13, Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext, 2015f).

Ich treffe eine Kirchengemeinderätin nach der KGR-Sitzung. Lange wurde darum gerungen, ob sich das Gremium dafür entscheidet: Grundsätzlich mehr vegetarisches Essen bei Gemeindeveranstaltungen anzubieten. „Mit unseren Kindern sind wir schon wo ganz anderes: Wir diskutieren die Frage: vegan oder vegetarisch?“ Wie schnell hat sich in den letzten Jahren der Blick auf unser Essen verändert.

Und wie gehen wir miteinander um? Das ist eine der entscheidenden Fragen. Und hoffentlich schaffen wir Christenmenschen das gelegentlich besser. Zumindest haben wir doch den Anspruch, dass es uns vor dem Angesicht Gottes besser gelingen sollte. Achtsam, die andere Seite wahrnehmen.

Bemerkenswert ist, welche Worte Paulus wählt: Der Starke, der isst, verachte nicht, der Schwache, der nicht isst, richte nicht. Diese Zuschreibungen könnten heute immer noch so ähnlich sein, zumindest im Blick auf die Fleischesser bzw. Vegetarier. Wer allerdings schwach oder stark ist, ist eine andere Frage. Vegetarier lassen sich kaum das Etikett schwach umhängen.

Lebensstilfragen können schnell hoch emotional werden. Da lassen wir uns ungern hinterfragen, geschweige denn etwas sagen. Das gilt für unseren Glauben, für unsere Sexualität und eben auch für das, was wir essen.

Ganz versöhnlich endet Paulus: „Lasst uns aufhören, uns gegenseitig zu verurteilen! Achtet vielmehr darauf, den Bruder oder die Schwester nicht zu Fall zu bringen“ (V13 Basisbibel). Bemerkenswert, wie Paulus hier den Wortstamm κριν- für seine Aussage einsetzt. Statt verurteilen, achthaben.

Gewaltfreie Kommunikation fragt danach: Wie kann ich der anderen helfen, dass sie zu dem kommt, was ihr gut tut? Wenn wir einander erlauben achtsam unseren Lebensstil gegenseitig zu befragen, der Umgang mit unserer Mitwelt könnte gewaltärmer werden.

Romeo Edel, Evang. Landeskirche in Württemberg

Verweise:

Paper: Vier gute Gründe für mehr vegetarisches Essen bei Gemeindeveranstaltungen.

https://www.kirchenbezirk-Vorschlag_vegetarisches_Essen_Gemeindeveranstaltungen-2022-08-22.pdftuebingen.de/fileadmin/mediapool/gemeinden/KB_tuebingen/Bilder/Aktuelles/2022-08/

Es reicht – M ehr Mut zur Suffizienz, Aktionsheft des Ökumenischen Netzwerk Klimagerechtigkeit

https://www.kirchen-fuer-klimagerechtigkeit.de/artikel/mehr-mut-zur-suffizienz

https://www.kirchen-fuer-klimagerechtigkeit.de/artikel/mehr-vom-weniger-die-deutsche-nachhaltigkeitspolitik-braucht-eine-suffizienzstrategie