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Lk 1, (26-38) 39-56 | Mi 5, 1-4a | Hebr 10, 5-10 | Lk 1, 39-45 |
Gedanken zu Lk 1, (26-38) 39-56 (EKD Reihe I) bzw. Lk 1, 39-45 (Evangelium Kath. Lesejahr C)
Schwangerschaft und Geburt: ein ganz natürlicher Vorgang – und zugleich, für das persönliche Erleben, das größte Wunder der Schöpfung! Das Gefühl, so nah und persönlich am Geheimnis des Lebens zu sein, ein einzigartiges Geschenk zu erhalten - denn niemand kann es wirklich „machen“, ein Kind! Und zugleich die ungeheure Verantwortung, die man da in den Händen hält. Was gebe ich diesem kleinen Wesen mit auf den Weg? Und: in was für einer Welt wird dieses Kind aufwachsen?
Nun das Ganze etwas anders betrachtet, und provokant formuliert: die großen Emotionen, die große Fürsorge der Eltern für ihr neugeborenes Kind – das kann ein Grundstein sein gerade für die Zerstörung der Welt, in der dieses Kind aufwächst! Die große Errungenschaft der modernen Welt – die Wertschätzung des Einzelnen und das Recht auf persönliche Verwirklichung – wird nicht selten, insbesondere bei Eltern im Blick auf ihr Kind, ins Extrem getrieben. Es geht dann nur noch um Ansprüche und kaum noch um Verantwortung. (Vielen, die oft beruflich oder privat mit (anderen) Kindern und Eltern zu tun haben, werden Beispiele einfallen…) Diese Anspruchshaltung führt dazu, dass im maximalen Ausschöpfen von Möglichkeiten das höchste Glück zu liegen scheint und niemand sich zurücknehmen möchte – und da wären wir beim heutigen Lebensstil, der ganz gewiss nicht nachhaltig ist.
Die Weihnachtsgeschichten der Evangelien können solche Fantasien um das großartige Kind beflügeln (vielleicht ist Weihnachten deshalb heute so populär?). Wenn der Engel Maria ankündigt, was aus ihrem Sohn mal werden wird (V. 32f.) – werden da nicht die Karriereträume aller Mütter für ihr Kind noch übertroffen? Die Begegnung von Maria und Elisabeth (V. 39-45) kann man ebenfalls im gnadenlosen Licht des Kampfes um Karrieren lesen, der schon vor der Geburt beginnt: Jesus ist mehr als Johannes (V. 43). Gewiss, für Lukas (und die anderen Evangelisten) ging es darum, schon in den Kindheitsgeschichten deutlich zu machen: Jesus ist der Erlöser, und Johannes nur sein Vorläufer; er hat zwar Jesus getauft, aber das macht ihn nicht zum „spirituellen Vater“ von Jesus. So verständlich das für die damalige Zeit war: heute können und sollten wir uns nicht damit befassen, wer in der Kirche höher steht und wer gehorchen muss.
In der biblischen Erzählung ist es Gottes Geist, der in gewisser Weise heilsam eingreift und die natürlichen Mutterinstinkte überlagert: er verleiht Elisabeth die Einsicht und – so könnte man ergänzen - den Großmut, das eigene Kind nicht als Mittelpunkt der Heilsgeschichte zu sehen. Jesus ist der „Herr“ (V. 43) – ein uraltes christliches Bekenntnis. Dieser eine Herr ist nicht wie die anderen Herren, die ihre Untertanen ausbeuten. Er wird sich später selbst hingeben für das Leben der Welt. Damals wie heute bedeutet das: Christ*innen stehen über dem Streit um Macht und Ressourcen. So könnte man sagen: der ungeborene Johannes hüpft vor Freude (V. 41.44), weil er spürt: dieses andere Kind ist nicht mein Gegner im Kampf ums Dasein, sondern mein Erlöser vom ewigen Gegnertum.
Der folgende Lobgesang der Maria (V. 46b-55) lässt sich auch wieder mit verschiedenen „Brillen“ lesen. Einerseits enthält er ebenfalls Spuren von extremem Elternstolz. Karikieren wir den Jubel der jungen Frau doch ruhig mal: Maria, die erwählt wurde, die Einzigartige, der Superstar unter den Frauen, sozusagen die Topmodel-Mama, die von ganz unten nach ganz oben gekommen ist! Aber in Marias Lied gibt es auch andere Töne: da ist auch Gott, der die Logik der menschlichen Herrschaft durchbricht und seine eigene Hierarchie aufrichtet: heilige Herrschaft als Einsatz für die Schwachen. Nicht die Starken setzen sich durch im ewigen Konkurrenzkampf, sondern es ist gerade umgekehrt (V. 51-53)! Wer sehr zart besaitet ist und immer nur für alle das Beste will, der könnte es zwar bedauern, dass die Reichen „leer ausgehen“ und wünscht sich vielleicht eine sanftere Art, die „Gewaltigen“ zu ändern, als dass sie „gestoßen“ werden. Aber vielleicht ist es gerade diese Umkehrung der scheinbar natürlichen Ordnung, dem angeblich gnadenlosen Gesetz der Natur, dass der Stärkere sich durchsetzt, die Gottes ganz anderes Wirken anschaulich macht. Gottes Logik für seine Schöpfung ist „Barmherzigkeit“ (V. 54), nicht Konkurrenzkampf. Er misst nicht nach Leistung, sondern kümmert sich vorrangig um die, die seine Hilfe brauchen. Dabei ist er offenbar nicht an knappe Ressourcen gebunden, die man an sich raffen müsste, bevor andere sie besitzen. Der Schöpfer und Erhalter der Welt teilt gerecht aus – und alle werden satt. Und jedes Kind, so dürfen wir ergänzen, und jeder Mensch, wird als etwas Besonderes geliebt und wertgeschätzt. Das ist die Spur von Gottes Wirken in der Welt. Ihr können wir folgen, und das Leben finden.
Michael Böttcher, Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck