ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Mt 2, 13-18 (19-23) | Sir 3, 2-6.12-14 (3-7.14-17a) oder 1 Sam 1, 20-22.24-28 |
Kol 3, 12-21 oder 1 Joh 3, 1-2.21-24 |
Lk 2, 41-52 |
Zu den einzelnen Texten
Der evangelische Predigttext aus Mt 2, 13-23 bildet den Abschluss der matthäischen Kindheitserzählung (Mt 1,18-2,23), in dem die Geschichte der Heiligen Familie in den Kontext politischer Verhältnisse der damaligen Zeit gestellt wird. Die Geschichte bietet auch eine Begründung für den Widerspruch zwischen Jesu Herkunft aus Nazareth und seiner Geburt in Bethlehem, gemäß der Erfüllung einer Prophezeiung in Mi 5,1. Intention der matthäischen Geburtsgeschichte ist den Anbruch der neuen Herrschaft zu zeigen, die mit Jesus in die Welt kam, weltliche Herrscher herausfordert und auch von der ganzen Welt (Besuch der Sterndeuter) erkannt wird. Diese Geschichte beinhaltet – abgesehen von ähnlichen Erzählungen über Geburt und Kindheit berühmter Herrscher in der Umwelt - zahlreiche innerbiblische Verweise. Der Kindermord in Bethlehem wird häufig als eine Parallelerzählung zu der Gefährdung des Moses und der Tötung der männlichen Säuglinge durch den Pharao in Ägypten verstanden. Auch die vorrübergehende Flucht nach Ägypten greift die Geschichte Israels, die Erinnerung an die Knechtschaft in Ägypten und den Exodus auf. Die Träume des Josef erinnern an die Träume Josefs in Ägypten.
Die erste katholische Lesung steht im Buch Jesus Sirach (3,2-6. 12-14) einer weisheitlichen Schrift, die in Auseinandersetzung mit dem Hellenismus aus dem frühen 2. Jahrhundert v.Chr. stammt und Teil des katholischen Kanons ist. Zentrales Thema ist die Weisheit, Anliegen ein umfassendes religions-pädagogisches Programm, das Glauben und Lebensführung auch unter ethischen Aspekten erörtert. Insbesondere die Erziehung der Jugend ist ein wichtiges Anliegen. In diesem Zusammenhang kann auch der hier angegebene Text gelesen werden.
Die zweite katholische Lesung aus dem deuteropaulinischen Kolosserbrief (3,12-21) nimmt ein Leben in der Liebe in den Blick, das der christlichen Haustafel vorausgeht. Anders als bei Paulus selbst, für den angesichts der bald erwarteten Wiederkunft des Herrn Ehe und Familie eher eine vorläufige Frage sind, spiegelt sich hier das Einrichten in der Zeit wieder. Dabei wird eine bestehende Ordnung unhinterfragt vorausgesetzt, aber unter christliche Vorzeichen gedeutet und gestaltet.
Die katholische Evangeliumslesung steht in Lk 2, 41-52 und handelt vom 12jährigen Jesus im Tempel. Sie bildet mit der Szene im Tempel den Abschluss der lukanischen Kindheitsgeschichte, die auch schon im Tempel mit Zacharias begonnen hat. Typisch für die lukanische Kindheitsgeschichte ist die enge Verknüpfung mit der Geschichte Johannes des Täufers. Zusammen mit den hymnisch-prophetischen Liedern wird hier der Beginn einer Heilsgeschichte gezeichnet, die die sozialen Verhältnisse umkehrt und die Reich-Gottes-Verkündigung für die Armen und Entrechteten in den Mittelpunkt stellt.
Verortung im Kirchenjahr
Der erste Sonntag nach dem Christfest wird seit dem 19. Jahrhundert in der katholischen Kirche als Fest der Heiligen Familie gefeiert. Die Tradition entstand in einer Zeit, als durch die Industrialisierung und prekäre Lebensverhältnisse traditionelle Familienformen zerbrechen. Jesus, Maria und Joseph werden als Bild der idealen Familie geehrt, dementsprechend geht es hierbei häufig um das Verhältnis von Eltern und Kinder. Dies spiegelt sich auch in den vorgeschlagenen Texten wieder.
Ordnung und Aufbruch
Die vorgeschlagenen Texte stehen in einer interessanten Spannung. Zum einen reflektieren sie insbesondere in der weisheitlich geprägten Literatur wie Jesus Sirach und dem Kolosserbrief den Wunsch nach der idealen Ordnung, die in der damaligen Zeit immer auch eine Hierarchie beschrieb. Ein gelingendes Leben setzt voraus, dass alle ihren Platz haben, dass klar ist, wer bestimmt. Gleichzeitig sollen Solidarität und Rücksichtnahme das Miteinander bestimmen. So geht es im Kolosserbrief nicht um eine autoritäre Unterwerfung, sondern um eine durch gegenseitige Liebe, Respekt und Solidarität gestaltete Annahme der –unhinterfragten- Ordnung. Dieser Brief zielt darauf ab, sich in der Welt in einer durch Liebe geprägten christlichen Existenz einzurichten, die sich auch im familiären Miteinander zeigen soll. Jesus Sirach konzentriert sich auf eine Generationensolidarität, die sich vor allem durch den Respekt und die Fürsorge für die Älteren zeigt, ein Gedanke, der sich ähnlich auch schon im 4. Gebot findet.
Die Evangeliumstexte stehen hierzu in einer produktiven Gegenrede. Der zwölfjährige Jesus im Tempel hat offensichtlich andere Prioritäten, als den Gehorsam gegenüber seinen Eltern, er nimmt in Kauf, sie in große Sorge zu versetzen, weil seine Bestimmung weit über ein heiles Familienbild hinausgeht. Seine familiären Verpflichtungen sind in erster Linie auf Gott ausgerichtet und verweisen schon hier auf sein späteres Wirken, über das in den Evangelien berichtet wird. Es ist nicht Ungehorsam, aber die Weigerung, seinen Auftrag den traditionellen Erwartungen unterzuordnen.
Die Geschichte vom Kindermord in Bethlehem und die erzwungene Flucht spiegeln neben allen kompositorischen Intentionen schließlich die Erfahrung wieder, dass die Mächtigen auch vor Mord an den Schwächsten nicht Halt machen und dass familiäres Glück durch ihr menschenverachtendes Handeln jederzeit bedroht und gefährdet sein kann. Gott hält in dieser Geschichte seine Hand über den neugeborenen Retter der Welt, in Träumen bekommt Josef Anweisungen, wie eine Rettung gelingen kann. Doch viele andere Kinder erfahren diese Bewahrung nicht.
Aktualisierung
Die Texte bieten viele Anknüpfungspunkte für die Auslegung. In unserer Zeit finde ich es besonders reizvoll, die Spannung zwischen den einzelnen Texten aufzugreifen. Die Situation der Welt, ihre Bedrohung durch den Klimakollaps stellt eine bisher nie dagewesene Situation dar. Neu ist auch, dass sich die Verantwortung auf einmal anders darstellt. Die kommenden Generationen, Kinder und Jugendliche sind es, die Verantwortung übernehmen und die Erwachsene herausfordern, ihren Lebensstil zu ändern, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft neu auszurichten. Zwar ist dies nicht unbedingt ein ganz neues Phänomen, immer wieder waren es junge Menschen, die Veränderungen einforderten und auch anstießen. Doch die Dringlichkeit, um die es heute geht, ist einzigartig. Ebenso ist es die individuelle und strukturelle Schuld der Elterngeneration, die durch ihren Lebensstil die Zukunft der kommenden Generation gefährdet.
In einer Zeit der politischen Polarisierung sind es gerade rechte und populistische Strömungen, die ein Geschlechterverhältnis und ein Familienverständnis beschwören, dass sich an vermeintlich traditionelle Werte orientiert. Gerade in der Auseinandersetzung mit der heutigen Vielfalt von Lebensformen erscheinen die Texte in Jesus Sirach und im Kolosserbrief als ein vermeintlicher Referenzrahmen für solch ein Familienbild. Sieht man jedoch auf die Kontexte, in denen diese Verse stehen, so sind die für die damalige Zeit repräsentativen Familienstrukturen in einen größeren Zusammenhang gestellt, der von Solidarität bzw. einem Leben, das von christlicher Liebe, Demut, Vergebung und Geduld geprägt ist. Die Vorläufigkeit spezifischer Formen des Zusammenlebens (Luther nennt die Ehe eine „weltlich Ding“) lässt uns um so mehr auf die grundliegenden Haltungen schauen, die ein Miteinander prägen sollen.
In den Evangelien wird an verschiedenen Stelle erzählt, dass Jesus die Forderungen zurückweist, familiäre Erwartungen (so z.B.in Mk 3,31ff) zu erfüllen. Auch in Fragen der Nachfolge werden familiäre Verpflichtungen relativiert. Die neue Gemeinschaft der Jüngerinnen und Jünger hat Vorrang. In diesem Sinne markiert die Erzählung über den 12jährigen Jesus im Tempel den Anfang einer Orientierung, die die Zukunft des Reich Gottes in den Blick nimmt und damit einen Hoffnungshorizont eröffnet: Ein Kind legt die Schrift aus. Denkt man dies weiter, ermutigen diese Texte dazu, nicht nur Lebensformen, sondern auch überkommene Lebensführungen überhaupt zu hinterfragen. Der Evangeliumstext über den Kindermord in Bethlehem zeichnet über alle Dramatik hinaus das Bild eines neuen Herrschers über die Welt, der gefährdet, verletzlich und der komplette Gegenentwurf imperialer Machtentfaltung ist. Seine Rettung ist Gottes Bestätigung für eine neue Welt, in der jeder menschliche Machtanspruch in Frage steht.
Dr. Beate Sträter, Ev. Kirche im Rheinland