21. Sonntag nach Trinitatis / 31. Sonntag im Jahreskreis 2017 [III/A]
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Mt 10, 34-39 Rev. 2014: Eph 6, 10-17 |
Mal 1, 14b - 2, 2b.8-10 | 1 Thess 2, 7b-9.13 | Mt 23, 1-12 |
Nachhaltigkeit, Nachfolge und Konflikt
Es gibt Texte in der Bibel, die erschrecken einen immer wieder, weil sie weit weg von unseren Erfahrungen scheinen. Jesus spitzt in seinen Dialogen auf dem Weg nach Jerusalem die Fragen nach den Konsequenzen der Nachfolge zu. Er führt Gespräche am Straßenrand, bei denen es um die Richtung und das Ziel eines einmal eingeschlagenen Weges geht. Angesichts der Umweltkrise, dem fortschreitenden Klimawandel und den Folgen eines zerstörerischen Lebensstils werden auch unsere Fragen nach Orientierung dringlicher, weil die bisherigen Wege der Diplomatie, der Verständigung und der Konsenssuche
sich als zu langsam und äußerst begrenzt erweisen.
Der Anstieg der Durchschnittstemperatur um 2 Grad scheint unvermeidbar und viele Zerstörungen der Umwelt unumkehrbar. Wir werden uns auf neue Wege einstellen müssen, unbekannt und fremd, mit schwer einschätzbaren Risiken und überraschenden Herausforderungen. Eine „Energiewende“ ist genauso nötig wie ein die Ressourcen schonender Lebensstil. Insofern ist unsere ökologische Lage durchaus vergleichbar mit Jesu Ruf in die Nachfolge. Diese Umkehr hat allerdings ihren Preis. Sie wird nicht ohne gravierende Konflikte geschehen. Familien werden sich zerstreiten, Freundschaften zerbrechen und Feindschaften entstehen, weil die einen den neuen Weg der anderen nicht mitgehen wollen.
Der Predigttext Matthäus 10, 34-39 stammt aus einem solchen Gespräch auf dem Weg. Die Zumutungen Jesu sind eine Provokation und lassen mich zunächst ratlos zurück. Nicht Frieden, sondern das Schwert bringt Jesus. Der Messias, der nach Jes. 9,5f. der Friedensfürst sein soll, treibt mit seinem Ruf in die Nachfolge Familien auseinander und lässt Feindschaften entstehen. Verfolgung und Martyrium stehen denen bevor, die sich Jesus anschließen. „Gottes Reich ist noch nie der Friede der Falschpropheten gewesen, die „friede, Friede“ rufen, währenddem Habsucht und Gemeinheit die Erde verwüsten und Gottes gute Schöpfung in ihr Gegenteil verkehren (Jer. 6,14 usw.); es ist aber auch nicht „der heilige Krieg“ der Frommen, die mit Gottes machtvoller Unterstützung zum Siege über ihre Bedränger ausziehen. Das Schwert ist nicht in den Händen der Jünger, sondern in denen ihrer Gegner!“[1]
Selbst zum Leiden und zum Sterben ist diese Nachfolge bereit. Doch ich brauche die Familie als einen Ort der Geborgenheit und das vertraute Zuhause. Der Ruf und die Stimme dieses radikalen Wanderpredigers aus Galiläa wirken auf mich abweisend, sie laden mich nicht freundlich und rücksichtsvoll ein, ihm zu folgen. Wer sich mit Jesus auf den Weg macht, muss sich offensichtlich auf ungewohnte Herausforderungen einstellen. Vor allem wird sich seine Wahrnehmung, sein Sehen verändern, auf diesem Weg werden neue Perspektiven gewonnen, die Mut und Freiheit verlangen.
Obdachlos und ohne feste Familienbindung: das sind die Kennzeichen von Wanderer, die für die Ortsansässigen und Familienmenschen immer fremd und bedrohlich erscheinen. „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus“, so beginnt Schuberts Winterreise. In der Nachfolge Jesu sind offenbar solche Winterreisen in die Kälte und den Frost der Fremdheit zu erwarten. Bei aller Sympathie für die Botschaft Jesu vom nahenden Reich Gottes ist mir der Preis zu hoch, unzumutbar. Erschrocken blicke ich auf Jesus, der sich durch seine Worte von mir entfernt.
Ich stehe am Wegesrand, er geht vorüber, ein kurzes Gespräch und ich bin wieder allein: immer noch auf der Suche nach Orientierung auf meiner eigenen Reise, die ortsgebunden ist, soziale und familiäre Verpflichtungen kennt und auf die eigene Geschichte rücksichtsvoll und hoffentlich lernend zurückblickt. Auf seinem Weg nach Jerusalem jedoch, wo das Hinrichtungskreuz als vorläufiges Ziel auf Jesus wartet, will er den Interessierten an seiner Bewegung die Beschwernisse und Belastungen deutlich vor Augen stellen. Wer sich ihm anschließt und sich damit an ihm orientiert, der kann sich nicht mehr umstandslos woanders häuslich einrichten, der ist mit Aufbrüchen konfrontiert, die ihm manche schlaflose Nacht bescheren. Müssen die Friedensstifter und die Umweltaktivistinnen sich auf ganz andere Wege begeben als bisher?
Ich frage, und ich kenne die Antwort auf diese Frage mit Sicherheit nicht. Was erwartet Jesus von mir? Dass ich mich aus tödlichen Abhängigkeiten löse, dass ich mir die Gründe genau ansehe, die mich hindern, mit ihm aufzubrechen? Mein Vertrauen auf ihn ist wahrscheinlich nicht stark genug, um mich schutzlos und verletzbar, unabhängig und frei auf seinen Weg zu begeben. Denn die Radikalität seines Weges führt ans Kreuz und dorthin kann ich ihm nicht folgen, sondern auf diesem Weg bin ich auf seine Barmherzigkeit, seine Rücksichtnahme und seine Freiheit angewiesen. Ich folge ihm in seinem Schatten: immer bereit stehen zu bleiben, mich zu verkriechen, von seinem Weg aus mich in die Büsche zu schlagen, um mich mit Freunden und Verwandten zu treffen, die mir lieb und wert sind. Gute, respektable Gründe vom Weg der Nachfolge abzukommen, gibt es zu jeder Zeit.
Um ein Missverständnis zu vermeiden: Nachfolge bedeutet nicht blinder Gehorsam oder ein verführerisches Pfeifen. Jesus ist kein Rattenfänger, sondern er nennt in diesen knappen Dialogen den Preis und die Last, die Herausforderung und die Zumutung, die mit der Teilnahme an seinem Weg verbunden ist. Das ist keine geschickte Public Relation, keine Schokolade mit dem Aufdruck „evangelisch aus gutem Grund“, sondern hier wird das klare, nüchterne sehende Auge angesprochen, das die Risiken und die Bedrängnis wahrnimmt, die mit seiner Nachfolge verbunden sind. Am Ende ist Jesus nicht für die Unzweideutigen und Glaubensstarken, sondern für uns oft genug Doppeldeutliche, Verzagte und Glaubensschwache gestorben. Alle Jünger verließen ihn, heißt es in der Passionsgeschichte.
Auch unser Zeugnis für Nachhaltigkeit und die Bewahrung der Schöpfung ist nicht frei von dieser Spannung zwischen realpolitischen Erwägungen und radikalem Appell. Denn: bringen wir den Völkern, die auch wegen des Klimawandels unter Armut, Krieg und Not leiden, wirklich gerechte und friedliche Verhältnisse, indem wir unseren Reichtum mit ihnen teilen und unsere Wohlstandsinseln verlassen? Lassen wir unsere Konsum- und Luxusgesellschaft mit ihren verheerenden ökologischen Folgen tatsächlich hinter uns, nehmen wir Abschied von unseren vertrauten Reichtümern, damit die armen und entrechteten Völker an den Gütern dieser Erde endlich teilhaben können?
Um Kampf und Auseinandersetzung geht es auch im Epheser 6,10-17, wenn der Verfasser von der „Waffenrüstung Gottes“ spricht, die das Böse abwehrt. In der katholischen Lesereihe sind sowohl Maleachi 1,14b-2,2b,8-10 und Matthäus 23,1-12 von der Kritik der Priester, Schriftgelehrten und Pharisäer bestimmt. Der zentrale Vorwurf lautet: sie halten sich nicht an das, was sie predigen. Auch heute wird viel über Nachhaltigkeit geredet, aber gehalten wird davon angesichts der bedrängenden ökologischen Krise sehr wenig. Alte Wege müssen verabschiedet und neue Wege gegangen werden und diese könnten für das bisherige Verhalten durchaus konfliktreich und schmerzhaft sein.
In 1. Thessalonicher 2,7b-9,13 wird das geschwisterliche Verhältnis zur Gemeinde betont. Es ist das Vertrauen auf Gottes barmherziges Wort, welches diese neue Gemeinschaft nachhaltig begründet.
Werner Schneider-Quindeau
[1] Das Neue Testament Deutsch, Teilband 2 Das Evangelium nach Matthäus übersetzt und erklärt von Eduard Schweizer, S. 163, Göttingen 1976