ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Apg 16, 9-15 | 1 Sam 26, 2.7-9.12-13.22-23 | 1 Kor 15, 45-49 | Lk 6, 27-38 |
Grenzüberschreitung ...
Auch wenn die evangelischen und katholischen Textreihen grundsätzlich nicht aufeinander bezogen sind, so verbindet sie für mich an diesem Sonntag ein roter Faden – die Aufforderung zur Grenzüberschreitung, zur Durchbrechung von Gewohntem, zum Wagnis, auch wenn alle sagen, das kann nicht funktionieren und die aktuellen Entwicklungen in unserer Welt dem scheinbar sogar recht geben.
Da ist zum einen der Text aus der Apostelgeschichte in der evangelischen Reihe, in dem viele Ausleger den entscheidenden Schritt des Paulus aus dem jüdischen Kontext hinein in den heidnischen Kontext sehen. Denn nach dem sogenannten „Missionsbefehl“ am Ende des Matthäusevangeliums sollen alle Menschen auf der Erde von der frohen Botschaft hören. Und so brauchte es diese Grenzüberschreitung.
Das bedeutet für mich aber auch, dass wir damit als Christinnen und Christen eine Verantwortung für diese Welt übertragen bekommen haben. Diese Verantwortung erschöpft sich nicht nur im Predigen des Evangeliums, sondern bedeutet auch den Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung weltweit - konkret und mit Taten. Und vielleicht können und müssen wir lernen, dass mittlerweile Christinnen und Christen aus anderen Ländern diese Verantwortung stärker leben und wir als Menschen der westlichen Welt sie einladen sollten, uns mehr davon zu erzählen.
Eine der zentralen Aussagen dieser christlichen Botschaft ist die Feindesliebe, die in der katholischen Reihe in den Blick genommen wird – eine Botschaft, die Gewaltspiralen durchbrechen kann und so Menschen vor Tod und Leid bewahren will. Mittlerweile steht uns aber ebenfalls vor Augen, dass mit Krieg auch eine massive Beeinträchtigung der Umwelt einhergeht – der CO2-Ausstoß ist da sicher das eine, die Verseuchung und Zerstörung von großen Gebieten das andere – mit teilweise sehr langfristigen Folgen. Gerade kämpfen wir selbst an unseren Küsten mit den Munitionsresten in den Meeren, die immer mehr durchrosten. Die Gefahr der langfristigen Vergiftung und Gefährdung dieses wichtigen Ökosystems besteht – 80 Jahre nach Kriegsende.
Die Passage aus dem Korintherbrief passt für mich in diesen Kontext nicht so gut hinein (1 Kor 15, 45-49), weswegen ich auf diesen Text nicht weiter eingehen werde.
a) Der Ruf (Apg 16, 9-15): Komm herüber
Ein Hilferuf führt zum Aufbruch des Paulus nach Makedonien und damit zu einer entscheidenden Grenzüberschreitung – aus dem jüdischen Kontext hinein in den heidnischen Kontext. Wichtig sind mir an dieser Stelle zwei Dinge: Das Ernstnehmen des Hilferufes, aber auch die Bereitschaft, selbst aufzubrechen, Grenzen zu überschreiten.
Wie lange haben wir die konkreten Hilferufe der Menschen in den Gebieten überhört und verdrängt, in denen der Klimawandel Lebensgrundlagen zerstört, in denen die Meeresspiegel steigen und Inseln überfluten oder in denen sich Wüsten immer weiter ausdehnen und Lebensraum vernichten. Ich denke, dass wir heute vor diesen Rufen und Bildern kaum noch ausweichen können. Die Frage ist nur, ob wir uns wirklich aufmachen, Gewohntes verlassen, Grenzen überwinden und unser Leben ändern oder z.B. einfach weiter fliegen und uns freikaufen, in dem wir irgendwo ein paar Bäume dafür pflanzen lassen. Sicher ist solch eine Kompensation schon mal ein erster guter Schritt und doch ist er für mich eher ein Feigenblatt. Zurecht hat vor einigen Monaten ein Gericht festgestellt, dass Firmen ihre Produkte nicht einfach als nachhaltig bezeichnen können, wenn sie das teilweise nur durch Kompensationen erreichen.
Interessanter finde ich aber den Blickwechsel, ob es nicht auch an uns wäre, um Hilfe zu rufen. Sollten wir nicht Menschen aus anderen Ländern zu uns einladen, die uns als westliche Gesellschaft zeigen können, dass man auch mit so viel weniger glücklich sein kann und dass die Fokussierung auf „Wachstum“ nicht alternativlos ist? Wer würde sich aufmachen zu uns, wenn wir ernsthaft rufen würden: „Hilf uns!“ Was würden sie mitbringen und uns lehren? – das fände ich ein spannendes Predigtthema für diesen Sonntag im evangelischen Kontext.
b) Anders Leben (1 Sam 26, 2.7-9.12-13.22-23; Lk 6,27-38)
Der Gedanke der Feindesliebe ist kein neutestamentlicher Gedanke. Die Zusammenstellung der Geschichte aus dem Buch Samuel mit den Versen aus der sogenannten Feldrede hält das nachdrücklich fest. Der Fremde, ja selbst der Feind, spielen schon in den ersten 5 Büchern Mose eine große Rolle, denn die Wurzeln des jüdischen Volkes liegen nach dieser Tradition in der Fremde. Sie waren lange Zeit selbst Fremde, umherziehende Beduinen, die mit den ortsansässigen Menschen klarkommen mussten und das verlief nicht immer friedlich.
Über die Frage, ob es sich bei dieser Vision in der Bergpredigt bei Matthäus und der Feldrede bei Lukas um eine Utopie handelt, die erst am Ende der Tage sein wird oder es doch eine Handlungsanweisung für unser menschliches Miteinander ist, wird schon lange gestritten. Für mich gehört die Feindesliebe zu den sichtbaren Zeichen des Reiches Gottes, das gewiss erst am Ende ganz da sein wird, das aber heute schon immer wieder durch unser Handeln aufleuchten darf und muss - denn wir gehen ja auf Ostern zu, das Fest, an dem mit der Auferstehung Jesu Christi das Reich Gottes angebrochen ist. Und so kann und will ich diese Vision nicht schnell als Utopie abtun, weiß aber immer, dass wir noch in einer Welt leben, in der sich die Vision nicht so einfach umsetzen lässt und nach manchem Fortschritt auch wieder Rückschritte hingenommen werden müssen – trotzdem gilt es, nicht aufzugeben.
Eine Grundhaltung, die mir auch für die Vision nach einer gerechten und nachhaltigen Weltordnung wichtig ist – diese Weltordnung ist keine Utopie. Wir können immer wieder Schritte in diese Richtung gehen, auch wenn ich gerade den Eindruck habe, dass der Wind sich erneut dreht und die EU sich von manchen Klimazielen still verabschiedet hat.
Deswegen ist mir die Erzählung aus dem Samuelbuch so wichtig an dieser Stelle, nicht nur um daran zu erinnern, dass wir es mit dem einen Gott im ersten und zweiten Teil der christlichen Bibel zu tun haben, sondern weil hier ein ganz konkretes Beispiel von Feindesliebe erzählt wird – David verschont Saul, obwohl ihm dieser doch nach dem Leben trachtet und damit sein Feind ist. Er verzichtet auf einen klaren Vorteil, eine Chance, die Situation zu seinen Gunsten zu verändern, und zeigt mir damit, was auch mir möglich ist. Es geht! Denn Feindesliebe ist eben nicht nur etwas für die großen Auseinandersetzungen, Feindesliebe ist in meinem Alltag möglich – das zeigen auch die schlichten Verse aus der Feldrede. Sie verbindet, dass ich aus meiner Komfort- und Sicherheitszone hinaustreten muss, Dinge hinnehmen oder Sachen loslassen muss und kann, um des größeren Ganzen willen.
Gewiss gibt es da Grenzen. Diese kann nur jeder und jede für sich selbst definieren. Doch im Sinn des evangelischen Predigttextes sind wir für mich immer wieder herausgefordert, diese zu überwinden, sie zu überschreiten und zu schauen, was sich dann an neuen Horizonten und Erfahrungsmöglichkeiten auftut. Und gerade als Deutsche durften wir erleben, dass es Gebete und Kerzen waren, mit denen die Stasi nicht gerechnet hatte und mit denen sie nicht umgehen konnte. So wurde eine Grenze in unserem Land überwunden. Auch wenn wir gerade aufpassen müssen, dass sie nicht wieder entsteht – gewiss nicht aus Beton, sondern aus Enttäuschung, Lügen und Vorurteilen.
Fazit: Wir gehen auf Ostern zu – daran erinnert der lateinische Name Sexagesimae (60 Tage bis Ostern) des Sonntags. Wir gehen auf Ostern zu durch die Passionszeit, die uns daran erinnert und auffordert unsere Komfortzonen zu verlassen, Grenzen zu überschreiten und sich den Herausforderungen zu stellen. Dabei ist die Vision einer gerechten und nachhaltigen Welt, in der die Feindesliebe eine zentrale Rolle spielen wird und muss, eben keine Utopie, sondern eine Chance, schon jetzt zu zeigen, was am Ende Alltag sein wird.
Olliver Zobel, Ev. Kirche in Hessen und Nassau