4. Sonntag nach Epiphanias / 4. Sonntag im Jahreskreis (29.01.17)

4. Sonntag nach Epiphanias / 4. Sonntag im Jahreskreis [III/A]

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Mt 14, 22-33 Zef 2, 3; 3, 12-13 1 Kor 1, 26-31 Mt 5, 1-12a

Vier Wochen ist das Jahr alt und der erste Monat fast vorbei. Einer Kreuzfahrt gleich hat das neue Jahr die Anker gelichtet, Fahrt aufgenommen und vielleicht schon den ersten rauen Wintersturm erlebt. Was aber hält das „Schiff des Lebens“ wie das „Boot der Gemeinde“ auf Dauer über Wasser und auf Kurs? Wonach den eigenen Lebenskahn ausrichten und das anvertraute Kirchenschiff navigieren, wenn die Wellen sich haushoch türmen und klatschnasse Nacht ein Fahren auf Sicht unmöglich macht?

Matthäus 14, 22-33: Jesus und der sinkende Petrus auf dem See

Auslegung des Textes

Durch die Zuordnung der Perikope zum eher seltenen vierten Sonntag in der Epiphaniaszeit wird die Erzählung des Matthäus nicht oft gepredigt, ist aber aufgrund ihrer Dramatik und Vielfalt an Facetten und Motiven sehr bekannt. Davon zeugen nicht zuletzt die vielen Bilder zu dieser Geschichte - von der Illustration im mit-telalterlichen Egbert-Codex über die romantische Nazarener-Malerei des Julius Schnorr von Carolsfeld bis zum kantigen Holzschnitt von Walter Habdank. Ein Text also, der nicht nur die christliche Kunst nachhaltig inspiriert, sondern das Leben der christlichen Gemeinde intensiv begleitet und geprägt hat.

Gemeinsam mit Markus 6, 45 ff. und Johannes 6, 16ff. schließt Matthäus seinen Bericht an das Speisungs-wunder an. Erschöpft vom langen Tag der Begegnungen, dem Gedränge der Menschen und der sicherlich lautstarken Begeisterung über die wundersame Brotvermehrung drängt Jesus seine Jünger mit energischen Worten („nötigen“) ins Boot und über den See – und sucht selbst die Ruhe zum Alleinsein und die Stille zum Beten in der Abgeschiedenheit eines Berges. Solch kleine Fluchten aus Anstrengung und Anspannung, aus Alltag und Betriebsamkeit sind heilsam und notwendig: Sie lassen Leib, Seele und Geist zu frischen Kräften kommen, stärken für neue Aufgaben und lenken Herz und Sinne zu Gott, der Quelle des Lebens.

Während Jesus allein auf dem Berg die Ruhe sucht, ist auch das Boot mit den Freunden allein unterwegs - allerdings in unruhiger kabbeliger See, die das Vorankommen erheblich erschwert und verlangsamt. Doch längst nicht sofort und voreilig eilt Jesus den Jüngern zu Hilfe, sondern lässt sie zunächst die eigenen Kräf-te erproben und mutet ihnen Alleinsein im Dunkeln und Anstrengung im Gegenwind zu. Erst als die düstere Nacht weicht und die Muskeln der Jünger lahmen und schmerzen, kommt er durch Wind und Wellen zu ihnen. Doch diese Erscheinung (Epiphanie) ist keineswegs die ersehnte Hilfe, sondern jagt den Freunden nur noch größeren Schrecken ein. Erst sein Wort macht Jesus erkennbar und nimmt der Seele die Angst.

Die folgende singuläre Szene vom Seegang des Petrus webt Matthäus geschickt in das Geflecht aus Lebensgefahr und Gottesbewahrung ein und weitet damit die Erzählung wie den Blick seiner Gemeinde zu einer Erfahrung der Nachfolge. Der für seine Spontaneität bekannte Petrus will es seinem Meister gleichtun, verlässt auf das Wort Jesu den schaukelnden, aber einigermaßen sicheren Kahn der Freunde und geht seinem Herrn entgegen. Was mit dem Blickkontakt zu Jesus gut beginnt und frisch gelingt, droht aber mit der Aussicht auf Wind und Wellen zu scheitern und im wahrsten Sinne des Wortes unterzugehen. Nur die offene Hand Jesu und der beherzte Griff von beiden Seiten halten Petrus über Wasser und am Leben.

Die anschließende Frage Jesu „Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“ verstehen viele Ausleger als abschließende Standpauke (Paränese). Doch Wortwahl und Tonfall des Leib- und Seelsorgers lassen sich auch alternativ verstehen: „Gut, dass du dich aus der Deckung getraut und deinen Schritt ins Ungewisse gewagt hast! Du bist ausgestiegen aus dem Sicheren und Gewohnten, getragen von den furchterregenden Wellen und gehalten von der Hand des Freundes! Daran kannst du anknüpfen und aufbauen, deinen Glauben stärken wie mehren und vom Zweifel zum Vertrauen wachsen.“ Derart gestärkt und ermutigt mag auch der durchnässte Petrus in den Chor der Freunde eingestimmt haben: „Du bist in Wahrheit Gottes Sohn!“

Bezüge zur Nachhaltigkeit

- Aktion und Kontemplation
Die Sehnsucht nach einem wohltuenden Lebensrhythmus und gesunden Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung, Anstrengung und Erholung ist allenthalben präsent und zieht sich wie ein roter Faden von der Antike bis in die Postmoderne. Die Anzahl der Ratgeber in Internet und Bücherwald ist Legion und beredtes Zeugnis vom Suchen und Finden, Gelingen und Scheitern eines ausgleichenden wie ausgeglichenen und damit nachhaltigen Lebensstils. Das Wechselspiel zwischen Sammlung und Sendung, Vita Activa und Contemplativa  spiegelt sich auch in vielen Erzählungen der Bibel wie Epochen der Kirchengeschichte.

In der vorliegenden Perikope treibt Jesus seine Freunde geradezu von sich weg: nachdem ihm wenige Stunden zuvor die Nachricht vom gewaltsamen Tod des Täufers überbracht und anschließend Raum und Zeit zum Trauern verwehrt werden (V. 12-13), er stattdessen mit Krankheit und Hungerleid der Menschen konfrontiert wird und sich dem Werk der Barmherzigkeit weder entziehen kann noch will, ist es nun wirklich allerhöchste Zeit für das Alleinsein mit sich und Gott, für Lob und Dank, Bitte und Klage vor seinem Vater. Mit seinem eigenen Leben gibt Jesus Beispiel und Vorbild für ein Leben, das ganz bei Gott und ganz bei den Menschen ist. Wenn sich daran schon die Benediktiner mit ihrem Grundsatz „Ora et labora!“ und der Reformator Martin Luther mit seinem Ausspruch „Heute habe ich viel zu tun, deswegen muss ich viel beten!“ orientiert haben, kann es auch für die Menschen der Gegenwart nicht völlig verkehrt sein.

- Unruhige See
Die Begegnung mit dem nassen Element zählt zu den ebenso elementaren wie ambivalenten Erfahrungen des Menschen: so belebend und lebenspendend, erfrischend und stärkend das Wasser für alle Kreatur ist, so bedrohend und bedrohlich, gewaltsam und zerstörerisch kann es Leben auslöschen und ersäufen. Wasser gibt Auftrieb und zieht nach unten, es löscht den Durst und lässt ertrinken, es tränkt die Felder und überschwemmt das Land. Bereits die Bibel betont von der Schöpfungs- und Mose-Geschichte bis zur Taufe Jesu und dem tiefsinnigen Brunnengespräch in Samarien die lebenspendende und -erhaltende Kraft des Wassers. Und sie zeichnet von der Sintflut- und Jona-Geschichte bis zur Sturmstillung Jesu und Missionsschifffahrt des Paulus das gewaltige Zerstörungspotential dieses Elements nach. Die Gegensätze von Dürre und Flut werden in Zeiten des Klimawandels durch die extremen Ausschläge von Wassermangel und Wasserfülle besonders deutlich und zeigen die Gefährdung des ökologischen Gleichgewichts auf.

Viele Auslegungen der Kirchen- und Bilder der Kunstgeschichte stellen Wasser, Wind und Wellen als gefährliche Chaosmacht und Sturm des Lebens dar, die der bedrängten christlichen Gemeinde in ihrem kleinen Kirchenschiff schwer zu schaffen machen. Diesem einseitig düsteren Verstehen ist entgegenzuhalten, dass dieser Urgrund der Schöpfung das Leben durch die Fluten trägt und voranbringt. Wenn Wasser schon keine Balken hat, so entwickelt es doch genügend Auftrieb, den eigenen „Lebenskahn“ wie das „Schiff, das sich Gemeinde nennt“ über dem Abgrund zu halten und vor dem Untergang zu bewahren.

- Mut zum Ausstieg
Gegenüber der landläufigen Bezeichnung „Sinkender Petrus“ beeindruckt der Wagemut des Jesusjüngers, das zwar schwankende, aber Geborgenheit wie Gemeinschaft bietende Boot zu verlassen, mutig die Füße auf das unruhige Wasser zu setzen und Jesus entgegenzugehen. Diesen Impuls aufzunehmen heißt, die Christengemeinde zu ermutigen, nicht ängstlich und zusammengekauert im angeblich sicheren „Kirchenschiff“ zu verharren, sondern die Deckung zu verlassen, Schritte ins Weite zu wagen und ungewöhnlich zu leben. Dazu gehört freilich auch, Sicherheiten aufzugeben, das Risiko des Scheiterns einzugehen und hautnah zu erleben, wie sich Untergehen anfühlt. Doch ohne dieses Wagnis werden Christen nicht die helfende Hand Christi und rettende Gegenwart Gottes erfahren. Wollte Matthäus mit der Erzählung vom sinkenden Petrus seiner entmutigten und angefeindeten Gemeinde neues Hoffen und Vertrauen zusprechen, so ist der heute zwar schrumpfenden, aber immer noch weich gepolsterten Volkskirche durchaus das Aussteigen aus der Enge und Verlassen gewohnter Pfade zuzumuten.

Anregungen zur Predigt

Zu Beginn des Jubiläumsjahres „500 Jahre Reformation“ und zum Einstieg der Predigt lohnt die Besinnung auf das Logo und Markenzeichen der Ökumene (www.oikoumene.org): das offene Boot der weltweiten Christenheit, das auf dem Meer aus Raum und Zeit unterwegs ist zu neuen Ufern. Der Mast in Kreuzform weist eindeutig auf Christus als Halt und Herr der Gemeinde und zeigt mit den beiden Balken sowohl in die Himmel Gottes als auch zu dem nahen oder fernen Nächsten. Der halbrunde Schriftzug OIKOUMENE erhebt sich wie der Bogen des Noah-Bundes über dem Kahn und umschließt „die ganze bewohnte Erde“, geht also weit über die landläufig gemeinte Konfessionsökumene evangelisch-katholisch hinaus.

Die Frage „Was macht ein Boot zum Kirchenschiff?“ weitet den Blick auf die zahlreichen See- und Meergeschichten der Bibel und führt schließlich zu der Geschichte von Jesus und Petrus auf dem Wasser mit einigen der oben skizzierten Assoziationen.

 

Anregungen zu den Texten der katholischen Leseordnung

Zefanja 2, 3; 3, 12-13

Das schmale, nur drei Kapitel umfassende und daher oftmals übergangene Buch Zefanja erschreckt in sei-ner Radikalität von Schuldaufweis und Strafansage. In der Nachfolge des großen Jesaja geißelt Zefanja wie sein etwas später auftretender Zeitgenosse Jeremia die unhaltbaren Zustände von Götzendienst, Großspu-rigkeit und Überheblichkeit. Die hatten sich zur Zeit der assyrischen Oberhoheit im 7. Jahrhundert v. Chr. in Juda und Jerusalem breit gemacht und wurden erst durch die Reformen des Königs Josija um 622 v. Chr. zumindest zeitweilig eingedämmt. Darum ist der Weckruf „Der Tag des Herrn ist nahe!“ in Zef. 1,14 mehr Droh- als Frohbotschaft, enthält er doch die Ankündigung von Unheil und unnachgiebigem Gottesgericht.

Inmitten der zahlreichen Gerichtsworte über Israel und vernichtenden Strafandrohungen für die Nachbarvölker hält Zefanja auf einmal inne und überrascht mit eindringlichen Geboten der Demut und Gerechtigkeit: sie sind der Schlüssel, der die zugeschlagene Tür noch einmal öffnen kann, und der einzige Weg, der Gottes Zorn vielleicht in letzter Sekunde noch aufhält. Der aus der Mode gekommene Begriff Demut kann in der Predigt auf seinen alten Wortstamm „Mut zum Dienen“ hin befragt und mit dem allgegenwärtigen und mit Händen zu greifenden „Drang zum Herrschen“ kontrastiert werden. Dienmut contra Hochmut, Selbstbe-scheidung contra Großmannssucht, Wahrhaftigkeit contra Verschlagenheit: welcher Lebensstil führt wohl eher zum Ziel, zum Frieden mit dem Schöpfer und zur Aussöhnung mit der Schöpfung?

1. Korinther 1, 26-31

Von dem, was klein und töricht ist auf der Erde, was niedrig und gering scheint in der Welt der Großen, weiß auch Paulus zu berichten. Mahnend und werbend schreibt der Apostel einen Brief an die von sozialen Spannungen zerrissene und von gegenseitigen Vorwürfen zerfressene Gemeinde in Korinth. Die Gegensätze von Armut und Reichtum, Freiheit und Frondienst, Überheblichkeiten und Minderwertigkeitskomplexen gehen mitten durch die Christengemeinde – und das Mahl des Herrn, das eine, von Christus selber eingesetzte Zeichen der Versöhnung und Gemeinschaft wird zur Sollbruchstelle der Christenheit.

In dieser hitzigen Auseinandersetzung und aufgeheizten Stimmung entwirft Paulus seine Theologie des Kreuzes und predigt die Versöhnung mit Gott im Zeichen des als Schandmal geächteten Fluchholzes: so wie Gott in Christus selber ganz nach unten kommt, sich schwach und ohnmächtig, um sein Recht betrogen und geprügelt wie ein Hund aufs Kreuz legen lässt, so zählt auch die Gemeinschaft seiner Nachfolger in den Augen der Großen und Mächtigen zu den Schwachen und Toren, zu den Verlierern und Verlorenen. Es ist in der Tat der Gott der kleinen Leute, der die gewohnte Sichtweise von Oben und Unten durchbricht und die scheinbar so festgefügte Welt von Klein und Groß, Angesehen und Verlacht auf den Kopf stellt. Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung - die Schlüsselbegriffe des letzten Verses - entsprechen auch heute nicht der Rang- und Werteordnung unserer DAX- oder Bundesliga-orientierten Leistungsgesellschaft und sind gerade deswegen so verstörend heilsam als Gottes Geschenk und Angebot seines Lebens.

Matthäus 5, 1-12a

Die ganz und gar „verrückten“ Seligpreisungen Jesu bürsten die landläufigen Meinungen von Glück und Seligkeit gehörig gegen den Strich und sprechen ausdrücklich den Kleinen und Armen dieser Erde, den Gebeugten und Gebeutelten dieser Zeit die Nähe und Teilhabe an Gottes Reich des Friedens zu. Näheres dazu in der Predigtanregung zum 31.10.2015.

Martin Ahlhaus, Ev. Kirche v. Westfalen