Pfingstsonntag (04.06.17)

Pfingstsonntag 2017 [III/A]

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Joh 16, 5-15 Vorabend: Gen 11, 1-9 od. Ez 37, 1-14 od.
Ex 19, 3-8a.16-20b od. Joel 3, 1-5

Tag: Apg 2, 1-11

Röm 8, 22-27

1 Kor 12, 3b-7.12-13

Joh 7, 37-39

Joh 20, 19-23

Pfingsten, das Fest erneuerter Liebe, ein Fest voller Phantasie, das die Menschen mit neuer Sprache begabt – das ist das Leitmotiv aller Pfingsttexte. Es sind Texte, die Hoffnung entfachen und nachhaltig wirken wollen.

Ev. Evangeliumstext (Rev. 2014): Joh 14, 23-27

Die Verheißung des Heiligen Geistes geht an eine kleine exklusive Gruppe. Nachfolge Jesu ist nichts für Feiglinge. Die Liebe macht den Unterschied, und das Hören und Halten des Wortes Gottes. Im Kontext des Johannesevangeliums war solche Exklusivität mit Verfolgung verbunden. Innerhalb der Pax Romana lebte in Frieden, wer die Autorität des römischen Kaisers akzeptierte. Jesus ruft nicht zu offenem Widerstand auf, er „lässt“ den Jüngern diesen Frieden (V.27), aber gleichzeitig tröstet, stärkt und ermutigt er sie zum langen Atem, indem er auf den hinweist, der vor ihm war und nach ihm sein wird. – Bei einer Übertragung ins Heute ist sorgfältig abzuwägen, ob der faule Friede des sich Arrangierens mit dem Status quo, sprich der Herrschaft der Waffenlobbyisten und Militaristen, den unsere Kirchen praktizieren, noch zu vereinbaren ist mit dem Geist des Friedens und der Gerechtigkeit, die Jesus meint. Die Christinnen und Christen in Bedrängnis, ob im Nahen Osten, in der Türkei, in Asien oder Afrika, erwarten unsere Solidarität. Aber sie hilft ihnen nur, wenn sie auch ehrlich die Wurzeln des Übels anspricht.

Ev. Predigttext: Joh 16, 5-15

„Ich sage euch die Wahrheit“, sagt Jesus. „Der Tröster wird der Welt die Augen auftun über die Sünde und über die Gerechtigkeit und über das Gericht.“ Diese Verse aus dem Predigttext wurden von Philipp Spitta vor knapp 200 Jahren in seinem Lied „O komm, du Geist der Wahrheit“ verarbeitet (EG 136). Wegen der „scharf geschliffnen Waffen der ersten Christenheit“ in friedensbewegten Kreisen lange verpönt, ist es dennoch nach wie vor das bekannteste evangelische Pfingstlied, möchte ich behaupten. Dem lohnt es sich einmal nachzugehen. – Ich schlage eine Liedpredigt vor unter Einbezug der Fragestellung, was das Bekenntnis zu Jesus Christus in verschiedenen Epochen bis heute bedeutet hat und bedeutet. – Der Bogen zum Reformationsjubiläum und zum gerade an Pfingsten vieler Orten begangenen ökumenischen Gedenken in Form eines Christusfestes lässt sich hier leicht schlagen.

Der Text gibt eine klare Linie vor: es gilt, über 3 Dinge zu reden: die Sünde, die Gerechtigkeit und das Gericht. Sünde ist die „unmögliche Möglichkeit“, die Entfremdung des Menschen von Gott, von seiner Umwelt und von sich selbst. Diese nachhaltige Störung der Gottes- und Weltbeziehung, deren Folgen wir überall vor Augen haben, ist durch Jesus Christus aufgehoben. Der Welt ist ein für allemal Gerechtigkeit widerfahren, sprich: der Versöhnungsprozess ist initiiert. Das gilt es zu begreifen und zu predigen. Die Hoffnungslosigkeit hat keinen Anhaltspunkt mehr, denn die Gottesferne ist aufgehoben! Wir können anders an die Dinge herangehen und kreativ, mutig, phantasievoll den angeblichen Gesetzmäßigkeiten des Marktes etc. widersprechen. Das Gericht hat bereits stattgefunden. Das Böse, „der Fürst dieser Welt“, ist entmachtet.

Kath. Leseordnung (Vorabend):
Gen 11, 1-9

Die altbekannte Geschichte vom Turmbau zu Babel bekommt eine neue Pointe, wenn man sie mit Jürgen Ebach und anderen kontextuell interpretiert: In Gen. 11, 1 „Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache“, ist nicht von der von Gott erschaffenen und so gewollten Welt die Rede, sondern vom diktatorischen Einheitsregime des Nimrod. – vgl. Gen 10, 8ff: „Kusch aber zeugte den Nimrod. Der war der erste, der Macht gewann auf Erden.“ Es geht also nicht darum, dass „die Menschen“ sich einen Namen machen wollen, sondern dass die Arbeiter Nimrods Namen groß machen sollen.
Der technische Fortschritt, „Ziegel aus Stein und Erdharz als Mörtel“, in der Hand eines autoritären Regimes richtet sich gegen die göttliche Schöpfungsordnung. Unmenschlichkeit ist ihr Preis. Vergleichbares findet sich beim Pyramidenbau durch den Pharao,  ein mit Sklaverei und Menschenleben erkauftes Großmannsprojekt, das den Mächtigen einen unauslöschlichen Namen machen sollte. Diktatur heißt Einheitssprache. Eine Diktion, ein Ziel, eine Ideologie, dem sich alles unterzuordnen hat. „Das ist erst der Anfang ihres Tuns“, befindet Gott. Damit wird in der Urgeschichte des Volkes Israel schon die Gefährdung der Schöpfung analysiert. Wo Einheitssprache verordnet wird, wo Einheitsideologie herrscht, wo eine Diktion herrscht und alles mit einem Einheitspreis versehen wird, da sind die Gedanken nicht mehr frei. Sprache in ihren unterschiedlichen Facetten – von wissenschaftlicher Rede über Journalismus, Poesie bis hin zu Komik und Liebesgeflüster wird als bedrohlich empfunden. Das Ziel, alles der Habgier der herrschenden Klasse zu unterwerfen, wird durch solch sprachliche Vielfalt empfindlich gestört. Gott erhält den Menschen die Vielfalt und den Artenreichtum. Sie sind unaufgebbarer Bestandteil seines Schöpferwillens. - Heute sagen wir: Dortmund ist bunt oder Vielfalt statt Einfalt.

Röm 8, 22-27

Wer sich das wunderbare Zusammenspiel der biologischen Systeme vor Augen führt, wer sich beschäftigt mit dem Artenreichtum und der außerordentlichen Fülle der Lebens- und Sozialformen von Insekten, Vögeln, Meeresbewohnern und Säugetieren, wer gelernt hat zu staunen über das Wunder des Werdens und Vergehens pflanzlicher Ökosysteme, der ahnt, was Paulus mit dem Seufzen der Kreatur meint. Als er seinen Brief an die Römer schrieb, stand den Eisbären das Wasser noch nicht bis zum Halse, das Mittelmeer war noch nicht überfischt und die Weltmeere hatten noch nicht mit dem Plastikmüll zu kämpfen. Dennoch – so schreibt er – besteht die Hoffnung auf Erlösung zur „herrlichen Freiheit der Kinder Gottes“ für die ganze Schöpfung, nicht für den Menschen allein. Der Mensch ist Teil der Schöpfung, Mitgeschöpf. So wie schon im alten Israel das Sabbatgebot für Mensch und Tier galt, gilt die Befreiung durch Christus dem ganzen Erdkreis. Alles, was Gott geschaffen hat, ist damit gemeint. Das an Pfingsten durchzubuchstabieren führt zu wahrlich neuen Erfahrungen mit der transformativen Kraft des Heiligen Geistes. Oder zum Gebet mit Worten Peter Beiers: „Komm, Heiliger Geist, unverhoffter Schöpfer. Beschere uns Phantasie für den Menschen und die phantastische Gabe, deine Schöpfung zu schützen vor dem Terror und Schmutz unserer Habgier.“ (EG 781, Evangelisches Gesangbuch Rheinland, Westfalen, Lippe, Nordwestdeutsch/Bayern reformiert)

Annette Muhr-Nelson, Dortmund