Karfreitag 2017
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Lk 23, 33-49 | Jes 52, 13 - 53, 12 | Hebr 4, 14-16; 5, 7-9 | ./. |
Die Autorin betrachtet den ev. Predigttext, jedoch mit zentralen Überlegungen zu Karfreitag und dem Kreuz, die auch in der Predigt nach der kath. Leseordnung aufgegriffen werden können.
Predigtanregung zu Lk 23,33-49
Am Karfreitag steht das Kreuz im Mittelpunkt. Im Folgenden wird der Frage nachgespürt, weshalb sich am Kreuz die Geister scheiden und das Kreuz Christen und Nichtchristen, Glaubende und Zweifelnde verstört, verärgert, aufwühlt und provoziert.
1) Das Kreuz als Provokation
Die jüngsten öffentlichen Debatten über die Beseitigung von Kreuzen aus Schulen und Gerichtsräumen und die Zerstörung von Gipfelkreuzen zeigen es überdeutlich: Das Kreuz ist eine Provokation. Und dies beileibe nicht erst in unseren Zeiten, wo sich die religiöse Landschaft Europas grundlegend geändert hat und religiöse Symbole in der Öffentlichkeit zunehmend einen schweren Stand haben. Schon im 2. und 3. Jahrhundert n.Chr. wurden scharfe Angriffe gegen das Kreuz und den Gekreuzigten gefahren. Dass das Bild vom leidenden und toten Gottessohn am Kreuz zur Vorstellung eines Menschen der Spätantike schlecht passte, wusste schon Paulus, der vom verstörenden „Wort vom Kreuz" sprach (1 Kor 1,18). Aber auch später in der Geschichte hinterlässt der Widerspruch gegen den gekreuzigten Gott eine breite Spur: Wie widerwärtig Goethe das Kreuz war, zeigen seine Venezianischen Epigramme, in denen er schreibt:
„Vieles kann ich ertragen. Die meisten beschwerlichen Dinge
Duld ich mit ruhigem Mut, wie es ein Gott mir gebeut.
Wenige sind mir jedoch wie Gift und Schlange zuwider,
Viere: Rauch des Tabaks, Wanzen und Knoblauch und Kreuz."
Auch beim 1995 in Deutschland gefällten sog. Kruzifixurteil hat der Beschwerdeführer heftig darüber geklagt, dass sein Kind „unter dem Kreuz" lernen müsse und dem „Anblick eines halbnackten, toten Männerkorpus" ausgesetzt sei.
Was ist es, weshalb das Kreuz dermassen zu verstören vermag? Wühlt uns das Kreuz deshalb so sehr auf, weil es uns glasklar vor Augen führt, dass es Lebensmomente gibt, aus denen nichts zu machen ist, die nicht zu verstehen, nicht zu erklären und nicht zu bewältigen sind? Verstört uns das Kreuz deshalb, weil es uns ahnen lässt, dass es Lebensmomente gibt, deren grausiger Absurdität unser Blick nicht standzuhalten vermag und deren Sinnlosigkeit wir uns mit aller Kraft entgegenstemmen?
2) Das Kreuz als Pflock, an dem sich die Trends brechen
Ist der Kreuzespfahl auch deshalb ein Skandal, weil sich an ihm die Trends brechen? Ein Pflock, der der sich zu Tode amüsierenden Spassgesellschaft das nicht zu Glättende und durch keine Schminke zu Übertünchende vorhält: Tod, Leid, Krankheit, Verrat, Ausgrenzung, Verlassenheit?
Der hässliche Anblick des Gefolterten und Geschundenen am Galgen führt die Risse in der glatt polierten Haut der gestylten Gesellschaft ungeschminkt vor Augen. Das Sperrige und Abstossende des Kreuzes verstellt sich einer bürgerlichen Behaglichkeit. Der dreckige Tod Jesu ärgert die Sinne, die sich am Schönen und Wohlfeinen erfreuen wollen.
Trotz aller Versuche in der Geschichte des Christentums, das Gesicht Jesu hin und her zu modellieren, bleibt der Jude von Nazareth an seinem Kreuzespfahl eine hässliche Erscheinung, eine Zumutung, ein Skandal. Den Ästheten, Zweckoptimisten, Schöngeistern und Perfektionisten aller Zeiten hält Jesus am Kreuz unablässig und nachhaltig das Unvollendete, Bruchstückhafte, Zerrissene und Dunkle des Lebens vor Augen.
3) Das eine Kreuz und die vielen Kreuze
Das Kreuz des Karfreitags verstellt sich einem wohltemperierten Christsein. Das Kreuz ist ein lautloser Einspruch gegen all die Versuchungen unserer Tage, vor dem Tod, dem Leid, der Gewalt, dem Hässlichen und Dreckigen die Augen zu verschliessen.
Der eine Gekreuzigte ist Name und Gesicht für die Elenden, Geschundenen, Verlassenen, Verratenen, Geächteten und Gefolterten dieser Welt. Mit ihren Verletzungen, Leiden, Demütigungen und Ängsten gehören sie zu ihm und die Fraktur ihres Lebens ist in seinen zerbrochenen Körper eingefügt. Der Gekreuzigte ist für sie alle Versprechen, dass sie am Abgrund ihrer menschlichen Verlorenheit nicht fallen gelassen werden und das Kreuz nicht das letzte Wort behält.
Dr. Béatrice Acklin, Zürich